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§ 14 SGB I: Beratung

Änderungsdienst
veröffentlicht am

11.11.2019

Änderung

Redaktionelle Änderungen im Abschnitt 2 und Beispiel 4.

Dokumentdaten
Stand30.01.2019
Erstellungsgrundlage in der Fassung des SGB I vom 11.12.1975 in Kraft getreten am 01.01.1976
Rechtsgrundlage

§ 14 SGB I

Version002.01

Inhalt der Regelung

§ 14 SGB I verpflichtet die Rentenversicherungsträger zur Beratung der Versicherten (Berechtigten) in Fragen der gesetzlichen Rentenversicherung. Ziel der Beratung ist es, dem Versicherten zu erläutern, wie er durch sinnvolles Verhalten Rechtsvorteile erlangen (zum Beispiel Erfüllung der Wartezeit durch Zahlung noch fehlender Beiträge) und Nachteile (zum Beispiel Hinweis auf „rechtzeitige“ Rentenantragstellung) vermeiden kann. Zur Beratung gehört auch die Erteilung von Auskünften zur Unterrichtung des Versicherten über tatsächliche (zum Beispiel Inhalt seines Kontos) und rechtliche (Beantwortung von Rechtsfragen) Umstände.

Beratung einschließlich Auskunft sind Dienstleistungen, auf die der Versicherte einen einklagbaren Rechtsanspruch hat. Sie erfolgen im Allgemeinen auf Begehren des Versicherten; sie sind unter Umständen auch von Amts wegen geboten.

Auskünfte und Ratschläge müssen inhaltlich richtig, vollständig und unmissverständlich sein.

Ergänzende/korrespondierende Regelungen

§ 13 SGB I allgemeine Aufklärung

§ 15 SGB I Auskunft über den zuständigen Leistungsträger

§ 16 Abs. 3 SGB I Pflicht des Leistungsträgers darauf hinzuwirken, dass unverzüglich klare und sachdienliche Anträge gestellt und unvollständige Angaben ergänzt werden

§ 17 SGB I Pflicht des Leistungsträgers darauf hinzuwirken, dass jeder Berechtigte die ihm zustehenden Sozialleistungen in zeitgemäßer Weise, umfassend und zügig erhält

§ 109a SGB VI Verpflichtung zur Information und Beratung über die Leistungsvoraussetzungen und über das Verfahren in Angelegenheiten der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung

§ 115 Abs. 6 SGB VI Hinweispflicht auf den Rentenanspruch in „geeigneten Fällen“

§§ 3 bis 7 SGB X Verpflichtung zur Vornahme von fiktiven Rentenberechnungen im Rahmen der Amtshilfepflicht

§ 119 SGB X fiktive Rentenberechnungen im Zusammenhang mit einem Regressverfahren

Inhalt und Umfang der Beratung

Was zu einer vollständigen Beratung gehört, lässt sich nicht für alle Fälle einheitlich bestimmen. Es kommt hierfür auf die Umstände des Einzelfalles an. Die Beratung ist nicht an eine bestimmte Form gebunden; sie kann mündlich (zum Beispiel im Rahmen einer persönlichen Vorsprache des Berechtigten in einer Auskunfts- und Beratungsstelle), schriftlich oder telefonisch erfolgen.

Im Allgemeinen bestimmt sich der Umfang der Beratungspflicht nach dem Inhalt des jeweiligen Ersuchens. Gezielte Fragen sind konkret zu beantworten, während allgemein gehaltene Anfragen grundsätzlich auch in allgemeiner Form, gegebenenfalls ergänzt durch Hinweise auf beigefügte Merkblätter beantwortet werden können. Auf besondere Umstände, die im Zusammenhang mit der Fragestellung als bedeutsam auffallen müssen, ist allerdings hinzuweisen, selbst wenn der Versicherte (Berechtigte) danach nicht gefragt hat.

Von Amts wegen (sogenannte Spontanberatung) muss der Rentenversicherungsträger den Versicherten (Berechtigten) - auch ohne Anfrage - auf nahe liegende Gestaltungsmöglichkeiten hinweisen, durch deren Wahrnehmung er einen Vorteil erlangen oder Nachteile vermeiden kann. Eine nahe liegende Gestaltungsmöglichkeit setzt voraus, dass sie klar zutage liegt und als offensichtlich so zweckmäßig erscheint, dass sie ein verständiger Antragsteller mutmaßlich nutzen würde (BSG vom 14.06.1962, AZ: 4 RJ 75/60, SozR RVO § 1233 Nr. 3; ferner Urteil des BSG vom 15.05.1984, AZ: 12 RK 32/83). Sie muss anlässlich des jeweiligen Bearbeitungsvorgangs ohne komplizierte Überlegungen auffallen (BSG vom 22.02.1972, AZ: 3 RK 56/70, NJW 1972, 1344; sowie BSG vom 26.04.1977, AZ: 4 RJ 35/76, SozR 2200 § 1286 Nr. 3). Eine Spontanberatung hat auch dann zu erfolgen, wenn zwar nicht sicher ist, ob im konkreten Einzelfall ein Beratungsbedarf besteht, der Sozialleistungsberechtigte jedoch einem Personenkreis angehört, für den die betreffende Information in einer Vielzahl von Fällen Bedeutung hat.

Nicht erwartet wird nach der Rechtsprechung, dass bei Routinevorgängen (Berücksichtigung von Einkommensänderungen bei einer Rente wegen Todes) etwaige Rechte (Gestaltungsmöglichkeiten) erforscht werden, die nicht im Zusammenhang mit dem aus konkretem Anlass angefallenen Vorgang stehen (BSG vom 15.05.1984, AZ: 12 RK 32/83).

