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§ 101 SGG: Vergleich, Anerkenntnis

Änderungsdienst
veröffentlicht am

12.06.2021

Änderung

Dokumentdaten
Stand01.06.2021
Erstellungsgrundlage in der Fassung des Gesetzes zur Regelung der Wertgrenze für die Nichtzulassungsbeschwerde in Zivilsachen, zum Ausbau der Spezialisierung bei den Gerichten sowie zur Änderung weiterer prozessrechtlicher Vorschriften (ZPOuaÄndG 2019) vom 12.12.2019 in Kraft getreten am 01.01.2020
Rechtsgrundlage

§ 101 SGG

Version004.00

Inhalt der Regelung

§ 101 Abs. 1 SGG ist die gesetzliche Grundlage, um einen gerichtlichen Vergleich schließen zu können. Dies kann entweder geschehen

  • in der mündlichen Verhandlung oder im Erörterungstermin zu Protokoll des Gerichts oder
  • durch Annahme eines in Form eines Beschlusses ergangenen Vorschlags des Gerichts.

Nur aus einem gerichtlichen Vergleich kann vollstreckt werden (siehe Abschnitt 13).

Abweichend von § 307 ZPO bestimmt § 101 Abs. 2 SGG, dass das angenommene Anerkenntnis des geltend gemachten Anspruchs den Rechtsstreit in der Hauptsache erledigt.

Ergänzende/korrespondierende Regelungen

§§ 53, 54 SGB X

Allgemeines zum Vergleich

Eine Definition des Vergleichs findet sich nicht im SGG, sondern in § 54 Abs. 1 SGB X. Danach ist ein Vergleich ein Vertrag (§ 53 SGB X), durch den der Streit oder die Ungewissheit der Parteien über ein Rechtsverhältnis im Wege gegenseitigen Nachgebens beseitigt wird. Jeder Beteiligte gibt also einen Teil seines Anspruchs auf. Es genügt hinsichtlich des Nachgebens jedes „Opfer“, mag es auch noch so geringfügig sein. Das Aufgeben eines Anspruchs kann deshalb auch darin gesehen werden, dass der Kläger mit seinem materiell-rechtlichen Anspruch (zum Beispiel Rente wegen Erwerbsminderung) voll durchdringt, prozessual aber nachgibt und die Klage zurücknimmt. Derartige Vergleiche werden häufig von den Terminvertretern abgeschlossen. Da dem Klagebegehren voll entsprochen wird, stellt ein derartiger Vergleich im Grunde genommen ein Anerkenntnis dar.

Nach Abschluss des Vergleichs ist eine neue Klage in derselben Sache unzulässig (Meyer-Ladewig, Keller, Leitherer, Kommentar zum SGG, 12. Auflage, § 101, Rdnr. 10).

Sowohl bei einem Vergleich als auch bei einem Anerkenntnis handelt es sich in erster Linie um einen öffentlich-rechtlichen Vertrag, der zwischen dem Rentenversicherungsträger und dem am Rechtsstreit Beteiligten (§ 69 SGG, § 57 SGB X) geschlossen wird. Für diesen Vertrag gilt das materielle Recht (zum Beispiel SGB VI oder SGB X - siehe Abschnitt 7.2).

Er ist gleichzeitig aber auch eine Prozesshandlung, da der Rechtsstreit, soweit er vom Inhalt des Vergleichs beziehungsweise Anerkenntnisses erfasst wird, beendet wird (siehe Abschnitt 8.1).

Es wird unterschieden zwischen einem

  • gerichtlichen Vergleich, der in der mündlichen Verhandlung oder im Erörterungstermin zu Protokoll des Gerichts abgeschlossen wird (siehe Abschnitt 2.1), und einem
  • gerichtlichen Vergleich, der durch Annahme eines in Form eines Beschlusses ergangenen Vorschlags des Gerichts abgeschlossen wird (siehe Abschnitt 2.2), sowie einem
  • außergerichtlichen Vergleich (siehe Abschnitt 2.3).

