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§ 70 FamFG: Statthaftigkeit der Rechtsbeschwerde

Änderungsdienst
veröffentlicht am

20.08.2019

Änderung

Die GRA wurde um aktuelle BGH-Rechtsprechung (Abschnitte 3, 4.1) ergänzt. Abschnitte 5.5 und 9 wurden neu aufgenommen. Im Übrigen erfolgten redaktionelle Änderungen.

Dokumentdaten
Stand03.06.2019
Erstellungsgrundlage in der Fassung des Gesetzes zur Neubestimmumg des Bleiberechts und der Aufenthaltsbeendigung vom 27.07.2015 in Kraft getreten am 01.08.2015
Rechtsgrundlage

§ 70 FamFG

Version002.00

Inhalt der Regelung

§ 70 FamFG enthält Regelungen zur Rechtsbeschwerde.

Nach Absatz 1 ist die Rechtsbeschwerde nur statthaft, wenn sie vom Beschwerdegericht zugelassen wurde.

Absatz 2 nennt die Voraussetzungen für die Zulassung der Rechtsbeschwerde.

Absatz 3 bestimmt, dass in Betreuungs-, Unterhalts- und Freiheitsentziehungssachen eine Rechtsbeschwerde auch ohne Zulassung möglich ist.

Nach Absatz 4 findet die Rechtsbeschwerde in einstweiligen Anordnungsverfahren sowie in Arrestverfahren nicht statt.

Ergänzende/korrespondierende Regelungen

Die Vorschrift ist im Zusammenhang mit den Regelungen zum Beschwerdeverfahren und zur Rechtskraft zu sehen, unter anderem mit:

Allgemeines

Diese GRA erläutert nicht nur die Statthaftigkeit von Rechtsbeschwerden nach § 70 FamFG, sondern sämtliche maßgebenden Vorschriften, die im Zusammenhang mit dem Rechtsbeschwerdeverfahren gegen zweitinstanzliche Entscheidungen der Oberlandesgerichte/des Kammergerichts Berlin stehen (siehe Abschnitt 1.2).

Die Rechtsbeschwerde zum Bundesgerichtshof (BGH) nach den §§ 70 ff. FamFG ist ein einheitliches Rechtsmittel für alle Verfahren, auf die das FamFG Anwendung findet.

Für Versorgungsausgleichssachen sind keine besonderen Regelungen zu beachten. Die §§ 70 ff. FamFG gelten sowohl in selbständigen Versorgungsausgleichsverfahren als auch in Verfahren, in denen über die Scheidung (Ehesache nach § 121 FamFG) und den Versorgungsausgleich im Verbund entschieden wird (BGH vom 13.11.2013, AZ: XII ZB 414/13, FamRZ 2014, 109).

In Versorgungsausgleichssachen darf Rechtsbeschwerde nur dann erhoben werden, wenn sie vom Oberlandesgericht/vom Kammergericht Berlin zugelassen wurde. Die Möglichkeit einer Nichtzulassungsbeschwerde ist für alle im FamFG geregelten Angelegenheiten nicht vorgesehen (siehe Abschnitt 3).

Die Einlegung einer Rechtsbeschwerde gegen eine Entscheidung des Oberlandesgerichts/ des Kammergerichts Berlin erfordert wie die Einlegung einer Beschwerde gegen eine amtsgerichtliche Entscheidung das Vorliegen einer Beschwer des Rechtsmittelführers. Mit der Beschwerdeentscheidung ist jedoch keine eigenständige materielle Beschwer verbunden. Ergibt sich die Beschwer bereits aus der erstinstanzlichen Entscheidung des Amtsgerichts und wurde die Entscheidung des Amtsgerichts ohne Anfechtung mittels einer Beschwerde oder Anschlussbeschwerde hingenommen, kann aus diesem Grund keine Rechtsbeschwerde mehr eingelegt werden (BGH vom 13.04.2016, AZ: XII ZB 44/14, FamRZ 2016, 1062).

