Navigation und Service

Logo der Deutschen Rentenversicherung (Link zur Startseite rvRecht)

rvRecht® - Rechtsportal der Deutschen Rentenversicherung

§ 27 SGB X: Wiedereinsetzung in den vorigen Stand

Änderungsdienst
veröffentlicht am

12.11.2019

Änderung

Die GRA wurde im Abschnitt 7.2.1 ergänzt.

Dokumentdaten
Stand30.05.2016
Erstellungsgrundlage in der Fassung des SGB X vom 18.08.1980 in Kraft getreten am 01.01.1981
Rechtsgrundlage

§ 27 SGB X

Version001.01

Inhalt der Regelung

Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ist die ausdrückliche oder stillschweigende Entscheidung des Rentenversicherungsträgers, dass die versäumte, aber nachgeholte fristgebundene Handlung als rechtzeitig vorgenommen gilt. Der Sinn und Zweck der Wiedereinsetzung liegt allgemein in der Rechtswohltat, dass ein durch eine Fristversäumung, also durch einen formalen Fehler, im jeweiligen Verfahren entstandener Rechtsnachteil beseitigt werden kann (BSG vom 10.12.1974, AZ: GS 2/73).

Folgende Voraussetzungen müssen kumulativ für eine positive Entscheidung über eine Wiedereinsetzung erfüllt sein:

  • Versäumen einer gesetzlichen Frist (Absatz 1) - vergleiche Abschnitt 2,
  • unverschuldete Verhinderung an der Fristversäumnis (Absatz 1) - vergleiche Abschnitt 3,
  • Einhaltung einer Zwei-Wochen-Frist nach Wegfall des Hindernisses und Glaubhaftmachung der Tatsachen (Absatz 2) - vergleiche Abschnitt 4,
  • Einhaltung einer Ein-Jahres-Frist nach dem Fristablauf (Absatz 3) - vergleiche Abschnitt 5,
  • kein gesetzlicher Ausschluss der Wiedereinsetzung (Absatz 5) - vergleiche Abschnitt 7.

§ 27 SGB X gilt nur für gesetzliche Fristen, also nicht für behördliche Fristen und nicht für Termine.

Der Rentenversicherungsträger muss wie bei einer rechtzeitig vorgenommenen verfahrens- beziehungsweise materiellrechtlichen (anspruchsbegründenden) Handlung (auch) eine Entscheidung in der Hauptsache treffen (§ 27 Abs. 4 SGB X).

Wenn die Voraussetzungen des § 27 Abs. 1 bis 3 SGB X gegeben sind und Absatz 5 dem nicht entgegensteht, besteht ein Rechtsanspruch auf Wiedereinsetzung (also keine Ermessensentscheidung wie bei § 26 Abs. 7 SGB X bei behördlichen Fristen).

Die Vorschrift gilt nicht, wenn der Rentenversicherungsträger selbst eine gesetzliche Frist versäumt hat (zum Beispiel Rücknahmefrist nach § 45 Abs. 3 und 4 SGB X).

Ergänzende/korrespondierende Regelungen

§ 27 SGB X gilt nur für das sozialrechtliche Verwaltungsverfahren (ohne Widerspruchsverfahren). Für das Widerspruchsverfahren gilt § 84 Abs. 2 Satz 3 in Verbindung mit § 67 SGG, für das Klageverfahren § 67 SGG, der eine ähnlich ausgestaltete Regelung beinhaltet. § 27 SGB X entspricht § 32 VwVfG.

Versäumen einer gesetzlichen Frist

Eine Wiedereinsetzung kommt nur in Betracht, wenn eine gesetzliche Frist versäumt wurde (vergleiche GRA zu § 26 SGB X). Die Möglichkeit der Wiedereinsetzung besteht also nicht

  • bei behördlichen Fristen und nicht
  • bei Terminen.

Unter § 27 Abs. 1 SGB X fallen

  • sowohl verfahrensrechtliche
  • als auch materiellrechtliche

gesetzliche Fristen (vergleiche GRA zu § 26 SGB X). Da es im Allgemeinen um fristgebundene Verfahrenshandlungen geht, deren Versäumnis zu einem materiellen Nachteil für den Betroffenen führt, betrifft die Wiedereinsetzung in der Regel Verfahrensfristen mit materiellrechtlicher Bedeutung, also Fristen mit Doppelfunktion (vergleiche GRA zu § 26 SGB X).

