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Art. 7 VO (EG) Nr. 883/2004: Aufhebung der Wohnortklauseln - Gebietsgleichstellung

Änderungsdienst
veröffentlicht am

12.11.2019

Änderung

Die Verweise auf andere GRA wurden aktualisiert.

Dokumentdaten
Stand17.02.2017
Version001.01

Inhalt der Regelung

Der Art. 7 VO (EG) Nr. 883/2004 enthält den Grundsatz der „Aufhebung der Wohnortklauseln“. Geldleistungen dürfen danach nicht gekürzt oder entzogen werden, nur weil Berechtigte ihren Wohnort außerhalb Deutschlands in einem anderen Mitgliedstaat haben.

Innerstaatliche Regelungen, die eine Rechtsfolge vom gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland abhängig machen (sogenannte Wohnortklauseln) werden daher nicht angewandt. So wird für die Leistungsgewährung quasi eine „Gleichstellung der Staatsgebiete“ erreicht. Dies gilt jedoch nur, soweit die Verordnung selbst nichts anderes vorsieht (siehe Abschnitte 1.2 und 4).

Ergänzende/korrespondierende Regelungen

Freizügigkeit

Für Unionsbürger und -bürgerinnen besteht in den Mitgliedstaaten Freizügigkeit, das heißt sie haben grundsätzlich das Recht, sich in den Mitgliedstaaten frei zu bewegen und aufzuhalten (Art. 20 Abs. 2 und Art. 21 AEUV). Für Wanderarbeitnehmer und -arbeitnehmerinnen ist die Freizügigkeit noch einmal gesondert geregelt (Art. 45 Abs. 1 AEUV). Um die Freizügigkeit zu ermöglichen, ist ihnen unter anderem die Zahlung von Leistungen der sozialen Sicherheit in die Mitgliedstaaten zu sichern (Exportgebot, Art. 48 Buchst. b AEUV). Ansonsten würde der Zweck der Art. 45 bis 48 AEUV verfehlt, wenn Versicherte bei Verlegung ihres Wohnortes in einen anderen Mitgliedstaat befürchten müssten, Vergünstigungen der sozialen Sicherheit zu verlieren. Dies gilt insbesondere dann, wenn es sich bei der Vergünstigung um eine Gegenleistung für die von ihnen gezahlten Beiträge handelt. Eine solche Konsequenz könnte Versicherte davon abhalten, von ihrem Recht auf Freizügigkeit Gebrauch zu machen. Die Exportverpflichtung gilt daher auch dann, wenn Versicherte ausschließlich in ihrem Herkunftsstaat gearbeitet haben, aber in einem anderen Mitgliedstaat wohnen oder ihren Wohnort dorthin verlegen.

Eine Einschränkung des Exportgebots für Geldleistungen ließe sich nur rechtfertigen, wenn mit ihr ein berechtigter, mit dem AEUV vereinbarer Zweck verfolgt würde und die Einschränkung auf objektiven, von der Staatsangehörigkeit der Betroffenen unabhängigen Erwägungen beruhen würde. Sie müsste aus zwingenden Gründen des Allgemeininteresses objektiv gerechtfertigt, geeignet und verhältnismäßig sein. Dies ist in der Regel nur bei eng an das soziale Umfeld gebundenen Leistungen oder einer erheblichen Gefährdung des finanziellen Gleichgewichts eines Systems der sozialen Sicherheit möglich.

Die Freizügigkeit der Unionsbürger kann Versicherten jedoch nicht garantieren, dass eine Wohnortverlegung in einen anderen Mitgliedstaat hinsichtlich der sozialen Sicherheit neutral ist, da eine solche Verlegung aufgrund der Unterschiede zwischen den Systemen und den Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten für die betreffende Person je nach Einzelfall Vorteile oder Nachteile haben kann. So kann ein Unterschied in der Leistungshöhe der Mitgliedstaaten nicht als eine Beschränkung der Freizügigkeit angesehen werden, da er sich aus der fehlenden Harmonisierung des Europarechts ergibt.

Aufhebung der Wohnortklauseln

Durch die Aufhebung der Wohnortklauseln in Art. 7 VO (EG) Nr. 883/2004 wird das Exportgebot des Art. 48 Buchst. b AEUV umgesetzt. Geldleistungen nach den Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten oder nach der Verordnung dürfen danach nicht gekürzt, geändert, zum Ruhen gebracht, entzogen oder beschlagnahmt werden, nur weil Berechtigte oder ihre Familienangehörigen in einem anderen Mitgliedstaat wohnen, als der leistungsverpflichtete Träger seinen Sitz hat.