Die in des § 70 Abs. 3 und 4 FamFG vorgesehene Möglichkeit der zulassungsfreien Rechtsbeschwerde gilt nicht in Versorgungsausgleichssachen.

Hinweis:

Die Regelungen in § 70 Abs. 3 und 4 FamFG werden in dieser GRA nicht erläutert.

Rechtsbeschwerde grundsätzlich nur nach Zulassung durch das Oberlandesgericht/ Kammergericht Berlin (§ 70 Absatz 1)

Nach § 70 Abs. 1 FamFG ist Rechtsbeschwerde gegen einen Beschluss des Oberlandesgerichts/Kammergerichts Berlin nur zulässig, wenn sie in dem Beschluss zugelassen wurde. Die Überschreitung eines bestimmten Beschwerdewerts ist nicht erforderlich.

Das Oberlandesgericht/ Kammergericht Berlin hat über die Zulassung der Rechtsbe-schwerde von Amts wegen zu entscheiden, ein diesbezüglicher Antrag muss nicht gestellt werden. Die Zulassung erfolgt in dem Beschluss, mit dem das Oberlandesgericht/Kammergericht Berlin über die Beschwerde gegen die erstinstanzliche Entscheidung des Amtsgerichts - Familiengericht - befindet. Sie kann in der Beschlussformel oder in den Entscheidungsgründen ausgesprochen werden.

Eine in der Beschwerdeentscheidung des Oberlandesgerichts/ Kammergerichts Berlin enthaltene Rechtsmittelbelehrung, die fälschlicherweise darauf hinweist, dass gegen den Beschluss das Rechtsmittel der Beschwerde stattfinde, stellt allerdings keine Entscheidung über die Zulassung der Rechtsbeschwerde dar (BGH vom 20.07.2011, AZ: XII ZB 445/10, FamRZ 2011, 1728; BGH vom 05.07.2017, AZ: XII ZB 509/15, FamRZ 2017, 1608; BGH vom 30.01.2019, AZ: XII ZB 554/18). Die Rechtsmittelbelehrung diene nach Ansicht des Bundesgerichtshofs allein der Information der Beteiligten über mögliche Rechtsmittel. Eine Willensentschließung im Sinne einer Zulassungsentscheidung könne daraus nicht entnommen werden.

Das Oberlandesgericht/ Kammergericht Berlin darf die Rechtsbeschwerde nur unter den in § 70 Abs. 2 FamFG genannten Voraussetzungen zulassen. Liegen diese vor, muss das Oberlandesgericht/ Kammergericht Berlin die Rechtsbeschwerde zulassen; Ermessen hat es hierbei nicht.

Liegen nach Ansicht des Oberlandesgerichts/ Kammergerichts Berlin die Voraussetzungen für die Zulassung der Rechtsbeschwerde nicht vor, muss es dies in seinem Beschluss nicht ausdrücklich erwähnen. Der fehlende Hinweis auf die Zulassung der Rechtsbeschwerde genügt.

Im Falle der Nichtzulassung der Rechtsbeschwerde ist ein Rechtsmittel nicht gegeben. Insoweit ergeben sich keine Änderungen zu dem bis 31.08.2009 geltenden Recht des § 26 Nr. 9 EGZPO, nach dem die Nichtzulassungsbeschwerde vor dem 01.10.2010 ausgeschlossen war. Durch Art. 28 Nr. 3 FGG-RG wurde § 26 Nr. 9 EGZPO ersatzlos gestrichen.

Die Zulassung der Rechtsbeschwerde kann nicht durch den Bundesgerichtshof nachgeholt werden (BGH vom 09.07.2014, AZ: XII ZB 7/14, FamRZ 2014, 1620). Enthält die Entscheidung des Oberlandesgerichts/ Kammergerichts Berlin keine Ausführungen über die Zulassung der Rechtsbeschwerde, ist der Rechtsweg erschöpft. Das gilt auch dann, wenn das Oberlandesgericht/ Kammergericht Berlin das Vorliegen eines Zulassungsgrundes nicht erkannt hat (BGH vom 19.09.2018, AZ: XII ZB 427/17, FamRZ 2018, 1935). Eine Nachholung der Zulassung kann auch nicht durch das Oberlandesgericht/ das Kammergericht Berlin erfolgen. Diese käme allenfalls bei einer offenbaren Unrichtigkeit im Wege eines Berichtigungsbeschlusses infrage, wenn sich auch für Dritte eindeutig ergibt, dass die Rechtsbeschwerde schon im ursprünglichen Beschluss zugelassen werden sollte (BGH vom 09.07.2014, AZ: XII ZB 7/14, FamRZ 2014, 1620; BGH vom 05.07.2015, AZ: XII ZB 509/15, FamRZ 2017, 1608).