Die Wiedereinsetzung ist grundsätzlich auch bei materiellrechtlichen Ausschlussfristen möglich, sofern dem § 27 Abs. 5 SGB X nicht entgegensteht (BSG vom 07.12.1989, AZ: 12 RK 22/89, zu § 1418 RVO).

Ein Fristversäumnis liegt bei (fristgebundenen) Anträgen und anderen empfangsbedürftigen Willenserklärungen auch dann vor, wenn sie vom Antragsteller/Absender vor Fristablauf abgesandt wurden, aber dem Rentenversicherungsträger oder den durch § 16 SGB I gleichgestellten Stellen erst nach Fristablauf zugegangen sind (Poststempel genügt nicht; vergleiche aber BSG-Urteil vom 01.02.1979, AZ: 12 RK 33/77, bezüglich des Zugangs bereits mit dem Einsortieren in das Postschließfach). Ein rechtzeitiger Zugang liegt auch dann vor, wenn das Schreiben am letzten Tag der Frist noch bis 24.00 Uhr in den Nachtbriefkasten eingeworfen und dieser erst am nächsten Tag geleert wird (vergleiche hierzu BVerfG vom 03.10.1979, AZ: 1 BvR 726/78).

Dies ergibt sich auch aus § 16 Abs. 2 Satz 2 SGB I und dem Rechtsgrundsatz des § 130 Abs. 1 Satz 1 BGB, der auch im öffentlichen Recht gilt.

Bei einer Verzögerung der Briefbeförderung oder bei Fehlen eines Nachtbriefkastens beim Rentenversicherungsträger kann jedoch ein Fristversäumnis ohne Verschulden vorliegen.

Unverschuldete Verhinderung

Grundvoraussetzung für die Wiedereinsetzung nach Versäumnis einer gesetzlichen Frist ist, dass der Betroffene „ohne Verschulden verhindert“ war, diese Frist einzuhalten.

Verschulden, also Vorsatz oder Fahrlässigkeit (vergleiche § 276 BGB), liegt vor, wenn der Beteiligte nicht die Sorgfalt walten lässt, die ein gewissenhafter, seine Rechte und Pflichten sachgerecht wahrnehmender Beteiligter angewendet hätte. Unverschuldet ist die Versäumung der Frist deshalb nur dann, wenn sie auch bei Anwendung der hiernach gebotenen Sorgfalt nicht vermeidbar war (BSG vom 16.10.1986, AZ: 12 RK 32/85).

Auch leichte Fahrlässigkeit schließt die Wiedereinsetzung aus. Jedoch dürfen die Anforderungen an die Sorgfaltspflicht nicht überspannt werden. Im Gegensatz zum Verschuldensbegriff des BGB ist auf die konkreten Verhältnisse - einschließlich höchstpersönlicher Umstände - des Betroffenen abzustellen. Hiernach ist nicht von einem objektiven, sondern von einem „subjektiven Fahrlässigkeitsbegriff“ auszugehen. Somit kommt es (auch) auf die persönlichen Verhältnisse des Betroffenen, insbesondere seinen Bildungsgrad und seine Rechtserfahrung an (BSG vom 10.12.1974, AZ: GS 2/73, BSGE 38, 248, 259). Auszugehen ist somit nicht von der von einem durchschnittlichen Beteiligten zu erwartenden Sorgfalt. Es kommt darauf an, ob dem Betroffenen nach den Umständen des Falles ein Vorwurf daraus gemacht werden kann, dass er die Frist versäumt hat, oder ob dies entschuldbar ist (zum Beispiel bei einer unklaren Fristsetzung).

Vereinfacht ausgedrückt liegt Verschulden vor, wenn der Beteiligte die ihm nach seinen Verhältnissen zumutbare Sorgfalt außer Acht gelassen hat. Umgekehrt liegt kein Verschulden vor, wenn er die ihm zumutbare Sorgfalt beachtet (und trotzdem die Frist versäumt) hat.