Bei der Beratung ist auf die zu diesem Zeitpunkt geltende Sach- und Rechtslage abzustellen; auf bereits absehbare (künftige) Rechtsänderungen ist jedoch einzugehen, falls dies für den Berechtigten von Bedeutung ist (zum Beispiel ein bereits verkündetes Gesetz tritt in Kürze in Kraft). Eine Verpflichtung des Rentenversicherungsträgers über eine gesetzliche Neuregelung schon vor Inkrafttreten der Neuregelung zu beraten besteht aber nicht, wenn die Beratungen der Bundestags-Ausschüsse noch nicht abgeschlossen sind und die 2. Lesung (Beratung) des Gesetzentwurfs im Bundestag noch nicht stattgefunden hat. Dagegen muss eine Beratung von Amts wegen darüber nicht erfolgen, wie der Sozialleistungsberechtigte die Nachteile künftiger Gesetzesänderungen durch ein Handeln in der Zeit zwischen Verkündung und Inkrafttreten der Gesetzesänderung umgehen kann, wenn der Gesetzgeber eine sozialpolitisch unbefriedigende Regelung aufhebt (BSG vom 18.08.1983, AZ: 11 RA 40/82, SozR 1200 § 13 Nr. 2). Sinn der Beratungspflicht ist es, dem Leistungsberechtigten in der Erlangung der ihm vom Gesetz zugedachten Rechte beizustehen.

Die Pflicht zur Beratung erfordert nicht, dass alle denkbaren - in der Zukunft möglicherweise eintretenden - Umstände im Rahmen einer Beratung erörtert werden (Urteil des LSG Rheinland-Pfalz vom 12.07.2017, AZ: L 4 R 16/17).

Der Rentenversicherungsträger hat den ihm gegenüber bestehenden und auch konkret geltend gemachten Beratungsanspruch selbst zu erfüllen; der Berechtigte kann nicht an einen Rentenberater verwiesen werden (BSG vom 29.01.1981, AZ: 12 RK 19/80, SozR 1200 § 14 Nr. 11).

Bei folgenden Fallgestaltungen besteht eine Verpflichtung zur Spontanberatung:

  • Hinweis bei nicht erfüllter Wartezeit
    Ist die Wartezeit für eine Rente wegen Alters nicht erfüllt, ist der Versicherte auf die Möglichkeit der Nachzahlung oder laufende Zahlung von Beiträgen hinzuweisen.
  • Unterrichtung des geschiedenen Ehegatten über den Wegfall der Witwen- beziehungsweise Witwerrente
    Ist aus dem Akteninhalt zu entnehmen, dass der Rentenantrag eines geschiedenen Ehegatten nur wegen des Witwen- beziehungsweise Witwerrentenanspruchs abgelehnt wurde (§ 243 Abs. 3 SGB VI), ist der geschiedene Ehegatte über den Wegfall der Hinterbliebenenrente zu unterrichten.
  • Hinweispflichten der Rentenversicherungsträger auf Antragspflichtversicherung
    Im Rahmen eines Beratungsgespräches über die Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit ist bei drohendem Verlust der besonderen versicherungsrechtlichen Voraussetzungen ein Hinweis auf die Möglichkeit der Antragspflichtversicherung nach § 4 Abs. 2 SGB VI zu geben (BSG vom 26.04.2005, AZ: B 5 RJ 6/04 R, SozR 4-1200 § 14 Nr. 6).

Keine Beratung in Fremdbereichen

Die Beratungspflicht des § 14 SGB I bezieht sich auf die „Rechte und Pflichten nach diesem Sozialgesetzbuch“; die Beratung folgt dabei streng der Zuständigkeitsverteilung für die im Sozialleistungsbereich zu erfüllenden Aufgaben. Das bedeutet für die Rentenversicherungsträger, dass sie ihre Beratung im konkreten Fall nur auf den Rentenversicherungsbereich (einschließlich KVdR und Pflegeversicherung) zu beschränken haben; für die anderen im SGB geregelten Sozialleistungsbereiche sind die in §§ 18 bis 22 und 24 bis 29 SGB I genannten (Sozial-)Leistungsträger zuständig, und zwar jeder grundsätzlich für seinen „eigenen“ Bereich.

Im Einzelfall kann es aber unter Umständen geboten sein, auf die Zuständigkeit anderer Leistungsträger zu verweisen (zum Beispiel Hinweis auf die Beantragung von Kindergeld bei der zuständigen Familienkasse). Eine solche Verweisung hat auch zu erfolgen, soweit erkennbar ein Anspruch auf „Gesamtversorgung“ (zum Beispiel Versorgungsanstalt des Bundes und der Länder) besteht; dem Berechtigten ist anzuraten, sich wegen möglicher Auswirkungen (vorsorglich) mit der Zusatzversorgungskasse in Verbindung zu setzen. Bei (Erst-)Anträgen auf Rente enthalten die „Erläuterungen zum Rentenantrag“ einen entsprechenden Hinweis.

Für die Träger der gesetzlichen Rentenversicherung besteht hingegen keine Verpflichtung auf (mögliche) Auswirkungen von Sozialleistungen der Rentenversicherung auf andere Leistungen außerhalb des Bereichs des SGB, in sogenannten Fremdbereichen wie zum Beispiel Steuerrecht (siehe Abschnitt 3.1) oder Beamten- beziehungsweise Beihilferecht hinzuweisen.