Gerichtlicher Vergleich zu Protokoll des Gerichts

Gerichtlich ist der Vergleich, wenn er in der Sitzungsniederschrift protokolliert, vorgelesen, von den Beteiligten genehmigt und vom Vorsitzenden und Urkundsbeamten unterschrieben ist. Die Wirksamkeit des zu Protokoll abgeschlossenen Vergleichs beurteilt sich nach den Regeln des allgemeinen Prozessrechts (§ 122 SGG in Verbindung mit §§ 159, 160, 161, 162, 164, 165 ZPO).

Gerichtlicher Vergleichsvorschlag

§ 101 Abs. 1 S. 2 SGG eröffnet die Möglichkeit eines schriftlichen (gerichtlichen und damit vollstreckbaren) Vergleichs durch Annahme eines gerichtlichen Vergleichsvorschlags in Form eine Beschlusses. Seit dem 01.01.2020 können gerichtliche Vergleichsvorschläge außerdem zu Protokoll der mündlichen Verhandlung von den Beteiligten angenommen werden. Die Regelung dient der Verfahrensbeschleunigung und stellt klar, dass eine dem § 278 Abs. 6 ZPO vergleichbare Regelung auch im SGG anwendbar ist (Wehrhahn in Breitkreuz/Fichte, § 101 SGG, Rdnr. 9a).

Außergerichtlicher Vergleich

Neben dem in § 101 Abs. 1 SGG beschriebenen gerichtlichen Vergleich kommt es auch häufig zum Abschluss eines außergerichtlichen Vergleichs, zum Beispiel wenn vom Rentenversicherungsträger aufgrund eines vom Gericht eingeholten Sachverständigengutachtens schriftlich ein Angebot unterbreitet, das vom Kläger schriftlich angenommen wird. Im Gegensatz zum gerichtlichen Vergleich handelt es sich hierbei nur um einen öffentlich-rechtlichen Vertrag (Meyer-Ladewig, Keller, Leitherer, Kommentar zum SGG, 12. Auflage, § 101, Rdnr. 18), nicht jedoch um eine Prozesshandlung. Der außergerichtliche Vergleich enthält regelmäßig einen übereinstimmenden Erledigungsvermerk zur Beendigung des Verfahrens (§ 202 SGG in Verbindung mit § 91a ZPO).

Was ist ein Anerkenntnis?

Bei einem Anerkenntnis gesteht der Rentenversicherungsträger den behaupteten Anspruch „ohne Drehen und Wenden“ zu. Der Versicherte erhält damit genau das, was er beantragt hat.

Beachte:

Ein schriftliches Anerkenntnis kann auch vorliegen, ohne dass das Wort „Anerkenntnis“ oder Ähnliches verwendet wird. Im Zweifel ist durch Auslegung zu ermitteln, wie der Schriftsatz zu verstehen ist.

Sowohl bei einem Anerkenntnis als auch bei einem Vergleich handelt es sich in erster Linie um einen öffentlich-rechtlichen Vertrag, der zwischen dem Rentenversicherungsträger und dem am Rechtsstreit Beteiligten (§ 69 SGG, § 57 SGB X) geschlossen wird. Für diesen Vertrag gilt das materielle Recht (zum Beispiel SGB VI oder SGB X - siehe Abschnitt 7.2). Er ist gleichzeitig aber auch eine Prozesshandlung, da der Rechtsstreit, soweit er vom Inhalt des Vergleichs beziehungsweise Anerkenntnisses erfasst wird, beendet wird (siehe Abschnitt 7.1). Die Wirksamkeit dieser Prozesshandlung beurteilt sich nach den Regeln des Prozessrechts (§ 122 SGG in Verbindung mit §§ 159, 160, 161, 162, 164, 165 ZPO).

Teilvergleich/Teilanerkenntnis

Sofern der Vergleich beziehungsweise das Anerkenntnis das Verfahren nicht in vollem Umfang erledigen, spricht man von einem Teilvergleich beziehungsweise von einem Teilanerkenntnis. In diesem Fall bleibt die „restliche“ Klage anhängig; über sie muss das Gericht entscheiden.