Wurde vom Beschwerdegericht die Rechtsbeschwerde zu einer Rechtsfrage zugelassen, die nur einen abgrenzbaren Teil der Entscheidung betrifft, bleibt die Rechtsbeschwerde nur auf diesen Teil beschränkt. Die Beschränkung kann sich auch durch Auslegung der Entscheidungsgründe zum Beschluss ergeben (BGH vom 27.02.2019, AZ: XII ZB 183/16).

Zulassungsgründe (§ 70 Absatz 2)

Das Oberlandesgericht/ das Kammergericht hat die Rechtsbeschwerde zuzulassen, wenn

  • die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat (Abschnitt 4.1) oder
  • die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts erfordert (Abschnitt 4.2).

Das Rechtsbeschwerdegericht (der Bundesgerichtshof) ist nach § 70 Abs. 2 S. 2 FamFG an die Zulassung durch das Oberlandesgericht gebunden.

Grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache

Grundsätzliche Bedeutung hat eine Sache, wenn sie eine entscheidungserhebliche, klärungsbedürftige und klärungsfähige Rechtsfrage aufwirft, die sich in einer unbestimmten Vielzahl von Fällen stellen kann. Klärungsbedürftig ist eine Rechtsfrage insbesondere dann, wenn sie vom BGH bisher nicht entschieden worden ist und von einigen Oberlandesgerichten unterschiedlich beantwortet wird, oder wenn dazu in der Literatur unterschiedliche Meinungen vertreten werden (BGH vom 15.08.2018, AZ: XII ZB 32/18, FamRZ 2018, 1766 im Anschluss an BGH vom 08.02.2010, AZ: II ZR 54/09, NJW-RR 2010, 1047).

Demgegenüber kommt einer Rechtsfrage keine grundsätzliche Bedeutung zu, wenn sie zwar vom Bundesgerichtshof noch nicht entschieden wurde, in der Rechtsprechung der Oberlandesgerichte aber einhellig beantwortet worden ist und die hierzu in der Literatur vertretenen abweichenden Meinungen vereinzelt geblieben sind (BGH vom 20.03.2019, AZ: XII ZB 544/18).

Fortbildung des Rechts oder Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung

Zur Fortbildung des Rechts ist die Rechtsbeschwerde zuzulassen, wenn der Einzelfall Veranlassung gibt, Leitsätze für die Auslegung von gesetzlichen Regelungen aufzustellen oder Gesetzeslücken auszufüllen.

Die Rechtsbeschwerde ist darüber hinaus zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung zuzulassen, um zu vermeiden, dass Unterschiede in der Rechtsprechung bestehen oder fortbestehen. Bei der Zulassung der Rechtsbeschwerde ist darauf abzustellen, welche Bedeutung die angefochtene Entscheidung für die Rechtsprechung als Ganzes hat.

Einlegung der Rechtsbeschwerde (§ 71 FamFG)

Die Rechtsbeschwerdeschrift kann nur wirksam beim Bundesgerichtshof erhoben werden (§ 133 GVG). Die Einreichung der Beschwerdeschrift beim Oberlandesgericht/ Kammergericht Berlin wahrt die Rechtsmittelfrist nicht. Im Falle der Weiterleitung durch das Oberlandesgericht/ Kammergericht Berlin an den Bundesgerichtshof ist die Rechtsbeschwerde erst mit dem Eingang beim Bundesgerichtshof wirksam eingelegt.