Auskunft und Beratung in Fragen der Rentenbesteuerung

Bei der Rentenbesteuerung gibt es - anders als in Angelegenheiten der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung (§ 109a SGB VI) und bei der staatlich geförderten Zusatzvorsorge (sogenannte „Riester-Rente“ - § 15 Abs. 4 SGB I) - keine ausdrückliche gesetzliche Verpflichtung zur Auskunftserteilung. Ein Recht zur Erteilung von allgemeinen Auskünften lässt sich aber aus dem Gedanken der allgemeinen Fürsorge der Rentenversicherungsträger gegenüber ihren Versicherten und Rentnern ableiten. Die Fürsorgepflicht gibt aber weder das Recht noch die Pflicht, eine konkrete, auf die individuelle Situation zugeschnittene Auskunft oder Beratung zur Besteuerung der Rente zu erteilen. Die Rentenversicherungsträger dürfen deshalb zu steuerrechtlichen Fragen keine individuellen Auskünfte - und erst recht keine Beratung - geben. Die Einkommensbesteuerung enthält vielfältige individuelle Komponenten, sodass es den Rentenversicherungsträgern auch gar nicht möglich ist, die Versicherten umfassend über alle im Zusammenhang mit der Rentenbesteuerung stehenden Fragen zu informieren. In welchem Maße beispielsweise den Rentner eine steuerliche Belastung trifft, hängt nicht nur von der Höhe seiner Rente aus der gesetzlichen Rentenversicherung, sondern von vielen anderen Faktoren ab, darunter die Höhe weiterer Einkünfte (zum Beispiel Betriebsrente, Einkünfte aus Kapitalvermögen und so weiter) oder etwaige steuerliche Abzugsmöglichkeiten (zum Beispiel wegen Schwerbehinderung). Der Rentenversicherungsträger verfügt nicht über die Informationen, die für konkrete Angaben zum Beispiel zu den steuerpflichtigen Einnahmen, zur Gesamtsteuerlast oder zur günstigsten Wahl der Steuerklasse erforderlich wären. Er ist auch nicht berechtigt, sich diese Information zu beschaffen. Ferner besteht bei einer Einzelfallberatung in Fragen der Rentenbesteuerung auch die Gefahr, gegen das Steuerberatungsgesetz oder gegen das Rechtsberatungsgesetz zu verstoßen. Darüber hinaus sind Einzelfallberatungen mit erheblichen Haftungsrisiken (Amtshaftungsansprüche) verbunden.

Die Träger der gesetzlichen Rentenversicherung dürfen also keine individuellen und konkreten Auskünfte zur Rentenbesteuerung erteilen. Allgemeine Auskünfte zur Rentenbesteuerung sind jedoch zulässig. Folgende allgemeine Auskünfte zur Rentenbesteuerung kommen in Betracht:

  • Darstellung des Grundmodells der zukünftigen Besteuerung (volle Freistellung der Beiträge, volle Besteuerung der Leistungen)
  • Darstellung der Übergangsregelung mit:
    • Bestimmung des Rentenfreibetrages in der Leistungsphase
    • Bestimmung des Freistellungsanteils der Altersvorsorgeaufwendungen in der Phase der Beitragszahlung
  • Darstellung des Rentenbezugsmitteilungsverfahrens
  • Hinweis auf die Pflicht zur Abgabe einer Einkommensteuererklärung in bestimmten Fällen, insbesondere bei Hinzutreten weiterer Einkünfte
  • Erläuterung von Grundbegriffen zur Rentenbesteuerung
  • Allgemeine Darstellung der steuerlichen Abzugsmöglichkeiten (Sonderausgaben, Freibeträge et cetera)
  • Hinweise auf Besonderheiten bei bestimmten Rentenarten (Erwerbsminderungsrente, Hinterbliebenenrente et cetera)
  • Hinweis auf die Möglichkeit einer Einzelfallberatung durch einen Steuerberater oder Lohnsteuerhilfevereine (Wegweiserfunktion) und auf die Möglichkeit der Auskunftserteilung durch die Finanzverwaltung.

Beachte:

Im Beratungsgespräch muss deutlich darauf hingewiesen werden, dass diese Auskünfte allgemein sind und dass keine Aussagen über die konkrete Höhe der steuerlichen Belastung und die individuellen Abzugsmöglichkeiten getroffen werden können!

Folgen fehlerhafter Beratung

Bei fehlerhafter Beratung einschließlich Auskunft kann der Versicherte beanspruchen, dass der Rentenversicherungsträger ihn so stellt, wie er bei fehlerfreier Beratung gestanden hätte. Anspruchsgrundlagen in der Praxis sind regelmäßig der sozialrechtliche Herstellungsanspruch (siehe Abschnitt 4.1) und/oder die Haftung bei einer Amtspflichtverletzung gemäß § 839 BGB in Verbindung mit Art. 34 GG (siehe Abschnitt 4.4).

Sozialrechtlicher Herstellungsanspruch

Der von der Rechtsprechung entwickelte sozialrechtliche Herstellungsanspruch ist auf Vornahme einer Amtshandlung zur Herstellung des Zustandes gerichtet, der bestehen würde, wenn der Versicherungsträger die ihm aufgrund eines Gesetzes oder konkreten Sozialrechtsverhältnisses dem Versicherten (Berechtigten) gegenüber erwachsenden Pflichten, insbesondere zur Auskunft und Beratung, ordnungsgemäß wahrgenommen hätte.