Verschulden eines Vertreters

Das Verschulden eines Vertreters ist dem Vertretenen zuzurechnen (§ 27 Abs. 1 Satz 2 SGB X).

Als gesetzliche oder rechtsgeschäftlich bestellte Vertreter kommen in Betracht:

  • gesetzliche Vertreter nach dem BGB (zum Beispiel Betreuer nach § 1896 BGB),
  • Bevollmächtigte nach § 13 SGB X (zum Beispiel Rentenberater, Rechtsanwälte, Gewerkschaftsvertreter, Ehegatten),
  • Vertreter von Amts wegen nach § 15 SGB X.

Das Verschulden des Vertreters ist dem Betroffenen wie eigenes Verschulden zuzurechnen. Maßgebend sind also die persönlichen Verhältnisse des Vertreters, nicht die des Beteiligten. Bei einem Bevollmächtigten, der geschäftsmäßig fremde Rechtsangelegenheiten wahrnimmt, sind im Zweifel höhere Anforderungen an die Sorgfaltspflicht zu stellen, als sie an den nicht vertretenen weniger rechtskundigen Beteiligten zu stellen wären.

Eine Wiedereinsetzung kommt also dann nicht in Betracht, wenn der (vertretene) Beteiligte an dem Fristversäumnis schuldlos ist, nicht aber dessen Vertreter.

Verschulden einer Hilfsperson

  • Hilfsperson des Beteiligten
    Nach § 27 Abs. 1 Satz 2 SGB X ist dem Betroffenen zwar das Verschulden eines Vertreters wie eigenes Verschulden zuzurechnen. Hierunter fallen jedoch nicht Hilfspersonen des Beteiligten. Hilfsperson ist jeder, der nicht „Vertreter“ des Betroffenen ist, aber für diesen tätig geworden ist zum Beispiel
    • die - nicht bevollmächtigte - Ehefrau, der ein Schreiben an den Beteiligten zugestellt wurde, das diese jedoch nicht vor Fristablauf an den Adressaten ausgehändigt hat (BSG vom 21.05.1963, AZ: 9 RV 294/60),
    • der Familienangehörige, der einen Überweisungsauftrag für freiwillige Beiträge „vergessen” und nicht rechtzeitig zur Bank gebracht hat,
    • der Bote.
    Das Verschulden einer Hilfsperson ist dem Beteiligten allerdings dann zuzurechnen, wenn dieser die Hilfsperson nicht ordnungsgemäß ausgesucht und überwacht hat.
  • Hilfsperson des Vertreters
    Nach § 27 Abs. 1 Satz 2 SGB X ist dem Betroffenen zwar das Verschulden eines Vertreters wie eigenes Verschulden zuzurechnen. Hierunter fallen jedoch nicht die Hilfspersonen des Vertreters, zum Beispiel nicht die Mitarbeiter der Kanzlei eines Rechtsanwalts.
    Dem Vertreter ist das Fehlverhalten jedoch dann zuzurechnen, wenn er die Hilfsperson nicht mit der erforderlichen Sorgfalt ausgewählt, angeleitet und überwacht hat. Dem geschäftsmäßig tätigen Bevollmächtigten sind auch Mängel in der Büroorganisation zuzurechnen.

Verschulden/Einzelfälle

Zur Frage des Verschuldens im Einzelfall gibt es eine umfangreiche Rechtsprechung, auf die hier nicht im Einzelnen eingegangen werden kann. Von einem persönlichen Verschulden des Beteiligten ist im Allgemeinen in folgenden Fällen auszugehen:

