2 RU 39/78
Gründe
Die beklagte BG gewährte dem Kläger wegen der Folgen eines am 17.12.1974 erlittenen Arbeitsunfalls ab 20.05.1975 eine vorläufige Rente nach einer MdE von 20 v.H. Nach einer Untersuchung und Begutachtung des Klägers zur Feststellung der Dauerrente entzog die Beklagte dem Kläger durch Bescheid vom 13.10.1976 die vorläufige Rente mit Ablauf des Monats November 1976 und lehnte die Gewährung einer Dauerrente ab.
Der Kläger hat Klage erhoben mit dem Antrag, die Beklagte zu verurteilen, ihm über den Monat November 1976 hinaus Rente nach einer MdE von 20 v.H. zu gewähren.
Das SG hat die Klage abgewiesen. Das LSG hat, dem Antrag des Klägers entsprechend, das erstinstanzliche Urteil und den Bescheid der Beklagten vom 13.10.1976 aufgehoben. Die Revision der Beklagten ist nicht begründet. Das LSG hat den Bescheid über die Entziehung der vorläufigen Rente und die Versagung der Dauerrente vom 13.10.1976 zu Recht aufgehoben.
Bevor ein Verwaltungsakt erlassen wird, der in die Rechte eines Beteiligten eingreift, ist diesem nach § 34 Abs. 1 SGB l Gelegenheit zu geben, sich zu den für die Entscheidung erheblichen Tatsachen zu äußern. Wie der erkennende Senat bereits entschieden hat, greift ein Bescheid, der die vorläufige Rente entzieht und die Gewährung einer Dauerrente ablehnt, in die Rechte des Beteiligten ein (Urt. vom 09.03.1978 2 RU 105/77 - USK 7827), was seine vorherige Anhörung zwingend erforderlich macht. Von einer Anhörung durfte die Beklagte im vorliegenden Fall nicht etwa deshalb nach § 34 Abs. 2 Nr. 2 SGB l absehen, weil durch die Anhörung die Einhaltung einer für die Entscheidung maßgeblichen Frist in Frage gestellt worden wäre. Ob die Frist von zwei Jahren nach dem Unfall, mit deren Ablauf eine vorläufige Rente gemäß § 622 Abs. 2 S 1 RVO spätestens zur Dauerrente wird, eine maßgebliche Frist i.S. des § 34 Abs. 2 Nr. 2 SGB l ist, kann dahingestellt bleiben, denn wie das LSG dargelegt hat, hätte eine Anhörung des Klägers die Einhaltung der Zweijahresfrist ohnehin nicht in Frage gestellt. Um zu verhindern, daß eine vorläufige Rente nach § 622 Abs. 2 S. 1 RVO kraft Gesetzes zur Dauerrente wird, genügt es, daß der Versicherungsträger den Bescheid über die (negative) Feststellung der Dauerrente vor Ablauf von zwei Jahren nach dem Unfall dem Verletzten zustellt (BSGE 29, 73 = SozR Nr. 8 zu § 622 RVO). Da der Kläger den Arbeitsunfall am 17.12.1974 erlitten hatte, wäre eine Zustellung am 17.12.1976 noch rechtzeitig gewesen (zur Fristberechnung vgl. Lauterbach, Gesetzliche UV, 3. Aufl. § 622 Anm. 4a und 6bb). Das für die Feststellung der Dauerrente maßgebliche medizinische Gutachten ist bei der Beklagten am 04.10.1976 eingegangen. Von diesem Zeitpunkt an wäre die Anhörung des Klägers möglich gewesen. Selbst bei einer Frist für die Anhörung von einem Monat hätte die Beklagte dem Kläger einen Bescheid über die erste (negative) Feststellung der Dauerrente noch bis zum 17.12.1976 zustellen können. Mit dem LSG ist der Senat der Auffassung, daß der frühestmögliche Zeitpunkt, zu dem die Beklagte die vorläufige Rente des Klägers hätte entziehen können, keine für die Entscheidung maßgebliche Frist i.S. des § 34 Abs. 2 Nr. 2 SGB l ist. Die in diesem Zusammenhang vertretene Auffassung, § 623 Abs. 2 RVO enthalte eine solche Frist (Gruehn BG 1978, 438, 439), trifft nicht zu. Nach dieser Vorschrift wird eine Herabsetzung oder Entziehung der Rente erst mit Ablauf des auf die Zustellung des Bescheides folgenden Monats wirksam. Damit ist nicht bestimmt, daß der Träger der UV bis zum Ablauf des Monats, in dem ihm ein die Herabsetzung oder Entziehung der Rente rechtfertigendes medizinisches Gutachten zugegangen ist, die