Ein sozialrechtlicher Herstellungsanspruch besteht nach der BSG-Rechtsprechung, wenn

  • ein Leistungsträger Pflichten aus einem Sozialleistungsverhältnis verletzt hat
    (siehe Abschnitt 4.1.1),
  • beim Betroffenen dadurch ein sozialrechtlicher Nachteil verursacht worden ist
    (siehe Abschnitt 4.1.2) und
  • ein Ausgleich durch eine gesetzlich zulässige Amtshandlung erreicht werden kann
    (siehe Abschnitt 4.1.3).

Für Streitigkeiten in den oben angegebenen Fällen sind die Sozialgerichte zuständig.

Pflichtverletzung

Die Anwendung eines sozialrechtlichen Herstellungsanspruches setzt regelmäßig voraus, dass ein Sozialleistungsträger eine ihm aufgrund Gesetzes oder aufgrund eines bestehenden Sozialrechtsverhältnisses dem Versicherten gegenüber obliegende Pflicht verletzt und dadurch dem Versicherten einen Rechtsnachteil (Schaden) zugefügt hat. Dabei kommt es nicht darauf an, ob und inwieweit das Fehlverhalten schuldhaft gewesen ist; das Vorliegen einer „objektiv betrachteten“ fehlerhaften Verwaltungsentscheidung ist hierbei entscheidend (BSG vom 12.10.1979, AZ: 12 RK 47/77, SozR 2200 § 1418 Nr. 6; sowie BSG vom 14.05.1985, AZ: 5a RKn 23/84, SozR 1300 § 44 Nr. 18).

Die in § 2 SGB I aufgeführten sozialen Rechte sollen allein den Berechtigten zukommen, die die sozialen Leistungen selbst beanspruchen können. Entsprechend ist der Herstellungsanspruch allein auf diesen Personenkreis ausgerichtet. Deshalb können nicht Personen oder Einrichtungen Ansprüche geltend machen, die nur mittelbar an einer sozialrechtlichen Beziehung teilnehmen, weil hier der Schutzbedarf des Sozialrechtsverhältnisses nicht besteht. Ein Pfändungs- oder Abtretungsgläubiger kann daher nicht im Wege des Herstellungsanspruches Ansprüche geltend machen, da die Rechtsbeziehungen zwischen ihm und dem Leistungsträger nicht auf dem Sozialrechtsverhältnis beruhen. Zwischen verschiedenen Leistungsträgern sind Erstattungsansprüche nach den §§ 102 bis 105 SGB X abzuwickeln. Rechtsfolgen möglicher Fehler sind allein aus diesen Vorschriften abzuleiten, weil der Herstellungsanspruch nur für sozialrechtlich betroffene Bürger, nicht aber für Leistungsträger gilt.

Bei der Pflichtverletzung, die zu einem sozialrechtlichen Herstellungsanspruch führt, kann es sich um einen Verstoß gegen die Beratungs-, Auskunfts- und Hinweispflichten (zum Beispiel unrichtige oder unvollständige Beratung) handeln, die in §§ 14, 15 SGB I sowie in § 115 Abs. 6 SGB VI normiert sind.

Dagegen können „sonstige“ Fehler, wie beispielsweise eine unzutreffende oder unvollständige Ermittlung im Sinne von § 20 SGB X, die zur pflichtwidrigen Nicht-Berücksichtigung von Rentenzeiten geführt hat, normalerweise keinen sozialrechtlichen Herstellungsanspruch begründen. Denn der sozialrechtliche Herstellungsanspruch scheidet von vornherein aus, soweit die Folgen einer Pflichtverletzung im Gesetz ausdrücklich geregelt sind. Bei normalen Bearbeitungsfehlern und daraus resultierenden rechtswidrigen nicht begünstigenden Verwaltungsakten stehen die Rechtsmittel Widerspruch und Klage zur Verfügung. Bei Versäumung der dafür vorgesehenen Fristen gibt es darüber hinaus noch das Überprüfungsverfahren (auf Antrag oder von Amts wegen) nach § 44 SGB X. Die Rechtsfolgen einer fehlerhaften Rechtsanwendung oder der Zugrundelegung eines unrichtigen Sachverhaltes sind in § 44 Abs. 1 und 4 SGB X erschöpfend geregelt. Für die Anwendung des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs ist insoweit kein Raum (BSG vom 23.07.1986, AZ: 1 RA 31/85, SozR 1300 § 44 Nr. 23).

Siehe Beispiel 1

Im Rahmen eines sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs wegen fehlerhaften Verwaltungshandelns muss derjenige Sozialleistungsträger, der allein den Zustand herstellen kann, der bei fehlerfreiem Handeln bestehen würde, auch für ein fehlerhaftes Verhalten eines anderen (Sozialleistungs-)Trägers (beziehungsweise einer anderen Stelle) einstehen; dies gilt jedenfalls dann, wenn beide (Sozialleistungs-)Träger zur gemeinsamen Erfüllung einer Verwaltungsaufgabe eng miteinander verbunden sind beziehungsweise dieser andere (Sozialleistungs-)Träger (beziehungsweise die andere Stelle) gegebenenfalls von Gesetzes wegen im Sinne einer Funktionseinheit arbeitsteilig in das Verwaltungsverfahren (zum Beispiel Rentenverfahren) eingeschaltet ist oder Aufgaben der Deutschen Rentenversicherung wahrnimmt (BSG vom 22.10.1996, AZ: 13 RJ 69/95, SozR 3-1200 § 14 Nr. 22, mit weiteren Nachweisen). In die Rentenangelegenheiten ist ein anderer (Sozialleistungs-)Träger (beziehungsweise eine andere Stelle) dann in das Verwaltungsverfahren eingeschaltet, wenn die von dem anderen (Sozialleistungs-)Träger (beziehungsweise von der anderen Stelle) gewährte Leistung zu der Rente in einem Konkurrenzverhältnis steht, sodass sich aus der materiell-rechtlichen Verknüpfung beider Leistungen für den anderen (Sozialleistungs-)Träger (beziehungsweise für die andere Stelle) eine Fürsorge- und Beratungspflicht auch hinsichtlich des Rentenanspruchs ergibt. Die Träger der gesetzlichen Rentenversicherung stehen also insoweit für Fehler anderer Sozialleistungsträger beziehungsweise Stellen ein und helfen gegebenenfalls durch einen sozialrechtlichen Herstellungsanspruch ab. Im Wesentlichen handelt es sich hier um Tätigkeiten der Krankenkassen (gemeinsame Aufgaben bei der KVdR; Antragsentgegennahme), der Versicherungsämter und Gemeindebehörden (Aufgabenerfüllung nach § 93 SGB IV, Antragsentgegennahme).