  • Der Betroffene hat einfach (also ohne ersichtlichen Grund) vergessen, die fristgebundene Handlung vorzunehmen. In diesem Fall hatte er die Frist als solche vorher also zur Kenntnis genommen.
  • Der Betroffene hat von dem Inhalt des amtlichen Schreibens, in dem ihm die gesetzliche Frist mitgeteilt wurde, bewusst oder fahrlässig keine Kenntnis genommen (auch bei Annahmeverweigerung).
  • Der Betroffene hat von der fristgebundenen Handlung bewusst abgesehen, weil er die Erfolgsaussichten materiellrechtlich unrichtig beurteilte (zum Beispiel glaubte, die Voraussetzungen nicht zu erfüllen; unbeachtlicher Motivirrtum; BVerwG, ZfS 1973, 50,51).
  • Der Betroffene hat von einer ihn begünstigenden, aber fristgebundenen gesetzlichen Neuregelung bis zum Fristablauf keine Kenntnis erlangt (mangelnde Rechtskenntnis); zum Beispiel von einer (Sonder-) Nachzahlungsmöglichkeit mit einer materiellrechtlichen Antrags-Ausschluss-Frist. Nach dem Grundsatz der „formellen Publizität“ bei der Verkündung von Gesetzen ist hier nicht von Schuldlosigkeit auszugehen. Nach diesem Grundsatz gelten Gesetze mit ihrer Verkündung im Bundesgesetzblatt allen Normadressaten als bekannt, ohne Rücksicht darauf, ob und wann sie von ihnen tatsächlich Kenntnis erlangt haben (BSG vom 21.05.1996, AZ: 12 RK 43/95).
  • Die fristgebundene Erklärung ist nicht mehr rechtzeitig beim Rentenversicherungsträger eingegangen, weil der Brief wegen unzulänglicher Adressierung von der Post (zunächst) fehlgeleitet wurde (BVerwG vom 31.01.1990 in NJW 1990, 1747).

Kein Verschulden/Einzelfälle

In § 41 Abs. 3 SGB X ist exemplarisch ein Tatbestand gesetzlich geregelt, bei dessen Vorliegen „die Versäumung der Rechtsbehelfsfrist als nicht verschuldet“ gilt, nämlich wenn

  • einem Verwaltungsakt die erforderliche Begründung fehlt oder
  • die erforderliche Anhörung eines Beteiligten vor Erlass des Verwaltungsaktes unterblieben ist

und dadurch die rechtzeitige Anfechtung des Verwaltungsaktes versäumt wurde.

Obwohl es hier nicht um eine Wiedereinsetzung nach § 27 SGB X, sondern nach § 67 Abs. 3 SGG geht, kann diese Regelung analog angewendet werden, wenn ein Verfahrens- oder Formfehler des Rentenversicherungsträgers dazu führt, dass vom Beteiligten eine (andere) gesetzliche Frist versäumt wird.

Von einer Fristversäumung ohne Verschulden kann regelmäßig in folgenden Fällen ausgegangen werden:

  • bei einer (auch kurz vor Fristablauf aufgetretenen) ernsthaften Erkrankung, infolge derer der Beteiligte die Frist nicht selbst wahren und auch keine andere Person damit beauftragen konnte (FAVR 4/88, TOP 5; BVerwG 25, 243),
  • bei einem an eine unzuständige Behörde (ohne § 16 SGB I) gerichteten Schriftsatz (zum Beispiel Antrag), wenn das Schreiben „infolge pflichtwidrigen Verhaltens dieser Stelle“ erst verspätet beim Rentenversicherungsträger eingeht (BSG vom 10.12.1974, AZ: GS 2/73, BSGE 38, 248 ff.),
  • bei einer die normalen Postlaufzeiten überschreitenden Verzögerung der Briefbeförderung oder -zustellung (BVerfG unter anderem vom 27.02.1992, AZ: 1 BvR 1294/91, NJW 1992, 1952),
  • bei einem unverschuldeten Rechtsirrtum über den Fristablauf, zum Beispiel aufgrund einer unrichtigen Auskunft des Rentenversicherungsträgers (vergleiche auch Hinweis in BSG-Urteil vom 22.02.1989, AZ: 5 RJ 42/88, auf BGH-Beschluss vom 07.12.1954, AZ: V BLw 69/54, JR 1955, 101 und BSG in SozR Nr. 6 zu § 145 SGG).

Zwei-Wochen-Frist

Der Antrag auf Wiedereinsetzung ist innerhalb von zwei Wochen nach Wegfall des Hindernisses zu stellen (§ 27 Abs. 2 Satz 1 SGB X).

