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3 RK 81/67

Gründe

Die Beteiligten streiten darüber, ob der bei der klagenden Gemeinde als ehrenamtl. Bürgermeister tätig gewesene Beigeladene zu 1) in der Zeit vom 01.01.1961 bis zum 12.09.1962 der Versicherungspflicht in der KV und AV unterlegen hat.

Der Beigeladene zu 1) war vom 28.05.1956 bis zum 01.04.1964 ehrenamtlicher Bürgermeister der Klägerin und bezog in der streitigen Zeit mtl. eine Aufwandsentschädigung in Höhe von brutto 812,50 DM. Bis zum 31.03.1959 war er - zuletzt als Konrektor - hauptberuflich im saarländischen Schuldienst tätig.

Mit Bescheid vom 24.08.1962 stellte die beklagte Krk die Sozialversicherungspflicht des Beigeladenen zu 1) fest. Widerspruch und Klage blieben ohne Erfolg, genauso die Berufung.

Die Revision ist nicht begründet.

Nach §§ 165 Abs. 1 Nr. 2, 165 b RVO unterliegen der Versicherungspflicht in der KV Angestellte, wenn ihr regelmäßiger JAV die Grenze von 7.920,00 DM nicht übersteigt. Des weiteren sind nach § 2 Abs. 1 AVG in der Rentenversicherung der Angestellten versichert alle Personen, die als Angestellte gegen Entgelt tätig sind, sofern ihr regelmäßiger JAV die in §§ 4, 5 AVG festgelegten Grenzen nicht überschreitet. Voraussetzung für die Versicherungspflicht in beiden Versicherungszweigen ist zunächst das Vorliegen eines abhängigen Beschäftigungsverhältnisses. Hierzu hat der Senat bereits in mehreren Urteilen Stellung genommen: Es muß jeweils geprüft werden, ob der Dienstleistende verpflichtet ist, in persönlicher Abhängigkeit im Rahmen des Direktionsrechts des Arbeitgebers dessen Weisungen über die Ausführung der Arbeit zu befolgen. Maßgebend ist in erster Linie die Eingliederung in den Betrieb und die damit gegebene Bindung an einzelne Anweisungen des Unternehmers. Ausschlaggebend ist das Gesamtbild der Beschäftigung unter Berücksichtigung der Verkehrsauffassung (Urt. vom 31.07.1958 SozR RVO § 165 Nr. 8; BSG 13, 196). Dabei kann bei Diensten höherer Art die Weisungsgebundenheit des Dienstverpflichteten praktisch kaum in Erscheinung treten; hier ist es darauf abzustellen, ob eine Eingliederung in den Betrieb vorliegt. Dies war hier bei dem Beigeladenen zu 1) der Fall, wie das LSG auf Grund der Vorschriften der saarländischen GemeindeO im einzelnen zutreffend festgestellt hat. Nach § 22 GemeindeO beschließt der Gemeinderat über die Angelegenheiten der Gemeinde, der Bürgermeister verwaltet die Gemeinde nach den Beschlüssen des Gemeinderates; nach § 59 GemeindeO leitet der Bürgermeister die Verwaltung der eigenen Angelegenheiten der Gemeinde... Ihm obliegt der Vollzug der Ges. und .VOen sowie der Weisungen der für die Sachaufsicht zuständigen Staatsbehörden und der Vollzug der Beschlüsse und Anordnungen der Aufsichtsbehörde. Nach § 57 GemeindeO führt der Bürgermeister im Gemeinderat den Vorsitz, er bereitet die Verhandlungen des Gemeinderates vor und vollzieht seine Beschlüsse. Der Bürgermeister ist befugt. Anordnungen, die keinen Aufschub gestatten, zu erlassen, er hat aber hiervon dem Gemeinderat in der nächsten Sitzung Kenntnis zu geben. Damit hatte der Beigeladene als saarländischer Bürgermeister nicht nur Repräsentationsfunktionen (wie der Bürgermeister der ehemaligen britischen Besatzungszone), sondern war zugleich Spitze der Gemeindeverwaltung; er war abhängig beschäftigter Arbeitnehmer, ein „Angestellter in leitender Stellung“ (§ 3 Abs. 1 Nr. 1 AVG).