Verursachung eines sozialrechtlichen Nachteils

Die Pflichtverletzung muss ursächlich dafür gewesen sein, dass der Berechtigte eine (nahe liegende) Gestaltungsmöglichkeit, sei es durch aktives Tun (zum Beispiel Nachentrichtung von Beiträgen), sei es durch Unterlassen (zum Beispiel Verstreichenlassen einer Antragsfrist) nicht wahrgenommen hat und dass in Folge dessen seine Rechtsstellung in der Weise ungünstig beeinflusst worden ist, dass er insbesondere Leistungen überhaupt nicht oder nur in geringerem Umfange erhält (zum Beispiel eine verspätete Rentenantragstellung führt zu einem späteren Rentenbeginn) oder dass er nutzlose Aufwendungen hatte (zum Beispiel Zahlung von im Einzelfall unrentablen freiwilligen Beiträgen).

Siehe Beispiel 2

Ist dagegen durch eine Falschberatung ein sozialrechtlicher Nachteil nicht verursacht worden, weil auch bei richtiger Beratung sich keine andere Rechtslage hätte ergeben können (zum Beispiel Anspruch auf Rente besteht nicht), ist gegebenenfalls zu prüfen, ob über die Falschberatung hinaus eine bindende Zusicherung im Sinne von § 34 SGB X abgegeben worden ist.

Siehe Beispiel 3

Hinsichtlich der Kausalität des Beratungsfehlers für das ungünstige Verhalten des Betroffenen gelten die Grundsätze des Anscheinsbeweises. Der Anscheinsbeweis (auch als Beweis des ersten Eindrucks bezeichnet) ist dann erfolgreich geführt, wenn bei typischen Geschehensabläufen nach der Lebenserfahrung in aller Regel auf die Ursache A die Wirkung B folgt (siehe GRA zu § 21 SGB X, Abschnitt 11).

Allerdings kann die fehlerhafte Beratung auch durch die zu beratende Person (mit-)verursacht worden sein. In diesem Fall hat der Versicherungsträger den Beratungsfehler verursacht, da er nach seiner personellen und sachlichen Ausstattung ein so erhebliches Übergewicht bei der Anwendung sozialrechtlicher Vorschriften gegenüber dem Versicherten hat, dass ihm die Hauptlast der richtigen Anwendung dieser Vorschriften aufzuerlegen ist (BSG vom 23.03.1972, AZ: 5 RJ 63/70).

Hat aber der Versicherte vorsätzlich oder grob fahrlässig die falsche Auskunft verursacht oder die Fehlerhaftigkeit der Auskunft nicht erkannt, kann ihm ein Vertrauensschutz nicht zugestanden werden, weil er die erforderliche Sorgfalt in ungewöhnlich hohem Ausmaß verletzt hat. Es handelt sich dabei vor allem um Fälle, in denen die Unrichtigkeit der Auskunft auf Umständen beruht, die der Versicherte in der Regel selbst am besten kennen muss, wie zum Beispiel den Ablauf seines Arbeits- oder Versicherungslebens.

Das gilt insbesondere dann, wenn die Betroffenen Möglichkeiten einer Beratung durch die Verwaltung nicht genutzt oder sich anderweitig informiert haben. In diesem Fall sind deshalb unterbliebene Beratungen durch eine Behörde der Sozialverwaltung nicht ursächlich für eine falsche Disposition.

Gesetzlich zulässige Amtshandlung

Mit dem sozialrechtlichen Herstellungsanspruch kann nur „hergestellt“ werden, was in dem betreffenden Rechtsgebiet seiner Art nach zulässig ist, nicht hingegen Gestaltungen, die das Gesetz nicht kennt oder generell ausschließt. Dem entsprechend lässt sich mit Hilfe des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs ein Fehlverhalten des Leistungsträgers nur insoweit berichtigen als die Korrektur mit dem jeweiligen Gesetzeszweck in Einklang steht (gefestigte Rechtsprechung: unter anderem BSG vom 25.01.1994, AZ: 7 RAr 50/93, SozR 3-4100 § 249e Nr. 4).

Denn durch den sozialrechtlichen Herstellungsanspruch soll letztlich nur der Zustand hergestellt werden, der bei pflichtgemäßem Verhalten des Versicherungsträgers eingetreten wäre (unter anderem BSG vom 15.10.1985, AZ: 11a RA 39/84, SozR 1200 § 14 Nr. 21). Der Versicherte kann also im Wege des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs keinesfalls eine Leistung erhalten, auf die auch bei richtiger Beratung kein Anspruch bestünde.

