§ 131 SGG: Zurückverweisung an die Verwaltung wegen unzureichender Sachverhaltsermittlung
veröffentlicht am |
20.03.2021 |
---|---|
Änderung |
|
Stand | 17.03.2021 |
---|---|
Erstellungsgrundlage | in der Fassung des Gesetzes zur Änderung des Vierten Buches Sozialgesetzbuch und anderer Gesetze vom 19.12.2007 in Kraft getreten am 01.01.2009 |
Rechtsgrundlage | |
Version | 002.00 |
- Inhalt der Regelung
- Inhalt der Regelung
- Erhebliche Ermittlung
- Entscheidung binnen sechs Monaten
- Entscheidung durch Urteil oder Gerichtsbescheid
- Einstweilige Regelung
Inhalt der Regelung
§ 131 SGG enthält Sonderregelungen über die Urteilsformel. Diese rechtliche Anweisung geht nur auf Absatz 5 der Regelung ein. Danach kann das Gericht das Verfahren an den Rentenversicherungsträger ohne Entscheidung in der Sache zurückweisen, wenn dieser aus Sicht des Gerichts notwendige Ermittlungen im Verwaltungsverfahren unterlassen hat.
Ergänzende/korrespondierende Regelungen
§ 86b SGG (Einstweiliger Rechtsschutz)
Inhalt der Regelung
Den Gerichten sollten durch § 131 Abs. 5 SGG zeit- und kostenintensive Sachverhaltsaufklärungen erspart werden, die eigentlich von der Behörde durchzuführen gewesen wären (BT-Drucksache 15/1508, S. 29). Zum 01.04.2008 wurde § 131 Abs. 5 SGG um einen Hinweis auf § 54 Abs. 4 SGG ergänzt. Seitdem kommt die Norm auch für Fälle zur Anwendung, bei denen vom Rentenversicherungsträger die Gewährung einer Rente abgelehnt wurde.
In der Praxis prüfen die Gerichte in einschlägigen Fällen, ob der Rentenversicherungsträger tatsächlich allen ihm aus § 20 SGB X erwachsenden Pflichten (Amtsermittlungsgrundsatz) nachgekommen ist. Um den Druck auf die Behörden weiter zu erhöhen, wurde gleichzeitig § 192 SGG dahingehend ergänzt, dass der Behörde Verschuldenskosten (früher: Mutwillenskosten) auferlegt werden können, wenn das Gericht erkennbare und notwendige Ermittlungen der Behörde nachgeholt hat (siehe GRA zu § 192 SGG).
In der Praxis hat die Vorschrift nur eine sehr untergeordnete Bedeutung. Der erhoffte Entlastungseffekt für die Justiz ist durch die engen Anwendungsgrenzen nicht eingetreten (Meyer-Ladewig, Keller, Leitherer, Kommentar zum SGG, 11. Auflage, § 131 SGG, Rdnr. 17).
Erhebliche Ermittlung
Voraussetzung für die Anwendung von Absatz 5 ist, dass aus Sicht des Gerichts eine weitere Sachaufklärung nötig ist, die nach Art und Umfang erheblich ist. Diese Ermittlungen müssen das Gericht nennenswert belasten.
In der Rechtsprechung wird überwiegend die Auffassung vertreten, dass die Einholung eines Sachverständigengutachtens (zum Beispiel ein medizinisches oder berufskundliches Gutachten) nicht dazu gehört. Es wird die Auffassung vertreten, dass eine Zurückverweisung zur Einholung (behörden-)externer Gutachten generell nicht sachdienlich ist, da dies in gleicher Weise durch das Gericht erfolgen kann. Allein Kostengründe dürften nicht ausschlaggebend sein. Solche Ermittlungen sind für die alltägliche Arbeit der Sozialgerichte im Übrigen geradezu typisch, weshalb sie auch in § 106 Abs. 3 Nr. 5 SGG beispielhaft aufgezählt sind („kann [der Vorsitzende] insbesondere die Begutachtung durch Sachverständige anordnen“). So werden Gutachten zum Beispiel regelmäßig von den Sozialgerichten in Auftrag gegeben, wenn es um die Gewährung von Erwerbsminderungsrente geht. Nur selten stützt ein Sozialgericht seine Urteilsfindung in diesem Bereich allein auf die im Verwaltungsverfahren eingeholten Gutachten.
In der Regel soll dies auch für die Einholung von Zeugenauskünften gelten, es sei denn, die Behörde ist hierzu besser in der Lage (zum Beispiel örtliche Entfernung, Stellungnahme von Mitarbeitenden). (Bolay in Lüdtke/Berchtold, Sozialgerichtsgesetz, SGG § 131 Rn. 29, 30, beck-online; Köhler, WzS 2012, 367, 371; Urteil des LSG Baden-Württemberg vom 22.04.2020, AZ: L 8 SB 367/20 –, Rn. 31, juris)
Eine Überprüfung kann uneingeschränkt im Berufungsverfahren erfolgen.
Entscheidung binnen sechs Monaten
Eine Entscheidung nach Absatz 5 Satz 1 kann nur innerhalb von sechs Monaten seit Eingang der Akten der Behörde bei Gericht ergehen. Dadurch soll eine verzögernde Behandlung durch das Gericht ausgeschlossen werden. Spätere Aktenanforderungen (zum Beispiel Reha-Akten) setzen die Frist nicht erneut in Lauf. Die Frist beginnt mit der erstmaligen Anforderung durch ein Gericht und beginnt im Berufungsverfahren nicht erneut zu laufen (Wolff-Dellen in Breitkreuz-Fichte, § 131, Rdnr. 22). Die Regelung ist damit in der Praxis nur für das erstinstanzliche Verfahren von Bedeutung.
Entscheidung durch Urteil oder Gerichtsbescheid
Die Entscheidung nach Absatz 5 ergeht durch Endurteil oder Gerichtsbescheid. Das Urteil ist ein Sachurteil, nicht lediglich ein Prozessurteil.
Einstweilige Regelung
Auf Antrag eines Beteiligten kann das Gericht eine sichernde Zwischenregelung treffen. Das Gericht entscheidet entsprechend den Kriterien bei § 86b Abs. 2 SGG (siehe GRA zu § 86b SGG) durch Beschluss, der jederzeit ohne Antrag geändert oder aufgehoben werden kann.
Zweites Gesetz zur Änderung des Vierten Buches Sozialgesetzbuch und anderer Gesetze vom 21.12.2008 (BGBl. I S. 2933) |
Inkrafttreten: 01.01.2009 Quelle zum Entwurf: BT-Drucksache 16/10488 |
§ 131 Abs. 2 S. 2 SGG wurde aufgehoben, bisheriger Satz 3 wird Satz 2 und neu gefasst, Absatz 5 Satz 1 geändert, Satz 2 eingefügt, bisherige Sätze 2 bis 4 werden Sätze 3 bis 5.
Gesetz zur Änderung des Sozialgerichtsgesetzes und des Arbeitsgerichtsgesetzes vom 26.03.2008 (BGBl. I S. 444) |
Inkrafttreten: 01.04.2008 Quelle zum Entwurf: BT-Drucksache 16/7716 |
§ 131 Absatz 5 wird ergänzt, sodass er nun auch für Anfechtungs- und Leistungsklage gilt.
Justizmodernisierungsgesetz vom 24.08.2004 (BGBl. I. S. 2198) |
Inkrafttreten: 01.09.2004 Quelle zum Entwurf: BT-Drucksache 15/1508 |
Dem § 131 SGG wird ein Absatz 5 eingefügt. Er gilt jedoch nur für Anfechtungsklagen.