Art. 9 VO (EG) Nr. 883/2004: Erklärungen der Mitgliedstaaten zum Geltungsbereich dieser Verordnung
veröffentlicht am |
16.09.2024 |
---|---|
Änderung | Abschnitte 2 und 4: Verlinkung auf die Internetseiten der Generaldirektion auf denen die Erklärungen zu Art. 9 VO (EG) Nr. 883/2004 veröffentlicht werden |
Stand | 04.09.2024 |
---|---|
Erstellungsgrundlage | in der Fassung der VO (EU) Nr. 465/2012 vom 22.05.2012 in Kraft getreten am 28.06.2012 |
Rechtsgrundlage | |
Version | 003.00 |
- Inhalt der Regelung
- Inhalt und Notifizierung der Erklärungen
- Verbindlichkeit der Erklärungen
- Die Erklärungen der einzelnen Mitgliedstaaten
Inhalt der Regelung
Art. 9 VO (EG) Nr. 883/2004 verpflichtet die Mitgliedstaaten, einmal jährlich im Rahmen einer offiziellen Mitteilung (Erklärung) die Rechtsvorschriften, Systeme oder Regelungen zu benennen, die unter den sachlichen Geltungsbereich des Europarechts fallen. In die Erklärung sind darüber hinaus die von den Mitgliedstaaten geschlossenen Abkommen im Sinne des Art. 8 Abs. 2 VO (EG) Nr. 883/2004, die nach ihren nationalen Rechtsvorschriften vorgesehenen Mindestleistungen im Sinne des Art. 58 VO (EG) Nr. 883/2004 sowie das Fehlen eines Versicherungssystems im Sinne des Art. 65a Abs. 1 VO (EG) Nr. 883/2004 aufzunehmen (vergleiche Abschnitt 2).
Ergänzende/korrespondierende Regelungen
- Art. 1 Buchst. l VO (EG) Nr. 883/2004
definiert den Begriff „Rechtsvorschriften“. - Art. 3 VO (EG) Nr. 883/2004
legt den sachlichen Geltungsbereich der VO (EG) Nr. 883/2004 fest. Die Vorschrift bestimmt damit die Zweige der sozialen Sicherheit, auf die das Europarecht Anwendung findet. - Art. 8 Abs. 2 VO (EG) Nr. 883/2004
stellt den Mitgliedstaaten frei, bei Bedarf nach den Grundsätzen und im Geist der VO (EG) Nr. 883/2004 bilaterale oder auch multilaterale Abkommen zu schließen. Der Abschluss solcher Abkommen muss nach Art. 9 VO (EG) Nr. 883/2004 der Kommission der Europäischen Union schriftlich bekannt gegeben werden. - Art. 58 VO (EG) Nr. 883/2004
garantiert Personen eine nach dem Recht ihres Wohnstaates vorgesehene Mindestleistung und damit verbunden gegebenenfalls die Gewährung einer Zulage durch den Wohnsitzstaat, wenn die Höhe der vorgesehenen Mindestleistung nicht erreicht wird. Mitgliedstaaten, die Mindestleistungen in Sinne dieser Vorschrift kennen, müssen diese nach Art. 9 VO (EG) Nr. 883/2004 der Kommission der Europäischen Union schriftlich bekannt geben.
Inhalt und Notifizierung der Erklärungen
Die Mitgliedstaaten benennen gegenüber der Europäischen Kommission in schriftlichen Erklärungen
- die Rechtsvorschriften, Systeme und Regelungen, die unter den sachlichen Geltungsbereich der VO (EG) Nr. 883/2004 fallen (vergleiche GRA zu Art. 3 VO (EG) Nr. 883/2004),
- die Abkommen im Sinne des Art. 8 Abs. 2 VO (EG) Nr. 883/2004, die sie mit anderen Mitgliedstaaten nach den Grundsätzen und im Geist der VO (EG) Nr. 883/2004 geschlossen haben (vergleiche GRA zu Art. 8 VO (EG) Nr. 883/2004),
- die Mindestleistungen im Sinne des Art. 58 VO (EG) Nr. 883/2004 (vergleiche GRA zu Art. 58 VO (EG) Nr. 883/2004),
- das Fehlen eines Versicherungssystems im Sinne des Art. 65a Abs. 1 VO (EG) Nr. 883/2004 sowie
- spätere wesentliche Änderungen.
