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§ 24 SGB X: Anhörung Beteiligter

Änderungsdienst
veröffentlicht am

02.05.2022

Änderung

Überarbeitung der GRA mit Blick darauf, dass die enthaltenen Ausführungen auch im Zusammenhang mit Ansprüchen auf Übergangsgeld gelten

Dokumentdaten
Stand27.04.2022
Erstellungsgrundlage in der Fassung des 4. Euro - Einführungsgesetzes vom 21.12.2000 in Kraft getreten am 01.01.2002
Rechtsgrundlage

§ 24 SGB X

Version003.00

Inhalt der Regelung

Absatz 1 bestimmt, dass ein Beteiligter zu den für die Entscheidung erheblichen Tatsachen anzuhören ist, bevor ein Verwaltungsakt erlassen wird, der in dessen Rechte eingreift.

Absatz 2 bestimmt, dass in Ausnahmefällen von einer Anhörung abgesehen werden kann.

Ergänzende/korrespondierende Regelungen

Zahlreiche Vorschriften schließen für bestimmte Fallkonstellationen aus, dass § 24 SGB X anzuwenden ist:

  • Bei der Änderung der einem Feststellungsbescheid (§ 149 Abs. 5 SGB VI) zugrunde liegenden Vorschriften, wenn dieser Feststellungsbescheid entweder durch einen neuen Feststellungsbescheid oder im Rentenbescheid - ohne die besonderen Voraussetzungen des § 48 SGB X - aufzuheben ist (§ 149 Abs. 5 S. 2 SGB VI in der Fassung des 1. SGB III-ÄndG).
  • In Fällen der Einkommensanrechnung auf Renten wegen Todes nach § 97 SGB VI befreit § 18e Abs. 6 SGB IV den Rentenversicherungsträger in Übereinstimmung mit der in § 24 Abs. 2 Nr. 5 SGB X getroffenen Regelung von der Pflicht zur Anhörung bei der Berücksichtigung von Einkommensänderungen (§ 18d SGB IV). § 18e Abs. 6 SGB IV verdrängt nicht nur § 24 Abs. 1 SGB X über die Anhörungspflicht, sondern geht in der Anwendung auch Absatz 2 Nummer 5 der Vorschrift vor. Nach dieser Spezialvorschrift können im Rahmen der Anrechnung von Erwerbs- beziehungsweise Erwerbsersatzeinkommen auf eine Rente wegen Todes Einkommensänderungen ohne vorherige Anhörung berücksichtigt werden, auch wenn sich der Rentenzahlbetrag vermindert.
  • In Fällen der Rentenminderung durch den Versorgungsausgleich und der Rückforderung aus diesem Grund überzahlter Rentenbeträge befreit § 101 Abs. 3 S. 2 zweiter Halbs. SGB VI den Rentenversicherungsträger von der Anhörungspflicht nach § 24 SGB X.
  • In Fällen einer Rentenminderung nach einer Abänderungsentscheidung des Familiengerichts zur Anpassung wegen Unterhalt (§ 33 VersAusglG) befreit § 101 Abs. 3a S. 2 zweiter Halbs. SGB VI den Rentenversicherungsträger von der Anhörungspflicht.
  • Nach § 101 Abs. 3b S. 2 SGB VI entfällt eine Anhörung auch:
  • In Fällen der Rentenminderung nach einem Rentensplitting befreit § 101 Abs. 4 S. 2 zweiter Halbs. SGB VI von der Anhörungspflicht nach § 24 SGB X.
  • Bei einer Rentenminderung der Waisenrente nach Wegfall des „Rentnerprivilegs“ für Waisen ist eine Anhörung nicht erforderlich (§ 101 Abs. 5 S. 2 zweiter Halbs. SGB VI).
  • Bei einer Rentenminderung nach dem Wegfall des Rentnerprivilegs oder der Härteregelung bei Unterhalt (§ 5 VAHRG) ist nach § 101 Abs. 3 S. 4 SGB VI in der Fassung bis 31.08.2009 eine rückwirkende Aufhebung des Rentenbescheids ohne Anhörung möglich, wenn aus der Versicherung des anderen (früheren) Ehegatten rückwirkend eine Rente bewilligt beziehungsweise die Rentenbewilligung erst nachträglich bekannt wurde und die Versorgungsausgleichsentscheidung ab dem 30.03.2005 wirksam geworden ist beziehungsweise die Rente der leistungsberechtigten Person ab dem 30.03.2005 begonnen hat (vergleiche GRA zu § 268a SGB VI, Abschnitt 4.6.3.1).
  • Ergibt sich im Zusammenhang mit den Hinzuverdienstregelungen der §§ 34, 96a SGB VI anlässlich einer Prognose, einer Spitzabrechnung oder eines Antrags des Rentenbeziehers eine Änderung, die sich auf den Rentenanspruch auswirkt, sind die bisherigen Rentenbescheide (teilweise) aufzuheben, ohne dass eine Anhörung zu erfolgen hat (§ 34 Abs. 3f S. 3 SGB VI beziehungsweise § 96a Abs. 5 SGB VI in Verbindung mit § 34 Abs. 3f S. 3 SGB VI).
  • Ist anstelle einer Rente eine höhere oder ranghöhere Rente zu zahlen, ist der Bescheid über die niedrigere oder rangniedrigere Rente hinsichtlich des Zahlungsanspruchs nach § 89 Abs. 1 S. 3 SGB VI aufzuheben, ohne dass eine Anhörung zu erfolgen hat (§ 89 Abs. 1 S. 4 SGB VI).
  • In Fällen, in denen von der Krankenkasse rückwirkend eine Pflichtmitgliedschaft festgestellt worden ist, ist der Bescheid über die Bewilligung des Zuschusses zu einer freiwilligen Krankenversicherung regelmäßig vom Beginn der Pflichtmitgliedschaft an nach § 108 Abs. 2 S. 1 SGB VI aufzuheben; die §§ 24, 45 und 48 SGB X sind nicht anzuwenden (vergleiche GRA zu § 108 SGB VI, Abschnitt 2.6).