Formulierung eines Vergleichs/Anerkenntnisses

Ein Vergleich/Anerkenntnis ist stets eindeutig und verständlich zu formulieren. Lange „Schachtelsätze“ sind zu vermeiden. Es sind alle Punkte aufzunehmen, die für die vollständige beziehungsweise teilweise (siehe Abschnitt 4) Erledigung des Rechtsstreits von Bedeutung sind:

Beispiel für eine Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit:

1.Die Beteiligten sind sich einig, dass der Leistungsfall der Erwerbsminderung am 21.01.2015 eingetreten ist.
2.Die Beklagte gewährt eine Rente wegen voller Erwerbsminderung für die Zeit vom 01.08.2015 bis 31.07.2018.
3.Die Beklagte übernimmt die außergerichtlichen Kosten dem Grunde nach zur Hälfte.
4.Die Beteiligten sind sich einig, dass der Rechtsstreit damit in vollem Umfang erledigt ist.

Vielfach leistet das Gericht Formulierungshilfe und gibt dabei auch einen Vorschlag zur Kostenquote ab.

Wird bei einem Vergleich keine Aussage über die Kosten des Verfahrens aufgenommen, trägt gemäß § 195 SGG jeder Beteiligte seine Kosten. Da Prozessvertreter mit dieser Regelung meistens nicht einverstanden sind, sollte stets eine Aussage über die Kostentragung in den Vertrag mit aufgenommen werden. Dies gilt auch für die Abgabe eines Anerkenntnisses.

Wird bei einem Anerkenntnis keine Aussage über die Kostentragung aufgenommen, entscheidet das Gericht darüber gemäß § 193 Abs. 1 SGG durch Beschluss (Meyer-Ladewig, Keller, Leitherer, Kommentar zum SGG, 12. Auflage, § 193, Rdnr. 2d).

Handelt es sich um einen gerichtlichen Vergleich, enthält das Protokoll regelmäßig einen sogenannten „Vorspann“. In diesem „Vorspann“ wird das Gespräch zwischen dem Gericht und den Beteiligten wiedergegeben.

Anerkenntnisurteil bei nicht angenommenem (Teil-)Anerkenntnis

Gibt der Rentenversicherungsträger ein (Teil-)Anerkenntnis ab (zum Beispiel Bewilligung einer Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit zu einem späteren, als dem vom Versicherten beantragten Zeitpunkt), ist er an dieses (Teil-)Anerkenntnis auch dann gebunden, wenn es der Versicherte nicht annimmt. Der Rentenversicherungsträger kann sein Anerkenntnis deshalb nicht widerrufen. In derartigen Fällen wird ein sogenanntes „Anerkenntnisurteil“ gemäß § 202 SGG in Verbindung mit § 307 ZPO gefällt (Wehrhahn in Breitkreuz/Fichte, § 101 SGG; Rdnr. 19). In diesem Urteil wird der Rentenversicherungsträger zu dem verurteilt, was er durch das (nicht angenommene) Anerkenntnis bereits anerkannt hat.

Beachte:

Wird nach Abgabe eines (Teil-)Anerkenntnisses die Klage zurückgenommen, ist das Anerkenntnis dennoch wirksam. Erst wenn der dem Verfahren zu Grunde liegende Antrag (zum Beispiel auf eine Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit) zurückgenommen wird, wird dadurch auch das (Teil-)Anerkenntnis beseitigt.

Zum Widerruf eines Anerkenntnisses siehe Abschnitt 7.4.

Unrichtiger Vergleich/unrichtiges Anerkenntnis

In der Praxis kommt es immer wieder vor, dass ein Vergleich abgeschlossen oder ein Anerkenntnis abgegeben wird, welches nicht von einer sozialrechtlichen Norm gedeckt ist. Sofern ein Widerruf nicht mehr möglich ist (siehe Abschnitt 7.4) stellt sich regelmäßig die Frage, ob der Rentenversicherungsträger an dieses Anerkenntnis/diesen Vergleich gebunden ist. Dies ist grundsätzlich zu bejahen, denn der Vertrag (siehe Abschnitt 2 und Abschnitt 3) dürfte regelmäßig wirksam abgeschlossen worden sein (siehe Abschnitte 7.1, 7.2).