Sie geben dabei ferner an, wann die jeweiligen Rechtsvorschriften, Regelungen oder Abkommen in Kraft getreten sind beziehungsweise ab welchem Zeitpunkt sie auf die VO (EG) Nr. 883/2004 Anwendung finden.
Die Mitgliedstaaten sind verpflichtet, ihre Erklärungen einmal jährlich der Europäischen Kommission schriftlich in Form einer offiziellen Mitteilung bekannt zu geben (notifizieren). Die Bekanntmachung der Erklärungen erfolgt anschließend im „erforderlichen Umfang“ (Art. 9 Abs. 2 VO (EG) Nr. 883/2004). Die Europäische Kommission, Generaldirektion für Beschäftigung, Soziales und Integration, veröffentlicht auf ihrer Internetseite die Erklärungen der EU-Mitgliedstaaten und der EWR-Staaten und des Vereinigten Königreichs zu Art. 9 VO (EG) Nr. 883/2004.
Verbindlichkeit der Erklärungen
Die Frage der Verbindlichkeit der Erklärungen wurde vom Europäischen Gerichtshof (EuGH) in zahlreichen Verfahren zur Auslegung von Art. 5 VO (EWG) Nr. 1408/71 diskutiert. Hierbei ging es zum einen um die Frage, ob in den Erklärungen nicht genannte Vorschriften unter den sachlichen Geltungsbereich des Europarechts fallen. Zum anderen war zu klären, welche Folgen sich im Hinblick auf die Anwendbarkeit des Europarechts ergeben, wenn Leistungen (Gesetze) in die Erklärungen aufgenommen wurden.
Die Rechtsprechung zur Auslegung des Art. 5 VO (EWG) Nr. 1408/71 wird zur ersten Frage auf den inhaltsgleichen Art. 9 VO (EG) Nr. 883/2004 übertragen. Damit gilt für Art. 9 VO (EG) Nr. 883/2004: wird ein Gesetz oder eine Regelung in den Erklärungen der Mitgliedstaaten nicht erwähnt, so ergibt sich daraus nicht ohne weiteres, dass dieses Gesetz oder diese Regelung nicht unter den Geltungsbereich der Verordnung fällt. Nationale Vorschriften können vielmehr auch dann unter den sachlichen Geltungsbereich des Europarechts fallen, wenn sie in den Erklärungen der Mitgliedstaaten nicht genannt sind (EuGH-Urteil vom 27.11.1977, Rechtssache C-35/77, Beerens; EuGH-Urteil vom 27.01.1981, Rechtssache C-70/80, Vigier).
Die zur zweiten Frage ergangene EuGH-Rechtsprechung, wonach die von einem Mitgliedstaat in seiner Erklärung genannten Gesetze oder Regelungen zwingend unter den sachlichen Geltungsbereich des Europarechts fallen (EuGH-Urteil vom 11.06.1991, Rechtssache C-251/89, Athanasopoulos, EuGH-Urteil vom 20.02.1997, Rechtssache C-88/95, C-102/95, C-103/95, Losada, Balado, Paredes), kann zur Auslegung des Art. 9 VO (EG) Nr. 883/2004 nicht mehr herangezogen werden. Denn der EuGH hat in seinem EuGH-Urteil vom 30.05.2018, Rechtssache C-517/16, entschieden, dass die von einem Mitgliedstaat gemäß Art. 9 VO (EG) Nr. 883/2004 abgegebene Erklärung nicht bindend sein muss und von einem nationalen Gericht - gegebenenfalls unter Einschaltung des EuGH - eigenständig geprüft werden darf.
Zusammenfassend bedeutet das, dass die Erklärungen der Mitgliedstaaten nicht uneingeschränkt verbindlich sind. Aus ihnen kann nicht geschlossen werden, dass sie abschließend, vollständig und zutreffend sind.