Die Beschäftigung war entgeltlich, auch wenn der Beigeladene zu 1) nur eine Aufwandsentschädigung erhielt. Eine solche ist kein Entgelt, soweit sie dazu dient, die Aufwendungen auszugleichen. Der darüber hinausgehende Betrag ist aber Entgelt. Nach Ziff. 1 Nr. 1 des GemErl vom 10.09.1944 (AN 1944, 281) sind die Beiträge zur Sozialversicherung grundsätzlich von dem Betrag zu berechnen, der für die Berechnung der Lohnsteuer maßgebend ist. Nach den maßgebenden Lohnsteuerrichtlinien i.V.m. dem Erl. des saarländischen Ministers für Finanzen und Forsten ist mit Rücksicht darauf, daß ehrenamtl. tätige Personen in Kreis- und Gemeindeverw. eine Aufwandsentschädigung erhalten, die über den tatsächlichen Aufwand hinausgeht, ein Drittel der Aufwandsentschädigung, mindestens aber 100,00 DM als Aufwandsentschädigung anzusehen, während der Rest der Steuerpflicht unterliegt. Die „Aufwandsentschädigung“ des Beigeladenen zu 1) stellte also nur zu einem Drittel einen pauschalierten Ersatz seiner Auslagen dar. Bei einer „Aufwandsentschädigung“ von 812,50 DM ist demnach der darüber hinausgehende Betrag von 541,67 DM beitragspflichtiges Entgelt. Der Beigeladene zu 1) ist daher in der KV und AV versicherungspflichtig.

Die Befreiung von der Versicherungspflicht nach § 173 Abs. 1 RVO, § 7 Abs. 1 AVG, die mit Wirkung vom 13.09.1962 ausgesprochen worden ist, wirkt entgegen der Ansicht der Klägerin nur für die Zukunft, nicht aber für die Vergangenheit, weil der Antrag nicht innerhalb von einem Monat (§ 173 Abs. 2 RVO) bzw. zwei Monaten (§ 7 Abs. 3 AVG) nach Beginn der Beschäftigung gestellt worden ist. Auch wenn man davon ausgeht, daß diese Fristen nicht schon mit Beginn des Beschäftigungsverhältnisses als solchem, sondern von dem Zeitpunkt an zu laufen beginnen, in dem die Beschäftigung des Beigeladenen wegen der Höhe der Bezüge eine versicherungspflichtige geworden war, waren diese Fristen im September 1962 längst abgelaufen. Die beklagte Krk hat daher mit Recht die nichtverjährten Beiträge für die Zeit vom 01.01.1961 bis 12.09.1962 gefordert.

