Navigation und Service

Logo der Deutschen Rentenversicherung (Link zur Startseite rvRecht)

rvRecht® - Rechtsportal der Deutschen Rentenversicherung

§ 85 SGG: Abhilfe und Widerspruchsbescheid

Änderungsdienst
veröffentlicht am

10.02.2020

Änderung

In Abschnitt 4.1 wird erläutert, dass die Namenswiedergabe unter einem Widerspruchsbescheid (also keine 'echte' Unterschrift') ausreichend ist.

Dokumentdaten
Stand04.02.2020
Erstellungsgrundlage in der Fassung des Gesetzes zur Neuausrichtung der Pflegeversicherung (Pflegeausrichtungs-Gesetz -PNG vom 23.10.2012 in Kraft getreten am 01.01.2013
Rechtsgrundlage

§ 85 SGG

Version003.00
Schlüsselwörter
  • 1805

  • 1855

Inhalt der Regelung

§ 85 Abs. 1 SGG bestimmt, dass die Behörde dem Widerspruch abhelfen muss, wenn sie den Widerspruch ganz oder teilweise für begründet hält.

Kann dem Widerspruch nicht abgeholfen werden, bestimmt § 85 Abs. 2 SGG, welche Stelle den Widerspruchsbescheid erlässt. Die Rentenversicherungsträger haben diese Aufgabe in der Regel Widerspruchsausschüssen beziehungsweise einer Widerspruchsstelle übertragen und Näheres in ihrer Satzung geregelt:

Träger

Regelung in der Satzung (Markierungen deuten auf Sonderregelungen innerhalb der Satzung hin)

Deutsche Rentenversicherung Baden-Württemberg

§ 23 Widerspruchsausschüsse für laufende Verwaltungsgeschäfte und Einspruchsausschüsse

1. Der Erlass von Widerspruchsbescheiden und … werden in den von der Vertreterversammlung festgelegten Fällen besonderen Ausschüssen übertragen. Das nähere Verfahren regelt die Geschäftsordnung.

Deutsche Rentenversicherung Bayern Süd

§ 26 Widerspruchsausschüsse

(1) Der Erlass von Widerspruchsbescheiden in laufenden Verwaltungsgeschäften wird Widerspruchsausschüssen übertragen (§ 36a Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB IV).

Deutsche Rentenversicherung Berlin-Brandenburg

§ 29 Widerspruchsausschüsse

(1) Der Erlass von Widerspruchsbescheiden wird besonderen Ausschüssen (Widerspruchsausschüssen) übertragen.

Deutsche Rentenversicherung Braunschweig-Hannover

§ 19 Erlass von Widerspruchsbescheiden

(1) Zur Durchführung des Vorverfahrens nach § 78 Sozialgerichtsgesetz (SGG) wird bei der Deutschen Rentenversicherung Braunschweig-Hannover eine Widerspruchsstelle errichtet.

Deutsche Rentenversicherung Bund

§ 67 Widerspruchsausschüsse für laufende Verwaltungsgeschäfte

(1) Der Erlass von Widerspruchsbescheiden für laufende Verwaltungsgeschäfte wird besonderen Ausschüssen (Widerspruchsausschüssen) übertragen. Die erforderliche Anzahl von Widerspruchsausschüssen wird auf Vorschlag der Zentralen Widerspruchsstelle vom Vorstand beschlossen.

Deutsche Rentenversicherung Hessen

§ 8 Widerspruchsausschüsse

(1) Der Erlass von Widerspruchsbescheiden wird besonderen Ausschüssen (Widerspruchsausschüsse) übertragen (§ 36a Abs. 1 SGB IV).

Der Erlass von Widerspruchsbescheiden wird den Vorsitzenden der Ausschüsse übertragen, wenn

- Widersprüche trotz zweimaliger Aufforderung durch die Verwaltung von dem Widerspruchsführer bzw. seinem Bevollmächtigten nicht begründet werden

- Widersprüche unzulässig sind.

Deutsche Rentenversicherung Knappschaft-Bahn-See

§ 21 Allgemeines

Zur Durchführung des Vorverfahrens nach §§ 83 ff. Sozialgerichtsgesetz errichtet die Vertreterversammlung eine Widerspruchsstelle mit Sitz in Bochum.

Deutsche Rentenversicherung Mitteldeutschland

§ 21 Widerspruchsausschüsse

Der Erlass von Widerspruchsbescheiden wird Widerspruchsausschüssen übertragen

Deutsche Rentenversicherung Nord

§ 21 Widerspruchsausschüsse

(1) Zur Durchführung des Vorverfahrens nach § 78 Sozialgerichtsgesetz (SGG) wird bei der Deutschen Rentenversicherung Nord eine Widerspruchsstelle errichtet. Bei ihr werden besondere Ausschüsse gebildet, denen der Erlass von Widerspruchsbescheiden übertragen wird.

Abweichend von Satz 2 kann in der Geschäftsordnung für das Widerspruchsverfahren der Erlass von Widerspruchsbescheiden auf die Geschäftsführerin / den Geschäftsführer übertragen werden. Fallgruppen, die der Entscheidung der Widerspruchsausschüsse vorbehalten bleiben, sind in einer Anlage zur Geschäftsordnung für das Widerspruchsverfahren auszuweisen.

Deutsche Rentenversicherung Nordbayern

§ 31 Zuständige Stelle

(1) Für den Erlass von Widerspruchsbescheiden ist nach Maßgabe des Abs. 2 das Organ (Vorstand, Geschäftsführung) zuständig, das den Verwaltungsakt erlassen hat.

(2) Widerspruchsbescheide in laufenden Verwaltungsangelegenheiten erlassen besondere Ausschüsse nach § 32 der Satzung, wenn aufgrund der Sach- und Rechtslage erkennbar ein Beurteilungs- oder Ermessensspielraum vorhanden ist.

Deutsche Rentenversicherung Oldenburg-Bremen

Artikel 14 a Widerspruchsausschüsse

Der Erlass von Widerspruchsbescheiden wird den Widerspruchsausschüssen übertragen.

Deutsche Rentenversicherung Rheinland

§ 21 Widerspruchsausschüsse

(1) Der Erlass von Widerspruchsbescheiden in laufenden Verwaltungsgeschäften wird besonderen Ausschüssen (Widerspruchsausschüssen) übertragen.