Eine Einlegung zur Niederschrift der Geschäftsstelle, wie sie im Beschwerdeverfahren möglich ist (siehe GRA zu § 64 FamFG, Abschn. 4.2), ist im Rechtsbeschwerdeverfahren ausgeschlossen.

Anwaltszwang

Die Rechtsbeschwerde muss durch einen beim Bundesgerichtshof zugelassenen Rechtsanwalt eingelegt werden (§ 10 Abs. 4 S. 1 FamFG, § 114 Abs. 2 FamFG; unter anderem BGH vom 27.03.2019, AZ: XII ZB 66/19). Die Einlegung durch einen Notar genügt nicht.

Behörden und juristische Personen des öffentlichen Rechts sind vom Anwaltszwang befreit (§ 114 Abs. 3 FamFG). Sie können sich durch eigene Beschäftigte vertreten lassen, die für das Verfahren vor dem Bundesgerichtshof jedoch die Befähigung zum Richteramt besitzen müssen.

Nähere Erläuterungen zum Anwaltszwang ergeben sich aus der GRA zu § 114 FamFG, Abschnitte 3, 4).

Frist für die Einlegung der Rechtsbeschwerde

Die Frist für die Einlegung der Rechtsbeschwerde beträgt nach § 71 Abs. 1 S. 1 FamFG einen Monat nach der schriftlichen Bekanntgabe des Beschlusses des Oberlandesgerichts/ Kammergerichts Berlin. Eine Ersatzfrist von fünf Monaten nach Erlass des Beschlusses (§ 38 Abs. 3 S. 2 FamFG), wie sie für die Beschwerde gegen erstinstanzliche Entscheidungen gilt (siehe GRA zu § 38 FamFG und GRA zu § 58 FamFG), gibt es nicht.

Einzelheiten zur Bekanntgabe von Beschlüssen ergeben sich aus der GRA zu § 41 FamFG.

Inhalt und Form der Rechtsbeschwerdeschrift

In der Rechtsbeschwerdeschrift der angefochtene Beschluss bezeichnet sein (§ 71 Abs. 1 S. 2 FamFG). Darüber hinaus muss darin zum Ausdruck kommen, dass gegen diesen Beschluss Rechtsbeschwerde eingelegt wird.

Die Rechtsbeschwerdeschrift ist zu unterschreiben (§ 71 Abs. 1 S. 3 FamFG). Hat eine Behörde oder juristische Person des öffentlichen Rechts Rechtsbeschwerde eingelegt, muss die Rechtsbeschwerdeschrift durch einen Beschäftigten mit Befähigung zum Richteramt unterschrieben werden.

Des Weiteren soll eine Ausfertigung oder beglaubigte Abschrift des angefochtenen Beschlusses vorgelegt werden (§ 71 Abs. 1 S. 4 FamFG), um die Zuordnung zu der mit der Rechtsbeschwerde angefochtenen Entscheidung zu erleichtern.

Begründung der Rechtsbeschwerde

Die Rechtsbeschwerde ist innerhalb einer Frist von einem Monat ab schriftlicher Bekanntgabe des angefochtenen Beschlusses zu begründen (§ 71 Abs. 2 Sätze 1 und 2 FamFG). Die Begründung kann in der Rechtsbeschwerdeschrift enthalten sein oder gesondert erfolgen.

Die Begründungsfrist kann auf Antrag durch den Vorsitzenden des Bundesgerichtshofs verlängert werden. Die Verlängerung kann ohne zeitliche Begrenzung erfolgen, wenn der andere Beteiligte einwilligt (§ 71 Abs. 2 S. 3 FamFG in Verbindung mit § 551 Abs. 2 S. 5 und 6 ZPO). Ohne Einwilligung kann die Frist um bis zu zwei Monate verlängert werden, wenn der Prozess dadurch nicht verzögert wird oder wenn der Rechtsbeschwerdeführer erhebliche Gründe darlegt.

