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4 RA 86/88

Tatbestand

Streitig ist, wie sich Zeiten der Kindererziehung, die mit Beitragszeiten zusammenfallen, auf das Altersruhegeld (ARG) auswirken. Die 1926 geborene Klägerin ist Mutter zweier am 7. April 1961 und am 11. Dezember 1965 geborener Kinder. Sie schied mit dem 31. Juli 1962 als Beamtin aus dem Postdienst unter Gewährung einer Abfindung aus. Für die Jahre 1956 bis 1964 entrichtete sie freiwillige Beiträge zur Rentenversicherung der Angestellten nach. Von Januar 1965 bis September 1983 wurden für sie mit Ausnahme der Zeit vom 5. November 1965 bis zum 4. Februar 1966 Pflichtbeiträge zur Angestelltenversicherung geleistet. Anschließend war sie arbeitslos.

Mit dem streitigen Bescheid vom 7. September 1986 gewährte die beklagte Bundesversicherungsanstalt für Angestellte (BfA) der Klägerin ab 1. Oktober 1986 ARG wegen Arbeitslosigkeit (§ 25 Abs. 2 des Angestelltenversicherungsgesetzes - AVG). Hierbei wurden nach § 32a Abs. 5 Satz 2 AVG die Werteinheiten für die mit Kindererziehungszeiten zusammentreffenden Beitragszeiten von Mai 1961 bis April 1962 von (insgesamt) 17,36 auf 75,00 (12 mal 6,25) angehoben. Der Wert für Januar 1966 wurde von 4,85 auf 6,25 erhöht; die Zeit von Februar bis Dezember 1966 ist mit Werteinheiten von monatlich mehr als 6,25 durch Pflichtbeiträge belegt.

Der Widerspruch der Klägerin mit dem Hinweis, die Berechnung der Kindererziehungszeiten entspreche nicht dem Gleichheitssatz, u.a. dürften die freiwilligen Beiträge nicht gekürzt, sondern müßten zumindest als Höherversicherungsbeiträge berücksichtigt werden, wies die Beklagte zurück (Widerspruchsbescheid vom 17. Februar 1987).

Die Klage, mit der die Klägerin sinngemäß beantragt hat, die Kindererziehungszeiten von Mai 1961 bis April 1962 sowie von Januar bis Dezember 1966 mit 75 v.H. des durchschnittlichen Bruttoarbeitsentgelts aller Versicherten zu berücksichtigen und die für diese Zeiten entrichteten freiwilligen bzw. Pflichtbeiträge als Höherversicherungsbeiträge zu bewerten, hilfsweise zu erstatten, ist in beiden Vorinstanzen erfolglos geblieben (Urteile des Sozialgerichts Lübeck - SG - vom 16. Februar 1988 und des Schleswig-Holsteinischen Landessozialgerichts - LSG - vom 20. Juli 1988). Das LSG hat in seiner angefochtenen Entscheidung ausgeführt: Die Ansicht der Klägerin, die das Rechenwerk der Beklagten für an sich richtig halte, aber meine, der in § 32a Abs. 5 AVG zum Ausdruck gebrachte Vorrang von Beitragszeiten benachteilige sie und verstoße gegen das Gleichbehandlungsgebot des Art. 3 des Grundgesetzes (GG), sei unzutreffend. Die Bewertung von Kindererziehungszeiten sei als Beitrag zum Familienlastenausgleich gedacht und werde von der Bundesrepublik Deutschland getragen. Das Gesetz verfolge somit sozialpolitische Ziele. Zwar sei auch eine Lösung, wie sie die Klägerin erstrebe, denkbar. Der Gesetzgeber habe sich jedoch im Rahmen seines ihm eingeräumten Ermessens gehalten, wenn er keine zusätzliche Anrechnung der Kindererziehungszeiten eingeführt, sondern sich auf die Verdrängung bzw. Aufstockung beschränkt habe. Damit sei weder eine willkürliche Regelung getroffen noch in eine Rechtsposition der Klägerin eingegriffen worden. Es bestehe auch kein Anspruch auf Höherversicherung oder Beitragserstattung, weil die Vorschriften über diese beiden Rechtsinstitute unverändert geblieben seien.

