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§ 107 SGB X: Erfüllung

Änderungsdienst
veröffentlicht am

12.11.2019

Änderung

Die GRA wurde im Rahmen des Abstimmungsprozesses ergänzt und redaktionell angepasst.

Dokumentdaten
Stand19.03.2015
Erstellungsgrundlage in der Fassung des Art. 2 SGB X vom 04.11.1982 in Kraft getreten am 01.07.1983
Rechtsgrundlage

§ 107 SGB X

Version001.01

Inhalt der Regelung

Absatz 1 der Vorschrift fingiert kraft Gesetzes, dass durch die Leistung eines erstattungsberechtigten Trägers die Zahlungsverpflichtung des letztlich zuständigen Leistungsträgers im Verhältnis zum Leistungsberechtigten als erfüllt gilt. Diese Regelung wird allgemein als Erfüllungsfiktion bezeichnet. Die Vorschrift dient der Vermeidung von materiell-rechtlich nicht vorgesehenen Doppelleistungen an die Leistungsberechtigten. Der Berechtigte hat insoweit keinen Anspruch auf Zahlung durch den letztlich zuständigen Sozialleistungsträger.

Absatz 2 der Vorschrift regelt den Eintritt der Erfüllungsfiktion in den Fällen, in denen der Berechtigte gegen mehrere Leistungsträger Ansprüche auf nebeneinander zu erbringende Sozialleistungen hat. In diesem Fall hat der erstattungsberechtigte Leistungsträger dem Grunde nach Erstattungsansprüche gegen mehrere Träger. Der erstattungsberechtigte vorleistende Leistungsträger ist berechtigt, nach pflichtgemäßem Ermessen zu bestimmen, welcher der Leistungsansprüche des Berechtigten als erfüllt gelten soll.

Ergänzende/korrespondierende Regelungen

Die Regelung des § 107 SGB X ergänzt die auf das Verhältnis zwischen den Leistungsträgern ausgerichteten Erstattungstatbestände der §§ 102 bis 105 SGB X. Sie hat darüber hinaus generellen Charakter und gilt für alle gleichartigen Erstattungsansprüche zwischen den Leistungsträgern einschließlich der Ansprüche, die sich aus den besonderen Teilen des Sozialgesetzbuchs (SGB I bis SGB XII) ergeben.

Eintritt der Erfüllungsfiktion

Die Erfüllungsfiktion des § 107 SGB X tritt kraft Gesetzes ein, wenn ein Erstattungsanspruch entstanden ist. Auf die Geltendmachung oder die Erfüllung des Erstattungsanspruchs kommt es nicht an. Bereits der Eintritt der Erfüllungsfiktion führt zur Erfüllung des Anspruchs des Berechtigten gegenüber dem erstattungspflichtigen Leistungsträger und somit zum Ausschluss der Leistungserbringung an den Berechtigten.

Wann ein Erstattungsanspruch entsteht, ist davon abhängig, nach welcher Vorschrift er sich richtet. In der gesetzlichen Rentenversicherung sind in erster Linie die Erstattungsansprüche nach den §§ 102 bis 105 SGB X von Bedeutung. Diese Erstattungsansprüche sind zwar gegenüber den Leistungsansprüchen des Berechtigten begrifflich selbständig, entstehen aber wie diese, sobald ihre gesetzlichen Voraussetzungen vorliegen. Danach entsteht ein Anspruch auf Erstattung

  • nach § 102 SGB X in dem Zeitpunkt, in dem dem Berechtigten die vorläufige Leistung tatsächlich zugewendet wird,
  • nach § 103 SGB X mit Bekanntgabe des leistungsgewährenden Bescheides des erstattungspflichtigen Leistungsträgers über die entsprechende Leistung und
  • nach den §§ 104 und 105 SGB X im Zeitpunkt des erstmaligen Zusammentreffens der vorläufigen und der endgültigen Leistung.