§ 71 Abs. 3 FamFG legt die Anforderungen an den Inhalt der Begründung der Rechtsbeschwerde fest. Erforderlich ist ein konkreter Rechtsbeschwerdeantrag, das heißt, der Rechtsbeschwerdeführer hat konkret zu bezeichnen, inwieweit die Beschwerdeentscheidung angefochten und ihre Abänderung beantragt wird. Darüber hinaus muss der Rechtsbeschwerdeführer im Einzelnen darlegen, aus welchen Umständen sich eine Rechtsverletzung ergibt. Wird die Rechtsbeschwerde auf einen Verfahrensfehler gestützt, hat der Rechtsbeschwerdeführer die Tatsachen vorzutragen, aus denen sich der Verfahrensmangel ergibt.

Nach § 71 Abs. 4 FamFG sind sowohl die Beschwerde- als auch die Begründungsschrift den anderen Beteiligten bekannt zu geben. Erst mit der Bekanntgabe an die anderen Beteiligten wird für diese die Frist für die Anschlussrechtsbeschwerde nach § 73 FamFG ausgelöst.

Mögliche Wege für die Einlegung der Rechtsbeschwerde

Die Rechtsbeschwerdeschrift kann auf dem Postweg oder per Telefax eingereicht werden.

Darüber hinaus ist die Einreichung per Email möglich, sofern die Beschwerdeschrift vom Beschwerdeführer eigenhändig unterschrieben, anschließend eingescannt und in Form einer PDF-Datei der Email angehängt wird (BGH vom 18.03.2015, AZ: XII ZB 424/14, FamRZ 2015, 919).

Seit 01.01.2018 kann die Beschwerdeschrift auch elektronisch bei Gericht eingereicht werden (§ 14 Abs. 2 S. 1 FamFG in der Fassung ab 01.01.2018). In der Praxis der Rentenversicherungsträger wird derzeit hiervon noch kein Gebrauch gemacht. Ab 01.01.2022 ist die elektronische Übermittlung von Dokumenten für die Rentenversicherungsträger verpflichtend (§ 14b FamFG in der Fassung des Gesetzes zur Förderung des elektronischen Rechtsverkehrs mit den Gerichten, BGBl. I 2013, S. 3786).

Gründe der Rechtsbeschwerde (§ 72 FamFG)

In § 72 Abs. 1 FamFG ist geregelt, auf welche Gründe die Rechtsbeschwerde gestützt werden kann.

Da die Rechtsbeschwerdeinstanz eine reine Rechtskontrollinstanz ist, kann mit der Rechtsbeschwerde ausschließlich geltend gemacht werden, dass durch den angefochtenen Beschluss materielles oder formelles Recht verletzt wurde. Das Vorbringen neuer Tatsachen und Beweise ist regelmäßig ausgeschlossen.

Eine materielle Rechtsverletzung liegt beispielsweise vor, wenn das Oberlandesgericht/ Kammergericht Berlin auf einen Sachverhalt eine Vorschrift nicht angewendet hat, weil es sie übersehen hat oder für ungültig hält. Bei der Feststellung eines Sachverhalts kann eine Rechtsverletzung vorliegen, wenn das Oberlandesgericht/ Kammergericht Berlin seine Aufklärungspflicht verletzt (§ 26 FamFG) oder kein rechtliches Gehör (§ 37 Abs. 2 FamFG) gewährt hat.

Die Rechtsbeschwerde kann nicht darauf gestützt werden, dass das Gericht der ersten Instanz seine Zuständigkeit zu Unrecht angenommen hat (§ 72 Abs. 2 FamFG).

Anschlussrechtsbeschwerde (§ 73 FamFG)

§ 73 FamFG regelt die Anschließung an die Rechtsbeschwerde eines anderen Beteiligten. Die Vorschrift eröffnet jedem Beschwerdeberechtigten ausdrücklich die Möglichkeit, sich einer eingelegten Rechtsbeschwerde anzuschließen. Anschließung bedeutet nicht, dass der Anschlussrechtsbeschwerdeführer mit seinem Rechtsmittel dasselbe Ziel wie der Beschwerdeführer verfolgen muss. Regelmäßig wird es vielmehr so sein, dass beide einander entgegen gesetzte Interessen verfolgen. Der Anschließende muss durch die Beschwerdeentscheidung jedenfalls selbst beschwert sein.