Mit Hilfe eines sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs lassen sich bestimmte sozialrechtliche Voraussetzungen als erfüllt ansehen; als gesetzlich zulässige Amtshandlungen kommen in diesem Sinne beispielsweise folgende Fallgestaltungen in Betracht:

  • Entgegennahme von Beiträgen trotz Versäumung der dafür maßgebenden Fristen (Zulassung der Nachentrichtung von freiwilligen Beiträgen). Hierbei kann die Rechtzeitigkeit der Beitragszahlung im Wege des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs fingiert werden.
  • Fiktion eines Antrages auf Befreiung von der Versicherungspflicht, wenn dieser in Folge einer Falschberatung nicht fristgerecht gestellt worden ist.
  • Soweit infolge eines Beratungsfehlers ein Rentenantrag verspätet gestellt wurde, kann eine frühere Rentenantragstellung unterstellt und der Rentenbeginn entsprechend vorverlegt werden, vorausgesetzt, dass alle materiell-rechtlichen Anspruchsvoraussetzungen der jeweiligen Versicherten- beziehungsweise Hinterbliebenenrente zu diesem Zeitpunkt erfüllt sind. Auch kann die Verschiebung oder Rücknahme eines Antrages fingiert werden.
  • Rückzahlung von zu Recht entrichteten freiwilligen Beiträgen, die zum Zwecke der Aufrechterhaltung des Versicherungsschutzes für eine Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit gezahlt wurden. Die Voraussetzungen des § 241 Abs. 2 SGB VI liegen jedoch nicht vor.
    Zu Recht (nach-)entrichtete freiwillige Beiträge sind grundsätzlich sowohl der Verfügungsmacht des Versicherten als auch der des Versicherungsträgers entzogen (BSG vom 13.09.1979, AZ: 12 RK 39/78, und BSG vom 18.11.1980, AZ: 12 RK 14/80). Etwas anderes kann nur dann gelten, wenn ein Beratungsmangel gerügt wird und auch tatsächlich vorliegt. In diesen Fällen kann im Wege des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs grundsätzlich eine Erstattung (Rückzahlung) der freiwilligen Beiträge erfolgen.

Eine gesetzlich zulässige Amtshandlung ist hingegen nicht möglich, soweit dabei Veränderungen in der Lebenssituation des Betroffenen unterstellt oder verneint werden müssten. Mit dem sozialrechtlichen Herstellungsanspruch können rechtserhebliche Tatbestände weder geschaffen noch beseitigt werden (BSG vom 25.01.1994, AZ: 7 RAr 50/93, SozR 3-4100 § 249e Nr. 4). Unter gesetzlich unzulässigen Amtshandlungen, sie stehen nicht mit dem Gesetz im Einklang, sind zum Beispiel folgende Sachverhalte anzusehen:

  • Anerkennung einer Altersrente ohne Rentenabschläge, obwohl die Anspruchsvoraussetzungen (zum Beispiel 45 Jahre mit Pflichtbeiträgen für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit) hierfür tatsächlich nicht erfüllt werden;
  • Anerkennung einer Altersrente für Frauen, obwohl die Anspruchsvoraussetzungen (hier: 121 KM mit Pflichtbeiträgen für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit) tatsächlich nicht erfüllt sind; fehlende Pflichtbeitragszeiten können nicht im Wege der Fiktion anerkannt werden;
  • Bewilligung einer Altersrente vor Erreichen der Regelaltersgrenze, wenn der Versicherte eine rentenschädliche Beschäftigung/Tätigkeit (Überschreitung der maßgeblichen Hinzuverdienstgrenzen) ausgeübt hat. Das Arbeitsentgelt kann nicht durch einen sozialrechtlichen Herstellungsanspruch derart (nachträglich) reduziert werden, dass die maßgebliche Hinzuverdienstgrenze eingehalten wird. Die tatsächliche Ausübung der Beschäftigung und eine damit verbundene „Entlohnung“ in Form von Arbeitsentgelt ist eine Begebenheit tatsächlicher Art, die nicht der Gestaltung durch Verwaltenshandeln des Rentenversicherungsträgers zugänglich ist; sie kann nicht im Wege der Fiktion (durch einen sozialrechtlichen Herstellungsanspruch) ungeschehen gemacht werden (BSG vom 25.01.1994, AZ: 7 RAr 50/93, SozR 3-4100 § 249e Nr. 4).
  • Die Versäumung der Frist nach § 44 Abs. 4 SGB X, die auf einem Fehlverhalten der Verwaltung beruht, kann durch einen sozialrechtlichen Herstellungsanspruch nicht zu einer mehr als vier Jahre rückwirkenden nachträglichen Leistungsgewährung führen (siehe hierzu auch Abschnitt 4.2).
  • Eine fehlende persönliche Arbeitslosmeldung bei der zuständigen Agentur für Arbeit (bis 31.12.2003: Arbeitsamt) kann nicht im Wege eines sozialrechtlichen Herstellungsanspruches ersetzt werden. Die Wirksamkeit der Arbeitslosmeldung und damit die Verfügbarkeit für die Arbeitsvermittlung hängt von einem tatsächlichen Verhalten des Arbeitslosen ab; dieses lässt sich nicht nachträglich herbeiführen (BSG vom 11.03.2004, AZ: B 13 RJ 16/03 R).

