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Art. 4 VO (EG) Nr. 883/2004: Gleichbehandlung

Änderungsdienst
veröffentlicht am

12.11.2019

Änderung

Aktualisiert. Lesen Sie hier, was unter mittelbarer Diskriminierung zu verstehen ist.

Dokumentdaten
Stand05.02.2015
Version002.01

Inhalt der Regelung

Der Art. 4 VO (EG) Nr. 883/2004 enthält den Grundsatz der Gleichbehandlung. Danach haben die von der Verordnung erfassten Personen bei Anwendung des innerstaatlichen Rechts eines Mitgliedstaats die gleichen Rechte und Pflichten, wie die eigenen Staatsangehörigen. Man spricht daher auch von Inländergleichbehandlung.

Die Gleichbehandlung gilt für alle von der Verordnung erfassten Zweige der sozialen Sicherheit (siehe GRA zu Art. 3 VO (EG) Nr. 883/2004). So werden bei Anwendung des SGB VI beispielsweise die Staatsangehörigen der Mitgliedstaaten wie Deutsche behandelt. Dieses Diskriminierungsverbot aus Gründen der Staatsangehörigkeit gilt jedoch nur, soweit die Verordnung selbst nichts anderes vorsieht (EuGH-Urteil vom 11.11.2004, Rechtssache C-372/02, Adanez-Vega, Rdnr. 56). Eine solche Einschränkung ist beispielsweise durch einen Eintrag im Anhang XI VO (EG) Nr. 883/2004 möglich (siehe Abschnitt 5).

Ergänzende/korrespondierende Regelungen

Enthält das Verbot der Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit. In Anwendung der EU-Verträge ist grundsätzlich jede Benachteiligung der Staatsangehörigen der Mitgliedstaaten gegenüber den eigenen Staatsangehörigen verboten.

Gleichbehandlung

Es ist verboten, die Staatsangehörigen der Mitgliedstaaten wegen ihrer Staatsangehörigkeit unterschiedlich zu behandeln und dadurch zu benachteiligen (Diskriminierungsverbot - Art. 18 AEUV). Daneben untersagt die in der Europäische Union gewährte Freizügigkeit, Arbeitnehmer/innen in der sozialen Sicherheit unterschiedlich zu behandeln (Gleichbehandlungsgebot - Art. 45 Abs. 2 AEUV). Für die soziale Sicherheit wird das Gleichbehandlungsgebot durch Art. 4 VO (EG) Nr. 883/2004 für alle von der Verordnung erfassten Zweige näher bestimmt.

Der Art. 4 VO (EG) Nr. 883/2004 soll zugunsten der Personen, für die die Verordnung gilt, die Gleichbehandlung im Bereich der sozialen Sicherheit ohne Unterscheidung nach der Staatsangehörigkeit sicherstellen (Gleichbehandlungsgrundsatz). Dazu beseitigt er alle Diskriminierungen, die sich aus den nationalen Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten ergeben. Die von der Verordnung erfassten Personen haben bei Anwendung des innerstaatlichen Rechts eines Mitgliedstaats die gleichen Rechte und Pflichten, wie die eigenen Staatsangehörigen.

Verbot mittelbarer Diskriminierung

Der Gleichbehandlungsgrundsatz aus Art. 4 VO (EG) Nr. 883/2004 verbietet nicht nur offenkundige Diskriminierungen aufgrund der Staatsangehörigkeit, sondern auch alle versteckten Formen der Diskriminierung, die durch Anwendung anderer Unterscheidungskriterien tatsächlich zum gleichen Ergebnis führen (EuGH-Urteil vom 18.12.2014, Rechtssache C-523/13, Larcher, Rdnr. 31). So ist eine Vorschrift dann als mittelbar diskriminierend anzusehen, wenn sie sich ihrem Wesen nach eher auf Wanderarbeitnehmer als auf inländische Arbeitnehmer auswirken kann und folglich die Gefahr besteht, dass sie Wanderarbeitnehmer besonders benachteiligt. In diesem Zusammenhang genügt die Feststellung, dass die Vorschrift geeignet ist, eine solche Wirkung hervorzurufen. Als mittelbar diskriminierend sind Voraussetzungen des nationalen Rechts anzusehen (EuGH-Urteil vom 22.06.2011, Rechtssache C-399/09, Landtová, Rdnr. 45),