Eine Anschlussrechtsbeschwerde ist selbst dann noch möglich, wenn der Beschwerdeberechtigte auf die Beschwerde verzichtet, die Beschwerdefrist verstrichen oder die Rechtsbeschwerde nicht zugelassen worden ist. Nicht zulässig ist die Anschließung jedoch nach Rücknahme oder Zurückverweisung der Hauptrechtsbeschwerde.

Anders als die nicht fristgebundene Anschlussbeschwerde nach § 66 FamFG im Verfahren vor dem Oberlandesgericht/ Kammergericht Berlin muss im Verfahren vor dem Bundesgerichtshof die Anschließung innerhalb eines Monats nach Bekanntgabe der Rechtsbeschwerdebegründungsschrift an denjenigen, der sich der Rechtsbeschwerde anschließen will, erfolgen.

Die Anschließung erfolgt durch Einreichen einer begründeten Anschlussschrift beim Bundesgerichtshof. Der Inhalt des Antrags und der Begründung müssen von einem beim Bundesgerichtshof zugelassenen Rechtsanwalt legitimiert und unterschrieben sein.

Die Anschlussrechtsbeschwerde verliert wie die Anschlussbeschwerde ihre Wirkung, wenn die Rechtsbeschwerde zurückgenommen, als unzulässig verworfen oder nach § 74a FamFG zurückgewiesen wird.

Entscheidung über die Rechtsbeschwerde ( § 74 FamFG)

§ 74 FamFG regelt den Prüfungsumfang sowie Inhalt und Form der Entscheidung über die Rechtsbeschwerde.

Der Bundesgerichtshof als Rechtsbeschwerdegericht hat zu prüfen, ob die Rechtsbeschwerde statthaft ist, ob die Voraussetzungen für die Zulassung der Rechtsbeschwerde vorliegen (§ 70 Abs. 2 FamFG) und ob sie in der gesetzlichen Form und Frist eingelegt oder begründet ist. Stellt der BGH fest, dass mindestens eines der genannten Erfordernisse nicht vorliegt, ist die Rechtsbeschwerde als unzulässig zu verwerfen (§ 74 Abs. 1 FamFG).

Ist die Rechtsbeschwerde zwar zulässig, aber unbegründet, hat der Bundesgerichtshof die Rechtsbeschwerde zurückzuweisen. Unbegründet ist die Rechtsbeschwerde zum Beispiel, wenn sich die angefochtene Entscheidung im Ergebnis als richtig erweist.

Kommt der Bundesgerichtshof zu dem Ergebnis, dass die Rechtsbeschwerde sowohl zulässig als auch begründet ist, ist der angefochtene Beschluss aufzuheben (§ 74 Abs. 5 FamFG).

Der Bundesgerichtshof entscheidet aus Gründen der Verfahrensökonomie in der Sache selbst, wenn diese zur Entscheidung reif ist. Sind noch Ermittlungen erforderlich, kann das Gericht die Sache an das Oberlandesgericht/ Kammergericht Berlin zurückverweisen. Darüber hinaus wird dem Bundesgerichtshof die Zurückverweisung an das Gericht des ersten Rechtszugs ermöglicht (§ 74 Abs. 6 FamFG).

Der Bundesgerichtshof kann zu seiner Entlastung nach § 74 Abs. 7 FamFG von der Begründung seiner Entscheidung über die Rechtsbeschwerde absehen, wenn sie nicht geeignet wäre, zur Klärung von Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung, zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung beizutragen.

Beschlüsse des Bundesgerichtshofs werden stets mit der Verkündung rechtskräftig, da in diesen Fällen Rechtsmittel und Rechtsbehelfe unzulässig sind.