Die Aufhebung der Wohnortklauseln gilt sowohl für die Anspruchprüfung als auch die Zahlung. Sie erfasst sowohl Renten und ihre -erhöhungen als auch Witwen- und Witwerrentenabfindungen, Zuschüsse zu den Aufwendungen zur Krankenversicherung sowie Leistungen für Kindererziehung. Diese werden nicht gekürzt oder entzogen, wenn Berechtigte ihren Wohnort in einem anderen Mitgliedstaat als Deutschland haben oder ihn dorthin verlegen (siehe GRA zu Art. 1 Buchst. j und k VO (EG) Nr. 883/2004, Abschnitt 3). Im Ergebnis erhalten die vom Europarecht erfassten Personen die Geldleistungen so, als hielten sie sich gewöhnlich in Deutschland auf. Der Wohnort in den Mitgliedstaaten wird damit einem gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland gleichgestellt. Welche Gebiete zum Staatsgebiet der Mitgliedstaaten gehören kann der GRA zu Übersicht VO (EG) Nr. 883/2004, Abschnitt 9 entnommen werden.

Durch die Aufhebung der Wohnortklauseln wird aus einem autonomen (innerstaatlichen) kein anteiliger (zwischenstaatlicher) Anspruch. Bei Wohnort außerhalb der Mitgliedstaaten findet der Art. 7 VO (EG) Nr. 883/2004 keine Anwendung.

Bewertung von Beitrittsgebiets-Beitragszeiten

Die Aufhebung der Wohnortklauseln gilt beispielsweise für die Zuordnung von Entgeltpunkten. Im Beitrittsgebiet vor dem 19.05.1990 zurückgelegte Beitragszeiten und Reichsgebiets-Beitragszeiten werden mit Entgeltpunkten statt Entgeltpunkten (Ost) bewertet. Voraussetzung ist der gewöhnliche Aufenthalt der Versicherten im „Alt-Bundesgebiet“ am 18.05.1990. Dies gilt, solange sich die Berechtigten im Inland aufhalten (siehe GRA zu § 254d SGB VI, Abschnitt 3.1).

Durch die Aufhebung der Wohnortklauseln wird hingegen der Wohnort in den Mitgliedstaaten einem Inlandsaufenthalt gleichgestellt. Von der Verordnung erfasste Personen erhalten ihre Beitritts- und gegebenenfalls auch Reichsgebiets-Beitragszeiten daher mit Entgeltpunkten bewertet, auch wenn sie ihren Wohnort in den Mitgliedstaaten außerhalb Deutschlands haben. Bei einem Verzug in die Mitgliedstaaten, bleibt es bei der bisherigen Bewertung mit FRG-Tabellenwerten nach Westniveau.

Bei der Prüfung des Aufenthalts am 18.05.1990 werden die Mitgliedstaaten nicht mit dem „Alt-Bundesgebiet“ gleichgesetzt (siehe GRA zu § 254d SGB VI, Abschnitt 3.3). Für die Prüfung nach dem SGB VI ist entscheidend, wo sich die Versicherten unmittelbar vor dem Auslandsaufenthalt gewöhnlich aufgehalten haben. Gleiches gilt bei der Bewertung mit FRG-Tabellenwerten (§ 259a SGB VI). Anders verhält es sich bei AVG-Renten, bei denen nach § 307 SGB VI Entgeltpunkte berücksichtigt werden, hier ist der Aufenthalt am 18.05.1990 unerheblich.

Rentenzahlung

Für Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit gibt es zwei Wohnortklauseln. Renten wegen voller Erwerbsminderung und BU/EU-Renten, die auf dem verschlossenen deutschen Teilzeit-Arbeitsmarkt beruhen, werden nur gezahlt, wenn sich die Berechtigten gewöhnlich in Deutschland aufhalten (siehe GRA zu § 112 SGB VI, Abschnitt 3). Renten wegen teilweiser Erwerbsminderung bei BU, Renten für Bergleute und BU-Renten werden nur gezahlt, wenn bereits bei Aufenthalt in Deutschland ein Anspruch bestand (siehe GRA zu § 112 SGB VI, Abschnitt 8, GRA zu § 270b SGB VI, Abschnitt 3 und GRA zu § 317 SGB VI, Abschnitt 5). Durch die Aufhebung der Wohnortklauseln werden diese Einschränkungen nicht angewandt. Von der Verordnung erfasste Personen erhalten die Rente in die Mitgliedstaaten unabhängig davon, ob der Anspruch vom deutschen Teilzeitarbeitsmarkt abhängig ist oder der Zahlungsanspruch erstmals im Ausland zusteht. So kann beispielsweise die Rente wegen voller Erwerbsminderung, die nur aufgrund des verschlossenen deutschen Teilzeitarbeitsmarktes zusteht, auch in die Mitgliedstaaten gezahlt werden.