  • die zwar unabhängig von der Staatsangehörigkeit gelten, aber im Wesentlichen oder ganz überwiegend Wanderarbeitnehmer betreffen,
  • die von inländischen Arbeitnehmern leichter zu erfüllen sind, als von Wanderarbeitnehmern, oder
  • bei denen die Gefahr besteht, dass sie sich besonders zum Nachteil von Wanderarbeitnehmern auswirken.

Um Personen nicht indirekt zu diskriminieren, werden bestimmte Sachverhalte in den Mitgliedstaaten wie innerstaatliche berücksichtigt (Sachverhaltsgleichstellung - siehe GRA zu Art. 5 VO (EG) Nr. 883/2004, Abschnitt 2).

Gleichbehandlung bei SV-Abkommen

Das Gleichbehandlungsgebot (Art. 45 Abs. 2 AEUV) ist auch im Rahmen von Sozialversicherungsabkommen zu beachten. Zwar gehören solche Abkommen nicht zu den „Rechtsvorschriften“ im Sinne der Verordnung (siehe GRA zu Art. 1 Buchst. l VO (EG) Nr. 883/2004). Eine Gleichbehandlung ergibt sich daher nicht aus Art. 4 VO (EG) Nr. 883/2004 (EuGH-Urteil vom 02.08.1993, Rechtssache C-23/92, Grana-Novoa, Rdnr. 29). Dennoch zwingt der fundamentale Grundsatz des Gleichbehandlungsgebots den Staatsangehörigen der anderen Mitgliedstaaten die gleichen Vorteile zu gewähren, wie sie auch Deutschen aufgrund solcher Abkommen zustehen (EuGH-Urteil vom 15.01.2002, Rechtssache C-55/00, Gottardo, Rdnr. 34). Die Mitgliedstaaten haben bei Anwendung der Abkommen ihre Verpflichtungen aus dem Europarecht zu beachten, so der EuGH. Zu den Auswirkungen des EuGH-Urteils in der Rechtssache „Gottardo“ siehe auch die Empfehlung Nr. H1 vom 19.06.2013 (ABl. (EU) Nr. C 279/13 vom 27.09.2013).

  • Geschlossene Abkommen
    Sozialversicherungsabkommen, die dem Grunde nach nur für die Angehörigen der Vertragsstaaten und ihrer Hinterbliebenen gelten (sogenannte geschlossene Abkommen), werden deshalb auch auf die von der Verordnung erfassten Personen angewandt. Dies betrifft die Abkommen mit Marokko und Tunesien. Ein Rentenanspruch unter Zusammenrechnung deutscher mit marokkanischen oder mit tunesischen Zeiten kann also auch für die von der Verordnung erfassten Personen entstehen.
    Siehe Beispiel 1 
  • Offene Abkommen
    Auf Sozialversicherungsabkommen, die unabhängig von der Staatsangehörigkeit anzuwenden sind (sogenannte offenen Abkommen), wirkt sich die Rechsprechung dagegen nicht (mehr) aus. Für die von der Verordnung erfassten Personen kann nach einem solchen Abkommen seit jeher ein Anspruch entstehen. Zudem erhielten Angehörige eines Staates, in dem die Verordnung anzuwenden ist, und deren Hinterbliebene die Rente nach den deutschen Auslandsrenten-Regelungen in der Fassung bis 30.09.2013 wie Deutsche (siehe GRA zu § 110 SGB VI, Abschnitte 4.1 und 4.2).