„Typische“ Fehler bei einem Vergleich/Anerkenntnis sind zum Beispiel:

  • Anrechnungszeiten vor dem 17. Lebensjahr werden anerkannt.
  • Rente wegen Erwerbsminderung wird anerkannt, ohne dass die erforderliche 3/5-Belegung erfüllt ist.
  • Rente wegen Erwerbsminderung wird anerkannt, ohne dass die medizinischen Voraussetzungen gegeben sind.

Prozessrechtliche Wirksamkeit eines Vergleichs/eines Anerkenntnisses

Prozessrechtliche Gründe, die dazu führen könnten, dass der Vergleich/das Anerkenntnis nicht wirksam ist, liegen in den seltensten Fällen vor. Einschlägig sind hierfür unter anderen folgende Vorschriften:

Bei einem Streit über die Wirksamkeit eines Prozessvergleichs beziehungsweise Anerkenntnisses siehe Abschnitt 12.

Materiellrechtliche Wirksamkeit eines Vergleichs/eines Anerkenntnisses

Die materiellrechtliche Wirksamkeit eines Prozessvergleichs beziehungsweise eines Anerkenntnisses hängt davon ab, ob der Rentenversicherungsträger auch in der Weise, wie er im Vergleich/Anerkenntnis über den Anspruch verfügt hat, ihn durch Verwaltungsakt hätte regeln können. Dabei ist es nicht entscheidend, ob er das tun „durfte“, sondern ob er es tun „konnte“, das heißt, ob er die Rechtsmacht hatte, eine entspr. Regelung wirksam durch Verwaltungsakt zu treffen (BSG vom 17.05.1989, AZ: 10 RKg 16/88, SozR 1500 § 101 Nr. 8).

Dabei spielt es keine Rolle, dass die im Vergleich getroffene Regelung rechtlich „falsch“ ist. Entscheidend ist allein, dass der Vergleichsvertrag nicht nichtig sein darf. Durch § 58 SGB X wird klargestellt, dass ein öffentlich-rechtlicher Vergleichsvertrag nichtig ist, wenn sich die Nichtigkeit aus der entsprechenden Anwendung des BGB ergibt (Gemeinschaftskommentar der Rentenversicherungsträger, 10. Auflage, S. 482 ff.). Die dort beschriebenen Nichtigkeitsgründe setzen besonders schwere formelle oder sachlich-rechtliche Fehler voraus. Eine einfache Abweichung vom Gesetz genügt hierfür nicht. Ein Vergleichsvertrag, mit dem sich der Rentenversicherungsträger zum Beispiel verpflichtet, eine Rente wegen Erwerbsminderung zu gewähren, ohne dass die 3/5-Belegung erfüllt ist, würde zwar inhaltlich vom Gesetz abweichen, aber als Vertrag nicht nichtig sein. Ein entsprechender Vergleich wäre deshalb wirksam und müsste ausgeführt werden.

Bei einem Streit über die Wirksamkeit eines Prozessvergleichs beziehungsweise Anerkenntnisses siehe Abschnitt 12.

Keine Anwendung §§ 45, 48 Abs. 3 SGB X auf unrichtigen Vergleich/unrichtiges Anerkenntnis ausführenden Bescheid

Das BSG hat festgestellt, dass ein Verwaltungsakt, der ein unrichtiges Urteil ausführt, kein rechtswidriges Verwaltungshandeln darstellt (BSG vom 26.09.1986, AZ: 2 RU 45/85, SozR 1500 § 141 Nr. 15). Deshalb sei die Rücknahme eines entsprechenden Bescheides gemäß § 45 SGB X ausgeschlossen.