Anhörungspflicht

Die Anhörung soll die betroffene Person vor „Überraschungsentscheidungen“ schützen, um das Vertrauensverhältnis zur Verwaltung nicht zu beeinträchtigen. Sie ist nach § 24 Abs. 1 SGB X vorgeschrieben, wenn mit einem Verwaltungsakt in bereits bestehende Rechte (vergleiche Abschnitt 2.1) einer beteiligten Person (vergleiche Abschnitt 2.2) eingegriffen werden soll; insoweit besteht ein Rechtsanspruch auf die Anhörung. Der beteiligten Person muss Gelegenheit gegeben werden, sich zu den für die Entscheidung erheblichen Tatsachen zu äußern. Das bedeutet, dass sie über die beabsichtigte Entscheidung ausreichend unterrichtet werden muss, um ihr die Möglichkeit zu geben, durch Gegenvorstellungen die Entscheidung zu beeinflussen oder eventuell abzuwenden. Die Verpflichtung zur Anhörung nach § 24 SGB X wirkt sich insbesondere dort aus, wo der Rentenversicherungsträger von Amts wegen tätig werden will.

Von einer nach § 24 Abs. 1 SGB X an sich erforderlichen Anhörung kann jedoch ausnahmsweise in den Fällen des § 24 Abs. 2 Nr. 1 bis 7 SGB X abgesehen werden (vergleiche Abschnitt 3).

Darüber hinaus ist eine Anhörung rechtlich nicht erforderlich, wenn

  • eine Vorschrift die Anwendung des § 24 SGB X ausschließt (siehe Abschnitt Fehler! Verweisquelle konnte nicht gefunden werden.).
  • eine der folgenden Fallgestaltungen vorliegt:
    • Vor der Ablehnung eines geltend gemachten Anspruchs, da mit der Antragstellung erst ein Recht beansprucht wird und mit der Ablehnung nicht in den Bestand eines Rechts eingegriffen wird.
    • Bei der Versagung einer Leistung wegen fehlender Mitwirkung (§ 66 SGB I), da dem Anhörungsziel bereits durch den nach § 66 Abs. 3 SGB I erforderlichen schriftlichen Hinweis auf die Folgen unterlassener Mitwirkung Rechnung getragen ist.
    • Bei der rechtzeitigen Einstellung einer befristeten Rente, denn mit dem Bewilligungsbescheid ist der materiell-rechtliche Anspruch und damit ein Recht im Sinne des § 24 SGB X von vornherein nur für den im Bescheid bestimmten Zeitraum zuerkannt worden.