Deutsche Rentenversicherung Rheinland-Pfalz

§ 26 Widerspruchsausschüsse für laufende Verwaltungsgeschäfte

(1) Für den Erlass von Widerspruchsbescheiden werden von der Vertreterversammlung besondere Ausschüsse (Widerspruchsausschüsse) gebildet. Den Ausschüssen wird die Entscheidung über Widersprüche gegen Bescheide

a. des Betriebsprüfdienstes oder

b. bei deren Erlass eine Ermessensausübung erforderlich war oder

c. durch die ein Antrag auf Bewilligung einer Rente wegen Erwerbsminderung oder einer Leistung zur Teilhabe trotz Erfüllung der versicherungsrechtlichen Voraussetzungen abgelehnt wurde,

übertragen.

In den weiteren Fällen obliegt die Entscheidung der Geschäftsführerin/dem Geschäftsführer oder einer/einem von ihr/ihm bestellten Vertreterin/Vertreter. Das Nähere regelt die Geschäftsordnung für das Widerspruchsverfahren/Einspruchsverfahren.

Deutsche Rentenversicherung Saarland

§ 31 Widerspruchsausschüsse

(1) Für den Erlass von Widerspruchsbescheiden werden besondere Ausschüsse gebildet –Widerspruchsausschüsse- (§ 36a SGB IV).

Deutsche Rentenversicherung Schwaben

§ 7 Ausschüsse

(4) Der Erlass von Widerspruchsbescheiden wird mit Ausnahme der unter § 18 Abs. 2 Ziffer 7 fallenden Angelegenheiten besonderen Ausschüssen übertragen (§ 36 a Abs. 1 Ziffer 1 SGB IV).

§ 18 Abs. 2 Nr. 7 lautet:

Aufgaben des Geschäftsführers

(1) Der Geschäftsführer führt hauptamtlich die laufenden Verwaltungsgeschäfte des Versicherungsträgers, soweit Gesetz und sonstiges für den Versicherungsträger maßgebendes Recht nichts Abweichendes bestimmen. Er vertritt den Versicherungsträger insoweit gerichtlich und außergerichtlich (§ 36 Abs. 1 Satz 1 SGB IV).


(2) Laufende Verwaltungsgeschäfte sind insbesondere…

7. der Erlass von Widerspruchsbescheiden, soweit die Aufhebung oder Abänderung von Verwaltungsakten begehrt wird, die Sozialleistungen betreffen, auf die ein Rechtsanspruch besteht. Der Geschäftsführer kann diese Zuständigkeit den Leitern oder Dezernenten der Fachabteilungen und den in der Geschäftsstelle des Widerspruchsausschusses tätigen Bediensteten übertragen.

Deutsche Rentenversicherung Westfalen

§ 22 Widerspruchsausschüsse für laufende Verwaltungsgeschäfte

(1) Der Erlass von Widerspruchsbescheiden in laufenden Verwaltungsgeschäften wird besonderen Ausschüssen, und zwar Widerspruchsausschüssen, übertragen.

Stand: Januar 2020

§ 85 Abs. 3 SGG regelt, in welcher Form der Widerspruchsbescheid zu erteilen und bekannt zu geben ist.

Allgemeines zum Widerspruch

Vor Erhebung einer Anfechtungs- und Verpflichtungsklage (§ 54 SGG) bedarf es gemäß § 78 SGG eines Vorverfahrens: des Widerspruchsverfahrens. Sinn des Widerspruchsverfahrens ist die nochmalige Überprüfung des angefochtenen Verwaltungsaktes in einem besonderen Verwaltungsverfahren.

Das Widerspruchsverfahren ist kostenfrei, es werden vom Versicherungsträger keine Gebühren erhoben.

Im Verwaltungs- und Widerspruchsverfahren gilt der Amtsermittlungsgrundsatz (siehe GRA zu § 20 SGB X). Unterlässt der RV-Träger erkennbare und notwendige Ermittlungen im Verwaltungs- beziehungsweise Widerspruchsverfahren, kann das Sozialgericht

  • die Ermittlungen im gerichtlichen Verfahren nachholen und dem RV-Träger die Kosten hierfür auferlegen (siehe GRA zu § 192 SGG) oder
  • die angefochtenen Bescheide aufheben, das Verfahren an den RV-Träger zurückverweisen und ihm gleichzeitig die Kosten für das Gerichtsverfahren auferlegen (siehe GRA zu § 131 SGG).

Um die Kostenbelastung des RV-Trägers so gering wie möglich zu halten, bietet es sich deshalb an, alle Ermittlungsmöglichkeiten auszuschöpfen.

Bei Tod des Versicherten während des Widerspruchsverfahrens siehe GRA zu § 202 SGG, Abschnitt 5.

Auslegung des Widerspruchs gemäß § 133 BGB

Bei dem Widerspruch handelt es sich um eine Willenserklärung, die gegebenenfalls der Auslegung bedarf (siehe GRA zu § 84 SGG, Abschnitt 2).

Ist das Widerspruchsbegehren nach Wortlaut und Zweck eindeutig, bleibt jedoch kein Raum für die Auslegung der Willenserklärung.

Wird hingegen festgestellt, dass das Widerspruchsbegehren der Auslegung bedarf, ist der wirkliche Wille des Widerspruchsführers ausgehend vom Wortlaut der Erklärung unter Berücksichtigung der Begleitumstände zu erforschen.

Die Beantwortung der Frage, was der Widerspruchsführer „eigentlich“ begehrt, ist ausschlaggebend für die Entscheidung, ob eine volle Abhilfe (siehe Abschnitt 3.1) oder eine teilweise Abhilfe (siehe Abschnitt 3.2) möglich ist oder aber der Widerspruch zurückzuweisen ist (siehe Abschnitt 4).

In diesem Zusammenhang ist es durchaus zulässig, dem Widerspruchsführer mitzuteilen, wie der Widerspruch ausgelegt wurde und ihn hierzu um Stellungnahme zu bitten.

Es kann im übrigen nicht unterstellt werden, dass der Widerspruchsführer stets das aus Sicht des Rentenversicherungsträgers bestmögliche Ergebnis erzielen möchte. Denn in der Regel weiß dieser nicht, welche Rentenart und welche Rentendauer für den Widerspruchsführer am günstigsten ist. Die Bewilligung einer Erwerbsminderungsrente kann Einfluss auf andere Einkommen (beispielsweise Krankengeld, Arbeitslosengeld, Wohngeld, BAföG der Kinder, Rente der VBL usw.) haben, der vom Rentenversicherungsträger nicht abschätzbar ist. Für den Widerspruchsführer ist letztlich die Höhe des Gesamteinkommens von Bedeutung. Auch der Rentenbeginn kann den Anspruch auf andere Einkommen dem Grunde oder der Höhe nach beeinflussen.