Mit der - vom LSG zugelassenen - Revision rügt die Klägerin Verletzung materiellen Rechts. In § 32a Abs. 5 AVG seien keine freiwilligen Beiträge, sondern nur Pflichtbeitragszeiten gemeint. Freiwillige Beiträge dürften den Anrechnungswert von 6,25 für eine Kindererziehungszeit nicht mindern. Dasselbe gelte, wenn sie unnütz seien. Den Kindererziehungszeiten sei eine Eigentumsposition i.S. des Art. 14 Abs. 1 GG eingeräumt; würden auf sie freiwillige Beiträge angerechnet, seien Art. 14 Abs. 1 GG sowie der Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG verletzt. Auch die Anrechnung der Pflichtbeiträge auf die Kindererziehungszeiten verstoße gegen Art. 3 und 14 GG. Entgegen der Ansicht des LSG greife der Gesetzgeber durch die bloße Anhebung auf den Wert 6,25 in geschützte Rechtspositionen der Klägerin ein. Zwar entfielen die während Kindererziehungszeiten geleisteten Pflichtbeiträge nicht nach mathematischen Grundsätzen, im Ergebnis aber materiell-rechtlich.

Die Klägerin beantragt,

  • „unter Abänderung des Urteils des Schleswig-Holsteinischen Landessozialgerichts und des Sozialgerichts Lübeck die Beklagte zu verurteilen,
1.

zum 30.04.1962 mit 75 v.H. des durchschnittlichen Erwerbseinkommens aller Versicherten zu berücksichtigen und die entrichteten freiwilligen Beiträge in vollem Umfange,

hilfsweise als Höherversicherungsbeiträge anzurechnen,

ganz hilfsweise, die freiwilligen Beiträge nebst Zinsen zu erstatten,

2.

den 31.12.1966 mit 75 v.H. des durchschnittlichen Erwerbseinkommens aller Versicherten zu berücksichtigen und die entrichteten Pflichtbeiträge in vollem Umfang zusätzlich anzurechnen,

hilfsweise als Höherversicherungsbeiträge zu berücksichtigen,

ganz hilfsweise, die Beiträge nebst Zinsen zu erstatten“.

Die Beklagte beantragt,

  • die Revision zurückzuweisen.

Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend und trägt vor, es gebe keinen Grundsatz, wonach sich die mit einer beitragslosen Zeit zusammenfallende Beitragszeit immer günstiger auswirken müsse als die beitragslose Zeit allein.

Beide Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt (§ 124 Abs. 2 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG).

Entscheidungsgründe

Die zulässige Revision ist unbegründet. Die Klägerin, deren Revisionsantrag zwar nicht ausdrücklich auch auf Änderung des ARG-Bescheides vom 4. September 1986 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 17. Februar 1987 gerichtet ist, im Hinblick auf das prozessuale Begehren und die zutreffende, vollständige Formulierung in der Berufungsinstanz aber als kombinierte Anfechtungs- und (unechte) Leistungsklage i.S. von § 54 Abs. 4 SGG aufzufassen ist (vgl. § 123 SGG), hat keinen Anspruch auf höheres ARG. Sie kann nicht verlangen, daß die Werte aus Kindererziehungszeiten und gleichzeitigen freiwilligen oder Pflichtbeiträgen kumulativ berücksichtigt werden.

Nach § 28a AVG i.d.F. des Hinterbliebenenrenten- und Erziehungszeiten-Gesetzes (HEZG) vom 11. Juli 1985 (BGBl I S 1450) werden für die Erfüllung der Wartezeit Müttern und Vätern, die nach dem 31. Dezember 1920 geboren sind, Zeiten der Kindererziehung vor dem 1. Januar 1986 in den ersten zwölf Kalendermonaten nach Ablauf des Monats der Geburt des Kindes angerechnet, wenn sie ihr Kind im Geltungsbereich dieses Gesetzes oder in dem jeweiligen Geltungsbereich der Reichsversicherungsgesetze erzogen und sich mit ihm dort gewöhnlich aufgehalten haben. Diese Voraussetzungen liegen bei der Klägerin vor.