Wurde die Anhörung zunächst für entbehrlich gehalten, muss sie - unabhängig von der Heilungsmöglichkeit im Klageverfahren nach § 41 Abs. 2 SGB X - dennoch (spätestens bis zum Abschluss des Widerspruchsverfahrens) nachgeholt werden, wenn sich abzeichnet, dass wegen des geltend gemachten Erstattungsanspruches ein Streit entstehen wird.

Wurden im Laufe des Widerspruchsverfahrens hinsichtlich der Aufhebung eines Bescheides über eine Rente wegen verminderter Erwerbsminderung ein weiteres Gutachten eingeholt, welches die ursprüngliche Entscheidung stützt, ist auch im Hinblick auf das Urteil des BSG vom 25.03.1999, AZ: B 9 SB 12/97 R eine erneute Anhörung nicht erforderlich (RBRTN 2/99, TOP 27).

Eingriff in bestehende Rechte

Nicht jeder Verwaltungsakt erfordert die vorherige Anhörung, sondern nur ein solcher, der in die Rechte eines Beteiligten eingreift. Nach der Begründung zum Gesetzesentwurf liegt ein solcher Eingriff nur vor, wenn der vorhandene Rechtskreis des Betroffenen durch die Verwaltungsentscheidung beeinträchtigt wird (vergleiche BT-Drucksache 7/868, S. 28).

Von einem Eingriff in bestehende Rechte ist auszugehen bei der

  • Aufhebung von Bescheiden (vergleiche Abschnitt 2.1.1),
  • Geltendmachung von Rückforderungsansprüchen nach § 50 SGB X (vergleiche Abschnitt 2.1.2),
  • Belastung von Leistungsansprüchen (vergleiche Abschnitt 2.1.3).

Aufhebung von Bescheiden

In bestehende Rechte im Sinne von § 24 Abs. 1 SGB X wird stets eingegriffen, wenn

Die Anhörung soll vor der Korrektur des Bescheides durchgeführt werden. Das gilt grundsätzlich auch dann, wenn es sich um ein Nichtleisten, eine Kürzung oder einen Wegfall kraft Gesetzes handelt, soweit nicht ausnahmsweise auf die Anhörung verzichtet werden kann (vergleiche Abschnitt 3).

Mit der Anhörung sind gleichzeitig Ermittlungen über die wirtschaftlichen Verhältnisse und sonstigen Umstände zu verbinden, die bei der endgültigen Entscheidung einschließlich einer eventuellen Ermessensentscheidung sowie bei der Geltendmachung eines Erstattungsanspruchs nach § 50 Abs. 1 SGB X erheblich sein können. Damit wird gewährleistet, dass eine sachgerechte Entscheidung entsprechend den Korrekturvorschriften getroffen werden kann.

Die Anhörung kann auch dazu dienen, einen an sich weggefallenen Anspruch unter anderen Voraussetzungen aufrechtzuerhalten, sodass eine Bescheidkorrektur entbehrlich ist.

Siehe Beispiele 1, 2 und 3

Geltendmachung von Rückforderungsansprüchen nach § 50 SGB X

Soll ein Rückforderungsanspruch nach § 50 Abs. 1 SGB X unter Aufhebung eines Bescheides geltend gemacht werden, ist dies bereits bei der Anhörung im Zusammenhang mit dem Aufhebungsverfahren zu berücksichtigen.