Widerspruchsbegründung nicht erforderlich

Jeder Widerspruch umfasst - solange er nicht begründet ist - die Anfechtung sämtlicher Verwaltungsakte des maßgeblichen Bescheides (siehe GRA zu § 84 SGG; Abschnitt 5). Darüber hinaus ist zu beachten, dass das SGG keine Verpflichtung zur Begründung des Widerspruchs vorsieht.

Trägt der Widerspruchsführer keine konkreten Einwände vor, muss deshalb davon ausgegangen werden, dass der Widerspruchsführer den Bescheid in seiner Gesamtheit mit allen einzelnen Verwaltungsakten anfechten möchte. In diesem Fall ist im Rahmen des Widerspruchsverfahrens die Rechtmäßigkeit des gesamten Bescheides zu prüfen.

Wird der Widerspruch begründet, kann hingegen nicht ohne Weiteres unterstellt werden, dass der Widerspruchsführer sein Begehren auf die in der Begründung enthaltenen Punkte beschränken möchte (siehe Abschnitt 2.1, Auslegung des Widerspruchs gemäß § 133 BGB).

Materielle Beschwer

Eine „materielle“ Beschwer - sprich die Begründetheit eines Widerspruchs - liegt vor, wenn die angefochtene Entscheidung rechtswidrig ist und den Widerspruchsführer in seinen Rechten verletzt.

Liegt eine „materielle“ Beschwer vor, ist der Widerspruch insoweit begründet. Bei der Prüfung der Begründetheit ist das Widerspruchsbegehren maßgeblich (siehe Abschnitt 2.1). Es handelt sich um eine volle Abhilfe, wenn dem Antrag/Begehren des Widerspruchsführers in vollem Umfang entsprochen werden kann (siehe Abschnitt 3.1). Ist das Begehren zumindest teilweise begründet, liegt eine teilweise Abhilfe des Widerspruchs vor (siehe Abschnitt 3.2). Ist der Widerspruch hingegen nicht begründet, muss er mit einem Widerspruchsbescheid zurückgewiesen werden (siehe Abschnitt 4).

Änderung des Widerspruchsbegehrens

Der Widerspruchsführer kann während des anhängigen Widerspruchsverfahrens sein Begehren jederzeit ändern (zum Beispiel erweitern oder einschränken).

(Teilweise) Rücknahme des Widerspruchs

Ein Widerspruch ist zurückgenommen worden, wenn die Rücknahme vom Widerspruchsführer schriftlich ausdrücklich erklärt wurde. Eine telefonische Rücknahme des Widerspruchs ist nicht möglich.

Die Rücknahme des Widerspruchs kann in keinem Fall unterstellt werden. Das bedeutet konkret: Wurde der Widerspruchsführer zum Beispiel über die geltende Sach- und Rechtslage aufgeklärt, hat er die Möglichkeit, den Widerspruch ausdrücklich zurückzunehmen. Wenn der Widerspruchsführer hingegen nicht mitwirkt, er also schweigt, handelt es sich keinesfalls um eine Widerspruchsrücknahme.

Erklärt der Widerspruchsführer die Rücknahme des Widerspruchs schlechthin, handelt es sich um eine Rücknahme in vollem Umfang. Ansonsten wird der Widerspruchsführer sich auf einzelne Widerspruchspunkte beziehen. Im Zweifelsfall sollte eine entsprechende Rückfrage erfolgen.

Die Rücknahme des Widerspruchs steht einer Prozesshandlung gleich und hat den Verlust des Rechtsmittels zur Folge. Eine entsprechende Erklärung kann nicht rückgängig gemacht werden.

Bei einer teilweisen Rücknahme des Widerspruchs darf sich die noch zu treffende Widerspruchsentscheidung nur auf den restlichen Widerspruch beziehen.

„Verböserung“ im Widerspruchsverfahren

Mit dem Begriff der Verböserung oder Verschlechterung (lateinisch: reformatio in peius) wird die Veränderung der mit dem Widerspruch angegriffenen Verwaltungsentscheidung im Widerspruchsverfahren zu Lasten des Widerspruchsführers beschrieben. Die herrschende Meinung in Rechtsprechung und Literatur bejaht unter bestimmten Voraussetzungen die Zulässigkeit einer Verböserung (Urteil des BSG vom 02.12.1992, AZ: 6 RKa 33/90 mit weiteren Nachweisen).

Während eines Widerspruchsverfahrens kann die Verböserung/Verschlechterung des Widerspruchsführers erforderlich sein. Nach dem genannten BSG-Urteil ist eine Verschlechterung dann nicht ausgeschlossen, wenn aufgrund einer gesetzlichen Regelung für den Leistungsträger eine Befugnis zur Aufhebung des Verwaltungsaktes besteht. Die Rücknahme von Verwaltungsakten kann daher auch im Widerspruchsverfahren nach Maßgabe der §§ 45 ff. SGB X erfolgen.

Soweit eine Verböserung in Betracht kommt, muss dem Widerspruchsführer die Gelegenheit gegeben werden, sich in jedem Fall vor Erteilung des Widerspruchsbescheides zu äußern (Anhörung im Sinne von § 24 SGB X). Es gelten die Grundsätze des Vertrauensschutzes (Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, Kommentar zum SGG, 11. Aufl., § 85 Rdnr. 5).

Abhilfe und Stattgabe im Widerspruchsverfahren

Liegt eine „materielle“ Beschwer vor, ist der Widerspruch insoweit begründet (siehe Abschnitt 2.3).

Gemäß § 85 Abs. 1 SGG besteht die Möglichkeit, dem Widerspruch

  • vollständig abzuhelfen (siehe Abschnitt 3.1),
  • teilweise abzuhelfen (siehe Abschnitt 3.2) oder
  • nicht abzuhelfen (siehe Abschnitt 4).