Die Bewertung anrechenbarer Kindererziehungszeiten vor dem 1. Januar 1986, die Versicherungszeiten eigener Art. sind (§ 27 Abs. 1 Buchst. c AVG), richtet sich - unabhängig davon, ob oder in welchem Umfang sie auf die Wartezeit anrechenbar sind - nach § 32a Abs. 5 AVG. Hiernach ist für Kindererziehungszeiten, die nicht mit bewerteten Beitrags-, Ersatz-, Ausfall- oder Zurechnungszeiten zusammentreffen, der Wert 6,25 zugrunde zu legen (Satz 1). Die Werte für Beitrags-, Ersatz-, Ausfall- und Zurechnungszeiten, die mit Zeiten der Kindererziehung vor dem 1. Januar 1986 zusammentreffen, sind auf den Wert 6,25 anzuheben (Satz 2). Das bedeutet zum einen, daß vorrangig die anderen Zeiten bewertet und gegebenenfalls auf 6,25 angehoben werden, und zum anderen, daß, wenn die primär bewerteten Zeiten bereits mindestens den Wert 6,25 je Monat erreicht haben, eine weitere Berücksichtigung der Kindererziehungszeiten ausgeschlossen ist. Kindererziehungszeiten sind also nur subsidiär im Sinne einer Auffüllung der Rentenanwartschaft anzurechnen, wenn die Versicherungsbiographie in der Zeit der Kindererziehung während des ersten Lebensjahres des Kindes bis zum Wert 6,25 je Monat eine Lücke aufweist.

Die Beklagte hat diese Vorschrift zutreffend angewendet und das Altersruhegeld der Klägerin richtig berechnet. Entgegen der Auffassung der Klägerin sind Beitragszeiten i.S. des § 32a Abs. 5 AVG auch freiwillige Beitragszeiten (so auch Kaltenbach / Clausing, Das neue Rentenrecht 1986, Teil B, 2. Kap., IX 2, S 121; Finke, Erziehungszeiten in der gesetzlichen Rentenversicherung, herausgegeben von der BfA, 1. Aufl., S 124; Dederer / Krusemark, Berücksichtigung von Kindererziehungszeiten in der gesetzlichen Rentenversicherung, DRV 1985, 524, 544; Sauer, Beispiele für die Auswirkungen von Zeiten der Kindererziehung auf die Rente, Mitteilungen der LVA Oberfranken und Mittelfranken 1988, 165, 170; a.A. König, Kindererziehungszeiten und freiwillige Beitragsleistung, SGb 1988, 147 ff.). Das ergibt sich schon aus dem nicht auf Pflichtbeitragszeiten beschränkten Wortlaut, erst recht aber aus Systematik und Zweck des Gesetzes. Im einzelnen hat der Senat bereits in einem in wesentlichen Punkten gleichliegenden Fall durch Urteil vom 1. September 1987 - 4/11a RA 59/87 - seine Auffassung dargelegt:

Zwar läßt auch § 32 Abs. 6a AVG, der die Bewertung der als Pflichtversicherung ausgestalteten Kindererziehungszeiten nach dem 1. Januar 1986 (§ 2a AVG) regelt, Zeiten der Kindererziehung u.a. hinter „Beitragszeiten“ zurücktreten. Auch können hier mit „Beitragszeiten“ wegen der Unzulässigkeit der Entrichtung freiwilliger Beiträge neben einer Pflichtversicherung (§ 10 AVG) nur Pflichtbeiträge gemeint sein. Diese systematische Einschränkung entfällt aber bei § 32a Abs. 5 AVG. Durch die rückwirkende Anerkennung von Kindererziehungszeiten vor dem 1. Januar 1986 als Versicherungszeiten eigener Art sollte gerade die Berechtigung zur freiwilligen Versicherung nicht nachträglich entzogen werden (BT-Drucks. 10/2677, S. 31 = BR-Drucks. 500/84, S 31). Daher bleiben die mit den Kindererziehungszeiten zusammentreffenden freiwilligen Beiträge wirksam entrichtet (§ 27 Abs. 1 Buchst. a AVG) und nehmen an der Rentenberechnung ebenso vorrangig teil wie Pflichtbeiträge (§ 32 Abs. 1 i.V.m. Abs. 5 AVG). Etwas anderes gilt lediglich für das - hier nicht in Betracht kommende - Zusammentreffen von Kindererziehungszeiten mit freiwilligen Beiträgen ab 1. Januar 1979, soweit diese gemäß § 32b Abs. 2 AVG als Beiträge der Höherversicherung gelten, nach § 38 AVG durch nicht dynamisierbare Steigerungsbeträge abzugelten sind und daher nicht an der Ermittlung der für den Versicherten maßgebenden Rentenbemessungsgrundlage nach § 32 AVG teilnehmen.

