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12 RK 19/80

Tatbestand

Die Beteiligten streiten darum, ob die Klägerin aufgrund eines Herstellungsanspruchs berechtigt ist, bereits nach Art. 2 § 49a Abs. 2 des Angestelltenversicherungs-Neuregelungsgesetzes (AnVNG) entrichtete freiwillige Beiträge aufzustocken und weitere Beiträge in einer den aufgestockten Beiträgen entsprechenden Beitragsklasse nachzuentrichten.

Die Klägerin überwies der Beklagten im Dezember 1972 den Gegenwert für 60 freiwillige Beiträge der Beitragsklasse 100 (1.020,00 DM) für den Zeitraum von Januar 1968 bis Dezember 1972. Im Oktober 1973 stellte sie auch einen formellen Antrag auf Nachentrichtung der (bereits geleisteten) Beiträge. Die Beklagte erteilte ihr daraufhin am 30. Januar 1974 eine Bescheinigung über die von ihr vorgenommene Beitragsnachentrichtung und verbuchte dementsprechend den eingezahlten Betrag.

Mit Schreiben vom 25. November 1975 teilte die Klägerin der Beklagten mit, man habe sie bei einer ersten Rentenberatung in der Auskunftsstelle im Dienstgebäude der Beklagten im Oktober 1972 nicht darüber aufgeklärt, wie sie sich bei ihrer Beitragsgestaltung verhalten solle, sondern habe sie an einen Rentenberater verwiesen. Auf dessen Rat habe sie für den Zeitraum von 1968 bis 1972 die niedrigsten Beiträge entrichtet, stelle nun aber fest, daß diese Art. der Beitragsnachentrichtung in Anbetracht weiterer nachweisbar vorliegender Ersatz- und Ausfallzeiten für ihre spätere Rentenerwartung ungünstig sei. Die Klägerin beantragte deshalb, den von ihr eingezahlten Betrag (1.020,00 DM) als Anzahlung auf weitere von ihr zu entrichtende freiwillige Beiträge zu verrechnen und bat im übrigen um Erteilung einer Rentenauskunft. Die Beklagte erteilte diese Auskunft mit Schreiben vom 7. Juli 1976 unter Beifügung eines Versicherungsverlaufs und zugleich mit dem Hinweis, daß eine Aufstockung der bereits entrichteten freiwilligen Beiträge unzulässig sei.

Mit Schreiben vom 4. März 1977 beantragt die Klägerin unter Bezugnahme auf ihr Schreiben vom 25. November 1975 bei der Beklagten die Nachentrichtung von freiwilligen Beiträgen gemäß Art. 2 § 49a AnVNG wie folgt: Beiträge der Klasse 900 für Oktober 1961 bis Dezember 1962 und Beiträge der Klasse 1000 für Januar 1963 bis Dezember 1972. Sie bat, den irrtümlich für den Zeitraum 1968 bis 1972 in der Beitragsklasse 100 eingezahlten Betrag auf den Nachentrichtungsbetrag zu verrechnen.

Die Beklagte gestattete der Klägerin die Nachentrichtung von 75 freiwilligen Beiträgen der Klasse 100 nach Art. 2 § 49a Abs. 2 AnVNG für die Zeit von Oktober 1961 bis Dezember 1967. Die Nachentrichtung höherer Beiträge lehnte sie ab, weil nach Art. 2 § 49a Abs. 2 AnVNG die Beiträge für weiter zurückliegende Zeiten nicht höher sein dürften als der geringste für einen späteren Monat nachentrichtete Beitrag; mithin schließe die Entrichtung von Beiträgen der Klasse 100 für die Jahre 1968 bis 1972 die Wahl höherer Beitragsklassen für die weiter zurückliegende Zeit aus. Eine Aufstockung der bereits entrichteten freiwilligen Beiträge sei gesetzlich nicht möglich (Bescheid vom 28. April 1977).

Widerspruch, Klage und Berufung hatten keinen Erfolg (Widerspruchsbescheid vom 8. November 1977; Urteil des Sozialgerichts - SG - Berlin vom 17. Oktober 1978; Urteil des Landessozialgerichts - LSG - Berlin vom 2. November 1979).