Kommt der zuständige Rechtsmittelbereich zu dem Ergebnis, dass dem Widerspruch nicht abzuhelfen ist, ist ein Widerspruchsbescheid zu erteilen. Hierfür ist in der Regel ein Widerspruchsausschuss zuständig. Dieser muss dann abschließend über den Widerspruch entscheiden (§ 85 Abs. 2 Nr. 2 SGG). Weicht der Widerspruchsausschuss von dem Vorschlag des zuständigen Rechtsmittelbereichs ab (dem Begehren des Widerspruchsführers wird also -  doch noch -  entsprochen), wird dies als Stattgabe bezeichnet.

Der Widerspruchsausschuss hat die Möglichkeit,

  • dem Widerspruch in vollem Umfang stattzugeben (siehe Abschnitt 3.3),
  • dem Widerspruch teilweise stattzugeben (siehe Abschnitt 3.4),
  • den Widerspruch zurückzuweisen (siehe Abschnitt 4)
  • oder den Vorgang zur weiteren Sachaufklärung und gegebenenfalls anschließender Entscheidung an den zuständigen Rechtsmittelbereich zurückzuverweisen.

Die volle Abhilfe

Eine Abhilfe im Sinne von § 85 Absatz 1 SGG liegt vor, wenn dem Begehren/Antrag des Widerspruchsführers in vollem Umfang entsprochen wird (siehe Abschnitt 2.3). Hinsichtlich der Feststellung des Widerspruchsbegehrens sind die Ausführungen im Abschnitt 2.1 zu beachten.

Für die Beurteilung, ob es sich um eine volle Abhilfe handelt, ist zunächst das ursprüngliche (siehe Abschnitt 2.1) - gegebenenfalls später um weitere Punkte ergänzte (siehe Abschnitt 2.4) - Begehren des Widerspruchsführers maßgeblich. Widerspruchspunkte, die zwischenzeitlich zurückgenommen wurden, sind hierbei nicht mehr zu berücksichtigen (siehe Abschnitt 2.5).

Ist der Ausgangsbescheid mit dem Widerspruch zum Beispiel in zwei Punkten angefochten worden und nimmt der Widerspruchsführer den Widerspruch bezüglich eines Punktes zurück, ist der noch verbliebene Teil maßgeblich für die Beurteilung, ob eine volle Abhilfe möglich ist. Es handelt sich um eine volle Abhilfe, wenn dem noch weiterverfolgten (nicht durch Rücknahme erledigten) Begehren vollständig entsprochen werden kann. Die Tatsache, dass der Widerspruch ursprünglich mehrere Punkte beinhaltete, ist ausschließlich bei der Kostengrundentscheidung zu berücksichtigen (siehe GRA zu § 63 SGB X).

Die Kostengrundentscheidung ist von Amts wegen mit der Sachentscheidung über den Widerspruch zu treffen und dem Versicherten mitzuteilen.

Beachte:

Wurde eine Rente wegen Erwerbsminderung zunächst abgelehnt und lässt sich dem Widerspruch nicht konkret entnehmen,

  • ob eine Rente wegen teilweiser oder voller Erwerbsminderung begehrt wird oder
  • ob eine befristete oder unbefristete Rente gezahlt werden soll,

sind die Ausführungen in Abschnitt 3.1.2 zu beachten.

  • Über die volle Abhilfe ist ein Verwaltungsakt zu erteilen: der Abhilfebescheid (siehe Abschnitt 3.1.1).
  • Bestehen Zweifel am Widerspruchsbegehren, sind die Ausführungen im Abschnitt 3.1.2 zu beachten.
  • Darüber hinaus sind weitere Besonderheiten zu beachten, wenn sich der Widerspruch gegen einen Abhilfebescheid richtet (siehe Abschnitt 3.1.3).

Abhilfebescheid

Über die volle Abhilfe ist von der Stelle, die den angefochtenen Bescheid erteilt hat, ein Verwaltungsakt - der Abhilfebescheid - zu erteilen. Dieser Bescheid erhält als Rechtsbehelfsbelehrung die Widerspruchsklausel. Zusätzlich ist darauf hinzuweisen, dass der Widerspruch nur zulässig ist, soweit die Richtigkeit der Ausführung der Abhilfe des Widerspruchs beanstandet wird.

In den Abhilfebescheid ist auch die Kostengrundentscheidung aufzunehmen (siehe GRA zu § 63 SGB X).

Das Widerspruchsverfahren ist mit der Erteilung des Abhilfebescheides abgeschlossen (§ 85 Abs. 1 SGG).

Beachte:

Wurde eine Rente wegen Erwerbsminderung zunächst abgelehnt und lässt sich dem Widerspruch nicht konkret entnehmen,

  • ob eine Rente wegen teilweiser oder voller Erwerbsminderung begehrt wird oder
  • ob eine befristete oder unbefristete Rente gezahlt werden soll,

sind die Ausführungen in Abschnitt 3.1.2 zu beachten.

Abhilfebescheid, wenn Zweifel am Widerspruchsbegehren bestehen

Bestehen Zweifel daran, ob dem Begehren des Widerspruchsführers tatsächlich voll entsprochen wird, gibt es zwei Möglichkeiten:

  • Dem Widerspruchsführer wird mitgeteilt, welche Entscheidung beabsichtigt ist und er wird gleichzeitig befragt, ob der Widerspruch mit der geplanten Bescheiderteilung seine Erledigung finden würde. Bejaht der Widerspruchsführer diese Anfrage, gelten für die Bescheiderteilung die Ausführungen im Abschnitt 3.1.1.
  • Soll der Abhilfebescheid ohne Rückfrage beim Widerspruchsführer erteilt werden, sind zunächst die Ausführungen zur Auslegung eines Widerspruchs im Abschnitt 2.1 zu beachten. Sofern das Widerspruchsbegehren der Auslegung bedarf, ist zunächst ein Bescheid über die teilweise Abhilfe zu erteilen.

Dies ist zum Beispiel der Fall, wenn eine Rente wegen Erwerbsminderung zunächst abgelehnt wurde und sich dem Widerspruch nicht konkret entnehmen lässt,

  • ob eine Rente wegen teilweiser oder voller Erwerbsminderung begehrt wird oder
  • ob eine befristete oder unbefristete Rente gezahlt werden soll.

Der Bescheid wird gemäß § 86 SGG zum Gegenstand des Widerspruchsverfahrens.

