5 RJ 32/89
Tatbestand
Streitig ist zwischen den Beteiligten, ob der Klägerin Hinterbliebenenrente über den 31. Januar 1984 hinaus zusteht.
Die am 30. Juni 1945 geborene Klägerin hat einen Sohn A., der am 10. Januar 1966 geboren ist. Die Ehe der Klägerin wurde 1967 geschieden. Ihr früherer Ehemann verstarb am 28. Februar 1971. Mit Bescheid vom 17. September 1973 gewährte die Beklagte der Klägerin ab 1. Januar 1973 die erhöhte Hinterbliebenenrente nach den §§ 1265, 1268 Abs. 2 der Reichsversicherungsordnung (RVO). Der Bescheid enthält Angaben zum Eintritt des Versicherungsfalles, Rentenbeginn, zur Rentenhöhe und zu einer Nachzahlung. Sodann heißt es wörtlich:
„Die Hinterbliebenenrente wird nach § 1265 Satz 2 der Reichsversicherungsordnung n.F. gewährt. Die Rente steht nur zu, solange sie ein waisenberechtigtes Kind erziehen. Die Witwenrente kann auch gewährt werden, sofern Berufs- oder Erwerbsunfähigkeit vorliegt oder nach Vollendung des 60. Lebensjahres.“
Es folgen im Aufbau des Bescheides „Auflagen und Vorbehalte“, „Mitteilungen und Hinweise“, die Rechtsbehelfsbelehrung sowie Anlagen zum Versicherungsverlauf und zur Berechnung der Rente. Im Abschnitt „Auflagen und Vorbehalte“ befindet sich folgender Hinweis:
„Es besteht Anspruch auf die erhöhte Hinterbliebenenrente, weil mindestens ein waisenrentenberechtigtes Kind erzogen wird. Sofern vor Vollendung des 45. Lebensjahres kein waisenrentenberechtigtes Kind mehr erzogen wird, sind sie verpflichtet, uns unverzüglich zu benachrichtigen.“
Die Beklagte gewährte dem Sohn der Klägerin Halbwaisenrente über die Vollendung des 18. Lebensjahres hinaus bis Ende August 1986, weil er sich bis dahin in Berufsausbildung befand. Die Zahlung der Hinterbliebenenrente an die Klägerin stellte die Beklagte mit Ablauf des Monats Januar 1984 ein, ohne der Klägerin darüber einen Bescheid zu erteilen.
Mit Schreiben vom 3. Januar 1985 forderte die Klägerin die Beklagte auf, die Rente nachzuzahlen und zu verzinsen. Ihr, der Klägerin, sei erst jetzt aufgefallen, daß die Rente nicht mehr überwiesen werde. Daraufhin erteilte die Beklagte der Klägerin am 17. Januar 1985 einen Bescheid, in dem ausgeführt wurde, die Voraussetzungen und Vorbehalte für die Gewährung der Rente seien im Bescheid vom 17. September 1973 mitgeteilt worden. Nachdem der Sohn A. das 18. Lebensjahr vollendet habe, bestehe ab Februar 1984 kein Anspruch mehr auf Witwenrente gemäß § 1265 Satz 2 RVO. Die Rente falle daher ab 1. Februar 1984 weg.
Die gegen diesen Bescheid gerichtete Klage hat das Sozialgericht (SG) abgewiesen (Urteil vom 3. Juni 1985). Auf die Berufung der Klägerin hat das Landessozialgericht (LSG) das Urteil des SG und den Bescheid der Beklagten vom 17. Januar 1985 aufgehoben und im übrigen die Berufung zurückgewiesen, soweit die Klägerin die Feststellung begehrt hat, daß die Rente über den 31. Januar 1984 hinaus weiterzugewähren sei. Das LSG hat die Berufung als statthaft angesehen, da die Voraussetzungen des § 146 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) nicht erfüllt seien. Um die Rentenzahlung ab Februar 1984 einzustellen, hätte es der Aufhebung des Bescheides über die Rentenbewilligung vom 17. September 1973 bedurft. Der Bescheid vom 17. Januar 1985 sei schon deshalb rechtswidrig, weil die Beklagte gegen die zwingenden Regelungen in § 24 Abs. 1 des Sozialgesetzbuches - Verwaltungsverfahren - (SGB X) über die Anhörung Beteiligter verstoßen habe.
Die Beklagte hat dieses Urteil mit der vom erkennenden Senat zugelassenen Revision angefochten. Sie rügt eine Verletzung der §§ 39, 32 Abs. 1 und 33 Abs. 1 SGB X.
Die Beklagte beantragt,
- das Urteil des LSG insoweit aufzuheben, als darin eine wirksame zeitliche Befristung der Leistungsgewährung in dem Bescheid der Beklagten vom 17. September 1973 verneint wird.