Zurückweisungsbeschluss (§ 74a FamFG)

Der Bundesgerichtshof hat nach § 74a Abs. 1 FamFG die Möglichkeit, durch einstimmigen Beschluss eine zugelassene Rechtsbeschwerde ohne mündliche Verhandlung oder Erörterung im Termin zurückzuweisen, wenn die Voraussetzungen für die Zulassung der Rechtsbeschwerde nicht vorliegen (§ 70 Abs. 2 FamFG), die Rechtsbeschwerde keine Aussicht auf Erfolg hat oder die für grundsätzlich erachtete Rechtsfrage nicht entscheidungserheblich ist.

Die Beteiligten sind durch den Bundesgerichtshof oder den Vorsitzenden des zuständigen Senats auf die in Aussicht genommene Zurückweisung der Rechtsbeschwerde und die Gründe hierfür hinzuweisen, und dem Rechtsbeschwerdeführer ist zur Gewährung rechtlichen Gehörs Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben.

Der Zurückweisungsbeschluss ist zu begründen.

Sprungrechtsbeschwerde (§ 75 FamFG)

§ 75 FamFG regelt die Möglichkeit der Einlegung einer Sprungrechtsbeschwerde. Bei einer Sprungrechtsbeschwerde wird die Beschwerdeinstanz übersprungen, das heißt, es wird auf die Beschwerdeeinlegung beim Oberlandesgericht/ Kammergericht Berlin verzichtet und stattdessen sofort Rechtsbeschwerde beim Bundesgerichtshof eingelegt. Das Herbeiführen einer höchstrichterlichen Rechtsprechung kann hierdurch beschleunigt werden. Eine Sprungrechtsbeschwerde kommt insbesondere in Fällen in Betracht, in denen ausschließlich die Klärung von Rechtsfragen beabsichtigt ist.

Die Sprungrechtsbeschwerde setzt voraus, dass ein entsprechender Antrag gestellt wird, die Beteiligten in die Übergehung der Beschwerdeinstanz einwilligen und der Bundesgerichtshof die Sprungrechtsbeschwerde zulässt.

Das Rechtsmittel der Sprungrechtsbeschwerde birgt Risiken in sich. Denn bei Ablehnung der Zulassung der Sprungrechtsbeschwerde durch den Bundesgerichtshof ist den Beteiligten das Rechtsmittel der Beschwerde beim Oberlandesgericht/ Kammergericht Berlin nicht mehr eröffnet; die erstinstanzliche Entscheidung des Amtsgerichts - Familiengericht - erwächst in Rechtskraft. Eine fehlerhafte Entscheidung der ersten Instanz kann dann nicht mehr durch Rechtsmittel korrigiert werden.

Gesetz zur Neubestimmung des Bleiberechts und der Aufenthaltsbeendigung vom 27.07.2015 (BGBl. I S. 1386)

Inkrafttreten: 01.08.2015

Quelle zum Entwurf: BT-Drucksache 18/5420

Durch Artikel 7 des Gesetzes zur Neubestimmung des Bleiberechts und der Aufenthaltsbeendigung wurde § 70 Abs. 3 FamFG um einen Satz 3 ergänzt. Dadurch ist in bestimmten Verfahren der Abschiebungs-, Zurückschiebungs- und Zurückweisungshaft eine zulassungsfreie Rechtsbeschwerde beim BGH möglich. Von dieser Regelung ist die gesetzliche Rentenversicherung nicht berührt.

Gesetz zur Reform des Verfahrens in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit (FGG-Reformgesetz) vom 17.12.2008 (BGBl. I S. 2586)

Inkrafttreten: 01.09.2009

Quellen zum Entwurf: BR-Drucksache 617/08, BT-Drucksache 16/6308

Artikel 1 des Gesetzes zur Reform des Verfahrens in Familiensachen und den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit (FGG-RG) beinhaltet das Gesetz über das Verfahren in Familiensachen und den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit (FamFG). Mit den §§ 70 ff. FamFG wurden die Regelungen der bis zum 31.08.2009 geltenden §§ 574 ff. ZPO in das neue Recht übernommen.

Zusatzinformationen

Rechtsgrundlage

§ 70 FamFG