Die Erfüllungsfiktion setzt voraus, dass ein Erstattungsanspruch auch besteht. Hat der Rentenversicherungsträger bereits mit befreiender Wirkung an den Berechtigten geleistet, weil ihm die Leistungserbringung des anderen Leistungsträgers nicht bekannt war, findet § 107 SGB X keine Anwendung (vergleiche Abschnitt 2.2).

Erfüllungsfiktion bei Hinzutritt einer höheren Rente zu einer niedrigeren Rente

Bei einem rückwirkenden Hinzutritt einer höheren Rente zu einer niedrigeren Rente im Sinne des § 89 SGB VI (siehe GRA zu § 89 SGB VI) tritt die Erfüllungsfiktion des § 107 SGB X nicht ein, auch nicht in analoger Anwendung dieser Vorschrift.

§ 107 SGB X ist im zweiten Abschnitt des dritten Kapitels des SGB X unter „Erstattungsansprüche der Leistungsträger untereinander“ eingeordnet. Grundvoraussetzung der Erfüllungsfiktion des § 107 SGB X ist ein aufgrund sich gegenseitig ausschließender Sozialleistungen bestehender Erstattungsanspruch nach §§ 102 bis 105 SGB X eines Leistungsträgers gegenüber einem anderen Leistungsträger im Sinne des § 12 SGB I (vergleiche Abschnitt 2). Einem solchen Erstattungsanspruch liegen regelmäßig Sozialleistungen aus unterschiedlichen Leistungsbereichen (zum Beispiel gesetzliche Rentenversicherung und gesetzliche Unfallversicherung) oder zumindest aus unterschiedlichen Versicherungen aus einem Sozialleistungsbereich zugrunde. In den Fällen des § 89 SGB VI treffen aber lediglich zwei unterschiedliche Stammrechte aus einer Versicherung desselben Sozialleistungsbereichs entsprechend § 89 SGB VI (Versicherten- oder abgeleitete Hinterbliebenenrenten) zusammen; ein Erstattungsanspruch im Sinne der §§ 102 bis 105 SGB X entsteht demzufolge nicht. Die Rechtswirkung des § 107 SGB X kann sich bei einem rückwirkenden Zusammentreffen mehrerer Renten im Sinne des § 89 SGB VI daher nicht entfalten.

Eine analoge Anwendung des § 107 SGB X kommt gleichfalls nicht in Betracht.

Der sich aus der höchstrichterlichen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts entwickelte „interne Ausgleichsanspruch“ (siehe GRA zu § 103 SGB X, Abschnitt 8.2) hat zwar die gleiche Zielrichtung und verlangt die Erfüllung der gleichen Voraussetzungen, wie es bei den Erstattungsansprüchen der Leistungsträger untereinander der Fall ist, sodass die Grundsätze des Erstattungsrechts, also auch die Regelung des § 107 SGB X, damit Anwendung finden. Aber auch dem „internen Ausgleichsanspruch“ liegen zwei sich gegenseitig ausschließende Sozialleistungen aus unterschiedlichen Versicherungen - geleistet jedoch von einem Leistungsträger - zugrunde. Das ist bei einem rückwirkenden Zusammentreffen mehrerer Renten nach § 89 SGB VI gerade nicht der Fall. Als selbstständige, unabhängig voneinander bestehende Ansprüche begründen sie selbstständige Leistungsverhältnisse. Tritt eine Leistungsstörung ein, ist das Leistungsverhältnis rückabzuwickeln, in dem die Störung entstanden ist. Das andere Leistungsverhältnis bleibt Kraft seiner Selbstständigkeit von dieser Störung unberührt (BSG vom 07.09.2010, AZ: B 5 KN 4/08 R).