Rückwirkende Leistungserbringung

Nach § 44 Abs. 4 SGB X werden Sozialleistungen längstens für einen Zeitraum bis zu 4 Jahren vor der Rücknahme erbracht, wenn ein Verwaltungsakt mit Wirkung für die Vergangenheit zurückgenommen worden ist. Kann aufgrund eines sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs eine Leistung rückwirkend verlangt werden und ist noch kein Verwaltungsakt (Rentenbescheid) ergangen oder der bisherige Verwaltungsakt noch nicht bindend geworden, gilt bezüglich der rückwirkenden Zahlungserbringung - sofern es um Rentenzahlungen für mehr als vier Kalenderjahre zurück geht - in entsprechender Anwendung des § 44 Abs. 4 SGB X eine Ausschlussfrist von 4 Jahren (Urteile des BSG vom 27.03.2007, AZ: B 13 R 58/06 R und AZ: B 13 R 34/06 R). Das BSG führt hierzu in seiner Begründung unter anderem aus, dass wie bei der nachträglichen Korrektur eines bindenden belastenden Verwaltungsakts auch beim sozialrechtlichen Herstellungsanspruch eine vergleichbare Interessenlage besteht. In beiden Fällen wird vom Leistungsträger das Recht unrichtig angewandt, und in beiden Fällen hat dies zur Folge, dass der Leistungsberechtigte nicht die ihm zustehende Leistung erlangt. Dabei soll es bei der rückwirkenden Erbringung der Leistung keinen Unterschied machen, ob der Berechtigte einen belastenden Verwaltungsakt erhalten hat oder andererseits schon im Vorfeld von der Anspruchsverfolgung abgesehen hat. In beiden Fällen ist der Leistungsträger zur Korrektur verpflichtet; auf ein Verschulden des Leistungsträgers kommt es in beiden Fällen nicht an. Deshalb kann es für den zeitlichen Umfang der rückwirkend zu erbringenden Leistung keinen Unterschied machen, ob der Leistungsträger eine Leistung durch Verwaltungsakt zu Unrecht versagt hat oder er aus anderen ihm zuzurechnenden Gründen den Berechtigten nicht in den Leistungsgenuss hat kommen lassen.

Siehe Beispiel 4

Auswirkungen des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs auf Zuschüsse zur Kranken-/Pflegeversicherung

Wurde wegen der Verletzung einer Beratungspflicht aus § 14 SGB I heraus im Rahmen des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs eine frühere Rentenantragstellung unterstellt, gilt das entsprechend auch für die Anträge auf Zuschüsse zur Krankenversicherung gemäß § 106 SGB VI und für Zeiträume bis 31.03.2004 zur Pflegeversicherung gemäß § 106a SGB VI.

Für die rückwirkende Leistungserbringung der Zuschüsse zur Krankenversicherung/Pflegeversicherung im Rahmen des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs finden die Verspätungsfolgen des § 44 Abs. 4 SGB X entsprechend Anwendung (siehe Abschnitt 4.2).

Amtshaftungsanspruch nach § 839 BGB in Verbindung mit Artikel 34 GG

Lässt sich ein von der Deutschen Rentenversicherung (schuldhaft) verursachter Schaden nicht durch Verwaltungsakt sozialversicherungsrechtlich, sondern nur durch Geldersatz ausgleichen, so handelt es sich um einen Amtshaftungsanspruch, über den im Streitfall die Zivilgerichte entscheiden.

Der Schadensersatzanspruch muss konkret begehrt und der Schaden beziffert werden. Die Frage der Amtshaftung ist nicht von Amts wegen zu prüfen. Der Anspruchssteller muss die zum bezeichnenden Anspruch führenden Umstände vollumfänglich darlegen und beweisen.

Siehe Beispiel 3

Beispiel 1: Bearbeitungsfehler

(Beispiel zu Abschnitt 4.1.1)
Bei der erstmaligen Rentenberechnung werden durch einen Fehler der Sachbearbeitung Nachweise für rentenrechtliche Zeiten nicht angefordert und die Zeiten folglich nicht berücksichtigt.
Rentenbeginn01.05.2013
Rentenbescheid April 2013
Antrag auf Überprüfung Januar 2018
Die/Der Versicherte begehrt die Zahlung der gegebenenfalls höheren Rente ab Rentenbeginn, weil die Rentenberechnung in pflichtwidriger Weise zu seinen Ungunsten erfolgt sei.
Bescheid über die Neufeststellung der Rente Februar 2018
Lösung:

Die Neuberechnung aufgrund weiterer rentenrechtlicher Zeiten führt ab Rentenbeginn zu einer Rentenerhöhung.

Die Zahlung der erhöhten Rentenbeträge kann aber nach § 44 Abs. 4 SGB X längstens für vier Kalenderjahre rückwirkend, also ab 01.01.2014 erfolgen.

Die erhöhten Rentenbeträge, die zeitlich vor dieser Ausschlussfrist liegen (01.05.2013 bis 31.12.2013), können nicht durch eine sozialrechtlich zulässige Amtshandlung gewährt werden.

Beispiel 2: Sozialrechtlicher Nachteil

(Beispiel zu Abschnitt 4.1.2)
Die Regelaltersgrenze wird erreicht am10.04.2014
Antrag auf Regelaltersrente imApril 2014
Bescheid über die Ablehnung der Altersrente wegen fehlender Wartezeit (nur 51 Kalendermonate Beitragszeit)Juni 2014
Einen Hinweis zur Entrichtung freiwilliger Beiträge enthält der Ablehnungsbescheid nicht.
Erneuter Antrag auf Regelaltersrente07.10.2018
Im Oktober 2018 entrichtet die/der Versicherte neun freiwillige Beiträge, womit die Wartezeit für die Regelaltersrente erfüllt ist. Die/Der Versicherte begehrt die Regelaltersrente rückwirkend ab 01.10.2014, weil seinerzeit ein Hinweis über die zur Wartezeiterfüllung mögliche Beitragszahlung nicht gegeben worden ist.
Lösung:

Dem erneuten Antrag wäre gemäß § 99 Abs. 1 SGB VI mit einem Leistungsbeginn ab 01.10.2018 zu entsprechen.