Ist eine Leistung ohne Verwaltungsakt zu Unrecht erbracht worden, so ist bei der Geltendmachung des Rückforderungsanspruches nach § 50 Abs. 2 SGB X die Vorschrift des § 45 SGB X beziehungsweise § 48 SGB X entsprechend anzuwenden. Wie bei der unmittelbaren Anwendung der §§ 45, 48 SGB X ist auch hier die vorherige Anhörung erforderlich (BSG vom 25.10.1984, AZ: 11 RA 24/84, SozR 1300 § 45 Nr. 12).

Dasselbe gilt bei Geltendmachung eines Rückforderungsanspruches nach § 50 Abs. 5 SGB X aufgrund von Berichtigungen offenbarer Unrichtigkeiten nach § 38 SGB X, weil insoweit in die Rechte der berechtigten Person eingegriffen wird.

Belastung von Leistungsansprüchen

Die Belastung von Leistungsansprüchen (wie zum Beispiel Ansprüche auf Rente oder Übergangsgeld) kann sich ergeben durch

Aufrechnung/Verrechnung

Vor einer beabsichtigten Aufrechnung/Verrechnung nach §§ 51, 52 SGB I ist die leistungsberechtigte Person stets anzuhören. Das Anhörungsverfahren soll klären, ob die Voraussetzungen für die Aufrechnung/Verrechnung vorliegen und dazu führen, dass - unter Beachtung eventueller Gegenvorstellungen der leistungsberechtigten Person - über die Aufrechnung/Verrechnung eine ermessensfehlerfreie Entscheidung getroffen werden kann.

Abtrennung

Sollen von der Leistung der leistungsberechtigten Person nach §§ 48 oder 49 SGB I Beträge abgetrennt werden, so ist ihr zuvor Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben. Die leistungsberechtigte Person kann sich dazu äußern, inwieweit sie gegenüber dem Ehegatten und/oder den Kindern unterhaltspflichtig ist und welche Unterhaltsbeträge sie zahlt; die Äußerung der leistungsberechtigten Person ist in die Ermessensentscheidung einzubeziehen.

Beteiligte

Anzuhören sind alle am Verwaltungsverfahren Beteiligten im Sinne des § 12 SGB X, deren Rechte durch die beabsichtigte Entscheidung beeinträchtigt werden können. Beteiligter ist nicht nur der unmittelbar Betroffene, sondern auch der von der Entscheidung berührte Dritte (zum Beispiel bei der Aufteilung der Hinterbliebenenrente nach § 91 SGB VI die Witwe und die frühere Ehefrau; bei der Abtrennung von Leistungen nach §§ 48, 49 SGB I die leistungsberechtigte Person, ihr Ehegatte, ihre Kinder oder sonstige Unterhaltsberechtigte).

Körperschaften des öffentlichen Rechts (zum Beispiel andere Leistungsträger) kommen als Beteiligte und damit für eine Anhörung nicht in Betracht, auch wenn die Entscheidung in deren öffentlich-rechtliche Ansprüche (Erstattungsansprüche nach §§ 102 ff. SGB X) eingreift.

Wird ein Beteiligter von einem Bevollmächtigten vertreten, so ist diesem Gelegenheit zu geben, sich für den Vertretenen zu äußern. Der Rentenversicherungsträger genügt dem Anhörungsgebot, wenn er dem Bevollmächtigten Gelegenheit zur Äußerung gibt. Der Beteiligte kann seine Vollmacht dem Bevollmächtigten gegenüber jedoch insoweit einschränken. In diesem Fall ist die Behörde verpflichtet, den Beteiligten selbst anzuhören. Wird ein Bevollmächtigter nach Maßgabe des § 13 Abs. 5 oder 6 SGB X zurückgewiesen, so ist er vor der Zurückweisungsentscheidung selbst nach § 24 SGB X anzuhören.

Ausnahmen von der Anhörungspflicht

Von einer nach § 24 Abs. 1 SGB X an sich erforderlichen Anhörung kann ausnahmsweise in den Fällen des § 24 Abs. 2 Nr. 1 bis 7 SGB X abgesehen werden.