Erfüllungsfiktion bei Leistung in Unkenntnis der anderen Leistung

Eine Erstattung ist ausgeschlossen, wenn der zuständige, das heißt der zur Erbringung der endgültigen Leistung verpflichtete Leistungsträger bereits selbst geleistet hat, bevor er von der Vorleistung des grundsätzlich erstattungsberechtigten Leistungsträgers Kenntnis erlangt hat (vergleiche GRA zu § 103 SGB X, Abschnitt 2.8 und GRA zu § 104 SGB X, Abschnitt 2.9). In diesen Fällen ist ein Erstattungsanspruch nach den §§ 102 ff. SGB X nämlich nicht entstanden. Somit tritt auch die Erfüllungsfiktion des § 107 SGB X nicht ein. Der zuständige Leistungsträger hat die endgültige Leistung unter diesen Umständen an den Berechtigten mit schuldbefreiender Wirkung gegenüber dem vorleistenden Träger ausgezahlt. Dem in Vorleistung getretenen Leistungsträger bleibt allein die Möglichkeit die Rückforderung der Leistung gegenüber dem Berechtigten nach den §§ 45, 48 und 50 SGB X zu betreiben.

Einwände der Berechtigten gegen den Eintritt/den Umfang der Erfüllungsfiktion

Soweit ein Erstattungsanspruch besteht, gilt nach § 107 Abs. 1 SGB X der Rentenanspruch des Berechtigten als erfüllt (vergleiche Abschnitt 3).

Mit der Abrechnung des Erstattungsanspruchs entscheidet der Rentenversicherungsträger somit gegenüber dem Berechtigten, in welchem Umfang die Erfüllungsfiktion eingetreten ist.

Nach ständiger Rechtsprechung des BSG (vergleiche hierzu insbesondere Urteil des BSG vom 22.05.2002, AZ: B 8 KN 11/00 R, BSG SozR 3-2600 § 93 Nr. 12 S. 110) gilt durch die Erfüllungsfiktion des § 107 SGB X die bereits erbrachte Leistung des erstattungsberechtigten Leistungsträgers gegenüber dem Berechtigten als die endgültig geschuldete Leistung des erstattungspflichtigen Leistungsträgers (vergleiche Abschnitt 3). Hieraus folgt, dass der vorleistende (erstattungsberechtigte) Träger nicht befugt ist, die als Leistung des endgültig verpflichteten (erstattungspflichtigen) Trägers anzusehende Sozialleistung durch Verwaltungsakt im Nachhinein zu korrigieren (vergleiche Abschnitt 3.2); dies fällt in die ausschließliche Kompetenz des letztverantwortlichen (erstattungspflichtigen) Trägers.

Sind Berechtigte der Auffassung, dass der Erstattungsanspruch vom vorleistenden Träger zu hoch beziffert und ihnen deshalb zu wenig aus der Rentennachzahlung ausgezahlt wurde, haben sie ihre Einwände deshalb gegenüber dem Rentenversicherungsträger als erstattungspflichtigen Träger geltend zu machen. Dieser hat zu prüfen, inwieweit ein Erstattungsanspruch bestand und inwieweit folglich die Erfüllungsfiktion eingetreten ist. Gegen den vorleistenden (erstattungsberechtigten) Träger können Berechtigte dagegen Ansprüche nicht mehr geltend machen.

Aufgrund höchstrichterlicher Rechtsprechung hat der vorrangige oder zuständige Leistungsträger bei der Abwicklung von Erstattungsansprüchen die Entscheidung des nachrangigen oder unzuständigen Leistungsträgers grundsätzlich hinzunehmen, den Erstattungsanspruch nach §§ 102 ff. SGB X also „wie geltend gemacht“ zu akzeptieren (Umkehrschluss unter anderem aus den Urteilen des BSG vom 13.09.1984, AZ: 4 RJ 37/83 und vom 01.09.1999, AZ: B 13 RJ 49/98 R). Allerdings ist es dem erstattungsberechtigten Leistungsträger - aufgrund der Verpflichtung der engen Zusammenarbeit der Leistungsträger nach § 86 SGB X - versagt, auf der geltend gemachten Erstattungsforderung zu beharren, wenn sich diese für den erstattungspflichtigen Leistungsträger als offensichtlich fehlerhaft erweist. Offensichtlich ist eine Fehlerhaftigkeit, wenn sie sozusagen „auf der Hand“ liegt, mithin die Rechtsanwendung des erstattungsberechtigten Leistungsträgers aufgrund der gegebenen Sach- und Rechtslage offenkundig nicht vertretbar ist.