Das LSG hat die Auffassung der Beklagten bestätigt, daß eine Nachentrichtung von Beiträgen höherer Klassen für die Zeit vor 1968 wegen der für die Zeit ab 1968 in der niedrigsten Klasse nachentrichteten Beiträge nicht möglich sei. Das LSG hat auch einen Herstellungsanspruch wegen unzureichender Beratung nicht für begründet erachtet. Es hat eine Beratungspflicht der Beklagten zwar bejaht, jedoch eine Verletzung dieser Pflicht verneint. Nach dem Ergebnis einer Zeugenaussage habe ein Bediensteter der Beklagten für die Klägerin ausgerechnet, daß sie etwa 30 Versicherungsjahre zurückgelegt habe und sich eine Beitragsnachentrichtung deshalb lohne. Zu einer weitergehenden Beratung und Auskunftserteilung sei die Beklagte nicht verpflichtet gewesen. Die Klägerin habe angefragt, was sie tun müsse, um im Rahmen einer Beitragsnachentrichtung „den Standard zu erhalten“. Diese Frage sei dahin zu verstehen gewesen, daß die Klägerin einen Rat über die optimale Vornahme einer Beitragsnachentrichtung unter Berücksichtigung ihres persönlichen Versicherungsverhältnisses erbeten habe. Die dem Bediensteten der Beklagten zur Verfügung stehenden persönlichen und sachlichen Möglichkeiten hätten aber nicht ausgereicht, um die gestellte Frage sachgerecht und zutreffend zu beantworten; denn ihm hätten lediglich die von der Klägerin mitgebrachten Versicherungs- und sonstigen Unterlagen vorgelegen. Diese hätten aber nicht die Garantie geboten, daß sie den Versicherungsverlauf der Klägerin lückenlos wiedergäben. Genauere Kenntnis hätte der Bedienstete auch nicht aus einem vorangegangenen Verwaltungsverfahren gewinnen können. Er wäre daher gezwungen gewesen, tiefer in die Prüfung der individuellen und rechtlichen Zusammenhänge einzutreten, wozu er nicht zuletzt auch in Ermangelung der technischen Mittel zur Herstellung von Probeberechnungen außerstande und deshalb nicht verpflichtet gewesen sei. Die Verweigerung der erbetenen Auskunft oder Raterteilung mit dem Hinweis, daß der Bedienstete für derartige Fragen nicht zuständig sei, und der Rat, die Hilfe eines Rentenberaters in Anspruch zu nehmen, sei nach den Gegebenheiten des Falles nicht zu beanstanden.

Mit der Revision macht die Klägerin geltend, daß die Beantwortung der von der Klägerin gestellten Frage, zumindest auf der Grundlage der vorgelegten und auch vollständigen Unterlagen, möglich und zu erwarten gewesen sei. Der auskunfterteilende Bedienstete hätte zur Beantwortung der Frage auch keine Probeberechnungen durchzuführen brauchen; denn aufgrund des Versicherungsverlaufs habe ein Sachkundiger jedenfalls eine Auskunft darüber geben können, welche Beitragsklasse mindestens hätte nachentrichtet werden müssen. Diese Feststellung hätte ohne besonderen rechnerischen Aufwand mit Hilfe von Tabellen getroffen werden können. Bei so offenkundigen Gestaltungsmöglichkeiten sei die Verweisung des Versicherten an einen Rentenberater unzulässig.

Die Klägerin beantragt,

  • die Urteile des LSG und des SG aufzuheben und die Beklagte unter Abänderung des Bescheides vom 28. April 1977 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 8. November 1977 zu verurteilen, der Klägerin die Nachentrichtung freiwilliger Beiträge für die Zeit vom 1. Oktober 1961 bis 31. Dezember 1962 in der Beitragsklasse 900 und für die Zeit vom 1. Januar 1963 bis 31. Dezember 1972 in der Klasse 1000 unter Verrechnung des bereits eingezahlten Betrages von 1.020,00 DM zu gestatten.

Die Beklagte beantragt,

  • die Revision zurückzuweisen.