Diese Ausführungen lassen sich auch auf Vergleiche/Anerkenntnisse übertragen, denn ein Vergleich/Anerkenntnis kommt in seinen Auswirkungen (zum Beispiel hinsichtlich der Vollstreckbarkeit - siehe Abschnitt 13) einem Urteil sehr nahe (Urteil LSG Nordrhein-Westfalen vom 05.06.1996, AZ: L 17 U 41/95, E-LSG, U-064). Aus diesem Grund kann ein Bescheid, der einen unrichtigen Vergleich/ein unrichtiges Anerkenntnis ausführt, nicht gemäß § 45 SGB X zurückgenommen werden. Darum scheidet auch die in § 48 Abs. 3 SGB X normierte sogenannte Aussparung aus, da die Grundvoraussetzung (Vorliegen eines anfänglich rechtswidrigen begünstigenden Bescheides) nicht gegeben ist.

Widerruf eines Vergleichs/Anerkenntnisses

Soll ein Vergleich/Anerkenntnis widerrufen werden, ist zu unterscheiden, ob

  • ein Widerrufsvorbehalt in den Vertrag mit aufgenommen wurde (siehe Abschnitt 7.4.1) oder ob
  • kein Widerrufsvorbehalt in den Vertrag mit aufgenommen wurde (siehe Abschnitt 7.4.2) oder ob
  • ein sogenannter Restitutionsgrund vorliegt (siehe Abschnitt 7.4.3).

Widerruf eines Vergleich mit Widerrufsvorbehalt

Ein Vergleich mit Widerrufsvorbehalt wird meistens vom Terminvertreter im Termin zur mündlichen Verhandlung abgeschlossen. Anerkenntnisse werden regelmäßig ohne Widerrufsvorbehalt abgegeben.

Der Rentenversicherungsträger hat in diesen Fällen das Recht, den Vergleich innerhalb eines zwischen den Vertragsparteien vereinbarten Zeitraumes (zum Beispiel innerhalb von einem Monat nach Eingang der Sitzungsniederschrift) zu widerrufen. Häufig wird ein solcher Vergleich abgeschlossen, wenn es um eine Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit geht und der Terminvertreter sich nicht „sicher“ war, ob der Rentenanspruch tatsächlich besteht.

Widerruf eines Vergleichs/Anerkenntnisses ohne Widerrufsvorbehalt

Sofern der Vergleich/das Anerkenntnis keinen Widerrufsvorbehalt beinhaltet, können sie nur widerrufen werden, wenn der Widerruf gleichzeitig mit der Anerkenntniserklärung dem Empfänger zugeht (Urteil BSG vom 29.04.1969, AZ: 10 RV 12/68). Sollte der Widerruf den Empfänger noch vor der Anerkenntniserklärung erreichen, liegt selbstverständlich ebenfalls ein wirksamer Widerruf vor.

Widerruf eines Anerkenntnisses im Hinblick auf § 179 Abs. 1 SGG in Verbindung mit § 580 ZPO (zum Beispiel Prozessbetrug)

Im sozialgerichtlichen Verfahren kann ein Anerkenntnis widerrufen werden, wenn ein Restitutionsgrund (Restitution/Wiederaufnahme eines Verfahrens) gemäß § 179 Abs. 1 SGG in Verbindung mit § 580 ZPO vorliegt (Meyer-Ladewig, Keller, Leitherer, Kommentar zum SGG, 12. Auflage, § 101, Rdnr. 24). Derartige Vorgänge dürften in der Praxis äußerst selten vorkommen. Das Landessozialgericht Baden-Württemberg hat sich in seinem Beschluss LSG Baden-Württemberg vom 15.12.1998, AZ: L 13 RA 738/96, Breith. 2000, 112 - 116, ausführlich mit dieser Problematik auseinandergesetzt.