Die Rentenversicherungsträger prüfen die geltend gemachten Erstattungsansprüche daher grundsätzlich nur auf offenbare Unrichtigkeiten (zum Beispiel zeitliche Kongruenz, gegebenenfalls Personenidentität). Im Übrigen verlassen sich die Rentenversicherungsträger darauf, dass der vorleistende Träger die seinem Erstattungsanspruch zugrunde liegende Sozialleistung tatsächlich erbracht und bei der Berechnung des Erstattungsanspruchs zutreffend berücksichtigt hat, inwieweit der Anspruch auf die Leistung rückwirkend ganz oder teilweise entfallen ist.

Sofern Berechtigte gegenüber dem erstattungspflichtigen Rentenversicherungsträger Einwände gegen die Höhe des Erstattungsanspruchs (und damit gegen den Umfang der Erfüllungsfiktion des § 107 SGB X) geltend machen, ist der erstattungsberechtigte Leistungsträger im Sinne des § 86 SGB X um eine gutachterliche Stellungnahme zu ersuchen und die Entscheidung auf Grundlage dieser Stellungnahme zu treffen. Auf die Einholung einer Stellungnahme des erstattungsberechtigten Leistungsträgers kann in den Fällen offenbarer Unrichtigkeit verzichtet werden. Eine weitergehende Prüfung erfolgt nicht.

Stellt sich heraus, dass die Einwände berechtigt sind, gilt der Anspruch gegen den endgültig verpflichteten (erstattungspflichtigen) Träger insoweit nicht (mehr) als erfüllt. Der Differenzbetrag ist vom endgültig verpflichteten (erstattungspflichtigen) Träger an die oder den Berechtigten auszuzahlen und nach § 112 SGB X (vergleiche GRA zu § 103 SGB X, Abschnitt 1.2.3, GRA zu § 104 SGB X, Abschnitt 1.2.3 sowie GRA zu § 112 SGB X) vom vorleistenden Träger zurückzuerstatten.

Siehe Beispiel 1

In diesem Zusammenhang ist es nicht zulässig, die überzahlten Erstattungsbeträge vom erstattungsberechtigten Leistungsträger unmittelbar an den Berechtigten auszahlen zu lassen. Denn der erstattungspflichtige Leistungsträger hat nach Erfüllung des Rückerstattungsanspruchs nach § 112 SGB X durch den grundsätzlich erstattungsberechtigten Leistungsträger noch die Verzinsung der nunmehr noch nachträglich an den Berechtigten auszuzahlenden Beträge nach § 44 SGB I in eigener Zuständigkeit zu prüfen und gegebenenfalls Zinsen zu zahlen (siehe GRA zu § 44 SGB I).

Der Rückerstattungsanspruch nach § 112 SGB X entsteht zum Zeitpunkt der zu Unrecht erfolgten Erstattung und verjährt nach § 113 Abs. 1 Satz 2 SGB X in vier Jahren nach Ablauf des Kalenderjahres, in dem die Erstattung zu Unrecht erfolgt ist (vergleiche GRA zu § 103 SGB X, Abschnitt 1.2.4, GRA zu § 104 SGB X, Abschnitt 1.2.4 sowie GRA zu § 113 SGB X).

Eine Verjährung des Rückerstattungsanspruchs kann insbesondere drohen, wenn der Berechtigte seine Ansprüche gegenüber den Rentenversicherungsträgern im Wege der Leistungsklage einfordert.

In Streitverfahren zwischen dem Berechtigten und der Deutschen Rentenversicherung bezüglich der Abrechnung des Erstattungsanspruchs ist der erstattungsberechtigte Träger somit aufzufordern, auf die Erhebung der Einrede der Verjährung eines etwaigen Rückerstattungsanspruchs nach § 112 SGB X in Verbindung mit § 113 Abs. 1 Satz 2 SGB X zu verzichten. Außerdem ist darauf hinzuwirken, dass der erstattungsberechtigte Träger beigeladen wird (AGFAVR 4/2010 15).