Gleich zu behandelnde Personen

Auf die Gleichbehandlung können sich nur Personen berufen, die von der Verordnung erfasst werden. Dazu müssen sie von der Freizügigkeit innerhalb der Europäischen Union Gebrauch gemacht haben. Für Hinterbliebene genügt es, wenn die Person, von der sie Rechte ableiten, von der Freizügigkeit Gebrauch gemacht hat. Denn auf rein nationale Sachverhalte findet die Verordnung keine Anwendung (siehe GRA zu Art. 2 VO (EG) Nr. 883/2004, Abschnitt 6). Es muss immer zumindest zu einem weiteren Mitgliedstaat einen Bezug geben (EuGH-Urteil vom 01.04.2008, Rechtssache C-212/06, Rdnr. 33).

Unmittelbar erfasste Personen

Die Gleichbehandlung gilt für die Personen, für die diese Verordnung gilt (Art. 4 VO (EG) Nr. 883/2004). Den persönlichen Geltungsbereich bestimmt Art. 2 VO (EG) Nr. 883/2004. Gleich zu behandeln sind danach:

  • Staatsangehörige eines Mitgliedstaats (siehe GRA zu Art. 2 VO (EG) Nr. 883/2004, Abschnitt 3),
  • Staatenlose mit Wohnort in einem Mitgliedstaat (siehe GRA zu Art. 1 Buchst. h VO (EG) Nr. 883/2004, Abschnitt 2) und
  • Flüchtlinge mit Wohnort in einem Mitgliedstaat (siehe GRA zu Art. 1 Buchst. g VO (EG) Nr. 883/2004, Abschnitt 2),

für die die Rechtsvorschriften eines oder mehrerer Mitgliedstaaten gelten oder galten sowie

Dabei kommt es auf die aktuelle Staatsangehörigkeit beziehungsweise Rechtsstellung an, die sogenannte Statusvoraussetzung (siehe GRA zu Art. 2 VO (EG) Nr. 883/2004, Abschnitt 7). Bei Hinterbliebenenrenten gilt die Gleichbehandlung der Hinterbliebenen auch, wenn sie weder selbst Staatsangehörige eines Mitgliedstaats, Staatenlose noch Flüchtlinge sind. Es genügt, wenn sie Hinterbliebene der genannten Personen sind, unabhängig von ihrer eigenen Staatsangehörigkeit (EuGH-Urteil vom 30.04.1996, Rechtssache C-308/93, Cabanis-Issarte, Rdnr. 43).

Hinterbliebene von Staatenlosen und Flüchtlingen werden jedoch nur bei einem Wohnort in den Mitgliedstaaten gleich behandelt (siehe GRA zu Art. 1 Buchst. j und k VO (EG) Nr. 883/2004, Abschnitt 3).

Mittelbar erfasste Personen

Wirkung der Gleichbehandlung

Durch die Gleichbehandlung erhalten die von der Verordnung erfassten Personen die gleichen Rechte und Pflichten wie Deutsche. Dies gilt für alle von der Verordnung erfassten Zweige der sozialen Sicherheit (siehe GRA zu Art. 3 VO (EG) Nr. 883/2004) und grundsätzlich in allen dazu bestehenden, künftigen und früheren Rechtsvorschriften (siehe GRA zu Art. 1 Buchst. l VO (EG) Nr. 883/2004); auch für die besonderen beitragsunabhängigen Geldleistungen (EuGH-Urteil vom 11.11.2014, Rechtssache C-333/13, Dano, Rdn. 55).

Regelungen des deutschen Rentenrechts, die auf die Staatsangehörigkeit abstellen, werden daher so angewandt, dass sie die von der Verordnung erfassten Personen nicht benachteiligen. Dies betrifft zum Beispiel die Auslandsrenten-Regelungen in der Fassung bis 30.09.2013 (siehe GRA zu § 110 SGB VI, Abschnitt 3.1) und die Antragspflichtversicherung, wenn es sich nicht um Angehörige eines Mitgliedstaats beziehungsweise deren Hinterbliebene handelt (siehe GRA zu § 4 SGB VI, Abschnitt 2) oder die FRG-Berechtigung (siehe GRA zu § 1 FRG, Abschnitt 5.1).