In der Geltendmachung dieser Forderung liegt kein Verstoß gegen Treu und Glauben. Auch wenn im allgemeinen Versicherte und Arbeitgeber gegen eine verspätete Geltendmachung von Beiträgen durch die kurzen Verjährungsfristen genügend geschützt sind, so schließt das nicht aus, daß unter Umständen das Geltendmachen nichtverjährter Beiträge ein Verstoß gegen Treu und Glauben ist. Voraussetzung dafür ist, daß der Forderungsberechtigte in irgendeiner Form bei dem Schuldner den Eindruck erweckt hat, er werde die Forderung nicht geltend machen. Dies setzt voraus, daß der Gläubiger, d.h. hier die Krk, von dem Schuldner über die maßgebenden Verhältnisse unterrichtet worden ist und daß er trotz Kenntnis des Sachverhalts von einer - rechtzeitigen - Beitragsforderung abgesehen hat. Der Fehler muß also im Bereich der Krk geschehen sein. So hat das RVA mit Recht in der GE 2327) vom 13.01.1917 (AN 1917, 396) entschieden, der Arbeitgeber sei zur Nachzahlung von Beitragsteilen zur KV eines früher von ihm beschäftigten Versicherungspflichtigen dann nicht verpflichtet, wenn infolge eines Versehens der Krk der Abzug dieser Beitragsteile vom Barlohn des Versicherungspflichtigen unterblieben sei. Dabei hatte die Krk eine gemeldete Lohnaufbesserung übersehen, die zu einer höheren Beitragsklasse geführt hätte. Begründet wurde diese Entscheidung damit, daß das Unterlassen der Abzüge der Beitragsteile nicht auf einem Verschulden des Arbeitgebers, sondern auf einem Verschulden der Krk beruhe. Weiter hat das RVA AN 1937, 73) ausgesprochen, eine Krk sei nicht berechtigt, nachträglich Beiträge zur KV zu erheben, wenn sie nach ordnungsmäßiger Anmeldung des Versicherten die KVpflicht verneint habe und deshalb ohne Verschulden des Beitragsschuldners die Beitragsleistung unterblieben sei. Ein derartiger Fall liegt hier nicht vor. Denn die beklagte Krk hatte bzgl. der streitigen Zeit keine Kenntnis der tatsächlichen Verhältnisse, insbesondere der Höhe der „Aufwandsentschädigung“. Sie hatte auch keinen Anlaß, von sich aus etwas zu unternehmen; es wäre vielmehr Sache der Klägerin gewesen, eine Anmeldung des Beigeladenen zu 1) vorzunehmen, um so eine Klärung der Versicherungspflicht herbeizuführen. Eine Geltendmachung der Beiträge zur KV verstößt daher nicht gegen Treu und Glauben.

Das gleiche gilt auch für die Beiträge zur Rentenversicherung. In BSG 17, 173 hat der Senat unter Bezugnahme auf das RVA bereits ausgesprochen, daß die Nachforderung von Beiträgen zur Rentenversicherung unbeschränkt zulässig sei, weil die Rechte des Versicherten in der Rentenversicherung von der tatsächlichen Beitragsentrichtung abhingen; deshalb sei bei Nachforderung von Beiträgen zur Rentenversicherung ein Verstoß gegen Treu und Glauben zu verneinen. Auch in BSG 21, 52 = Breith. 1964, 733 ist die Nachforderung nichtverjährter Beiträge zur Rentenversicherung für zulässig angesehen worden, und zwar im Hinblick auf die Schutzwürdigkeit der Interessen des Versicherten; denn bei Ausfall von Beiträgen für Zeiten versicherungspflichtiger Beschäftigung seien die Versicherungsleistungen an den Versicherten oder seine Hinterbliebenen regelmäßig niedriger, als ihm nach seiner Stellung im Arbeitsleben zukomme. Denn die Sicherheit der Existenzgrundlage durch eine angemessene Rente für die der Versicherungspflicht unterliegenden abhängig Beschäftigten stelle die praktisch wichtigste Form der Zukunftssicherung dar.

Wenn auch der Beigeladene infolge der Kürze der versicherungspflichtigen Beschäftigung nicht die Wartezeit für eine Rente aus der AV erfüllen kann, ihm vielmehr nach § 82 AVG auf Antrag seine Beitragsanteile zu erstatten sind, so schließt auch dieser Umstand nicht die Geltendmachung der streitigen Beiträge aus. Wie der Senat in seinem Urt. vom 28.04.1964 (SozR AVG § 2 Nr. 2 = Breith. 1964, 827) hervorgehoben hat, besteht auch ohne Erfüllung der Wartezeit bereits ein beschränkter Versicherungsschutz insbesondere bei Arbeitsunfällen (§ 29 AVG); des weiteren können unter den Voraussetzungen des § 13 Abs. 1 AVG Maßnahmen zur Erhaltung Besserung oder Wiederherstellung der Erwerbsfähigkeit gewährt werden. Auf alle Fälle bleibt, wie dieses Urteil weiter hervorhebt, dem Versicherten die Möglichkeit der Beitragserstattung nach § 82 AVG, während die Heranziehung des Arbeitgebers zur Beitragslast einem Grundprinzip der Sozialversicherung entspricht (§ 109 AVG). Das Verlangen von Beiträgen zur AV ist daher nicht als Verstoß gegen Treu und Glauben anzusehen.

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