Änderung in den Verhältnissen seit Abschluss eines Vergleichs beziehungsweise Anerkenntnisses

Kommt es zu einer wesentlichen Änderung in den Verhältnissen (siehe GRA zu § 48 SGB X, Abschnitt 2.2), die bei Abschluss des Vergleichs beziehungsweise Anerkenntnisses vorgelegen haben, stellt sich die Frage

  • nach Anpassung oder Kündigung des Vergleichs gemäß § 59 SGB X (Abschnitt 8.1) beziehungsweise
  • nach der Anwendung des § 48 SGB X auf den Bescheid, der das Anerkenntnis ausführt (Abschnitt 8.2).

Häufigster Anwendungsfall sind Vergleiche beziehungsweise Anerkenntnisse, bei denen es um Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit beziehungsweise Berufs- oder Erwerbsunfähigkeit geht.

Anpassung oder Kündigung eines Vergleichs (§ 59 SGB X)

Anpassung oder Kündigung eines Vergleichs sind in § 59 SGB X geregelt. Haben sich die Verhältnisse, die für den Abschluss des Vergleichsvertrages maßgebend gewesen sind, seit Abschluss des Vertrages so wesentlich geändert (siehe GRA zu § 48 SGB X, Abschnitte 5 und 6), dass dem Rentenversicherungsträger das Festhalten daran nicht zuzumuten ist, kann er gemäß § 59 Abs. 1 SGB X eine Anpassung des Vertragsinhalts an die geänderten Verhältnisse verlangen. Ist eine Anpassung nicht möglich oder nicht zuzumuten, kann der Vertrag auch gekündigt werden. Erst nach Kündigung/Anpassung des Vergleichs ist eine Aufhebung des Verwaltungsaktes auf der Grundlage von § 48 Abs. 1 SGB X möglich.

Sofern die Anpassung an die geänderten Gegebenheiten begehrt wird, muss begründet dargelegt werden, aus welchem Grund es dem Rentenversicherungsträger nicht zugemutet werden kann, die Vertragsverpflichtungen zu erfüllen. Der Anpassungswunsch ist dem Vertragspartner schriftlich mitzuteilen. Kommt eine Einigung nicht zustande, kann „echte“ Leistungsklage gemäß § 54 Abs. 5 SGG erhoben werden. Die Anpassung spielt in der täglichen Praxis eine untergeordnete Rolle.

Häufiger kommt dagegen die Kündigung vor. Entfällt zum Beispiel durch eine erfolgreiche Umschulungsmaßnahme die Berufsunfähigkeit, ist die unmittelbare Kündigung eines Vergleiches, der die Gewährung dieser Rente zum Gegenstand hatte, zulässig. Denn es ist nicht ersichtlich, wie ein Vertrag, bei dem es einzig um die Gewährung einer Rente wegen Berufsunfähigkeit ging, an die veränderten Verhältnisse angepasst werden kann. Die Kündigung muss schriftlich gegenüber dem Vertragspartner ausgesprochen werden. Es handelt sich dabei nicht um einen Verwaltungsakt.

Beachte:

Liegt ein unrichtiger Vergleich vor, zum Beispiel weil die medizinischen Voraussetzungen für eine Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit nie vorgelegen haben, kann die Kündigung im Hinblick auf den Gesundheitszustand nicht mit einer Änderung in den Verhältnissen begründet werden. Der Versicherte war in diesem Fall nie erwerbsgemindert, sodass hinsichtlich seines Gesundheitszustands keine Änderung in den Verhältnissen eingetreten ist (siehe auch Abschnitt 7.2).

Die sogenannte „Notstands“-Kündigung des § 59 Abs. 1 S. 2 SGB X dürfte sehr selten zur Anwendung kommen. Die Erfüllung der Vertragspflichten müsste nach dem Wortlaut des Gesetzes „schwere Nachteile für das Gemeinwohl“ (hier: die Versichertengemeinschaft) zur Folge haben. Derartige Fälle sind in der Praxis kaum denkbar.

Aufhebung eines Bescheides, der ein gerichtliches Anerkenntnis umsetzt (§ 48 SGB X)

Ein (Ausführungs-)Bescheid, der zur Umsetzung eines gerichtlichen Anerkenntnisses erlassen wurde, kann bei einer wesentlichen Änderung der Verhältnisse nach § 48 SGB X aufgehoben werden (Urteil des BSG vom 06.05.2010, AZ: B 13 R 16/09 R). Im Gegensatz zu einem Vergleich ist somit eine Anpassung oder Kündigung (siehe Abschnitt 8.1) nicht erforderlich.