In Folge der fehlenden Information über die Beitragsentrichtung zur Erfüllung der Wartezeit ist die/der Versicherte im Wege des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs so zu stellen, als wäre durch Zahlung von freiwilligen Beiträgen im Jahr 2014 die Wartezeit für den Anspruch auf Regelaltersrente bereits im September 2014 erfüllt gewesen. Die im Jahr 2018 gezahlten freiwilligen Beiträge gelten im Wege des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs als für das Jahr 2014 gezahlt.

Die Regelaltersrente ist rückwirkend ab 01.10.2014 zu zahlen.

Beispiel 3: Beschäftigungsaufgabe wegen Falschberatung

(Beispiel zu Abschnitt 4.1.2)

Aufgrund einer Falschberatung kommt die/der Versicherte zu der Ansicht, er erfülle die Voraussetzungen für eine Altersrente vor Vollendung des 65. Lebensjahres und gibt infolgedessen seine Beschäftigung zum 31.10.2014 auf. Bei Prüfung der Rentenangelegenheit (Anspruch auf vorgezogene Altersrente ab 01.11.2014) stellt sich heraus, dass die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen nicht erfüllt sind und auch nicht durch (Nach-)Zahlung von freiwilligen Beiträgen erfüllt werden können.

Der Rentenantrag wird abgelehnt.

Es wird nun die Bewilligung der Altersrente vor Vollendung des 65. Lebensjahres im Wege des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs begehrt, weil bei richtiger Beratung die Beschäftigung bis zur Erfüllung der versicherungsrechtlichen Voraussetzungen weiterhin ausgeübt worden wäre.

Lösung:

Der sozialrechtliche Herstellungsanspruch ist abzulehnen, da durch die Falschberatung kein sozialrechtlicher Nachteil (hier: Anspruch auf Rente) verursacht worden ist. Denn auch bei richtiger Beratung hätte ein Rentenanspruch ab 01.11.2014 nicht entstehen können.

Gegebenenfalls ist aber zu prüfen, ob über die Falschberatung hinaus eine bindende Zusicherung gemäß § 34 SGB X abgegeben worden ist. Ist dies nicht der Fall, so ist wegen des Verdienstausfalls aufgrund der Beschäftigungsaufgabe ein Amtshaftungsanspruch nur zu prüfen, wenn ein solcher konkret geltend gemacht wird.

Beispiel 4: Rückwirkende Leistungserbringung

(Beispiel zu Abschnitt 4.2)
Die Regelaltersgrenze wird erreicht am10.04.2014
Formlose Anfrage zur RegelaltersrenteApril 2014
Auskunft, dass eine Altersrente wegen fehlender Wartezeit nicht gezahlt werden kann (nur 51 Kalendermonate Beitragszeit)Juni 2014
Einen Hinweis zur Entrichtung freiwilliger Beiträge enthält die Auskunft nicht.
Antrag auf RegelaltersrenteJanuar 2019
Im Januar 2019 entrichtet die/der Versicherte neun freiwillige Beiträge, womit die Wartezeit für die Regelaltersrente erfüllt ist. Die/Der Versicherte begehrt die Regelaltersrente rückwirkend ab 01.10.2014, weil seinerzeit ein Hinweis über die zur Wartezeiterfüllung mögliche Beitragszahlung nicht gegeben worden ist.
Lösung:

Dem Rentenantrag wäre gemäß § 99 Abs. 1 SGB VI mit einem Leistungsbeginn ab 01.01.2019 zu entsprechen.

In Folge der fehlenden Information über die Beitragsentrichtung zur Erfüllung der Wartezeit ist die/der Versicherte im Wege des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs so zu stellen, als wäre durch Zahlung von freiwilligen Beiträgen im Jahr 2014 die Wartezeit für den Anspruch auf Regelaltersrente bereits im September 2014 erfüllt gewesen. Die im Jahr 2019 gezahlten freiwilligen Beiträge gelten im Wege des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs als für das Jahr 2014 gezahlt.

Die Zahlung der erhöhten Rentenbeträge kann aber in analoger Anwendung von § 44 Abs. 4 SGB X längstens für vier Kalenderjahre rückwirkend, also ab 01.01.2015 erfolgen.

Die Rentenbeträge, die zeitlich vor dieser Ausschlussfrist liegen (01.10.2014 bis 31.12.2014), können nicht durch eine sozialrechtlich zulässige Amtshandlung gewährt werden.

SGB I vom 11.12.1975 (BGBl. I S. 3015)

Inkrafttreten: 01.01.1976

Quelle zum Entwurf: BT-Drucksache 7/868

Zweck der Vorschrift ist es, eine umfassende Beratung des Bürgers durch den zuständigen Leistungsträger, der auf Grund seiner Sachkenntnis für diese Aufgabe am besten geeignet ist, sicherzustellen. Die Beratungspflicht des § 14 SGB I erstreckt sich auf alle sozialrechtlichen Fragen, die für den Bürger zur Beurteilung seiner Rechte und Pflichten von Bedeutung sind oder in Zukunft von Bedeutung sein können, soweit er hieran ein berechtigtes Interesse hat.

Zusatzinformationen

Rechtsgrundlage

§ 14 SGB I