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4 RJ 35/76

Aus den Gründen

Die 1929 geborene Klägerin bezog seit 1964 eine Zeitrente wegen Berufsunfähigkeit. Die Beklagte gewährte die Berufsunfähigkeitsrente ab April 1968 ohne zeitliche Begrenzung; Erwerbsunfähigkeit wurde verneint. Bei der von der Beklagten veranlaßten Nachuntersuchung 1970 meinte der Prüfarzt der Beklagten, medizinisch sei auch Erwerbsunfähigkeit vorhanden. Bei der Nachuntersuchung 1972 bezeichnete der Prüfarzt die Klägerin als weiterhin erwerbsunfähig; dies gelte für die Zeit ab September 1970. Darauf gab die Beklagte der Klägerin im Oktober 1972 anheim, die Umwandlung der Berufsunfähigkeitsrente in Erwerbsunfähigkeitsrente zu beantragen. Dies tat die Klägerin. Die Beklagte wandelte die Berufsunfähigkeitsrente ab 01.10.1972 in Rente wegen Erwerbsunfähigkeit um. Im anschließenden Streitverfahren verlangte die Klägerin, die Berufsunfähigkeitsrente sei ab 01.10.1970 in eine Rente wegen Erwerbsunfähigkeit umzuwandeln und die Rentenbeträge seien nachzuzahlen, denn die Beklagte hätte sie bereits im September 1970 vom Vorliegen von Erwerbsunfähigkeit nach dem Ergebnis der damaligen Nachuntersuchung verständigen müssen.

Das SG hat die Beklagte antragsgemäß verurteilt. Das LSG hat die Berufung der Beklagten zurückgewiesen.

Die Revision der Beklagten ist nicht begründet.

Der Rechtsweg zu den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit ist gegeben (§§ 51, 52 SGG); denn die Klägerin macht keinen Anspruch auf Ersatz eines Schadens durch eine Geldleistung geltend, sondern begehrt einen Bescheid über die Umwandlung ihrer Berufsunfähigkeitsrente in Erwerbsunfähigkeitsrente vom 01.10.1970 an (vgl SozR 7610 § 242 Nr. 5; Urteil vom 26.10.1976 - 12/7 RAr 78/74 - Breith. 1977, 557).