Siehe Beispiel 1

Für Renten nach den Vorschriften des Beitrittsgebiets besteht ebenfalls eine Wohnortklausel. Sie stehen nur zu, solange sich Berechtigte gewöhnlich in Deutschland aufhalten. Durch die Aufhebung der Wohnortklauseln erhalten die von der Verordnung erfassten Personen ihre Rente nach dem RÜG auch bei Wohnort in den Mitgliedstaaten. Hingegen wird die Einschränkung des Versorgungsruhensgesetz (Art. 4 RÜG) auch bei Wohnort in den Mitgliedstaaten angewandt. Leistungen aus bestimmten Sonder- oder Zusatzversorgungssystemen und der freiwilligen Zusatzrentenversicherung des Beitrittsgebiets werden zum Ruhen gebracht, wenn Berechtigte sich wegen eines gegen sie betriebenen Strafverfahrens im Ausland aufhalten.

Die in Art. 6 § 4 Abs. 1 S. 2 FANG enthaltene Wohnortklausel für FRG-Berechtigte nach § 1 Buchst. b FRG (Deutsche oder frühere Deutsche) wird ebenfalls nicht angewandt. Dem Aufenthalt in Deutschland, steht der Aufenthalt in den Mitgliedstaaten gleich, sodass nach Verlegung des gewöhnlichen Aufenthalts in die Mitgliedstaaten die Rente unverändert weiter gezahlt wird (siehe GRA zu Art. 6 § 4 FANG, Abschnitt 2.2.1). Dies gilt gleichfalls für die Bewertung der Zeiten mit Entgeltpunkten -Ost (siehe GRA zu Art. 6 § 4 FANG, Abschnitt 9.4) oder bei der Rückkehr ins Herkunftsgebiet (siehe GRA zu Art. 6 § 4 FANG, Abschnitt 4.3.2). Ansprüche von FRG-Berechtigten nach § 1 Buchst. d FRG (heimatlose Ausländer) werden durch eine Verlegung des gewöhnlichen Aufenthalts in die Mitgliedstaaten ebenfalls nicht berührt (siehe GRA zu § 1 FRG, Abschnitt 6.1.3).

Die Wohnortklausel für KLG-Leistungen (§ 294 Abs. 5 SGB VI) wird nicht angewandt. Deutsche und die vom Europarecht erfassten Mütter erhalten die KLG-Leistung bei Wohnort in den Mitgliedstaaten wie bei Aufenthalt in Deutschland. Die Wohnortklausel für den Zuschuss zur KVdR (§ 111 Abs. 2 SGB VI) ist ebenfalls unbeachtlich. Der Zuschuss gilt als Geldleistung bei Alter (EuGH-Urteil vom 06.07.2000, Rechtssache C-73/99, Movrin, Rdnr. 52). Er kann daher auch bei Wohnort in den Mitgliedstaaten gezahlt werden (siehe GRA zu Art. 22 ff. VO (EG) Nr. 883/2004, Abschnitt 6.8 und GRA zu § 106 SGB VI, Abschnitt 9).

Ausnahmen

Durch die Aufhebung der Wohnortklauseln können Rentenleistungen bei Wohnort in einem anderen Mitgliedstaat grundsätzlich nicht eingeschränkt werden. Dies gilt aber nur, soweit die Verordnung selbst dazu keine Ausnahmen enthält. Solche Ausnahmen sind im Anhang II VO (EG) Nr. 883/2004 enthalten (siehe GRA zu Art. 8 VO (EG) Nr. 883/2004, Abschnitt 2). Sie ergeben sich aus besonderen historischen Umständen oder ihre Geltung ist zeitlich begrenzt. Dies sind:

Mit diesen Regelungen wurden Versicherungszeiten des anderen Vertragsstaats bei gewöhnlichem Aufenthalt in Deutschland in der deutschen Rentenleistung berücksichtigt. Bei Aufenthalt in einem anderen Mitgliedstaaten finden sie keine Anwendung (mehr), auch die Aufhebung der Wohnortklauseln gilt für diese Regelungen nicht (siehe GRA zu Art. 27 DPSVA 1990, Abschnitt 5.1). Leistungen aus den ausländischen Versicherungszeiten können nicht (weiter) gezahlt werden. Bei Verlegung des gewöhnlichen Aufenthalts erfolgt stattdessen eine Neufeststellung der Rente ausschließlich aus den anrechenbaren deutschen Versicherungszeiten, gegebenenfalls einschließlich zahlbarer Reichgebiets-Beitragszeiten und Beitrags- und Beschäftigungszeiten nach dem FRG.