Beachte:

Liegt ein unrichtiges Anerkenntnis vor, zum Beispiel weil die medizinischen Voraussetzungen für eine Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit nie vorgelegen haben, kann im Hinblick auf den Gesundheitszustand nicht mit § 48 Abs. 1 SGB X argumentiert werden. Der Versicherte war in diesem Fall nie erwerbsgemindert, sodass hinsichtlich seines Gesundheitszustands keine Änderung in den Verhältnissen eingetreten ist (siehe auch Abschnitt 7.2).

Unterwerfungsvergleich

Bei Unterwerfungsvergleichen besteht das zur Beilegung des Streits erforderliche gegenseitige Nachgeben (§ 54 Abs. 1 SGB X, § 779 Abs. 1 BGB) nicht in der Aufgabe eines Rechtsstandpunktes. Die Beteiligten behalten vielmehr ihre Auffassungen bei. Das gegenseitige Nachgeben beschränkt sich auf den Verzicht der Beteiligten, den Rechtsstreit selbst durch die Instanzen fortzusetzen. Sie unterwerfen sich den in anderen Verfahren (in der Regel Verfahren vor dem BSG beziehungsweise BVerfG) zu erwartenden Gerichtsentscheidungen zu denselben Rechtsfragen, über die sie nach wie vor unterschiedlicher Auffassung sind. Ein Unterwerfungsvergleich kann sich auch auf eine zu erwartende Gesetzesänderung beziehen.

Gerichte drängen häufig auf den Abschluss eines Unterwerfungsvergleichs, wenn vergleichbare Fälle beim Bundessozialgericht oder Bundesverfassungsgericht anhängig sind. Solch ein Unterwerfungsvergleich ist im Allgemeinen nicht zweckmäßig, weil sich damit ein neuer Rechtsstreit über alle Instanzen, angefangen mit dem Widerspruchsverfahren, nicht ganz ausschließen lässt. Dies insbesondere dann nicht, wenn nur ein Revisionsverfahren oder nur ein Verfahren beim Bundesverfassungsgericht anhängig ist. Bei zu erwartenden Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts ist zu bedenken, dass sie für sich allein nicht immer einen Anspruch begründen können. Häufig ergibt sich aus ihnen ein Auftrag an den Gesetzgeber zur Neugestaltung des Gesetzes, sodass auch noch diese Neugestaltung abzuwarten ist. Es sollte deshalb vorgeschlagen werden, das Verfahren gemäß § 202 SGG in Verbindung mit § 251 ZPO zum Ruhen zu bringen.

Überprüfungsvergleich

In einem Überprüfungsvergleich erklärt sich der Rentenversicherungsträger im Termin zur mündlichen Verhandlung dazu bereit, erneut das Begehren des Versicherten zu überprüfen. Der Versicherte nimmt dabei zwar seine Klage zurück, es beginnt ein „neues“ Verwaltungsverfahren.

Beteiligung am Vergleich

Es sollte stets versucht werden, alle Beteiligte des Rechtsstreits in den Vergleich mit einzubeziehen. Ist der Rentenversicherungsträger Beigeladener, sollte darauf geachtet werden, dass ein Vergleich nicht ohne ihn abgeschlossen wird. Beteiligte eines Streitverfahrens, die den Vergleich nicht mit abschließen, werden durch ihn nicht gebunden (Meyer-Ladewig, Keller, Leitherer, Kommentar zum SGG, 12. Auflage, § 101, Rdnr. 6a, § 57 SGB X).