Besonderheiten bei Widerspruch gegen Abhilfebescheid

Wird gegen den Abhilfebescheid erneut Widerspruch erhoben, ist zu prüfen, ob es sich rückschauend betrachtet zum Zeitpunkt der Erteilung des Abhilfebescheides tatsächlich um eine volle Abhilfe handelte. Maßgeblich ist das Widerspruchsbegehren vor Erteilung des Abhilfebescheides (siehe Beispiel 1).

Wird festgestellt, dass dem Widerspruchsbegehren voll abgeholfen wurde, ist der Widerspruch gegen den Abhilfebescheid nur zulässig, soweit er sich gegen die Ausführung der Abhilfe richtet.

Der als „volle Abhilfebescheid“ deklarierte Bescheid stellt nur eine teilweise Abhilfe dar, wenn festgestellt wird, dass dem Widerspruchsbegehren nicht in vollem Umfang entsprochen wurde. Dann handelt es sich - rückschauend betrachtet - nur um einen Teilabhilfebescheid. Dieser Bescheid ist deshalb - unabhängig von der enthaltenen Rechtsbehelfsbelehrung - gemäß § 86 SGG zum Gegenstand des ursprünglichen Widerspruchsverfahrens geworden.

Widerspruch gegen einen Ablehnungsbescheid wegen mangelnder Mitwirkung

Erhebt der Antragsteller Widerspruch gegen den Ablehnungsbescheid wegen mangelnder Mitwirkung gemäß § 66 SGB I und holt gleichzeitig zum Beispiel durch Einsendung der Antragsvordrucke die Mitwirkung nach, kann dem Widerspruch in vollem Umfang abgeholfen werden.

Mit dem Abhilfebescheid ist lediglich der Ablehnungsbescheid wegen mangelnder Mitwirkung aufzuheben. Mit dem Abhilfebescheid ist das Widerspruchsverfahren beendet. Die Kosten für das Widerspruchsverfahren sind in der Regel nicht zu übernehmen (siehe GRA zu § 63 SGB X).

Zu dem ursprünglichen Antrag muss - gegebenenfalls nach Durchführung weiterer Ermittlungen - eine neue rechtsbehelfsfähige Entscheidung getroffen werden. Diese Entscheidung wird nicht gemäß § 86 SGG zum Gegenstand des Widerspruchsverfahrens.

Die teilweise Abhilfe

Für die Beurteilung, ob es sich um eine volle oder teilweise Abhilfe handelt, gelten die Ausführungen des Abschnitt 3.1 sowie des Abschnitt 2.3.

Kann dem Widerspruch nur teilweise abgeholfen werden, ist zunächst über die teilweise Abhilfe ein Bescheid zu erteilen. Dieser Bescheid wird gemäß § 86 SGG Gegenstand des anhängigen Widerspruchsverfahrens.

Beachte:

Ruht das Widerspruchsverfahren beziehungsweise soll es zukünftig ruhen (siehe GRA zu § 202 SGG, Abschnitt 4), ist dennoch eine Entscheidung über die teilweise Abhilfe zu treffen und ein entsprechender Bescheid zu erteilen. Die Entscheidung zur teilweisen Abhilfe ist nicht bis zur Wiederaufnahme des ruhenden Widerspruchsverfahrens zurückzustellen.

Eine Kostengrundentscheidung ist erst am Ende des Widerspruchsverfahrens zu treffen (siehe GRA zu § 63 SGB X ).

Nach Bescheiderteilung ist eine im Bescheid gesetzte Äußerungsfrist abzuwarten. Es ist zu prüfen, ob

  • der Widerspruchsführer neue Einwände vorbringt (siehe Abschnitt 2.4),
  • der restliche Widerspruch zurückgenommen wurde (siehe Abschnitt 2.5),
  • der restliche Widerspruch weiterhin ruht (siehe GRA zu § 202 SGG, Abschnitt 4) oder
  • der restliche Widerspruch zurückzuweisen und der Widerspruchsstelle zur Entscheidung vorzulegen ist (siehe Abschnitt 4).

Die volle Stattgabe durch den Widerspruchsausschuss

Kommt der zuständige Rechtsmittelbereich nach Prüfung des Widerspruchs zu dem Ergebnis, dass dem Widerspruch nicht (in vollem Umfang) abzuhelfen ist, ist ein Widerspruchsbescheid zu erteilen. Hierfür ist in der Regel ein Widerspruchsausschuss zuständig (siehe Abschnitt 1).

Der Widerspruchsausschuss wird dem Widerspruch in vollem Umfang stattgeben, sofern er ihn für begründet hält. In diesem Fall weicht er vom Vorschlag des zuständigen Rechtsmittelbereichs ab. Die Entscheidung des Widerspruchsausschusses erfolgt mit dem Widerspruchsbescheid. Der Rentenversicherungsträger ist an diese Entscheidung gebunden (Peters, Sautter, Wolff, Kommentar zum SGG, § 85, Rdnr. 38). Mit der Erteilung des Widerspruchsbescheides ist das Widerspruchsverfahren abgeschlossen (§ 85 Abs. 2 SGG).

Die Kostengrundentscheidung erfolgt bereits mit dem Widerspruchsbescheid (siehe GRA zu § 63 SGB X).

Die teilweise Stattgabe durch den Widerspruchsausschuss

Kommt der zuständige Rechtsmittelbereich nach Prüfung des Widerspruchs zu dem Ergebnis, dass dem Widerspruch nicht abzuhelfen ist, ist ein Widerspruchsbescheid zu erteilen. Hierfür ist in der Regel ein Widerspruchsausschuss zuständig (siehe Abschnitt 1).

Der Widerspruchsausschuss wird dem Widerspruch teilweise stattgeben, soweit er ihn für begründet hält. In diesem Fall weicht er vom Vorschlag des zuständigen Rechtsmittelbereichs ab. Die Entscheidung des Widerspruchsausschusses erfolgt mit dem Widerspruchsbescheid. Der Rentenversicherungsträger ist an diese Entscheidung gebunden (Peters, Sautter, Wolff, Kommentar zum SGG, § 85, Rdnr. 38). Mit der Erteilung des Widerspruchsbescheides ist das Widerspruchsverfahren abgeschlossen (§ 85 Abs. 2 SGG).

Zur teilweisen Stattgabe ist ein Ausführungsbescheid zu erteilen. Es sind hierbei folgende Fälle zu unterscheiden:

  • Der Widerspruchsbescheid ist bei Erteilung des Ausführungsbescheides nicht mit der Klage angefochten (siehe Abschnitt 3.4.1).
  • Der Widerspruchsbescheid ist bei Erteilung des Ausführungsbescheides mit der Klage angefochten (siehe Abschnitt 3.4.2).