Das LSG hat ohne Gesetzesverletzung den Rentenumwandlungsantrag der Klägerin so behandelt, als ob er im Oktober 1970 gestellt worden wäre. Diese Rechtsauffassung ist aus dem öffentlich-rechtlichen Versicherungsverhältnis zwischen der Klägerin und der Beklagten herzuleiten. Dafür sind die in derjenigen Zeit geltenden Normen anzuwenden, in der die Beklagte die Klägerin auf die Möglichkeit, einen Rentenumwandlungsantrag mit Aussicht auf Erfolg zu stellen, hätte hinweisen müssen. Dies ist die Zeit zwischen September 1970 und Oktober 1972. Der zu dieser Zeit bestehende § 1324 RVO verpflichtete die Träger der Rentenversicherung lediglich zur allgemeinen Aufklärung der versicherten Bevölkerung und der Rentner über ihre Rechte und Pflichten. Sie verlieh dem einzelnen Versicherten kein subjektives klagbares Recht gegenüber dem Versicherungsträger (SozR 2200 § 1324 Nr. 2 und Urteil vom 28.09.1976 - 3 RK 7/76 - BSGE 42, 224). Infolgedessen kann die Klägerin aus einer Verletzung dieser Vorschrift keine Rechte für sich herleiten. Der Anspruch der Klägerin ist aber in dem zwischen ihr und der Beklagten bestehenden Versicherungsverhältnis begründet. Das Versicherungsverhältnis erschöpft sich nicht darin, daß der Rentenversicherungsträger bei Erfüllung der gesetzlichen Voraussetzungen eines Anspruchs auf Rente durch den Versicherten die begehrte Rente feststellt und gewährt. Es begründet auch Nebenpflichten für beide Seiten. So hat die Rechtsprechung aus dem Versicherungsverhältnis außer der Mitwirkungspflicht des Versicherten eine besondere individuelle Dienstleistungspflicht des Rentenversicherungsträgers zur Auskunft, Beratung und verständnisvollen Förderung des Versicherten entnommen, wenn nach vorangegangenem Verhalten der Beteiligten ein bestimmtes weiteres Verhalten nach Treu und Glauben zu erwarten ist (vgl SozR Nr. 11 zu § 1276 RVO). Der Entscheidung vom 28.09. 1976 - 3 RK 7/76 - liegt ein anderer Sachverhalt zugrunde. In dem Urteil vom 23.03.1977 - 4 RJ 143/76 - handelte es sich um folgendes: Der Versicherungsträger brauchte bei der Auswertung des zur Prüfung der Fortdauer der Berufsunfähigkeit veranlaßten ärztlichen Nachuntersuchungsgutachtens den „Angaben des Untersuchten“ „2 Kinder“ nicht nachzugehen, um festzustellen, ob die Versicherte Anspruch auf Kinderzuschuß habe; er durfte seine Aktendurchsicht bei der auf die Nachuntersuchung zu treffenden Entscheidung auf die für das Weiterbestehen der Berufsunfähigkeit rechtserheblichen Umstände, d.h. die medizinischen Ausführungen, beschränken. Im Falle dieser Entscheidung handelte es sich - anders als im vorliegenden Fall - um eine Angabe, die den Gegenstand des Nachuntersuchungsverfahrens nicht berührte. Dem vorliegenden Sachverhalt kommt das Urteil vom 18.12.1975 - 12 RJ 88/75 (SozR 7610 § 242 Nr. 5) näher. Dort handelte es sich um die Entscheidung des Versicherungsträgers über einen Antrag auf Altersruhegeld. Dabei hat der 12. Senat es nicht genügen lassen, daß die LVA lediglich anhand der nur vorhandenen 171 Monatsbeiträge den Antrag mangels Erfüllung der großen Wartezeit ablehnte. Der Senat hat vielmehr die LVA für verpflichtet angesehen, die Versicherte darauf hinzuweisen, daß sie 9 Monatsbeiträge freiwillig nachentrichten könne, um die große Wartezeit zu erfüllen. Der 12. Senat hat diese Auffassung mit der dem Versicherungsträger aus dem Versicherungsverhältnis obliegenden Dienstleistungspflicht zur Beratung über die bestmögliche Gestaltung des Versicherungsverhältnisses gefolgert. Diese Anforderungen an das Verhalten des Versicherungsträgers gehen über das auf eine konkrete Anfrage oder einen bestimmten Antrag hin vom Versicherungsträger zu Veranlassende hinaus.

Auch in der Entscheidung des erkennenden Senats vom 14.06.1962 (SozR Nr. 3 zu § 1233 RVO) wird vom Versicherungsträger mehr verlangt, als nur über den Rentenantrag anhand der vorhandenen Beiträge zu entscheiden. Der Versicherungsträger wurde für verpflichtet gehalten, den Versicherten auf Gestaltungsmöglichkeiten (Art. 2 § 42 ArVNG) hinzuweisen.

Eine solchermaßen „erweiterte“, aufgrund der konkreten Gestaltung des einzelnen Versicherungsverhältnisses gegebene Betreuungspflicht des Versicherungsträgers ist auch im vorliegenden Fall zu bejahen.

Der Beklagten ist zwar insoweit zuzustimmen, daß sie zu einer individuellen Beratung und Belehrung nur verpflichtet ist, wenn dazu ein konkreter Anlaß gegeben ist. Er braucht aber nicht nur in gezielten Anfragen des Versicherten zu bestehen. Er kann auch im früheren Verhalten des Versicherungsträgers oder des Versicherten liegen. Er kann auch dann vorhanden sein, wenn eine Prüfung des Versicherungsträgers zur Feststellung einer eindeutigen, den Versicherten begünstigenden Rechtslage führt, die der Versicherte nicht kennt und deshalb nicht nutzt. Nach diesen Grundsätzen ist jeweils zu bestimmen, ob der Versicherungsträger dem Versicherten vom versicherungsrechtlich bedeutsamen Ergebnis einer ärztlichen Nachuntersuchung Kenntnis zu geben hat. Im vorliegenden Fall war die Beklagte hierzu veranlaßt.