Darüber hinaus muss - unabhängig von der Rechtsprechung des EuGH - im Einzelfall beachtet werden, dass eine Übermittlung der (aktualisierten) Erklärungen an die Europäische Kommission nur einmal jährlich erfolgt (vergleiche Abschnitt 2). Diese zeitliche Vorgabe kann unter Umständen nicht immer den häufigen Änderungen in den Sozialversicherungssystemen der Mitgliedstaaten gerecht werden. Führt eine nationale Rechtsänderung beispielsweise dazu, dass der Charakter einer Leistung derartig geändert wird, dass sie zu einer Leistung der sozialen Fürsorge wird, so kann der gegebenenfalls noch vorhandene Eintrag dieses Gesetzes oder dieser Leistung in der Erklärung eines Mitgliedstaates nicht dazu führen, dass das Gesetz oder die Leistung weiterhin unter den sachlichen Geltungsbereich des Europarechts fällt. In diesem Fall muss die Regelung des Art. 3 Abs. 5 VO (EG) Nr. 883/2004 vorgehen.
Die Erklärungen der einzelnen Mitgliedstaaten
Auf der Internetseite der Generaldirektion für Beschäftigung, Soziales und Integration können die aktuellen Erklärungen der EU-Mitgliedstaaten und der EWR-Staaten und des Vereinigten Königreichs zu Art. 9 VO (EG) Nr. 883/2004 eingesehen werden.
Die Schweiz hat bisher keine Erklärung zu Art. 9 VO (EG) Nr. 883/2004 abgegeben.
Nach Art. 90 Abs. 1 Buchst. c VO (EG) Nr. 883/2004 blieb die VO (EWG) Nr. 1408/71 bis zu einer Übernahme der VO (EG) Nr. 883/2004 für die EWR-Staaten Island, Liechtenstein und Norwegen (bis 31.05.2012) sowie für die Schweiz (bis 31.03.2012) in Kraft. Für diese Staaten waren daher die bis zum jeweiligen Stichtag nach Art. 5 VO (EWG) Nr. 1408/71 abgegebenen Erklärungen maßgebend.
VO (EU) Nr. 465/2012 vom 22.05.2012 |
Inkrafttreten: 28.06.2012 Quelle: Amtsblatt (EU) Nr. L 149/4 vom 08.06.2012 |
Art. 9 Abs. 2 VO (EG) Nr. 883/2004 wurde dahingehend geändert, dass die Notifizierungen der Mitgliedstaaten nicht mehr im Amtsblatt der Europäischen Union veröffentlicht, sondern nur noch „im erforderlichen Umfang bekannt gemacht“ werden. Ferner wurde der Begriff „Kommission der Europäischen Gemeinschaften“ durch den Begriff „Europäische Kommission“ ersetzt sowie die Notifizierungen um das Fehlen eines Versicherungssystems im Sinne des Art. 65a Abs. 1 VO (EG) Nr. 883/2004 erweitert.
VO (EG) Nr. 883/2004 vom 29.04.2004 |
Inkrafttreten: 20.05.2004 Quelle: Amtsblatt (EU) Nr. L 200/1 vom 07.06.2004 (berichtigte Fassung) Anzuwenden ab: 01.05.2010 |
Art. 9 VO (EG) Nr. 883/2004 ist mit der VO (EG) Nr. 883/2004 vom 29.04.2004 am 20.05.2004 in Kraft getreten und ab 01.05.2010 anwendbar (Art. 91 Satz 2 VO (EG) Nr. 883/2004).
Art. 9 VO (EG) Nr. 883/2004 entspricht inhaltlich im Wesentlichen Art. 5 VO (EWG) Nr. 1408/71, hinsichtlich des Verfahrens zur Notifizierung und Veröffentlichung der Erklärungen Art. 97 VO (EWG) Nr. 1408/71. Unterschiede bestehen insoweit, dass in die Erklärungen
- beitragsunabhängige Sonderleistungen sowie Familienbeihilfen oder andere Beihilfen an Waisen nicht mehr sowie
- die von den Mitgliedstaaten miteinander im Geiste des Europarechts geschlossenen Abkommen nunmehr
aufgenommen werden.