Die Vorschrift enthält eine abschließende Aufzählung der Tatbestände, in denen eine Anhörungspflicht nicht besteht (BSG vom 31.10.1978, AZ: 2 RU 39/78, SozR 1200 § 34 Nr. 4). Für die Rentenversicherung ist sie von untergeordneter Bedeutung, weil sie zwar einerseits von der Verpflichtung zur Anhörung befreit, jedoch andererseits - soweit anwendbar - eine Anhörung auch bei diesen Fallgestaltungen zweckmäßig sein kann. Als Ausnahmevorschriften sind die Tatbestände im Zweifel eng auszulegen. Darüber hinaus ist nach pflichtgemäßem Ermessen zu entscheiden („kann abgesehen werden“), ob auf die Anhörung verzichtet werden kann. Von der Durchführung des Anhörungsverfahrens kann abgesehen werden, wenn

  • eine sofortige Entscheidung wegen Gefahr im Verzug oder im öffentlichen Interesse notwendig erscheint (vergleiche Abschnitt 3.1),
  • die Einhaltung einer maßgeblichen Frist in Frage gestellt würde (vergleiche Abschnitt 3.2),
  • von den tatsächlichen Angaben des Berechtigten nicht zu seinen Ungunsten abgewichen werden soll (vergleiche Abschnitt 3.3),
  • Allgemeinverfügungen oder gleichartige Verwaltungsakte in größerer Zahl erlassen werden sollen,
  • einkommensabhängige Leistungen angepasst werden sollen (vergleiche Abschnitt 3.4),
  • Maßnahmen in der Verwaltungsvollstreckung getroffen werden sollen,
  • über Bagatellbeträge im Wege der Auf- beziehungsweise Verrechnung entschieden werden soll (vergleiche Abschnitt 3.5).

Öffentliches Interesse

Zur Unterlassung der Anhörung nach § 24 Abs. 2 Nr. 1 SGB X ist der Rentenversicherungsträger nur berechtigt, wenn ein den Einzelfall besonders betreffendes öffentliches Interesse vorhanden ist. Das allgemeine öffentliche Interesse an der Herstellung eines gesetzmäßigen Zustandes reicht hierfür nicht aus. Kann jedoch der gesetzmäßige Zustand durch rechtzeitigen Erlass eines Verwaltungsakts von vornherein in einem Einzelfall hergestellt werden, der Eintritt einer Rechtswidrigkeit also verhindert werden, rechtfertigt dies die Unterlassung der Anhörung. Fälle nach §§ 45, 48 Abs. 1 S. 2 und 50 SGB X werden hiervon nicht erfasst, weil die Rechtswidrigkeit beziehungsweise Änderung in den Verhältnissen bereits eingetreten ist; hier ist stets die Anhörung erforderlich. Denkbar sind nur Fälle, in denen ein Bescheid nach § 48 Abs. 1 S. 1 SGB X rechtzeitig wegen Änderung der Verhältnisse für die Zukunft aufgehoben werden kann. Von der Anhörung kann in der Praxis somit nur dann abgesehen werden, wenn

  • bei einem Nichtleisten von Rentenbeträgen oder Wegfall kraft Gesetzes der Aufhebungsbescheid nach § 48 Abs. 1 S. 1 SGB X rechtzeitig zum vorgesehenen Nichtleistungs- oder Wegfallzeitpunkt erteilt werden kann und
  • kein Erstattungsanspruch nach § 50 Abs. 1 SGB X geltend gemacht wird und
  • der Rentenversicherungsträger über das Vorliegen des Nichtleistungs- oder Wegfalltatbestandes keinen eigenen Entscheidungsspielraum hat (zum Beispiel rechtzeitige Aufhebung der Bewilligung und Zahlungseinstellung von Waisenrente wegen Vollendung des 27. Lebensjahres).

Ist jedoch absehbar, dass um den Wegfall- oder Nichtleistungstatbestand Streit entstehen wird, ist eine vorherige Anhörung zweckmäßig.