Die Klägerin beantragt,
- die Revision zurückzuweisen.
Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.
Die Beteiligten haben sich übereinstimmend mit einer Entscheidung des Rechtsstreits gemäß § 124 Abs. 2 SGG ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Revision der Beklagten ist nicht begründet. Die der Klägerin gewährte Hinterbliebenenrente ist mit Ablauf des Monats Januar 1984 nicht weggefallen und nicht wirksam entzogen worden.
Der Antrag der Beklagten in der Revisionsinstanz geht dahin, das angefochtene Urteil „insoweit aufzuheben, als darin eine wirksame zeitliche Befristung der Leistungsgewährung in dem Bescheid der Beklagten vom 17. September 1973 verneint worden ist“. Dieser Antrag genügt - jedenfalls in Verbindung mit der Revisionsbegründung der Beklagten - dem Erfordernis in § 164 Abs. 2 Satz 3 SGG, einen bestimmten Antrag zu stellen. Es ist hinreichend erkennbar, daß die Beklagte die Aufhebung des Berufungsurteils erstrebt. Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) ist es ausreichend, wenn die Revisionsbegründung erkennen läßt, welches prozessuale Ziel der Revisionskläger erreichen will (vgl. BSG in SozR 1500 § 164 Nr. 10 m.w.N.). Das ist hier zu bejahen.
Die Beklagte vertritt in der Revisionsbegründung die Ansicht, sie habe in dem die Hinterbliebenenrente bewilligenden Bescheid vom 17. September 1973 in einer zulässigen Nebenbestimmung eine Befristung der Rentengewährung vorgenommen und das Leistungsende bestimmt. Demgegenüber hat sich das LSG im angefochtenen Urteil auf den Standpunkt gestellt, die Beklagte habe es versäumt, eine konkretisierte Befristung unter Angabe eines kalendermäßig bestimmten Wegfalldatums als verbindliche Regelung in den Bescheid aufzunehmen. Sie habe lediglich auszugsweise den Gesetzeswortlaut zitiert. Das aber stelle keine Befristung i.S. einer Nebenbestimmung dar, es handele sich vielmehr nur um einen Hinweis auf die kraft Gesetzes geltende Einschränkung.
Auf die Gewährung der Hinterbliebenenrente hatte die Klägerin einen Rechtsanspruch. Nach § 32 Abs. 1 SGB X darf ein Verwaltungsakt, auf den ein Anspruch besteht, mit einer Nebenbestimmung nur versehen werden, wenn sie durch Rechtsvorschrift zugelassen ist, oder wenn sie sicherstellen soll, daß die gesetzlichen Voraussetzungen des Verwaltungsaktes erfüllt werden. Da diese Vorschrift jedoch nur für Verwaltungsakte gilt, die nach dem Inkrafttreten der Bestimmung am 1. Januar 1981 erlassen worden sind, ist § 32 Abs. 1 SGB X auf den Bescheid der Beklagten vom 17. September 1973 nicht anzuwenden. Jedoch entspricht die Norm im wesentlichen der Rechtslage vor dem 1. Januar 1981. Der Vorbehalt als Nebenbestimmung zu einem begünstigenden Verwaltungsakt mußte selbst zulässig sein, wozu grundsätzlich eine entsprechende gesetzliche Regelung gefordert wurde (vgl. BSGE 45, 38, 41).
Die Beklagte ist der Auffassung, im Falle der Klägerin hätte sich die Zulässigkeit einer Befristung des Rentenanspruchs durch eine entsprechende Nebenbestimmung des bewilligenden Verwaltungsaktes aus § 1265 Satz 2 Nr. 3 RVO ergeben, wonach die Hinterbliebenenrente bewilligt worden sei, „solange“ die Klägerin ein waisenrentenberechtigtes Kind erziehe. Der die Rente bewilligende Bescheid der Beklagten vom 17. September 1973 enthält jedoch keine zulässige Nebenbestimmung. Für diese ist ein selbständig anfechtbarer belastender Verwaltungsakt erforderlich. Gegenstand einer abgrenzbaren Nebenbestimmung zum begünstigenden Hauptakt kann nicht etwas sein, was zu den vom Gesetzgeber bestimmten Voraussetzungen des Anspruchs gehört (vgl. BSG in SozR 1300 § 48 Nr. 1). Der Klägerin stand aber bei der Rentenbewilligung Hinterbliebenenrente nach § 1265 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 RVO nur zu, weil sie ein waisenrentenberechtigtes Kind erzog. Da diese Anspruchsvoraussetzung nicht zu einer Nebenbestimmung gemacht werden kann, ist auch keine Nebenbestimmung im Bescheid vom 17. September 1973 i.S. des § 77 SGG für die Beteiligten in der Sache bindend geworden.