Die Vorrangigkeit freiwilliger Beiträge folgt schließlich auch aus dem Zweck des Gesetzes. Dessen Regelungskonzept wird bei einem Vergleich der §§ 2a, 28a AVG deutlich. Für nach dem 31. Dezember 1985 eintretende Versicherungsfälle wird der Nachteil beim Aufbau einer Rentenanwartschaft, den die Beanspruchung durch Kindererziehung typischerweise bewirkt, auf zwei Wegen ausgeglichen: Zeiten der Erziehung ab 1. Januar 1986 werden der Pflichtversicherung nach § 2a AVG unterstellt und damit zu Beitragszeiten (§ 112 Abs. 3 Buchst. g und Abs. 6, eingefügt durch Art. 2 Nr. 35 HEZG), solche vor 1986 als Versicherungszeiten eigener Art i.S. von § 27 Abs. 1 Buchst. c AVG auf die Wartezeit angerechnet (§ 28a AVG). Für den Ausgleich allein entscheidend ist, ob während der auf die Wartezeit anzurechnenden (§ 27 Abs. 1 Buchst. a und c AVG) Zeit der Kindererziehung Beitrags-, Ersatz-, Ausfall-, oder Zurechnungszeiten zumindest in Höhe des Wertes zurückgelegt worden sind, der einem Bruttoarbeitsentgelt von 75 v.H. des durchschnittlichen Bruttoarbeitsentgeltes aller rentenversicherten Arbeitnehmer entspricht (§§ 32 Abs. 6a, 32a Abs. 5 AVG). Nur wenn und soweit dieser Wert durch Pflichtbeiträge nicht erreicht und die Differenz auch durch freiwillige Beiträge (§ 32a Abs. 5 AVG) oder bewertete beitragslose Zeiten nicht behoben worden ist, liegt der nach dem Plan des Gesetzes auszugleichende - erziehungsbedingte - Nachteil im Rentenversicherungsschutz vor (Urteil des erkennenden Senats vom 12. Juli 1988 - 4/11a RA 36/87 -). Kindererziehungszeiten sollen nicht generell mit einem bestimmten Wert in die Rentenberechnung einfließen (so lediglich der nicht Gesetz gewordene Entwurf eines Rentenreformgesetzes 1985 der Fraktion der SPD, BT-Drucks. 10/2608 S. 18 und 20 und Bericht des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung, BT-Drucks. 10/3519, S. 4 und 12), sondern nur soweit ein entsprechender Bedarf in der sozialen Absicherung vorhanden ist. Die Nichtberücksichtigung des vollen Wertes für Kindererziehungszeiten kumulativ neben dem Wert der freiwilligen Beiträge entspricht somit dem Plan des Gesetzes. Für eine teleologische Reduktion des § 32a Abs. 5 AVG ist daher kein Raum.

Verfassungsrechtliche Bedenken gegen diese Regelung, die den Senat zwängen, das Verfahren auszusetzen und die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts einzuholen (Art. 100 Abs. 1 Satz 1 GG), bestehen nicht.