Sie beruft sich im wesentlichen auf das Urteil des LSG. Sie ist der Auffassung, daß die Grenzen der Beratungspflicht nach § 14 des Sozialgesetzbuches - Allgemeiner Teil - (SGB I) immer dann überschritten seien, wenn der Versicherungsträger bzw. der für ihn tätig werdende Bedienstete tiefer in die individuellen Gegebenheiten und Zusammenhänge des Einzelfalles einsteigen und Probeberechnungen durchführen müßte. Ihre Bediensteten seien lediglich verpflichtet, das Augenmerk der Versicherten auf solche Gestaltungsmöglichkeiten des Versicherungsverhältnisses zu lenken, die sich offensichtlich als zweckmäßig aufdrängten und von jedem verständigen Versicherten genutzt würden. Der seinerzeit beratende Bedienstete habe nicht sicher sein können, daß der Versicherungsverlauf vollständig gewesen sei; er habe deshalb richtig gehandelt, wenn er die Klägerin zunächst an einen Rentenberater verwiesen habe.

Beide Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung (§ 124 Abs. 2 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG -) einverstanden erklärt.

Entscheidungsgründe

Die Revision ist unbegründet.

Das LSG hat im Anschluß an mehrere Entscheidungen des Bundessozialgerichts (BSG) zutreffend entschieden, daß wirksam entrichtete Beiträge nachträglich weder aufgestockt noch verschoben werden können (vgl. zuletzt BSGE 49, 76, 81 m.w.N.). Das LSG hat daraus weiterhin mit Recht gefolgert, daß angesichts der für die Zeit von 1968 bis 1972 entrichteten Beiträge der Klasse 100 gemäß Art. 2 § 49a Abs. 2 Satz 2 AnVNG höhere Beiträge für die weiter zurückliegende Zeit nicht nachentrichtet werden können

Die Klägerin kann ihr Klageziel - die Nachentrichtung höherer Beiträge - auch nicht auf dem Wege über einen Herstellungsanspruch erreichen, wie das LSG ebenfalls zutreffend entschieden hat. Abgesehen von sonstigen Bedenken, kommt ein Herstellungsanspruch hier schon deshalb nicht in Betracht, weil die Beitragsentrichtung, die die Klägerin vorgenommen hat, auf eine Beratung durch einen Rentenberater und nicht auf einen Beratungsfehler der Beklagten zurückzuführen ist.

Allerdings ist die Klägerin durch die Beklagte anscheinend nicht ausreichend beraten worden. Der Senat hat bereits in mehreren Entscheidungen (u.a. BSGE 49, 76, 81; BSG, Urteil vom 22. Februar 1980 - 12 RK 12/79 -) darauf hingewiesen, daß die Beratungspflicht des Versicherungsträgers ein wesentlicher Bestandteil des Systems sozialer Sicherung ist, weil andernfalls bei der Kompliziertheit der Rechtsmaterie eine dem Gesetzeszweck entsprechende Anwendung sozialrechtlicher Bestimmungen nicht erreicht werden kann. Daraus folgt die Pflicht des Versicherungsträgers zu einer umfassenden individuellen Beratung; das gilt jedenfalls dann, wenn der Versicherte sich mit der Bitte um Beratung an den Versicherungsträger wendet. Dies ist jetzt in § 14 SGB I auch gesetzlich klargestellt worden (siehe zu der Pflicht zur umfassenden individuellen Beratung auch: Koch / Hartmann / Casselmann, Die Rentenversicherung im SGB, § 14 SGB-AT Anm. 11 ff.; Burdenski / v. Maydell / Schellhorn, SGB-AT, § 14 Anm. 14 ff.; Verbandskommentar § 14 SGB I, Anm. 3; Grüner SGB § 14 Abschn. II und IV).

Die Beklagte verletzt diese Pflicht zur umfassenden individuellen Beratung, wenn sie durch ihre Bediensteten Ratsuchende anläßlich einer mündlichen Vorsprache mit ihren Fragen an Rentenberater verweist; denn eine Behörde kann sich ihrer eigenen Beratungspflicht grundsätzlich nicht dadurch entziehen, daß sie andere Möglichkeiten der Raterteilung benennt, zumal wenn diese mit Kosten verbunden sind. Hierdurch würden diejenigen, die die anfallenden Kosten nicht aufbringen können oder die keinen ausreichenden Zugang zu solchen anderen Beratungsmöglichkeiten haben, von der notwendigen Raterteilung ausgeschlossen.