Entscheidung über die Herabsetzung oder Entziehung der Rente treffen (und dem Verletzten zustellen) muß. Für die Frage, wann ein Herabsetzungs- oder Entziehungsbescheid zu ergehen hat, kann § 623 Abs. 2 RVO nichts entnommen werden. Diese Vorschrift gibt dem Verletzten lediglich noch für eine Übergangszeit einen Anspruch auf eine vom Stammrecht der Rente losgelöste selbständige Einzelleistung (vgl. BSGE 29, 73, 75 f.). Den Zeitpunkt für die Entscheidung über die Herabsetzung oder Entziehung der Rente bestimmt der Versicherungsträger selbst, sobald er zu der Auffassung gelangt ist, daß in den für die Feststellung der Rente maßgebenden Verhältnissen eine wesentliche Änderung eingetreten ist. Damit hat er es in der Hand, den Zeitpunkt des Fristablaufs in jedem Fall so festzusetzen, daß bei einer vorherigen Anhörung des Beteiligten die Einhaltung der selbstgesetzten Frist in Frage gestellt werden würde, zumal da auch die Frist für die Anhörung des Beteiligten von ihm selbst festgesetzt wird. Wie der Senat bereits entschieden hat (SozR 1200 § 34 Nr. 3), besteht in Fällen der hier vorliegenden Art regelmäßig kein öffentliches Interesse an einer sofortigen Entscheidung des Versicherungsträgers, das nach § 34 Abs. 2 Nr. 1 SGB I dazu berechtigen würde, von der Anhörung abzusehen (a.A. Gruehn a.a.O. 439).
Der Kläger hat auf sein Recht, vor Erlaß des Bescheides vom 13.10.1976 gehört zu werden, auch nicht verzichtet. Da ein Verstoß gegen den Grundsatz des rechtlichen Gehörs als einem Grundprinzip des Verfahrensrechts grundsätzlich nicht heilbar ist (vgl. Stein/Jonas, ZPO, 19. Aufl, § 295 Anm. II 3.a), kommt allenfalls ein Verzicht auf die Geltendmachung des Verstoßes in Betracht, der ausdrücklich oder durch schlüssige Handlung erklärt werden kann (Stein/Jonas a.a.O. Anm. III.1). Der Wille zum Verzicht ist jedoch nicht schon darin zu sehen, daß der Kläger gegen den Bescheid vom 13.10.1976 unmittelbar Klage erhoben und damit der Beklagten keine Gelegenheit gegeben hat, die Anhörung im Widerspruchsverfahren nachzuholen (BSG-Urt. vom 28.07. 1977 - 2 RU 30/77 - SozR 1200 § 34 Nr. 1). Dem Kläger stand es nach § 78 Abs. 2 SGG frei, gegen den Bescheid Widerspruch einzulegen oder unmittelbar Klage zu erheben. Es lag daher im Risikobereich der Beklagten, ob der Kläger den Widerspruch als Rechtsbehelf wählen und damit der Beklagten ermöglichen würde, die bisher versäumte Anhörung noch vor der Einleitung des gerichtlichen Verfahrens nachzuholen. Auch wenn davon ausgegangen wird, daß der Beteiligte dem Sinn und Zweck des § 34 SGB l entsprechend seinerseits ebenfalls allgemein zur Stärkung des Vertrauensverhältnisses zwischen Bürger und Sozialverwaltung beitragen muß, kann dem Kläger jedenfalls im vorliegenden Fall, in dem die Beklagte ihre Anhörungspflicht verletzt hat, nicht entgegengehalten werden, er hätte unter Verzicht auf die ihm verfahrensrechtlich eingeräumte Wahlmöglichkeit zunächst Widerspruch einlegen müssen, um der Beklagten Gelegenheit zur Heilung des Mangels zu geben (BSG-Urt. vom 09.03.1978 - 2 RU 105/77 -). Der Kläger durfte vielmehr den allein schon wegen der unterbliebenen Anhörung rechtswidrigen Bescheid vom 13.10.1976 unmittelbar mit der Klage anfechten, ohne daß darin ein Verzicht auf die Geltendmachung des Verstoßes gegen § 34 Abs. 1 SGB l gesehen werden kann. Es ist grundsätzlich nicht Sache eines Beteiligten, der einen rechtswidrigen Bescheid erhalten hat, bei der Wahl des einzulegenden Rechtsbehelfs die Interessen des Versicherungsträgers zu berücksichtigen und damit sein eigenes auf Beseitigung des ihn beschwerenden Bescheides und auf Weitergewährung der Rente gerichtetes Interesse hintenan zu stellen.