Fraglich könnte zwar sein, ob sich die Gesetzgebungskompetenz des Bundes aus Art. 74 Nr. 12 GG (Sozialversicherung) ergibt (kritisch von Einem, Die Verfassungswidrigkeit des Ausschlusses bestimmter Personen vom Erwerb von Kindererziehungszeiten, Amtliche Mitteilungen der LVA Rheinprovinz 1988, 431, 432). Gewisse Zweifel hieran könnten sich - trotz der Abwicklung der Leistung über einen sozialversicherungsrechtlichen Selbstverwaltungsträger (vgl. BVerfGE 11, 105, 113) - zwar allenfalls daraus ergeben, daß die Aufwendungen aus der Anrechnung von Zeiten der Kindererziehung (§ 28a AVG) ausschließlich aus Mitteln der Allgemeinheit finanziert werden (§ 117c AVG), während der Bund sonst nur allgemeine Deckungszuschüsse zur Rentenversicherung leistet (Art. 120 Abs. 1 Satz 4 GG, § 116 AVG). Dies bedarf hier jedoch keiner Vertiefung. Denn die Kompetenz des Bundesgesetzgebers ergibt sich jedenfalls aus Art. 74 Nr. 7 GG (öffentliche Fürsorge). Bei der Anrechnung der Zeiten der Kindererziehung (§ 28a AVG) handelt es sich, wenn nicht - was jedoch nahe liegt - um eine rentenversicherungsrechtliche, dann jedoch unzweifelhaft um eine Regelung des Familienlastenausgleichs (BT-Drucks. 10/2677 S. 30 und 31). Dieser ist im Wege der erweiternden Auslegung dem Begriff der öffentlichen Fürsorge i.S. des Art. 74 Nr. 7 GG zuzuordnen (Krause, Sozialgesetze, 3. Aufl. 1987 S. 25; Maunz in Maunz/Dürig/Herzog, Grundgesetz, Kommentar, Stand 1987, Art. 74 RdNr. 113 m.w.N.).

§ 32a Abs. 5 AVG (i.V.m. § 35 Abs. 1 AVG) verstößt nicht gegen den Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG. Ausschließliches materielles Differenzierungskriterium für die volle oder teilweise Anrechnung oder Nichtberücksichtigung von Zeiten der Kindererziehung (§ 27 Abs. 1 Buchst. c AVG) ist, ob der erziehende Elternteil während des ersten Lebensjahres nach der Geburt des Kindes Lücken im Aufbau einer Rentenanwartschaft bis zur Obergrenze des Wertes von 6,25 hat, der einem erzielten Arbeitsentgelt in Höhe von 75 v.H. des durchschnittlichen Bruttoarbeitsentgeltes aller rentenversicherten Arbeitnehmer entspricht. Dieses Unterscheidungskriterium ist nicht willkürlich i.S. von Art. 3 Abs. 1 GG. Die Vorschrift verbietet es, eine Gruppe im Vergleich zu anderen Normadressaten anders zu behandeln, obwohl zwischen diesen Gruppen keine Unterschiede von solcher Art und solchem Gewicht bestehen, daß sie die ungleiche Behandlung rechtfertigen könnten (BVerfG in st Rspr, E 65, 104, 112 m.w.N.). Dem Gesetzgeber wird damit eine objektiv willkürliche Ungleichbehandlung des - trotz gewisser Verschiedenheiten - in den wesentlichen Punkten Gleichen untersagt. Welche Sachverhaltselemente so wichtig sind, daß ihre Verschiedenheit eine Ungleichbehandlung rechtfertigt, hat regelmäßig der Gesetzgeber zu entscheiden. Er kann grundsätzlich die Sachverhalte auswählen, an die er dieselbe Rechtsfolge knüpfen, die er also im Rechtssinne als „gleich“ ansehen will. Sein Spielraum endet erst dort, wo die ungleiche Behandlung der geregelten Sachverhalte evidentermaßen nicht mehr mit einer am Gerechtigkeitsgedanken orientierten sachgerechten Betrachtungsweise vereinbar ist, wo also ein einleuchtender Grund für die Differenzierung fehlt (BVerfG in st. Rspr., E 9, 334, 337; 71, 39, 58; 71, 255, 271). Wenn fraglich ist, ob ein Sachverhalt zu Recht oder willkürlich zu Unrecht gleich oder ungleich geregelt worden ist, kommt es darauf an, welche Aufgabe dem Gesetz gestellt war und welcher rechtlichen Mittel es sich bei ihrer Lösung bedient hat (BVerfGE 9, 291, 294; 19, 119, 125). Dabei sind die sozialpolitischen Entscheidungen des Gesetzgebers hinzunehmen, solange seine Erwägungen weder offensichtlich fehlsam noch mit der Wertordnung des Grundgesetzes unvereinbar sind (BVerfGE 14, 288, 301).