Wirkung der Erfüllungsfiktion

Die Erfüllungsfiktion beinhaltet, dass die Leistung des einen Leistungsträgers als Leistung des anderen gilt. Für den letztverantwortlichen Leistungsträger begründet § 107 SGB X einen Erfüllungseinwand. Es wird kraft Gesetzes fingiert, dass mit der tatsächlichen Erbringung der Leistung durch den vorleistenden und damit erstattungsberechtigten Leistungsträger die Leistungsverpflichtung des endgültigen Leistungsträgers gegenüber dem Berechtigten erfüllt ist. Die Vorleistung gilt dann als rechtmäßig erbrachte Leistung des endgültig verpflichteten Leistungsträgers. Der Berechtigte kann insoweit den letztlich verpflichteten Leistungsträger nicht mehr in Anspruch nehmen.

Der erstattungsberechtigte Leistungsträger hat auch kein Wahlrecht, auf den Erstattungsanspruch und die damit verbundene Erfüllungsfiktion zu verzichten und stattdessen nach den §§ 45, 48, 50 SGB X gegen den Leistungsempfänger vorzugehen.

Die Regelung trägt dem Grundgedanken des Erstattungsrechts Rechnung, wonach sich der Ausgleich von Forderungen allein zwischen Leistungsträgern vollziehen soll, ohne den Berechtigten mit einzubinden. Durch die erstattungsrechtlichen Regelungen des SGB X wird unter anderem sichergestellt, dass der Leistungsberechtigte im Nachhinein nicht herauszugeben braucht, was er von dem anderen Träger - beziehungsweise von den anderen Trägern - ohnehin verlangen könnte und das der vorleistende Träger von Risiko und Last der Durchsetzung eines Anspruchs nach § 50 SGB X befreit wird. Hierdurch wird in einfacher und wirtschaftlicher Weise ein Ausgleich aller Ansprüche erreicht.

Übersteigt die endgültige Leistung des erstattungspflichtigen Leistungsträgers die sogenannte Vorleistung, wird vom Erstattungsanspruch nur der Betrag der Vorleistung erfasst. Nur in diesem Umfang wirkt die Erfüllungsfiktion. Beträge darüber hinaus sind an den Berechtigten auszuzahlen.

Siehe Beispiel 2

Die Erfüllungsfiktion des § 107 SGB X gilt auch gegenüber Dritten, die aufgrund besonderer Vorschriften - wie zum Beispiel der §§ 48, 51 bis 54 SGB I - die Sozialleistung des Berechtigten in Anspruch nehmen können. Dadurch ist ausgeschlossen, dass der Leistungsberechtigte über seinen gegenüber dem letztendlich verpflichteten Leistungsträger bestehenden Anspruch zum Nachteil des vorleistenden Leistungsträgers anderweitig verfügen kann. Auch kann kein anderer etwa durch Pfändung nach § 54 SGB I auf den Anspruch des Leistungsberechtigten Zugriff nehmen.

Erfüllungsfiktion trotz Ausschluss der Erstattung

Mit Blick auf die Zielsetzung des Gesetzgebers tritt die Erfüllungsfiktion gegenüber dem Leistungsberechtigten bereits ein, wenn ein Erstattungsanspruch besteht, unabhängig davon, ob der Erstattungsanspruch vom erstattungsberechtigten Leistungsträger auch geltend gemacht oder vom erstattungspflichtigen Leistungsträger tatsächlich erfüllt wird.

Die Erfüllungsfiktion bleibt auch bestehen, wenn der Erstattungsanspruch

Soweit eine Erstattung jedoch zu Unrecht erfolgt ist und demzufolge nach § 112 SGB X vom vermeintlich erstattungsberechtigten Leistungsträger an den ursprünglich erstattungspflichtigen Leistungsträger zurückgezahlt wird, ist damit auch die Erfüllungsfiktion nach § 107 SGB X rückwirkend aufgehoben. Der der Rückerstattung entsprechende Betrag steht dem Leistungsberechtigten zu.