Wird ein Verwaltungsakt - wie hier - unter Verletzung des rechtlichen Gehörs erlassen, leidet das Verwaltungsverfahren an einem wesentlichen Mangel; der Verwaltungsakt ist zwar nicht nichtig, aber rechtswidrig und anfechtbar (BSG-Urt. vom 28.07.1977 - 2 RU 31/77 - BSGE 44, 207 - SozR 1200 § 34 Nr. 2 und vom 09.03.1978 - 2 RU 105/77 - a.a.O. jeweils mit Nachweisen). Die Anhörung kann im Klageverfahren nicht nachgeholt werden.
Mit der gesetzlichen Festlegung des zum Grundrecht erhobenen Grundsatzes des rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG) im Verfahren der Sozialverwaltungen ist der in Rechtsprechung und Rechtslehre vertretenen Auffassung Rechnung getragen, daß es mit Rücksicht auf das auch die Verwaltung verpflichtende Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 3 GG) und damit im Kern zur Wahrung der Menschwürde (Art. 1 Abs. 1 GG) geboten ist, das rechtliche Gehör im Verwaltungsverfahren jedenfalls dann zu gewähren, wenn in die Rechte eines Beteiligten eingegriffen werden soll (BVerfGE 9, 89, 95; 27, 88, 103; Maunz/Dürig/Herzog, GG, Art. 103 RdNr. 4, 92, 93; Brackmann, Handbuch der Sozialversicherung, 8. Aufl. S. 79 z m.N.). Der einzelne darf nicht bloßes Objekt des Verwaltungsverfahrens werden. Da der Grundsatz des rechtlichen Gehörs im Prinzip zwar bejaht wurde, nach Voraussetzungen und Umfang jedoch umstritten war (vgl. Brackmann a.a.O.), dient die gesetzliche Regelung insbesondere der Abgrenzung, aber auch der Betonung des Grundsatzes (Hauck/Haines. SGB l, Kommentar, § 34 RdNr. 1). Die Regelung des Anspruchs auf rechtliches Gehör im Allgemeinen Teil des SGB und nicht in den noch zu erlassenden Vorschriften für das Verfahren der Sozialverwaltungen macht deutlich, daß § 34 Abs. 1 SGB l nicht eine bloße Verfahrensvorschrift ist, sondern zugleich für die Auslegung des vom Gesetzgeber noch zu verabschiedenden Verfahrensgesetzes für die Sozialverwaltungen heranzuziehen ist (vgl. BVerGE 9, 89, 96: Hauck / Haines a.a.O. RdNr. 2).