Einhaltung einer maßgeblichen Frist

Ist der Erlass eines Verwaltungsakts von der Einhaltung einer bestimmten Frist abhängig, kann nach § 24 Abs. 2 Nr. 2 SGB X bei drohendem Fristablauf von der Anhörung abgesehen werden. In Betracht kommen die Fristen des

  • § 45 Abs. 3 SGB X, denn der Ablauf der 2- beziehungsweise 10-Jahresfrist würde eine Bescheidaufhebung sogar für die Zukunft ausschließen,
  • § 45 Abs. 4 S. 2 SGB X, denn der Ablauf der 1-Jahresfrist würde eine Bescheidaufhebung für die Vergangenheit ausschließen.

Allerdings darf auf die Anhörung nicht verzichtet werden, wenn der drohende Fristablauf auf Untätigkeit des Rentenversicherungsträgers zurückzuführen ist. Dies gilt insbesondere für den Ablauf der 1-Jahresfrist.

Kein Abweichen zuungunsten der berechtigten Person

Eine Anhörung ist nach § 24 Abs. 2 Nr. 3 SGB X entbehrlich, wenn mit der beabsichtigten Entscheidung von den tatsächlichen Angaben nicht zuungunsten der berechtigten Person abgewichen werden soll.

Das ist insbesondere der Fall, wenn die berechtigte Person Umstände, die zum Wegfall oder zur Minderung der Leistung führen, in Kenntnis der rechtlichen Folgen und ihrer Mitteilungspflicht nach § 60 SGB I selbst mitgeteilt hat (zum Beispiel Anzeige der Wiederheirat eines Hinterbliebenenrentenempfängers oder Mitteilung über die Beendigung der Ausbildung bei Waisenrenten und Kinderzuschüssen) und seit der Mitteilung nicht mehr als sechs Monate vergangen sind.

Eine Anhörung ist erst recht nicht erforderlich, wenn die Entscheidung die berechtigte Person über das Begehren hinaus begünstigen soll (zum Beispiel bei Neufeststellungen nach § 44 SGB X).

Einkommensabhängige Leistungen

Von der Anhörung kann nach § 24 Abs. 2 Nr. 5 SGB X unter Umständen abgesehen werden, wenn einkommensabhängige Leistungen den geänderten Verhältnissen angepasst werden sollen.

Diese Vorschrift findet in erster Linie Anwendung bei den Einkommensanrechnungsregelungen nach §§ 93, 97 SGB VI.

Aufrechnung/Verrechnung bei Bagatellbeträgen

Ein Anhörungsverfahren ist nach § 24 Abs. 2 Nr. 7 SGB X nicht zwingend durchzuführen, wenn gegen Ansprüche oder mit Ansprüchen von weniger als 70,00 EUR aufgerechnet (§ 51 SGB I) oder verrechnet (§ 52 SGB I) werden soll; dabei bleibt Nummer 5 (vergleiche Abschnitt 3.4) unberührt.

Die Regelung dient der Vermeidung unverhältnismäßiger Verwaltungskosten, die bisher durch die Anhörungspflicht bei einer Entscheidung über Bagatellbeträge im Wege der Aufrechnung oder Verrechnung entstanden sind. Nachteiliges für die leistungsberechtigte Person ergibt sich hierdurch nicht. Diese kann materielle Einwände gegen die Aufrechnung beziehungsweise Verrechnung in einem gegebenenfalls anschließenden Widerspruchsverfahren vorbringen.