Es entspricht der Betreuungspflicht, wie sie in der genannten Entscheidung vom 18.12.1975 dargelegt ist, daß die LVA einem Rentner den Erhalt der ihm gesetzlich zustehenden Leistungen ermöglicht, wenn sie im engen Zusammenhang mit dem speziellen Gegenstand des von ihr gerade durchgeführten Verfahrens - Prüfung der Fortdauer der Erwerbsbeschränkung - die medizinischen Voraussetzungen für eine höhere Rente unzweifelhaft feststellt. Sie kann sich nicht darauf berufen, daß sie dieses Verfahren zur Kontrolle der Erwerbsfähigkeit nur eingeleitet habe, um die Rente evtl. zu entziehen. Wenn sie schon eine Nachprüfung der Erwerbsfähigkeit in die Wege leitet, muß sie in Rechnung stellen, daß deren Ergebnis auch zugunsten des Rentners ausfallen kann. Sie muß dies dann dem Versicherten, der sich seinerseits der von ihr veranlaßten Nachuntersuchung zu stellen hat, mitteilen. Allerdings ist sie rechtlich weder berechtigt noch verpflichtet, auf ein solches Ergebnis der Nachuntersuchung die Rente umzuwandeln. Dies kann sie nur auf einen entsprechenden Antrag des Versicherten hin (§ 1290 RVO). In diesem Sinne hat die Beklagte auch nach der Kontrolluntersuchung von 1972 gehandelt. Ein Grund zum Abwarten bestand aber bei dem eindeutigen, von ihr hingenommenen Ergebnis der Nachuntersuchung 1970 nicht.

Wesentlich ist, daß das Vorliegen der medizinischen Voraussetzungen von Erwerbsunfähigkeit nicht von irgendeinem behandelnden oder untersuchenden Arzt, sondern von dem Prüfarzt der Beklagten festgestellt wurde, also von einer dafür zuständigen Stelle des Versicherungsträgers, und daß die Geschäftsführung der LVA der Beurteilung des Prüfarztes den Vermerk „mit Vorschlag des ärztlichen Dienstes einverstanden“ beigefügt hat. Die Beklagte hatte also intern nichts gegen die medizinischen Feststellungen einzuwenden, wenn sie daraus auch nur insoweit Schlußfolgerungen gezogen hat, als sie die Rente wegen Berufsunfähigkeit belassen hat.

Hier kommen noch frühere Vorgänge hinzu: Die Klägerin hatte im Februar 1968 bei der Beklagten die „Weitergewährung der Erwerbsunfähigkeitsrente, zumindest aber der Berufsunfähigkeitsrente über den 31. März 1968 hinaus“ beantragt; die Stadt T. hatte im März 1968 der Beklagten ein ärztliches Zeugnis übersandt und gemeint, es solle auch geprüft werden, ob der Klägerin nicht eine Erwerbsunfähigkeitsrente zustehe. In dem Rentenantragsvordruck vom 29.03.1968, der bei der Stadt T. entgegengenommen wurde, ist als Antrag „Umwandlung der Rente wegen Berufsunfähigkeit in die Rente wegen Erwerbsunfähigkeit“ angegeben. Mit der Verneinung von Erwerbsunfähigkeit in dem darauf ergangenen Bescheid vom 02.08.1968 waren das Schreiben der Stadt T. und der Antrag zwar erledigt; denn die Klägerin hat gegen den Bescheid kein Rechtsmittel eingelegt. Damals konnte aber die Entwicklung der schon festgestellten arteriellen Durchblutungsstörungen noch nicht beurteilt werden, weil die angeratene Operation noch nicht durchgeführt war. Damit war die medizinische Grundlage des Bescheides vom 02.08.1968 mit der Verneinung von Erwerbsunfähigkeit nur eine vorläufige. Nachdem die Operation 1969 vorgenommen und bei der Untersuchung

1970 eine Verschlimmerung infolge zerebraler Durchblutungsstörungen angeführt war, hatte die Beklagte auch im Hinblick darauf, daß zur Zeit des Bescheides vom 02.08.1968 die Auswirkungen der Durchblutungsstörungen auf die Leistungsfähigkeit noch nicht endgültig beurteilt werden konnten, sich im Rahmen ihrer Betreuungspflicht veranlaßt sehen müssen, die Klägerin auf die spätere Beurteilung ihrer Leistungsfähigkeit hinzuweisen.

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