Ist der Rentenversicherungsträger in einem Rechtsstreit gegen einen Einzugsstellenbescheid (§ 28h Abs. 2 SGB IV) beigeladen und vergleichen sich die Beteiligten (Kläger und Beklagte, § 69 Nr. 1 und 2 SGG) ohne Zutun des Rentenversicherungsträgers, so ist dieser an diesen Vergleich nicht gebunden. Das Gleiche gilt, wenn der Rechtsstreit durch Anerkenntnis der Einzugsstelle beendet wird (BSG vom 30.06.1977, AZ: 12/3 RK 91/75, SozR 1500 § 101 Nr. 5).

Streit über Wirksamkeit beziehungsweise Gültigkeit eines Vergleichs/Anerkenntnisses

Bei einem Streit über die Wirksamkeit beziehungsweise Gültigkeit eines Vergleichs/Anerkenntnisses lebt die Rechtshängigkeit rückwirkend wieder auf. Das bisherige Verfahren muss fortgesetzt werden, und zwar in derselben Verfahrensart. Das bedeutet, dass das Gericht durch Urteil entscheiden muss, ob zum Beispiel der Rechtsstreit durch das angenommene Anerkenntnis - ganz oder zum Teil - erledigt ist. Wenn es die Erledigung verneint, muss es in der Sache selbst entscheiden (BSG vom 28.11.2002, AZ: B 7 AL 26/02 R; Meyer-Ladewig, Keller, Leitherer, Kommentar zum SGG, 12. Auflage, § 101, Rdnr. 17, 24). Ein besonderes Beschlussverfahren über die Wirksamkeit eines Anerkenntnisses/Vergleichs ist nicht zulässig.

Vollstreckbarkeit eines gerichtlichen Vergleichs/eines Anerkenntnisses

Aus einem gerichtlichen Vergleich/Anerkenntnis kann gemäß § 199 Abs. 1 Nr. 3 SGG vollstreckt werden (siehe GRA zu § 199 SGG, Abschnitt 2.3). Keine Vollstreckungsmöglichkeit besteht aus einem außergerichtlichen Vergleich (siehe Abschnitt 2). Er kann jedoch durch nachträgliche Protokollierung durch das Gericht zum gerichtlichen Vergleich werden (Meyer-Ladewig, Keller, Leitherer, Kommentar zum SGG, 12. Auflage, § 101, Rdnr. 18c).

Gesetz zur Regelung der Wertgrenze für die Nichtzulassungsbeschwerde in Zivilsachen, zum Ausbau der Spezialisierung bei den Gerichten sowie zur Änderung weiterer prozessrechtlicher Vorschriften (ZPOuaÄndG 2019) vom 12.12.2019 (BGBl. I 2019, S. 2633)

Inkrafttreten: 01.01.2020

Quellen zum Entwurf: BT-Drucksache 19/13828 (Gesetzentwurf)

In § 101 Abs. 1 S. 2 SGG wurden nach dem Wort „schriftlich" die Wörter „oder durch Erklärung zu Protokoll in der mündlichen Verhandlung" eingefügt.

Gesetz zur Einführung der elektronischen Akte in der Justiz und zur weiteren Förderung des elektronischen Rechtsverkehrs vom 05.07.2017 (BGBl. I S. 2208)

Inkrafttreten: 01.01.2018

Quellen zum Entwurf: BT-Drucksache 18/9416 (Gesetzentwurf)

In § 101 Abs. 1 S. 1 SGG wurden die Wörter „zur Niederschrift“ durch die Wörter „zu Protokoll“ ersetzt.

BUK-Neuorganisationsgesetz (BUKNOG) vom 10.10.2013 (BGBl. I 2013 S. 3836)

Inkrafttreten: 25.10.2013

Quellen zum Entwurf: BR-Drucksache 811/12 (Gesetzentwurf), BT-Drucksache 17/12297 (Gesetzentwurf), BT-Drucksache 17/13808 (Beschlussempfehlung und Bericht)

§ 101 Abs. 1 SGG wurde um Satz 2 ergänzt (Gerichtlicher Vergleich durch Annahme eines in Form eines Beschlusses ergangenen Vorschlags des Gerichts).

Zusatzinformationen

Rechtsgrundlage

§ 101 SGG