Das gilt grundsätzlich auch in Fällen, in denen das Anliegen der Ratsuchenden im Rahmen einer ersten mündlichen Beratung nicht zu klären ist oder zuviel Zeitaufwand erfordern würde. In diesen Fällen sind die Bediensteten der Beklagten in der Regel verpflichtet, auf die Möglichkeit einer schriftlichen Anfrage zu verweisen oder aber einen neuen Beratungstermin zu vereinbaren, für den dann ausreichende Zeit zur Verfügung gehalten wird; in der Zwischenzeit werden sie im allgemeinen die Möglichkeit haben, eine Klärung der Fragen herbeizuführen. Dabei kann hier offen bleiben, inwieweit die Beklagte zu „Optimierungsberechnungen“ verpflichtet ist (vgl. dazu BSG, Urteile vom 11. September 1980 - 1 RA 43/79 - und vom 12. November 1980 - 1 RA 45/79 -); denn darum ging es im vorliegenden Fall nicht. Die Klägerin gründet ihren Herstellungsanspruch lediglich darauf, daß sie nicht darauf hingewiesen worden sei, daß sie mit Beiträgen der niedrigsten Klasse den bisher erreichten „Standard“ (ihrer persönlichen Rentenbemessungsgrundlage) nicht aufrechterhalten könne.

Die rechtswidrige Verweigerung einer ausreichenden Beratung durch die Beklagte hat sich im vorliegenden Fall jedoch nicht ausgewirkt (wobei dahinstehen kann, ob es für den Herstellungsanspruch auf eine adäquate Verursachung im Sinne des zivilrechtlichen Schadenersatzrechts ankommt oder darauf, daß das Verhalten der Beklagten nach der im Sozialrecht herrschenden Kausalitätstheorie die wesentliche Ursache war); denn hier hat die Klägerin nach der Weigerung des Bediensteten der Beklagten fachkundigen Rat durch einen Rentenberater bekommen. Sucht der Versicherte einen solchen Rentenberater auf und erteilt dieser den erbetenen Rat, so hat der Versicherte auf andere Weise die verweigerte Beratung erhalten (vgl. dazu Urteil des Senats vom 11. Juni 1980 - 12 RK 60/79 -). Der Senat braucht hier nicht zu entscheiden, ob dieser Umstand die Beklagte auch dann entlastet, wenn der Versicherte an einen unzureichend vorgebildeten Berater gelangt und von diesem einen für seine Situation völlig ungeeigneten Rat erhält. Ein solcher Fall liegt hier jedenfalls nicht vor; denn der Rat, noch 1972 möglichst viele Beiträge der niedrigsten Klasse zu entrichten, war keineswegs völlig unverständig. Zwar mag er letztlich dazu geführt haben, daß der Endbetrag der Rente nicht erhöht, vielleicht sogar verringert wurde; er hatte auch zur Folge, daß die Möglichkeit der Nachentrichtung für weiter zurückliegende Zeiten auf die niedrigste Beitragsklasse beschränkt wurde. Andererseits hatte der Vorschlag immerhin den Vorteil, daß die Klägerin auf diese Weise mit einem relativ geringen finanziellen Aufwand erreichen konnte, daß sie zu einem wesentlich früheren Zeitpunkt - mit der Vollendung des 63. Lebensjahres - Altersruhegeld erhielt. Dabei kann offenbleiben, ob diese Gestaltung ihren damaligen Vorstellungen und ihrer damaligen finanziellen Situation wirklich entsprach. Sollte dies nicht der Fall gewesen sein, liegt allenfalls ein Beratungsfehler des Rentenberaters vor, für den dieser selbst einzustehen hat, den mithin die Beklagte nicht einmal „adäquat“ verursacht hat.

Die Beklagte könnte wegen der verweigerten Beratung höchstens insoweit in Anspruch genommen werden, als der Klägerin unnötigerweise Kosten für die Rentenberatung entstanden sind. Hierbei handelt es sich aber um einen Schadenersatzanspruch in Geld, der nicht vor den Sozialgerichten geltend gemacht werden kann. Hierfür sind vielmehr die Zivilgerichte ausschließlich zuständig (§ 40 Abs. 2 der Verwaltungsgerichtsordnung, vgl. auch § 71 Abs. 2 Nr. 2 des Gerichtsverfassungsgesetzes). Die Revision konnte deshalb keinen Erfolg haben.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

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