Ziel der Anrechnung von Zeiten der Kindererziehung ist, wie oben ausgeführt, eine individuelle Einbuße beim Erwerb von Anwartschaften in der gesetzlichen Rentenversicherung während der Erziehung eines Kindes im ersten Lebensjahr bis zu einer bestimmten Obergrenze auszugleichen. Die mit der Kindererziehung erbrachte Leistung soll insoweit honoriert werden, indem die dadurch möglicherweise entgangenen Rentenanwartschaften in der gesetzlichen Rentenversicherung pauschal ausgeglichen werden. Dieser Gesetzeszweck ist nicht verfassungswidrig (Urteil des erkennenden Senats vom 12. Juli 1988 - 4/11a RA 36/87 -). In diesem Zusammenhang kommt es nicht darauf an, daß nach den Ausführungen im Gesetzesentwurf der Bundesregierung die Anrechnung von Kindererziehungszeiten einen entscheidenden Beitrag leisten sollte zur „Anerkennung der Erziehungstätigkeit in ihrer Bedeutung für die Allgemeinheit“, zu einer „Gleichbewertung der Tätigkeit in der Familie und der außerhäuslichen Erwerbstätigkeit“ sowie zu einer „Verbesserung der eigenständigen sozialen Sicherung der Frau“ (BT-Drucks. 10/2677 S. 28). Diese Zielvorstellungen mögen erhebliche sozial- und familienpolitische Bedeutung haben; sie zwingen aber nicht zur verfassungsrechtlichen Beanstandung einer neuartigen Regelung, welche sie erst ansatzweise verwirklicht (vgl. BVerfGE 65, 104, 115).

Die gesetzliche Abgrenzung des Kreises der Personen, der - vom Gesetz vermutet - infolge der Erziehung eines Kindes Lücken im Versicherungsschutz aufweist (vgl. das oben genannte materielle Differenzierungskriterium), ist ebenfalls nicht evident unsachlich. Grundsätzlich hat der Gesetzgeber bei gewährender Staatstätigkeit eine besonders weitgehende Gestaltungsfreiheit, wenn es sich um Leistungen aus sozialpolitischen Motiven handelt, mit denen erstmalig ein bestimmter Zustand verbessert werden soll. Bei derartigen „Innovationen“, die bisher kein Vorbild in der Gesetzgebung haben, steht es dem Gesetzgeber frei zu bestimmen, ob, ab wann, in welcher Höhe und gegenüber welchem Personenkreis er mit der beabsichtigten Verbesserung beginnen will (BVerfGE 39, 148, 153). Dabei ist es nicht willkürlich, wenn auch aus finanziellen Erwägungen im Blick auf die Finanzlage des Bundes (vgl. Bericht des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung, BT-Drucks. 10/3519 S 11) nicht allen erziehenden Elternteilen Kindererziehungszeiten wertmäßig gleichermaßen angerechnet werden, sondern diejenigen Erziehungspersonen nicht in gleicher Höhe begünstigt werden, bei denen das Schutzbedürfnis, dem die neue Regelung Rechnung tragen will, nicht oder nicht in gleichem Umfang besteht und deren rentenversicherungsrechtliche Sicherung auch ohne zusätzliche staatliche Maßnahmen gewährleistet ist (vgl. BVerfGE 22, 100, 103). Bei der Ordnung von Massenerscheinungen, wie sie die gesetzliche Rentenversicherung enthält, sind derart typisierende Regelungen notwendig und grundsätzlich verfassungsrechtlich unbedenklich (BVerfG in st. Rspr., E 17, 1, 23; 71, 146, 157).