Im übrigen kann seit dem Inkrafttreten des SGB X am 1. Januar 1981 eine Hinterbliebenenrente nach § 1265 Satz 2 Nr. 3 RVO, die wegen der Erziehung eines waisenrentenberechtigten Kindes gewährt worden ist, beim Ende der „Erziehung“ nicht ohne weiteres wegfallen, vielmehr ist dann § 48 SGB X anzuwenden. Das hat der erkennende Senat (damals als 5a Senat) bereits im Urteil vom 10. Juli 1985 (SozR 1300 § 48 Nr. 17) für die Herabsetzung einer „erhöhten“ Witwenrente auf die „normale“ entschieden. Da auch die höhere Witwenrente in § 1268 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 RVO - ebenso wie in § 1265 Satz 2 Nr. 3 RVO - an die Erziehung eines waisenrentenberechtigten Kindes geknüpft sein kann, müssen beide Fälle gleichbehandelt werden. Damit im Einklang hat der 11. Senat des BSG mit Urteil vom 21. Februar 1985 (SozR 5850 § 4 Nr. 8) entschieden, daß auch beim Wegfall eines Anspruchs kraft Gesetzes der Bewilligungsbescheid nicht ohne weiteres bedeutungslos wird, sondern nach § 48 SGB X aufgehoben werden muß, soweit nicht etwas anderes bestimmt ist.
Nunmehr ist also nach § 48 SGB X zu verfahren. Es besteht keine Veranlassung mehr, die Bewilligung der Hinterbliebenenrente, auf die Anspruch besteht, mit Nebenbestimmungen zu versehen. Die Anpassung an die materielle Rechtslage ist - wie vom Gesetzgeber vorgesehen - über § 48 SGB X zu erreichen (vgl. Schneider-Danwitz in SGB-SozVers-GesKomm. § 32 SGB X Anm. 1d aa). Die genannte Vorschrift gestattet es in Abs. 1 Satz 1, einen Verwaltungsakt mit Dauerwirkung - wie die Gewährung der Hinterbliebenenrente an die Klägerin - aufzuheben, soweit in den tatsächlichen und rechtlichen Verhältnissen, die beim Erlaß des Verwaltungsaktes vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt. Mit der Vollendung des 18. Lebensjahres endet grundsätzlich die Erziehung eines Kindes und die Volljährigkeit stellt eine wesentliche Änderung i.S. des § 48 Abs. 1 Satz 1 SGB X dar (so der Senat im Urteil vom 10. Juli 1985 a.a.O.). Die Beklagte durfte folglich die Rentenzahlung zum 1. Februar 1984 nicht einfach einstellen, vielmehr mußte der Bescheid vom 17. September 1973 aufgehoben werden.
Ein Verwaltungsakt, der sich mit dieser wesentlichen Änderung in den Verhältnissen befaßt, ist von der Beklagten erst am 17. Januar 1985 erteilt worden. Zutreffend hat das LSG jedoch diesen Bescheid als rechtswidrig angesehen und aufgehoben, weil nicht festgestellt werden kann, daß die Beklagte die in § 24 SGB X vorgeschriebene Anhörung der Klägerin durchgeführt hat. Bevor ein Verwaltungsakt erlassen wird, der in Rechte eines Beteiligten eingreift, muß diesem nach § 24 Abs. 1 SGB X Gelegenheit gegeben werden, sich zu den für die Entscheidung erheblichen Tatsachen zu äußern. Die Feststellungen des LSG, wonach das nicht geschehen ist, sind von der Beklagten nicht mit zulässigen und begründeten Revisionsrügen angegriffen worden und daher für den erkennenden Senat gemäß § 163 SGG bindend. Zur erhöhten Witwenrente hat der Senat bereits im Urteil vom 28. Mai 1980 (SozR 1200 § 34 Nr. 11) entschieden, daß beim Wegfall einer Voraussetzung für die Erhöhung die Anhörungspflicht besteht, wenn es möglich ist, die weggefallene Voraussetzung durch ein anderes Merkmal zu kompensieren. Auch dann wird im Sinne des § 24 Abs. 1 SGB X in die Rechte eines Beteiligten eingegriffen. Daran hält der Senat fest. Deshalb mußte auch die Klägerin angehört werden. Es war nicht auszuschließen, daß der Wegfall der Erziehung eines waisenrentenberechtigten Kindes durch eine andere in § 1265 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 RVO aufgeführte Voraussetzung, die zur Weitergewährung der Hinterbliebenenrente berechtigte, ersetzt worden ist.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.