Dem Wortlaut des § 3 Abs. 1l SGB l ist zu entnehmen, daß die Anhörung im Bereich der Sozialverwaltung gewährleistet sein soll; die Vorschrift will den dargelegten rechtsstaatlichen Grundsätzen entsprechend sicherstellen, daß dem Beteiligten Gelegenheit gegeben wird, auf das Verfahren der Sozialverwaltung und auf deren Entscheidung Einfluß zu nehmen (Hauck/Haines a.a.O.). Neben der auch im gerichtlichen Verfahren dem Betroffenen offenstehenden Möglichkeit, alle ihm günstigen Umstände vorzubringen, hat der Gesetzgeber allgemein das Vertrauensverhältnis zwischen dem Bürger und der Sozialverwaltung stärken und die Stellung des Bürgers insbesondere durch den Schutz vor „Überraschungsentscheidungen” verbessern wollen (BT-Drucks. 7/868 S. 28 und 45). Wie der Senat bereits ausgeführt hat (SozR 1200 § 34 Nr. 1), kann das Vertrauensverhältnis zwar insoweit gewahrt werden, als der Sozialversicherungsträger das rechtliche Gehör noch auf den Widerspruch des Beteiligten gewährt. Da das zum Organisationsbereich des Versicherungsträgers gehörende Widerspruchsverfahren eine umfassende, auch die Zweckmäßigkeit des Verwaltungsaktes einbeziehende und zum Teil auch in Einzelfragen über die Nachprüfung durch die Gerichte hinausgehende Überprüfung ermöglicht, erscheint es mit dem Sinn und Zweck des § 34 SGB l vereinbar, das Nachholen der Anhörung für zulässig zu erachten, solange das Verfahren noch im Verantwortungsbereich des Versicherungsträgers anhängig ist. Der mit der gesetzlichen Festlegung des Anspruchs auf rechtliches Gehör im Verfahren der Sozialverwaltung verfolgte Zweck, das Vertrauensverhältnis zwischen Bürger und Verwaltung zu stärken, kann jedoch nicht mehr verwirklicht werden, wenn das Verwaltungsverfahren - durch Einleitung des gerichtlichen Verfahrens - bereits abgeschlossen ist. Es entspricht überdies dem Sinn einer vor Erlaß des belastenden Verwaltungsaktes gebotenen Anhörung, daß die Verwaltung auch bei nicht in ihr Ermessen gestellten Entscheidungen nicht nur die Voraussetzungen für den belastenden Verwaltungsakt, sondern dabei im Rahmen des geltenden Rechts auch prüft, ob sie den Verwaltungsakt unter Berücksichtigung aller Umstände überhaupt oder gegebenenfalls erst in einem späteren Zeitpunkt erlassen will. Es gibt vornehmlich im Sozialleistungsbereich zahlreiche mögliche Fallgestaltungen, bei denen der Verwaltung ein weiterer Entscheidungsspielraum zusteht als dem die Entscheidung überprüfenden Gericht (siehe z.B. BSGE 41, 99 - SozR 2200 § 581 Nr. 5). Auch vom Ergebnis her erscheint die Ansicht nicht gerechtfertigt, daß die Verletzung der Anhörungspflicht durch den Versicherungsträger generell ohne rechtliche Auswirkungen bleiben sollte, sobald der Beteiligte den Klageweg beschreitet und damit zwangsläufig die Gelegenheit erhält, sich Gehör zu verschaffen. Es ist nicht ersichtlich, daß der Gesetzgeber mit der nach Wortlaut und Entstehungsgeschichte zwingenden Regelung in § 34 SGB l über die Anhörung des Beteiligten keine - wie einige Unfallversicherungsträger meinen - „schematische” Anwendung der Vorschrift bezweckt, sondern hingenommen haben soll, daß gegen die Anhörungspflicht ohne Rechtsfolgen verstoßen werden kann. Die nach der vom Senat vertretenen Auffassung erforderliche Aufhebung des Verwaltungsaktes aus formellen Gründen kann der Versicherungsträger demgegenüber schon allein durch die Beachtung der zwingend vorgeschriebenen Anhörung vermeiden.