Innerhalb der Antragsfrist ist die versäumte Handlung nachzuholen. Ist dies geschehen, kann die Wiedereinsetzung auch ohne (ausdrücklichen) Antrag - also von Amts wegen - gewährt werden (§ 27 Abs. 2 Sätze 3 und 4 SGB X).

Die (sehr kurze) Zwei-Wochen-Frist für den Wiedereinsetzungsantrag beziehungsweise zur Nachholung der versäumten Rechtshandlung beginnt mit dem Wegfall des Hindernisses (zum Beispiel Krankheit), das heißt mit dem Zeitpunkt, zu dem dem Betroffenen der Wegfall des Hindernisses bekannt wurde oder bekannt sein hätte können und müssen, wenn er die erforderliche Sorgfalt angewandt hätte.

Auch gegen die Versäumung dieser Frist ist die Wiedereinsetzung nach § 27 Abs. 1 SGB X zulässig; eine - bei großzügigem Maßstab - entschuldbare Unkenntnis des Betroffenen von der Zwei-Wochen-Frist kann in der Regel als „ohne Verschulden“ angesehen werden.

  • Glaubhaftmachung
    Die Tatsachen zur Begründung des Wiedereinsetzungsantrages sind bei der Antragstellung oder im Verfahren über den Antrag glaubhaft zu machen (§ 27 Abs. 2 Satz 2 SGB X). Dies gilt auch, wenn kein (ausdrücklicher) Antrag gestellt wird. Die Glaubhaftmachung muss nicht innerhalb der Zwei-Wochen-Frist erfolgen. Der Rentenversicherungsträger kann
    • dafür eine behördliche Frist setzen (BVerfG Beschluss vom 11.02.1976, AZ: 2 BvR 849/75, BVerfGE 41, 339) und
    • auch von Amts wegen ermitteln (§§ 20 und 24 SGB X).
    Eine Tatsache ist dann als glaubhaft anzusehen, wenn ihr Vorliegen nach dem Ergebnis der Ermittlungen, die sich auf sämtliche erreichbaren Beweismittel erstrecken sollen, überwiegend wahrscheinlich ist (§ 23 Abs. 1 Satz 2 SGB X, siehe auch GRA zu § 23 SGB X, Abschnitt 2).

Jahresfrist

Die Wiedereinsetzungsfrist von zwei Wochen nach Wegfall des Hindernisses (siehe Abschnitt 4) unterliegt einer Ausschlussfrist. Nach einem Jahr seit dem Ende der versäumten Frist kann

  • die Wiedereinsetzung nicht mehr beantragt oder
  • die versäumte Handlung nicht mehr nachgeholt werden,

außer wenn dies vor Ablauf der Jahresfrist infolge höherer Gewalt unmöglich war (§ 27 Abs. 3 SGB X).

Bei dieser Frist handelt es sich um eine absolute Ausschlussfrist im Sinne des § 27 Abs. 5 SGB X, nach deren Verstreichen eine Wiedereinsetzung unzulässig ist.

Lediglich in Fällen höherer Gewalt bleibt der Wiedereinsetzungsantrag nach § 27 Abs. 1 SGB X weiterhin zulässig. Höhere Gewalt liegt abgesehen von Naturereignissen oder anderen unabwendbaren Ereignissen vor, wenn die Versäumung der Jahresfrist auch durch Anwendung der größten, nach den gegebenen Umständen vernünftigerweise zu erwartenden und zumutbaren Sorgfalt nicht abgewendet werden konnte.

Die in § 27 Abs. 2 und 3 SGB X genannten Fristen gelten nicht, wenn ein sozialrechtlicher Herstellungsanspruch in Betracht kommt. Dieses höchstrichterlich gebildete Rechtsinstitut besteht neben § 27 SGB X.

Verfahren

Über den Antrag auf Wiedereinsetzung entscheidet die Behörde, die über die versäumte Handlung zu befinden hat (§ 27 Abs. 4 SGB X), also der Rentenversicherungsträger, wenn er für das eigentliche Verwaltungsverfahren (Hauptsache) zuständig ist.