Keine Bescheidaufhebung bei Eintritt der Erfüllungsfiktion

Durch die Erfüllungsfiktion des § 107 SGB X gilt die bereits erbrachte Leistung des erstattungsberechtigten Leistungsträgers gegenüber dem Berechtigten als die endgültig geschuldete Leistung des erstattungspflichtigen Leistungsträgers. Nach Auffassung des Bundessozialgerichts (BSG) steht die Erfüllungsfiktion des § 107 SGB X deshalb einer Rücknahme des Bescheides über die Gewährung der erbrachten Leistung entgegen.

Das BSG hat in verschiedenen Entscheidungen (Urteile vom 27.08.1998, AZ: B 8 KN 20/97 R, vom 31.03.1998, AZ: B 8 KN 18/95 R, vom 22.05.2002, AZ: B 8 KN 11/00 R, vom 26.04.2005, AZ: B 5 RJ 36/04 R und vom 21.03.2007, AZ: B 11a AL 11/06 R) klargestellt, dass der erstattungsberechtigte Leistungsträger den Leistungsbescheid für den Zeitraum, in dem ein Erstattungsanspruch besteht, nicht aufheben darf.

Dies ist für die Rentenversicherungsträger vor allem bei der Anwendung der Ruhens- beziehungsweise Nicht-Leistungsvorschriften der §§ 93, 96a, 97 und 313 SGB VI von Bedeutung. Tritt zu der Rente des Rentenversicherungsträgers eine andere Leistung hinzu, die auf die Höhe der bislang gezahlten Rente Einfluss nimmt und entsteht dem Rentenversicherungsträger daraus ein Erstattungsanspruch nach den §§ 102 ff. SGB X, so darf der Rentenversicherungsträger den Rentenbescheid nach den §§ 45, 48 SGB X nicht für den Zeitraum, in dem ein Erstattungsanspruch besteht, korrigieren (siehe GRA zu § 45 SGB X). Eine Aufhebung (§ 48 SGB X) des Rentenbescheides ist erst nach dem Ende des Erstattungszeitraums zulässig (siehe GRA zu § 48 SGB X, AGFAVR 1/2008 5.1, AGFAVR 2/2008 8). Dies ist regelmäßig der Zeitpunkt ab Aufnahme der laufenden Zahlung der jeweiligen Leistung des erstattungspflichtigen Leistungsträgers.

Erfüllungsfiktion bei Ansprüchen des Berechtigten gegen mehrere Leistungsträger

In Fällen, in denen § 106 SGB X nicht zur Anwendung kommt, regelt § 107 Abs. 2 SGB X den Eintritt der Erfüllungsfiktion, wenn der Berechtigte gegen mehrere Leistungsträger Ansprüche auf nebeneinander zu erbringende Sozialleistungen hat.

Entscheidendes Kriterium für die Frage, ob § 106 SGB X oder § 107 Abs. 2 SGB X zur Anwendung kommt, ist die für die Befriedigung der Erstattungsansprüche zur Verfügung stehende Verteilungsmasse.

Für die Anwendung der Rangfolgeregelung des § 106 SGB X ist wesentlich, dass die zeitlich zusammentreffenden Erstattungsansprüche betragsmäßig insgesamt höher sind als die für den notwendigen finanziellen Ausgleich zur Verfügung stehende Verteilungsmasse, das heißt, die Summe der Sozialleistungen der erstattungsberechtigten Leistungsträger die für denselben Zeitraum zur Verfügung stehende Leistung des erstattungspflichtigen Leistungsträgers übersteigt (vergleiche GRA zu § 106 SGB X, Abschnitt 2).

Demgegenüber greift § 107 Abs. 2 SGB X, wenn der Erstattungsanspruch betragsmäßig niedriger ist als der Betrag, der für den notwendigen finanziellen Ausgleich als Gesamtverteilungsmasse zur Verfügung steht. Hierbei setzt sich die Gesamtverteilungsmasse aus mehreren Leistungen verschiedener Leistungsträger zusammen.