Das BVerwG hat zu § 23 Abs. 2 des Wehrpflichtgesetzes (WehrpflG) entschieden (BVerwGE 27, 295), die Unterlassung der von der Entscheidung über die Einberufung gebotenen Anhörung (und Untersuchung) des Wehrpflichtigen führe nicht notwendig zu einem im Widerspruchsverfahren oder anschließenden verwaltungsgerichtlichen Verfahren nicht mehr korrigierbaren Einfluß auf den Einberufungsbescheid. Das BVerwG hat die rechtliche Bedeutung eines Verstoßes gegen Vorschriften über das Verwaltungsverfahren und damit auch die Bedeutung, die ihm für die rechtliche Beurteilung des auf ihm beruhenden Verwaltungsaktes beizumessen ist, aus dem der Verfahrensvorschrift zugedachten Zweck, insbesondere aus ihrer Schutzfunktion für den Betroffenen, hergeleitet. Den Zweck der in § 23 Abs. 1 S. 2 des WehrPflG angeordneten Anhörung hat es darin gesehen, dem Wehrpflichtigen die Möglichkeit zu geben, im Rahmen der Verfügbarkeitsprüfung von sich aus auf Umstände hinzuweisen, die seiner Heranziehung derzeit oder auf Dauer entgegenstehen könnten. Es hat dementsprechend angenommen, die Anhörung könne vor dem Einberufungszeitpunkt nachgeholt werden, der Bescheid sei jedoch aus Verfahrensgründen rechtswidrig und damit verzichtbar, wenn der Mangel der unterlassenen Anhörung bis zu diesem Zeitpunkt nicht abgestellt sei. Das BVerwG stellt somit darauf ab, ob der vom Gesetzgeber jeweils beabsichtigte Zweck der Anhörung sich in dem späteren Verfahrensstadium noch uneingeschränkt auszuwirken vermag (siehe auch BVerwGE 17, 279, 283; 27, 295, 299; 44, 17, 21). Die hier vertretene Auffassung des erkennenden Senats stimmt demnach insoweit mit der Auffassung des BVerwG überein. Die Anhörung nach § 34 SGB l dient, wie ihrer Entstehungsgeschichte zu entnehmen ist, nicht nur dazu, in Erfüllung des schon aus dem Rechtsstaatsprinzip abzuleitenden Anspruchs auf rechtliches Gehör dem Beteiligten zu ermöglichen, alle Umstände vorzutragen, die seiner Ansicht nach dem Erlaß des belastenden Verwaltungsaktes entgegenstehen. Diese Vorschrift will auch die Anhörung des Beteiligten im Verwaltungsverfahren selbst sichern, wie vor allem die abschließende Regelung in Abs. 2 der Vorschrift zeigt, um neben der vom BVerwG betonten Möglichkeit für den Beteiligten, alle ihm günstigen Umstände vor Eintritt der Wirksamkeit des Verwaltungsaktes vorzubringen, allgemein das Vertrauen des Bürgers in die Sozialverwaltung zu stärken; in § 34 SGB l verdichtet sich das Verfassungsrecht besonders intensiv. Dieser Gesetzeszweck wird jedoch durch die Nachholung der Anhörung erst im Klageverfahren, nachdem etwa die Rente bereits entzogen ist, nicht mehr verwirklicht. Eine Abweichung von der Rechtsprechung des BVerwG i.S. des Gesetzes zur Wahrung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung der obersten Gerichtshöfe des Bundes vom 19.06.1968 (BGBl. I 661) liegt hier im übrigen schon deshalb nicht vor, weil diese Rechtsprechung noch auf dem Recht vor der Kodifizierung der Pflicht zur Anhörung im Verwaltungsverfahren beruht und für die Zeit danach unterschiedliche Regelungen für das Verfahren nach dem VwVfG vom 25.05.1976 (BGBl. l 1253) und für das Verfahren der Sozialleistungsträger bestehen.
Ein Vergleich mit dem VwVfG rechtfertigt keine andere Entscheidung.