Vorliegend sind die Grenzen zulässiger Typisierung nicht überschritten. Das gewählte Abgrenzungskriterium ist geeignet, den nach dem Zweck des Gesetzes auszugleichenden Bedarf hinreichend genau zu bestimmen; denn dadurch wird eine Ausgrenzung der Erziehungspersonen erreicht, die eine ausgleichsbedürftige Einbuße im Versicherungsschutz infolge Kindererziehung nicht erlitten haben. Die Abgrenzung fügt sich sachlich vertretbar in das System der gesetzlichen Rentenversicherung ein, das auf den Grundprinzipien versicherungsmäßiger Eigenvorsorge für die Risiken Invalidität, Alter und Tod (Risikoausgleich durch Zusammenschluß und Beitragsleistung gleichartig Bedrohter) und des sozialen Ausgleichs innerhalb der Versichertengemeinschaft sowie zwischen ihr und dem Staat beruht (vgl. Wannagat, Lehrbuch des Sozialversicherungsrechts, I. Band 1965, S. 1 ff., 31 ff.; Bley, Sozialrecht, 5. Aufl. 1986, S. 27 ff., jeweils m.w.N.). Wenn der Versicherte an einer derartigen Vorsorge durch eigene Beitragsleistung aus von ihm nicht zu vertretenden, teils im Verantwortungsbereich der Allgemeinheit, teils in der persönlichen Sphäre liegenden Umständen gehindert ist, wird die Lücke im Versicherungsschutz nach den Regeln des sozialen Ausgleichs durch die Anerkennung von Ersatz-, Ausfall- und Zurechnungszeiten und deren rentensteigernde Bewertung (§§ 32a, 35 AVG) geschlossen. Eine gleichgeartete, aber subsidiäre Regelung ist nunmehr auch für die Zeiten der Kindererziehung vor dem 1. Januar 1986 getroffen worden, weil Kindererziehung nicht nur im privaten Interesse erfolgt, sondern auch von wesentlicher Bedeutung für die Allgemeinheit, insbesondere für die Versichertengemeinschaft ist (sog Drei-Generationen-Vertrag), aber zu Einbußen beim Aufbau von Rentenanwartschaften - insbesondere bei Frauen - geführt haben kann. Insoweit bestand im Rentenversicherungssystem bislang eine Regelungslücke.

Die gesetzliche Obergrenze des Ausgleichs (bis 6,25) ist ebenfalls nicht offensichtlich fehlerhaft gewählt. Dadurch wird typisierend eine wertmäßige Gleichstellung von Erwerbstätigkeit und Kindererziehung auf dem Niveau der Durchschnittsverdienste von Frauen (Gutachten der Sachverständigenkommission für die soziale Sicherung der Frau und der Hinterbliebenen vom 21. Mai 1979, 3. Teil, D I 6) erreicht. Auch die Rente nach Mindesteinkommen fußt auf dieser Bewertungsgrundlage (Art. 2 § 54b Abs. 1 Satz 1 des Angestelltenversicherungs-Neuregelungsgesetzes - AnVNG). Hierbei ist als nicht evident sachfremd in Kauf zu nehmen, daß Elternteilen mit höher bewerteten Zeiten kein Ausgleich von Lücken der Rentenbiographie infolge Kindererziehung zuteil wird. Denn bei der rentensteigernden Anrechnung von Kindererziehungszeiten (§ 28a AVG) handelt es sich um eine Maßnahme des sozialen Ausgleichs, nicht um eine beitragsfinanzierte versicherungsmäßige Leistung (vgl. Gutachten der Sachverständigenkommission a.a.O.).

Der Auffassung der Klägerin, der im Recht der Rentenversicherung vorgesehene Ausgleich sei im Blick auf den verfassungsrechtlich legitimierten Grundsatz des Familienlastenausgleichs nicht folgerichtig (so auch von Einem a.a.O.), kann nicht gefolgt werden. Beim Familienlastenausgleich handelt es sich nicht um ein geschlossenes, abgegrenztes Rechtssystem. Es liegt im Ermessen des Gesetzgebers, diesen Ausgleich durch unterschiedliche Vergünstigungen in verschiedenen Gesetzen herbeizuführen (BVerfGE 11, 105, 117; Peters, SGB AT Stand: 1. August 1986, § 6 Anm. 2). Gründe der Systemgerechtigkeit legen es vielmehr nahe, erziehungsbedingte Nachteile in der Sicherung gegen Invalidität, Alter und Tod durch Anerkennung und Anrechnung von Kindererziehungszeiten in der gesetzlichen Rentenversicherung auszugleichen (vgl. hierzu im einzelnen von Maydell, Der Ausschluß älterer Frauen bei der Berücksichtigung von Kindererziehungszeiten in der gesetzlichen Rentenversicherung nach dem HEZG - verfassungsrechtliche Bewertung - in: DB 1987, Beilage Nr. 5 S. 2, 3 m.w.N.).