In diesem Fall kann der erstattungsberechtigte vorleistende Leistungsträger nach pflichtgemäßem Ermessen gegenüber dem Sozialleistungsberechtigten bestimmen, welche der letztlich zu erbringenden Leistungen als erfüllt gelten soll. Im Ergebnis bestimmt der erstattungsberechtigte Leistungsträger, auf welchen der bestehenden Sozialleistungsansprüche er im Rahmen des Erstattungsanspruchs zugreifen will.

Der Anwendungsbereich des § 107 Abs. 2 SGB X wird von der endgültigen Erstattungslage bestimmt. Es sind nur solche Sozialleistungsansprüche des Berechtigten einzubeziehen, die endgültig nebeneinander bestehen. Sofern von zwei Ansprüchen der eine Anspruch vom anderen - sozusagen im Nachhinein - verdrängt wird, besteht dagegen kein Anspruch gegen mehrere Leistungsträger im Sinne des Absatzes 2.

Die Bestimmung des Anspruchs der als erfüllt gelten soll, erfolgt gegenüber dem Leistungsberechtigten unverzüglich, das heißt, ohne schuldhaftes Zögern, mittels Verwaltungsakt. Den beteiligten Leistungsträgern ist davon entsprechende Mitteilung zu machen.

Beispiel 1: Einwände der Berechtigten gegen den Umfang der Erfüllungsfiktion

(Beispiel zu Abschnitt 2.3)
Rentennachzahlung:
vom 01.09.2014 bis 30.09.2014 monatlich1.100,00 EUR
Die Krankenkasse beziffert am 15.12.2014 den Erstattungsanspruch nach § 103 SGB X auf973,00 EUR
Am 18.12.2014 wird die Nachzahlung wie folgt abgerechnet:
Auszahlung an Krankenkasse973,00 EUR
Auszahlung an Versicherten127,00 EUR
Am 26.01.2015 teilt der Versicherte mit, dass nach seiner Ansicht der Erstattungsanspruch falsch abgerechnet worden sei, er habe lediglich 793,00 EUR erhalten.
Lösung:
Die Krankenkasse bestätigt in ihrer Stellungnahme, dass die Ansicht des Versicherten zutreffend ist. Statt 973,00 EUR wären lediglich 793,00 EUR zu erstatten gewesen.
Auf den an die Krankenkasse ohne Rechtsgrundlage gezahlten Betrag von 180,00 EUR findet § 107 SGB X keine Anwendung, der Anspruch des Versicherten auf Zahlung gilt diesbezüglich als nicht erfüllt.
Daher sind die 180,00 EUR zusätzlich an den Versicherten auszuzahlen (mit anschließender Zinsprüfung), der Betrag von 180,00 EUR ist nach § 112 SGB X von der Krankenkasse zu fordern.

Beispiel 2: Erfüllungsfiktion

(Beispiel zu Abschnitt 3)
Rentennachzahlung:
vom 01.09.2010 bis 30.11.2010 monatlich900,00 EUR
Erstattungsanspruch Versorgungsamt nach § 104 SGB X:
vom 01.09.2010 bis 30.11.2010 monatlich420,00 EUR
Lösung:
Der Rentenanspruch des Berechtigten gegenüber dem Rentenversicherungsträger gilt für die Monate September bis November 2010 in Höhe von jeweils 420,00 EUR als erfüllt; die vom Versorgungsamt erbracht Leistung wird hierdurch im Nachhinein zur Rente. Der Rentenversicherungsträger ist somit gegenüber dem Berechtigten nur noch zur Leistung von 480,00 EUR monatlich verpflichtet.
SGB X - Art. II - Übergangs- und Schlussvorschriften sowie Änderung von weiteren Gesetzen vom 04.11.1982 (BGBl. I S. 1450)

Inkrafttreten: 01.07.1983

Quellen zum Entwurf: BT-Drucksache 9/95 Seite 26

Die Vorschrift wurde durch das 4. Euro-Einführungsgesetz vom 21.12.2000 nochmals unverändert verkündet. Bis zum 30.06.1983 gab es keine dem § 107 SGB X entsprechende gesetzliche Regelung.

Zusatzinformationen

Rechtsgrundlage

§ 107 SGB X