Form und Umfang der Anhörung

Für die Anhörung ist eine besondere Form nicht vorgeschrieben. Neben der schriftlichen Anhörung ist auch die mündliche, gegebenenfalls fernmündliche Befragung zulässig. Wegen der Beweislast des Rentenversicherungsträgers für die ordnungsgemäße Anhörung sollte allerdings regelmäßig schriftlich angehört werden. Ausschlaggebend für die Wirksamkeit der Anhörung ist, dass dem Betroffenen rechtzeitig, das heißt noch mit tatsächlicher Einwirkungsmöglichkeit auf die beabsichtigte Entscheidung, die Gelegenheit gegeben wird, sich zu den für die Entscheidung erheblichen Tatsachen (zum Beispiel Ermittlungsergebnisse) zu äußern. Eine Anhörung ist nicht erfolgt, wenn die beteiligte Person lediglich die Möglichkeit hatte, sich im Rahmen einer ärztlichen Untersuchung gegenüber dem untersuchenden Arzt zu äußern. Die Anhörung muss vielmehr von der Stelle durchgeführt werden, die den Verwaltungsakt erlassen wird (Urteil des BSG vom 24.07.1980, AZ: 5 RKnU 1/79). Gelegenheit zur Äußerung bedeutet außerdem, dass eine angemessene Frist für eine Äußerung zur Verfügung stehen muss. Eine unangemessen kurze Frist steht der unterlassenen Anhörung gleich (BSG vom 24.07.1980, AZ: 5 RknU 1/79, SozR 1200 § 34 Nr. 13). Nach Lage des Einzelfalles kann eine Frist bis zu vier Wochen als angemessen gelten, sie sollte jedoch nicht kürzer sein als 14 Tage. Die Anhörungsfrist kann auf begründeten Antrag verlängert werden, auch wenn dadurch der Erlass der Entscheidung verzögert wird (beachte jedoch Abschnitt 3.2). Eine zu kurze Anhörungsfrist wird nicht nachträglich angemessen, wenn der Rentenversicherungsträger nach deren Ablauf stillschweigend zuwartet (vergleiche Urteil des BSG vom 06.08.1992, AZ: 8/5a RKnU 1/87).

Damit sich die betroffene Person zu allen für die Entscheidung erheblichen Tatsachen äußern kann, sollte das Anhörungsschreiben Folgendes enthalten:

  • Ausführungen zum materiellen Recht (zum Beispiel Grund der Rechtswidrigkeit beziehungsweise Grund für den Wegfall oder die Minderung der Leistung sowie den Zeitpunkt),
  • Ergebnisse der Ermittlungen, insbesondere von Beweisaufnahmen und die Angaben anderer Beteiligter oder Behörden (ferner gehören die medizinischen Befunde und damit auch ärztliche Gutachten über den Gesundheitszustand zu den entscheidungserheblichen Tatsachen; die beteiligte Person ist deshalb auch über das Ergebnis des sie betreffenden medizinischen Gutachtens - nicht aber über dessen vollen Wortlaut - zu informieren),
  • Ankündigung der beabsichtigten Entscheidung unter Darlegung der Gründe, die die Bescheidkorrektur und gegebenenfalls Rückforderung von Leistungen rechtfertigen (zum Beispiel §§ 45, 48, 50 SGB X),
  • Nachfrage nach besonderen noch nicht aktenkundigen Umständen, die die beabsichtigte Entscheidung (gegebenenfalls auch im Rahmen einer Ermessensausübung) beeinflussen können.

Für die Wirksamkeit der Anhörung ist es nicht erforderlich, dass sich die betroffene Person innerhalb der Anhörungsfrist äußert. Anhörung bedeutet, dass sie die Gelegenheit zur Äußerung hatte. Macht sie von diesem Recht keinen Gebrauch, liegt keine Verletzung des § 24 SGB X vor.

Folgen eines Anhörungsfehlers

Ein Verwaltungsakt, der ohne die erforderliche Anhörung oder mit einer vorausgegangenen fehlerhaften Anhörung zustande gekommen ist, ist - formell - rechtswidrig.

Die Verletzung der Verfahrensvorschrift des § 24 SGB X ist jedoch unbeachtlich, wenn die erforderliche Anhörung nachgeholt wird (§ 41 Abs. 1 Nr. 3 SGB X). Gemäß § 41 Abs. 2 SGB X kann die erforderliche Anhörung bis zur letzten Tatsacheninstanz eines sozial- oder verwaltungsgerichtlichen Verfahrens nachgeholt werden (siehe GRA zu § 41 SGB X).