Die Eigentumsgarantie (Art. 14 Abs. 1 Satz 1 Regelung 1 GG) ist ebenfalls nicht verletzt. Als Grundrecht ist diese Norm Prüfungsmaßstab, soweit es um die Beeinträchtigung von Rentenanwartschaften oder -ansprüchen geht (BVerfGE 53, 257, 289 f; 58, 81, 109; 69, 72, 298). Die zur Prüfung gestellten Normen haben jedoch die Rentenanwartschaft der Klägerin nicht beeinträchtigt. Sie haben weder nachträglich an die freiwilligen Beitragsleistungen der Klägerin eine ungünstigere Folge geknüpft noch eine im früheren Recht erworbene Rechtsfolge der Beitragszahlungen beseitigt. Ob den Zeiten der Kindererziehung vor dem 1. Januar 1986 (§ 28a AVG) der Eigentumsschutz des Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG unabhängig von eigenen Beitragsleistungen des Versicherten zukommen kann (bejahend König a.a.O. S 148; Michaelis/Knaut, Verfassungsrechtlicher Eigentumsschutz in der Rentenversicherung, DAngVers 1988, 218, 220) ist zumindest fraglich. Die grundrechtliche Eigentumsgarantie beruht nämlich im wesentlichen darauf, daß der in Betracht kommenden Rechtsposition eine nicht unerhebliche, in der Regel vermögenswerte Eigenleistung des Versicherten zugrundeliegt, die vor allem in einkommensbezogenen Beitragsleistungen Ausdruck findet. Ihr unterliegen nicht solche Ansprüche auf Sozialleistungen, die ausschließlich auf staatlicher Gewährung beruhen (BVerfGE 53, 257, 291 f; 58, 81, 112; 69, 272, 301). Wenn der Gesetzgeber versucht, die mit der Kindererziehung häufig verbundene Einbuße beim Aufbau von Rentenanwartschaften durch Anrechnung von Kindererziehungszeiten auszugleichen, ist dies ein Akt sozialen Ausgleichs. Die nur mittelbaren Auswirkungen der Kindererziehung auf die Rentenversicherung (Aufrechterhaltung der Dreidimensionalität des Generationenvertrages, vgl. König a.a.O. S 148 m.w.N.; von Maydell a.a.O. S 2 m.w.N.) sind kein Beitragsäquivalent. Ein eigenes Beitragsopfer der Klägerin zugunsten der Rentenversicherung liegt insoweit nicht vor.

Letztlich kann diese Frage jedoch offenbleiben. Durch die rückwirkende Anerkennung und Bewertung von Kindererziehungszeiten vor dem 1. Januar 1986 wird nämlich nicht in eine bereits erworbene individuelle Rechtsposition oder in die Institutsgarantie des Eigentums belastend eingegriffen; vielmehr liegt eine eigentumsrechtlich unbedenkliche, ausschließlich begünstigende Inhaltsregelung i.S. von Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG vor. Auch im Fall der Klägerin hat sie sich nur begünstigend auf ihre eigentumsrechtlich geschützte Rentenanwartschaft ausgewirkt.

Anhaltspunkte für eine Verletzung des Sozialstaatsprinzips (Art. 20 Abs. 1 GG) liegen nicht vor. Auf sozialrechtlichem Gebiet entspricht es dem Sozialstaatlichkeitsgrundsatz, öffentliche Mittel nur dorthin zu lenken, wo im Einzelfall Bedarf besteht. Dabei ist eine Differenzierung nach dem Grad der sozialen Schutzbedürftigkeit zulässig (BVerfGE 17, 1, 11; 23, 135, 145). Hier hat der Gesetzgeber, an den sich das Sozialstaatsgebot in erster Linie richtet, einen besonders weiten Gestaltungsspielraum, dessen Grenzen er schon deswegen nicht überschritten hat, weil er eine ausschließlich begünstigende Regelung getroffen hat.

Die obigen Ausführungen gelten auch und erst recht, soweit es sich um das zeitliche Zusammentreffen von Kindererziehungszeiten und Pflichtbeiträgen (im Falle der Klägerin: Februar bis Dezember 1966) handelt.

Mit ihren Hilfsanträgen konnte die Klägerin schon deshalb nicht durchdringen, weil es insoweit an einer Revisionsbegründung fehlt (§ 164 Abs. 2 Satz 1 SGG; hierzu BSG SozR 1500 § 164 Nr. 20 m.w.N.; a.a.O. Nr. 22).

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.

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