Widerspruchsbescheid ist bei Erteilung des Ausführungsbescheides nicht mit der Klage angefochten

Der Ausführungsbescheid erhält als Rechtsbehelfsbelehrung die Widerspruchsklausel. Zusätzlich ist darauf hinzuweisen, dass der Rechtsbehelf nur zulässig ist, soweit die Richtigkeit der Ausführung der Stattgabe des Widerspruchs zu beanstanden ist.

Die Kostengrundentscheidung erfolgt bereits mit dem Widerspruchsbescheid (siehe GRA zu § 63 SGB X) und ist daher in den Ausführungsbescheid nicht erneut aufzunehmen.

Widerspruchsbescheid ist bei Erteilung des Ausführungsbescheides mit der Klage angefochten

Der Ausführungsbescheid wird nach § 96 Abs. 1 SGG Gegenstand des Klageverfahrens (siehe GRA zu § 96 Abs. 1 SGG), wenn dieser mit dem Streitgegenstand der Klage in unmittelbarem Zusammenhang steht. Dabei ist es unerheblich, ob der Ausführungsbescheid vor oder nach Klageerhebung erteilt wird (BSG vom 12.05.1993, AZ: 7 RAr 56/92, SozR 3-4100 § 137 Nr. 4).

Einwände gegen den Ausführungsbescheid sind ausschließlich im Rahmen des Klageverfahrens vorzubringen. Ein weiterer Rechtsbehelf gegen den Ausführungsbescheid ist nicht zulässig.

Die Kostengrundentscheidung erfolgt bereits im Widerspruchsbescheid (siehe GRA zu § 63 SGB X) und ist daher in den Ausführungsbescheid nicht erneut aufzunehmen.

Dem Sozialgericht ist eine Bescheidzweitschrift des Ausführungsbescheides zu übersenden. Sofern der Kläger Einwände gegen diesen Bescheid direkt beim RV-Träger erhebt, sind diese ebenfalls an das Sozialgericht weiterzuleiten.

Zurückweisung des Widerspruchs

Bei Eingang eines Widerspruchs prüft die Stelle, die den angefochtenen Bescheid erteilt hat bzw. der zuständige Rechtsmittelbereich, ob der Widerspruch zulässig und begründet ist (siehe Abschnitt 2.3).

Kommt er zu dem Ergebnis, dass dem Widerspruch nicht abzuhelfen ist, muss der Widerspruch mit einem Widerspruchsbescheid zurückgewiesen werden. Ist der Widerspruch hingegen teilweise begründet, muss zunächst ein Teilabhilfebescheid erteilt werden (siehe Abschnitt 3.2). Anschließend ist der restliche Widerspruch mit einem Widerspruchsbescheid zurückzuweisen.

Beachte:

Sofern sich der Widerspruch sowohl auf Sachverhalte bezieht, in denen zunächst ein Ruhen des Verfahrens angezeigt wäre (siehe GRA zu § 202 SGG) als auch auf Sachverhalte, die mit Widerspruchsbescheid zurückzuweisen sind, gilt Folgendes: Der Widerspruch ist in vollem Umfang - also hinsichtlich sämtlicher Widerspruchspunkte - zurückzuweisen. Eine Trennung des Widerspruchsverfahrens ist nicht vorzunehmen, denn dies würde verfahrensrechtliche Probleme mit sich bringen (zum Beispiel Teilbarkeit des Streitgegenstandes, Konkurrenz von § 86 SGG und § 96 Absatz 1 SGG).

In welcher Form der Widerspruchsbescheid (siehe Abschnitt 4.1) bekannt zu geben ist, beschreibt Abschnitt 4.2.

Inhalt und Form des Widerspruchsbescheides

Der Widerspruchsbescheid muss deutlich machen,

  • auf welche Tatsachen die Entscheidung gestützt wird (zum Beispiel Unterlagen, beigezogene Beweismittel),
  • welche gesetzlichen Normen Grundlage für die Entscheidung sind beziehungsweise die Feststellung beinhalten, dass es für das Begehren keine gesetzliche Grundlage gibt,
  • welche Tatbestände der entsprechenden Norm nicht vorliegen und dazu führen, dass der Widerspruch zurückzuweisen ist.

Die Begründung für die Zurückweisung des Widerspruchs ist so abzufassen, dass sie dem Widerspruchsführer verständlich ist. Es ist stets auf das Vorbringen des Widerspruchsführers einzugehen.

Der Widerspruchsbescheid muss eine Rechtsbehelfsbelehrung enthalten. Diese muss den Widerspruchsführer über die Möglichkeit der Klage, Form der Klage, die Klagefrist und das Gericht, bei dem die Klage zu erheben ist, informieren. Bei fehlender oder unzutreffender Rechtsbehelfsbelehrung findet § 66 Abs. 2 SGG Anwendung.

Der Widerspruchsbescheid ist darüber hinaus um die Kostengrundentscheidung zu ergänzen, ob und gegebenenfalls in welchem Umfang Kosten des Widerspruchsverfahrens zu erstatten sind (GRA zu § 63 SGB X).

Für den Widerspruchsbescheid ist die Schriftform abweichend vom sonst geltenden Grundsatz der Formfreiheit (§ 33 Abs. 2 Satz 1 SGB X) zwingend vorgeschrieben. Ein Verstoß gegen das Schriftformerfordernis führt zur Nichtigkeit (Unwirksamkeit) des Widerspruchsbescheides.

Ein Widerspruchsbescheid muss jedoch nicht handschriftlich unterzeichnet werden. Gemäß § 33 Abs. 3 Satz 1 SGB X muss ein schriftlicher Verwaltungsakt

  • die erlassende Behörde erkennen lassen und die Unterschrift oder
  • die Namenswiedergabe des Behördenleiters, seines Vertreters oder seines Beauftragten

enthalten. Damit reicht es aus, wenn der Widerspruchsbescheid die Namenswiedergabe der an der Entscheidung über den Widerspruch beteiligten Personen enthält. Einer handschriftlichen Unterschrift auf dem Widerspruchsbescheid bedarf es deshalb nicht (siehe u. a. LSG Baden-Württemberg vom 29.01.2013, AZ: L 9 R 3176/11 – in sozialgerichtsbarkeit.de, Meyer-Ladewig/Keller/Schmidt, Kommentar zum SGG, 12. Aufl. 2017, § 85 Rdnr. 7b).