Nach § 46 VwVfG kann die Aufhebung eines Verwaltungsaktes, der nicht nach § 44 VwVfG nichtig ist, nicht allein deshalb beansprucht werden, weil er unter Verletzung von Vorschriften über das Verfahren, die Form oder die örtliche Zuständigkeit zustande gekommen ist, wenn keine andere Entscheidung in der Sache hätte getroffen werden können. Eine entsprechende Vorschrift ist im SGB l nicht enthalten. Daraus ist nicht etwa zu schließen, daß eine Gesetzestücke besteht, die durch Analogie mit dem VwVfG zu schließen ist. Gegen eine solche Analogie spricht schon, daß das VwVfG ausdrücklich nicht für das Verwaltungsverfahren der Sozialleistungsträger anzuwenden ist (§ 2 Abs. 2 Nr. 4 VwVfG). Zudem enthält § 28 VwVfG, der die Anhörung Beteiligter regelt und als dessen Ergänzung § 46 VwVfG anzusehen ist, eine in das SGB l nicht aufgenommene Generalklausel, nach der von der Anhörung abgesehen werden kann, während in § 34 Abs. 2 SGB l in dieser Hinsicht eine abschließende Regelung getroffen worden ist. Der Gesetzgeber hat, wie bereits dargelegt, dem Grundsatz des rechtlichen Gehörs eine aus seiner Stellung im SGB und dem Gesetzeswortlaut ersichtliche sowie durch die Entstehungsgeschichte bestätigte stärkere Bedeutung und weitergehende Sinngebung beigemessen; § 34 SGB l ist, anders als § 28 VwVfG, betont sozialstaatlich („bürgerfreundlich”) eingefärbt (vgl. Haeberle in „Verwaltungsverfahren”, Festschrift zum 50jährigen Bestehen des Richard Boorberg Verlages, herausgegeben von Glaeser, S. 47, 65). Hat der Gesetzgeber sich hinsichtlich der Begrenzung des Gebots der Anhörung des Beteiligten zu dessen Gunsten der - damals - für das allgemeine Verwaltungsverfahren vorgesehenen Lösung absichtlich nicht angeschlossen, so ist für eine Gesetzesanalogie nicht ausreichend sicher, daß er inhaltlich die Regelung des § 46 VwVfG übernehmen würde. Zwar enthält § 40 des Entwurfs der Bundesregierung eines Zehnten Buches des SGB - Verwaltungsverfahren - (BT-Drucks. 8/2034) eine dem § 46 VwVfG entsprechende Vorschrift. Jedoch wurde bereits der Regierungsentwurf des SGB l hinsichtlich der Anhörungspflicht vom Gesetzgeber wesentlich verstärkt. Es ist daher offen, ob der Gesetzgeber dem nunmehr vorliegenden Regierungsentwurf hinsichtlich der Folgen einer unterlassenen Anhörung folgen wird. Eine neue Lage ist entgegen der Ansicht der Beklagten insoweit nicht eingetreten. Es muß abgewartet werden, ob der Gesetzgeber, wie die Beklagte meint, von seiner ursprünglichen Auffassung über die Wichtigkeit und Notwendigkeit der vorherigen Anhörung der Beteiligten nach § 34 Abs. 1 SGB l im SGB X abrücken wird. Dies gilt um so mehr, als gegen den Entwurf des Gesetzes für das allgemeine Verwaltungsverfahren und § 46 VwVfG erhebliche Kritik vorgebracht worden ist. Sie wird auch Gegenstand der Beratung des Entwurfs des SGB X sein. Die gelegentlich vertretene Auffassung, in § 46 VwVfG sei lediglich festgelegt, daß der Staatsbürger keinen Rechtsanspruch auf die Aufhebung des Verwaltungsakts habe, der unter Verletzung von Vorschriften über das Verfahren, die Form oder die örtliche Zuständigkeit zustande gekommen ist, die Behörde oder das Gericht dies aber gleichwohl tun könne (Eichler, VwVfG, § 46 Anm. 11; Götz NJW 1976, 1425, 1429), ist nicht diskutabel (Bettermann, Hamburg. Deutschland, Europa, Festschrift für Hans Peter Ipsen, S. 175, 188). Es überzeugt auch nicht, daß nach § 46 VwVfG wie auch nach § 40 des Entwurfs SGB X die Verletzung der Vorschriften über das Verfahren, die Form oder die örtliche Zuständigkeit schlechthin unbeachtlich ist, wenn nur der Verwaltungsakt mit dem materiellen Recht in Einklang sieht, dagegen bei anderen Mängeln, wie etwa bei der Verletzung der sachlichen, funktionellen oder instanziellen Zuständigkeit die Aufhebung selbst materiell rechtmäßiger Verwaltungsakte verlangt werden kann. Für die Zulassung solcher „absoluter” Anfechtungsgründe