Keine Gleichbehandlung

Die Gleichbehandlung gilt nicht uneingeschränkt, im Ausnahmefall ist eine Ungleichbehandlung zulässig. Dazu muss diese auf Grund objektiver Erwägungen, unabhängig von der Staatsangehörigkeit gerechtfertigt sein und in einem angemessenen Verhältnis zum beabsichtigten Zweck stehen (EuGH-Urteil vom 21.09.2000, Rechtssache C-124/99, Borawitz, Rdnr. 26 und vom 18.01.2007, Rechtssache C-332/05, Celozzi, Rdnr. 25-26).

Die Verordnung kann selbst Einschränkungen vorsehen, etwa für die freiwillige Versicherung (Anhang XI - Deutschland Nr. 4 VO (EG) Nr. 883/2004). Danach sind Staatsangehörige der Mitgliedstaaten, die ihren gewöhnlichen Aufenthalt außerhalb Deutschlands haben, nur dann zur freiwilligen Versicherung berechtigt, wenn sie zu irgendeinem Zeitpunkt in der Vergangenheit bereits in der deutschen Rentenversicherung freiwillig versichert oder pflichtversichert waren. Ausreichend ist ein entsprechender Vorbeitrag. Für Drittstaatsangehörige gilt dies in den EU-Mitgliedstaaten (GRA zu § 7 SGB VI, Abschnitt 4.1).

Eine Gleichstellung mit deutschen Staatsangehörigen erfolgt zudem nicht im Rahmen von Ermessensleistungen (§ 318 Abs. 4 SGB VI), bei der Anwendung des § 2 Abs. 3 Bundesversorgungsgesetz oder des § 1 Abs. 1 Häftlingshilfegesetz und im Rahmen von Versicherungslastregelungen.

Beispiel 1: Öffnung geschlossener SV-Abkommen für Angehörige der Mitgliedstaaten

(Beispiel zu Abschnitt 2.2)

Ein Franzose hat Versicherungszeiten in Deutschland, Frankreich und Tunesien zurückgelegt. Allein aus deutschen und französischen Zeiten besteht kein Anspruch auf Rente.

Kann er unter Zusammenrechnung deutscher und tunesischer Zeiten einen Anspruch erwerben?

Lösung:

Der Franzose kann nach Art. 22 SVA-Tunesien einen Rentenanspruch unter Zusammenrechnung deutscher und tunesischer Zeiten erwerben.

Obwohl das Abkommen mit Tunesien nicht für einen Franzosen gilt (Art. 3 SVA-Tunesien), hat Deutschland seine Verpflichtungen aus dem Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union - AEUV auch bei Anwendung des Abkommens mit Tunesien zu beachten. Auf Grund des dort verankerten Gleichbehandlungsgebots ist der Franzose im Rahmen des Abkommens wie ein Deutscher zu behandeln.

VO (EG) Nr. 883/2004 vom 29.04.2004

Inkrafttreten: 20.05.2004

Quelle: ABl. (EU) Nr. L 200/1 vom 07.06.2004 (berichtigte Fassung)

Anzuwenden ab: 01.05.2010

Der Art. 4 VO (EG) Nr. 883/2004 ist mit der VO (EG) Nr. 883/2004 vom 29.04.2004 am 20.05.2004 in Kraft getreten und ab 01.05.2010 anwendbar (Art. 91 Satz 2 VO (EG) Nr. 883/2004).

Der Art. 4 VO (EG) Nr. 883/2004 entspricht inhaltlich Art. 3 Abs. 1 VO (EWG) Nr. 1408/71. Dieser war bereits durch Art. 1 Nr. 1 VO (EG) Nr. 647/2005 geändert worden. Ein Wohnort innerhalb der Mitgliedstaaten war ab 05.05.2005 nicht mehr Voraussetzung für die Gleichbehandlung. Der Art. 3 VO (EWG) Nr. 1408/71 sah neben der eigentlichen Gleichbehandlung noch zwei weitere Absätze vor:

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