Bekanntgabe des Widerspruchsbescheides

Der Widerspruchsbescheid ist gemäß § 85 Abs. 3 Satz 1 SGG bekanntzugeben. Die Bekanntgabe richtet sich nach § 37 SGB X. Eine Zustellung (zum Beispiel durch Einschreiben/Rückschein) ist nicht erforderlich, gemäß § 85 Abs. 3 Satz 2 SGG jedoch unter Beachtung der §§ 2 bis 10 VwZG möglich.

Jeder RV-Träger legt für sich in eigener Zuständigkeit fest, welche Widerspruchsbescheide bekanntzugeben und welche zuzustellen sind.

Der mit dem Widerspruch angefochtene Bescheid wurde vom unzuständigen Rentenversicherungsträger erlassen

Im Rahmen der Widerspruchsbearbeitung muss auch geprüft werden, ob der RV-Träger für die Erteilung des angefochtenen Bescheides tatsächlich zuständig war. Bei dieser Prüfung kommt es ausschließlich auf die Zuständigkeit im Zeitpunkt der Antragstellung an. Ein Zuständigkeitswechsel während der Antragsbearbeitung oder des Widerspruchsverfahrens ist hierbei unbeachtlich. Denn die Zuständigkeit des RV-Trägers bleibt für die Dauer des laufenden Verwaltungsverfahrens erhalten.

Die Anwendung des § 85 Abs. 2 SGG ist dann problematisch, wenn ein RV-Träger über einen Antrag entschieden hat, obwohl er hierfür nicht zuständig war und dementsprechend ein anderer Rentenversicherungsträger hätte entscheiden müssen. Diese Nichtbeachtung der sachlichen Zuständigkeit hat zur Folge, dass der Bescheid zwar rechtswidrig ist; dies führt aber grundsätzlich nicht zur Nichtigkeit des Bescheides (§§ 31, 40 SGB X).

Wird gegen einen derartigen Bescheid Widerspruch eingelegt, muss die Bearbeitung des Widerspruches - trotz der sachlichen Unzuständigkeit - bei dem RV-Träger erfolgen, der den Bescheid erlassen hat. Der Vorgang ist daher nicht an den zuständigen Versicherungsträger abzugeben. Die Widerspruchsstelle eines Versicherungsträgers darf nur über die Rechtmäßigkeit von Bescheiden des „eigenen“ Versicherungsträgers entscheiden. Denn es handelt sich hierbei um ein Kontrollorgan, das organisatorisch an die Behörde angegliedert ist, die den angefochtenen Bescheid erlassen hat (§ 85 Abs. 2 Nr. 2 SGG).

Beispielsweise kann deshalb die Widerspruchsstelle der Deutschen Rentenversicherung Bund nicht über Widersprüche gegen Bescheide der Deutschen Rentenversicherung Mitteldeutschland entscheiden.

Bei der weiteren Bearbeitung sind folgende Fälle zu unterscheiden:

  • Widerspruch gegen einen teilweise begünstigenden Bescheid (siehe Abschnitt 5.1),
  • Widerspruch gegen einen ausschließlich belastenden Bescheid (siehe Abschnitt 5.2).

Widerspruch gegen einen (teilweise) begünstigenden Bescheid

Wird ein Bescheid angefochten, der zumindest teilweise begünstigend ist (zum Beispiel wegen fehlender Zeiten in einem Rentenbewilligungsbescheid), muss der Widerspruch unter Hinweis auf die Unzuständigkeit des RV-Trägers zurückgewiesen werden.

Eine Aufhebung des Bescheides ist nicht zulässig. Der RV-Träger ist gemäß § 77 SGG an den Bescheid gebunden. Die Rechtsposition des Widerspruchsführers würde sich durch eine Bescheidaufhebung verschlechtern, da diese zum Beispiel mit einem Wegfall der Rentenzahlung verbunden sein könnte.

Sollte der Versicherte den Widerspruchsbescheid mit der Klage anfechten, ist im Klageverfahren die Beiladung des zuständigen Versicherungsträgers gemäß § 75 Abs. 2 SGG zu beantragen.

Wird der Widerspruchsbescheid dagegen rechtskräftig, erwächst damit auch der ursprüngliche Bescheid in Bestandskraft; das heißt der Widerspruchsführer kann aus seinem ursprünglichen Antrag keine weiteren Rechte mehr herleiten. Der Vorgang ist in diesem Fall an den zuständigen Rentenversicherungsträger abzugeben.

Widerspruch gegen einen ausschließlich belastenden Bescheid

Wird ein ausschließlich belastender Bescheid angefochten (zum Beispiel eine Rentenablehnung), ist dem Widerspruch teilweise stattzugeben:

Der Bescheid ist im Widerspruchsbescheid unter Hinweis auf die Unzuständigkeit des RV-Trägers aufzuheben. Eine Aufhebung des angefochtenen Bescheides durch die Sachbearbeitung beziehungsweise den zuständigen Rechtsmittelbereich ohne die Einschaltung der Widerspruchsstelle ist nicht möglich. Denn allein die Aufhebung des ursprünglichen Bescheides ohne eine Sachentscheidung zum Widerspruchsbegehren stellt keine vollständige Abhilfe im Sinne des § 85 Abs. 1 SGG dar (siehe Abschnitt 3.1). Es muss auch noch eine Entscheidung über die begehrte Rente getroffen werden. Diese Entscheidung kann jedoch nur der zuständige Rentenversicherungsträger treffen.

Daher muss in diesem Fall immer der Widerspruchsausschuss entscheiden (§ 85 Abs. 2 SGG).

Sollte der Versicherte den Widerspruchsbescheid mit der Klage anfechten, ist im Klageverfahren die Beiladung des zuständigen Versicherungsträgers gemäß § 75 Abs. 2 SGG zu beantragen.

Wird der Widerspruchsbescheid dagegen rechtskräftig, muss nunmehr der zuständige Rentenversicherungsträger über den ursprünglichen Antrag neu entscheiden. Der Vorgang ist daher an den zuständigen Rentenversicherungsträger abzugeben.