fehlt es an jeder Begründung (vgl Bettermann a.a.O. S. 283). Gewichtiger ist jedoch die Kritik, die sich dagegen wendet, daß nach § 46 VwVfG die Verletzung von Verfahrens Vorschriften ohne wirksame Sanktion bleibt. Zutreffend wird in diesem Zusammenhang darauf hingewiesen, daß ein Verfahrensgesetz, welches dies zuläßt, nicht geeignet ist, die Beachtung rechtsstaatlicher Verfahrensgrundsätze zu sichern (Kopp, Verwaltungsarchiv, 61. Bd 1970, S. 219, 222; Ule, Recht im Wandel, S. 33, 71: Haueisen, DOK 1972, 611, 614; Weyreuther, DVBl. 1972, 93 95). Ein solches Verfahrensgesetz verliert seine Bedeutung als Garant für ein gesetzmäßiges Verwaltungshandeln und damit überhaupt, wie die Erfahrung zeigt, als wirksames Recht. Wenn Sanktionen, die zu befürchten wären, fehlen, wird die Verwaltung den formellen Vorschriften kaum besondere Beachtung schenken (Ossenbühl, DÖV 1964, 511, 516). Sanktionslose Verfahrensvorschriften bedeuten einen unerträglichen Einbruch in die Berechenbarkeit der Rechtsanwendung, wodurch der Rechtsfriede in Gefahr geraten könnte mit Folgen für die Einstellung des Bürgers zum Staat. Der Schicksalsschlag eines ungünstigen Verfahrensausganges trägt sich leichter, wenn er nicht noch von dem Verdacht begleitet wird, daß nicht einmal im Verfahren alles mit rechten Dingen zugegangen ist (Weyreuther a.a.O. 95). Die Beachtung der rechtsstaatlichen Verfahrensgrundsätze kann nur dann gesichert werden, wenn verfahrensfehlerhaft zustande gekommene Verwaltungsakte nichtig oder verzichtbar sind. Deshalb muss auch bei rechtlich gebundenen materiell rechtmäßigen Verwaltungsakten die Anfechtungsklage allein auf einen Verfahrensfehler gestützt werden können, mit der Folge, daß das Gericht den Verwaltungsakt aufhebt und dadurch die Verwaltung Gelegenheit erhält, sich unter Beachtung des maßgeblichen Verfahrensrechts erneut mit der Sache zu befassen (Kopp a.a.O. S. 222: Ule a.a.O. S. 73). Falls die Regelung des Verwaltungsverfahrens für den Bereich des SGB mit dem vorgeschlagenen Inhalt Gesetz werden sollte, würde zugelassen, daß über Rechte des Bürgers kurzerhand von Obrigkeits wegen verfügt wird und der einzelne weiterhin nur Objekt verwaltungsrechtlicher Entscheidungen ist (vgl. BVerfGE 9, 89, 95; 39, 156, 168).
Es bedarf aus Anlaß dieses Falles keiner Entscheidung, ob eine auf § 34 Abs. 1 SGB l gestützte Klage außerdem voraussetzt, daß in dem für die Anhörung maßgebenden Zeitpunkt vor Erlaß des Verwaltungsaktes zumindest die Möglichkeit einer anderen Entscheidung bei einer vorherigen Anhörung des Betroffenen bestanden haben muß, da diese Möglichkeit hier jedenfalls nicht auszuschließen ist. Da die Anhörung, wie dargelegt, nur im Verwaltungsverfahren nachgeholt werden kann, ist der angefochtene Bescheid schon wegen des schwerwiegenden Verfahrensmangels aufzuheben. Darin ist keine nach der Rechtsprechung des BSG grundsätzlich unzulässige „Zurückverweisung” an den Versicherungsträger zu sehen (vgl. BSGE 36, 181, 184 - SozR Nr. 4 zu § 1613 RVO). Die durch die Unterlassung der Anhörung aufgrund der Rechtsprechung des BSG sich ergebenden Folgen, daß nämlich die entzogene Rente weiterzuzahlen ist, müssen die Versicherungsträger in Kauf nehmen, solange sie keine entsprechenden Vorkehrungen für die Anhörung treffen. Die Versicherungsträger beachten dabei nicht ausreichend, daß § 34 SGB l ihnen ganz allgemein die Anhörung des Beteiligten vor Erlaß eines in seine Rechte eingreifenden Verwaltungsaktes vorschreibt und Abs. 2 dieser Vorschrift ihnen lediglich gestattet, in Einzelfallen nach pflichtmäßigem Ermessen von der Anhörung abzusehen. Der darin zum Ausdruck gekommene Wille des Gesetzgebers erfordert geradezu eine großzügige Anhörungspraxis durch die Versicherungsträger, und dieser deutlich normierte Wille kann daher nicht ihre Erwartungen rechtfertigen, das BSG werde die Verpflichtung zur Anhörung möglichst eng auslegen.