Ist die erforderliche Anhörung unterblieben und nicht wirksam nachgeholt worden, bleibt gemäß § 42 S. 2 SGB X der Verwaltungsakt auch dann in einem Rechtsbehelfsverfahren aufhebbar, wenn eine andere Entscheidung nicht hätte ergehen können. Ist der Bescheid allerdings bestandskräftig geworden, besteht auch bei unterlassener Anhörung kein Anspruch mehr auf die Rücknahme des nur formell rechtswidrigen Bescheides (siehe GRA zu § 44 SGB X, Abschnitt 2).

Beispiel 1: Große Witwenrente

(Beispiel zu Abschnitt 2.1.1)

Eine Witwenrente nach § 46 Abs. 2 SGB VI soll entzogen werden, weil ein waisenrentenberechtigtes Kind nicht mehr erzogen wird. Vor der Entziehung ist die Anhörung erforderlich, weil die erhöhte Rente auch wegen Vorliegens von verminderter Erwerbsfähigkeit zu gewähren sein kann (entsprechend BSG vom 26.06.1990, AZ: 5 RJ 32/89).

Beispiel 2: Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung

(Beispiel zu Abschnitt 2.1.1)

Einem vor dem 01.02.1961 geborenen Versicherten soll die Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung entzogen werden, weil teilweise Erwerbsminderung nicht mehr vorliegt. Aus der Anhörung kann sich ergeben, dass der Rentenempfänger berufsunfähig ist mit der Folge, dass ein Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit besteht.

Beispiel 3: Waisenrente

(Beispiel zu Abschnitt 2.1.1)

Eine Waisenrente soll wegen Vollendung des 18. Lebensjahres oder wegen Beendigung der Ausbildung wegfallen. Aus der Anhörung kann sich das Vorliegen von Gebrechlichkeit des Kindes ergeben, sodass die Waisenrente weiterzuzahlen ist.

4. Euro-Einführungsgesetz vom 21.12.2000 (BGBl. I S. 1983)
Inkrafttreten: 01.01.2002

Durch Artikel 11 Nummer 2 des 4. Euro-Einführungsgesetzes vom 21.12.2000 ist die Grenze für Bagatellfälle in § 24 Abs. 2 Nr. 7 SGB X im Rahmen der Umstellung auf Euro an die Kostenentwicklung angepasst und von bisher 100 DM auf 70 Euro festgesetzt worden.

2. SGBÄndG vom 13.06.1994 (BGBl. I S. 1229)

Inkrafttreten: 18.06.1994

Quellen zum Entwurf: BT-Drucksachen 12/5187 und 12/7324

Mit dem „Zweiten Gesetz zur Änderung des Sozialgesetzbuches“ vom 13.06.1994 (BGBl. I S. 1229) wurde der Absatz 2 um die Nummer 7 ergänzt.

Einigungsvertragsgesetz vom 23.09.1990 (BGBl. II S. 885)
Inkrafttreten: 01.01.1991

Der Anwendungsbereich des § 24 wurde durch Anlage 1 Kapitel VIII Sachgebiet D Abschnitt III Nr. 2 des „Einigungsvertragsgesetzes“ vom 23.09.1990 (BGBl. II S. 885 ff., 1032) auf das Beitrittsgebiet ausgeweitet.

Sozialgesetzbuch - Verwaltungsverfahren - (Zehntes Buch) vom 18.08.1980 (BGBl. I S. 1469)

Inkrafttreten: 01.01.1981

Quelle zum Entwurf: BT-Drucksache 7/910

§ 24 wurde durch das „Sozialgesetzbuch - Verwaltungsverfahren -“ vom 18.08.1980 (BGBl. I S. 1469) zum 01.01.1981 eingeführt.

Sozialgesetzbuch (SGB) - Allgemeiner Teil - vom 11.12.1975 (BGBl. I S. 3015)
Inkrafttreten: 01.01.1976

Bereits am 01.01.1976 ist die Vorschrift über die Anhörung Beteiligter als § 34 SGB I in Kraft getreten. § 24 SGB X ersetzt die Bestimmung des § 34 SGB I, der durch Art. II § 28 Nr. 1 SGB X (BGBl. I S. 1499) gestrichen worden ist.

Zusatzinformationen

Rechtsgrundlage

§ 24 SGB X