Berichtigung beziehungsweise Änderung des Widerspruchsbescheides nach dessen Bekanntgabe

Mit der Erteilung des Widerspruchsbescheides ist das Widerspruchsverfahren abgeschlossen und die Entscheidungsbefugnis der Widerspruchsstelle endet (§ 85 Abs. 2 SGG). Der Widerspruchsbescheid bindet die Widerspruchsbehörde und die Ausgangsstelle (Peters, Sautter, Wolff, Kommentar zum SGG, § 85, Rdnr. 38).

Fehler im Widerspruchs- beziehungsweise Verwaltungsverfahren (zum Beispiel unterbliebene Anhörung, irrtümlich unvollständige Entscheidung zum Widerspruch) haben daher nicht zur Folge, dass das Widerspruchsverfahren noch offen ist (BSG vom 14.05.2003, AZ: B 4 RA 65/02 R).

Der RV-Träger hat keine Möglichkeit, nach Erteilung des Widerspruchsbescheides eine erneute Entscheidung zu diesem Widerspruch zu treffen. Genauso wenig kann er bezüglich einzelner Widerspruchspunkte erstmalig eine Entscheidung treffen, wenn diese im Widerspruchsbescheid (unzutreffender Weise) nicht berücksichtigt wurden, sofern die Widerspruchsstelle eine abschließende Entscheidung zum Widerspruch treffen wollte.

Nach Erteilung des Widerspruchsbescheides kann deshalb keine (Teil)Abhilfe im Sinne des § 85 SGG zu dem selben Widerspruch erfolgen, und es kann kein weiterer Widerspruchsbescheid zu dem selben Widerspruch ergehen.

Derartige Fehler im Verwaltungsverfahren sind jedoch gerichtlich in vollem Umfang überprüfbar. Gegebenenfalls muss im nachfolgenden Klageverfahren ein entsprechender Bescheid unter Berücksichtigung von § 96 Abs. 1 SGG erteilt werden.

Unabhängig davon ist die Korrekturvorschrift des § 44 SGB X auch auf Widerspruchsbescheide anwendbar. Eine Korrektur des Widerspruchsbescheides und gegebenenfalls des zugrunde liegenden Ausgangsbescheides nach § 44 SGB X erfolgt durch die Ausgangsbehörde. Denn die Zuständigkeit der Widerspruchsstelle hat mit Erteilung des Widerspruchsbescheides geendet.

Die Berichtigung des Widerspruchsbescheides ist jederzeit bei Vorliegen von Schreib- und Rechenfehlern unter anderen offenbaren Unrichtigkeiten im Rahmen des § 38 SGB X möglich.

Entscheidung über „Massenwidersprüche“ durch öffentlich bekannt gegebene Allgemeinverfügung

§ 85 Abs. 4 SGG soll den Sozialleistungsträgern einen effizienten Umfang mit sogenannten „Massenwidersprüchen“ ermöglichen. Von einem „Massenwiderspruch“ spricht man, wenn Widerspruchsführer in großer Zahl mit standardisierten Texten gegen eine bestimmte Regelung (zum Beispiel Rentenanpassung) Widerspruch einlegen. In derartigen Fällen werden bis auf wenige Musterverfahren alle Widersprüche zum Ruhen gebracht. Liegt die abschließende Entscheidung des Bundesverfassungsgericht vor, werden die ruhenden Verfahren wieder aufgerufen.

Während bisher in jedem Einzelfall ein Widerspruchsbescheid erteilt werden musste (zum Beispiel im Zusammenhang mit den Massenwidersprüchen gegen die Anpassung des Jahres 2000), wird durch Absatz 4 die Möglichkeit der öffentlichen Bekanntgabe einer (Massen)Widerspruchsentscheidung (Allgemeinvefügung) geschaffen. Dies gilt jedoch nur, wenn der Widerspruchsführer auf diese Möglichkeit bereits in der Ruhensmitteilung hingewiesen wurde.

Die öffentliche Bekanntgabe erfolgt durch Veröffentlichung der Allgemeinverfügung über

  • den Internetauftritt des zuständigen RV-Trägers,
  • im elektronischen Bundesanzeiger und
  • in mindestens drei überregional erscheinenden Tageszeitungen.

Die Klagefrist gegen im Wege der öffentlichen Bekanntmachung ergangene Widerspruchsentscheidungen beträgt gemäß § 87 Abs. 1 Satz 3 SGG ein Jahr und beginnt mit dem Tag zu laufen, an dem seit dem Tag der letzten Veröffentlichung zwei Wochen verstrichen sind. Auch auf diese Frist ist bereits in der Ruhensmitteilung hinzuweisen.

Beispiel 1: Widerspruch gegen den Abhilfebescheid

(Beispiel zu Abschnitt 3.1.3)

Der Versicherte erhebt Widerspruch gegen den Bescheid, mit dem die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung abgelehnt wurde. Er behauptet, er könne keiner Erwerbstätigkeit mehr nachgehen.

Die Sachbearbeitung stellt im Widerspruchsverfahren ein teilweise aufgehobenes Leistungsvermögen fest. Sie erteilt einen vollen Abhilfebescheid, mit dem sie eine Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung auf Dauer bewilligt.

Der Versicherte erhebt gegen den Abhilfebescheid erneut Widerspruch und verlangt die Zahlung einer Rente wegen voller Erwerbsminderung.

Lösung:

Rückschauend betrachtet, ist die Bewilligung der Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung keine volle Abhilfe, da sie dem Begehren des Versicherten nicht im vollem Umfang abgeholfen hat.

Der Versicherte hatte im Widerspruchsverfahren nicht behauptet, er könne nur noch stundenweise erwerbstätig sein, sondern er könne keine Erwerbstätigkeit mehr ausüben.

Bei der Bewilligung der Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung handelt es sich daher um einen Teilabhilfebescheid, der - entgegen der enthaltenen Rechtsbehelfsbelehrung - gemäß § 86 SGG zum Gegenstand des Widerspruchsverfahrens geworden ist.

Gesetz zur Änderung des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch vom 20.12.2012 (BGBl. I S. 2783)
Inkrafttreten: 01.01.2013

Änderungen bei der Erstattung der Aufwendungen für die Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung sowie der Übergang der Aufgabenerledigung in die Bundesauftragsverwaltung führen zur Angleichung von § 85 Absatz 2 Satz 2 erster Halbsatz.

Zusatzinformationen

Rechtsgrundlage

§ 85 SGG