In Fällen, in denen die zwischenstaatliche tschechische oder slowakische Rente bislang nach Art. 39 Abs. 1 Buchst. c SVA-Tschechien beziehungsweise nach Art. 29 Abs. 1 Nr. 3 SVA-Slowakei ausgeschlossen waren, weil die dortigen Zeiten in der deutschen Rente berücksichtigt wurden (siehe GRA zu Art. 39 Abs. 1 Buchst. c SVA-Tschechien, Abschnitt 4), kann hingegen die Rente aus den deutschen und den nach dem FRG angerechneten tschechischen beziehungsweise slowakischen Versicherungszeiten weiter gezahlt werden. Dafür wird das Rentenverfahren beim tschechischen beziehungsweise slowakischen Träger eingeleitet und § 31 FRG hinsichtlich der tschechischen oder slowakischen Rentenleistung angewandt.

Beispiel 1: Zahlung von Arbeitsmarktrenten in die Mitgliedstaaten

(Beispiel zu Abschnitt 3.2)

Ein Deutscher hält sich gewöhnlich in Frankreich auf. Auf Grund eines Rückenleidens, ist seine Leistungsfähigkeit sowohl in der letzten beruflichen Tätigkeit als auch für Tätigkeiten unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes auf fünf Stunden täglich eingeschränkt. Er hat deshalb schon seinen Job verloren. Nun beantragt er die Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit.

Welche Rente kann in das Ausland gezahlt werden?

Lösung:

Nach § 112 SGB VI kann bei gewöhnlichem Aufenthalt im Ausland nur eine Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung gezahlt werden, wenn der Anspruch von der Arbeitsmarklage abhängig ist. Nach Art. 7 VO (EG) Nr. 883/2004 darf der Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung jedoch nicht deshalb „zum Ruhen“ gebracht werden, weil sich der Berechtigte gewöhnlich in Frankreich aufhält.

Dem Antragsteller kann daher die Rente wegen voller Erwerbsminderung gezahlt werden.

VO (EG) Nr. 883/2004 vom 29.04.2004

Inkrafttreten: 20.05.2004

Quelle: ABl. (EU) Nr. L 200/1 vom 07.06.2004 (berichtigte Fassung)

Anzuwenden ab: 01.05.2010

Der Art. 7 VO (EG) Nr. 883/2004 ist mit der VO (EG) Nr. 883/2004 vom 29.04.2004 am 20.05.2004 in Kraft getreten und ab 01.05.2010 anwendbar (Art. 91 Satz 2 VO (EG) Nr. 883/2004). Er entspricht inhaltlich Art. 10 Abs. 1 VO (EWG) Nr. 1408/71.

Die VO (EWG) Nr. 1408/71 sah neben der eigentlichen Aufhebung der Wohnortklauseln aber noch zwei weitere Regelungen vor:

  • In Art. 10 Abs. 1 Satz 2 VO (EWG) Nr. 1408/71 wurde die Aufhebung der Wohnortklauseln auch auf Abfindungen für Witwen, Witwer und eingetragene Lebenspartner geregelt (siehe GRA zu § 107 SGB VI, Abschnitt 2). Da die Aufhebung der Wohnortklauseln grundsätzlich für sämtliche Geldleistungen gilt und die Definition von „Renten“ auch Abfindungen und Zuschüsse umfasst (siehe GRA zu Art. 1 Buchst. w VO (EG) Nr. 883/2004, Abschnitt 2), war eine gesonderte Regelung nicht mehr erforderlich.
  • In Art. 10 Abs. 2 VO (EWG) Nr. 1408/71 wurde die Gleichstellung der Versicherungspflicht geregelt. Bestand in einem anderen Mitgliedstaat eine Pflichtversicherung, so stand diese einer Beitragserstattung entgegen (siehe GRA zu § 210 SGB VI, Abschnitt 4.1.1). Durch die Sachverhaltsgleichstellung wird die gleiche Rechtsfolge erreicht (siehe GRA zu Art. 5 VO (EG) Nr. 883/2004, Abschnitt 8.6), so dass eine gesonderte Regelung nicht mehr notwendig war.

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