Das gilt auch, wenn kein (ausdrücklicher) Antrag auf Wiedereinsetzung gestellt wird, aber die versäumte Handlung rechtzeitig nachgeholt wurde (Fälle des § 27 Abs. 2 Satz 4 SGB X; Kann-Vorschrift, bei der das Ermessen bei Vorliegen der sonstigen Voraussetzungen praktisch nur eine positive Entscheidung zulässt). Der Wiedereinsetzungsantrag ist an keine Form gebunden und kann auch konkludent gestellt werden.

Im Prinzip besteht also in beiden Fällen ein Anspruch auf Wiedereinsetzung, wenn die Voraussetzungen des § 27 Abs. 1 bis 3 SGB X erfüllt sind und Absatz 5 nicht entgegensteht.

Die Entscheidung über die Wiedereinsetzung ist ein (anfechtbarer) Verwaltungsakt, der auch in Verbindung mit der Entscheidung in der Hauptsache ergehen kann. Die Gewährung der Wiedereinsetzung kann auch ohne Verwaltungsakt, also im “schlichten Verwaltungshandeln” erfolgen, wenn die Voraussetzungen erfüllt sind.

Ausschluss der Wiedereinsetzung

Nach § 27 Abs. 5 SGB X ist die Wiedereinsetzung (nur dann) unzulässig, wenn sich aus einer Rechtsvorschrift ergibt, dass sie ausgeschlossen ist.

Diese Ausnahmeregelung ist als solche eng auszulegen, das heißt im Zweifel ist davon auszugehen, dass § 27 Abs. 5 SGB X der Wiedereinsetzung nicht entgegensteht.

Das gilt nicht nur bei gesetzlichen Verfahrensfristen. Auch bei Versäumung materiellrechtlicher Fristen ist Wiedereinsetzung grundsätzlich zulässig (BSG vom 25.10.1988, AZ: 12 RK 22/87, SGB 1990, S. 26, 27). Nach dieser Entscheidung ist die Wiedereinsetzung bei Fristen des materiellen Sozialrechts „nur unzulässig“, wenn

  • dies ausdrücklich bestimmt ist oder
  • sich durch Auslegung nach dem Zweck der jeweiligen Fristbestimmung und der ihr zugrunde liegenden Interessenabwägung ergibt

(siehe 1. Leitsatz in SozR 1300 § 27 SGB X, Nr. 4).

Die Wiedereinsetzung ist hiernach grundsätzlich auch bei materiellrechtlichen Ausschlussfristen nicht ausgeschlossen (AGFAVR 6/84, TOP 10).

Ausdrücklicher Ausschluss

Bei verschiedenen neueren gesetzlichen Ausschlussfristvorschriften (nach dem Inkrafttreten des § 27 SGB X am 01.01.1981) hat der Gesetzgeber die Wiedereinsetzung ausdrücklich ausgeschlossen, so beispielsweise in § 197 Abs. 4 SGB VI (Wirksamkeit von Beiträgen) und § 120d SGB VI (Verfahren und Zuständigkeit beim Rentensplitting).

Kein ausdrücklicher Ausschluss

Auch ohne ausdrücklichen Ausschluss im Gesetz kann die Wiedereinsetzung ausgeschlossen sein, wenn sich dieser aus der Funktion der Fristregelung, also aus ihrem Sinn und Zweck ergibt, was durch Auslegung zu ermitteln ist.

In vor 1981 erlassenen Gesetzen gibt es noch keine ausdrückliche Regelung über den Ausschluss der Wiedereinsetzung. Der 5. Senat des BSG hat die im Schlussprotokoll zum deutsch-amerikanischen Sozialversicherungsabkommen vom 07.01.1976 geregelte „reichlich bemessene“ Antragsfrist (bis zum 30.11.1984) für die Wiedereinzahlung erstatteter Beiträge zum Beispiel als absolut wirkende Ausschlussfrist im Sinne des § 27 Abs. 5 SGB X gewertet (BSG vom 22.02.1989, AZ: 5 RJ 42/88). Im Hinblick auf die in § 27 Abs. 3 SGB X normierte Jahresfrist, die selbst als absolute Ausschlussfrist im Sinne des § 27 Abs. 5 SGB X zu werten ist, haben Fristabläufe aus früheren Zeiten in Bezug auf Wiedereinsetzung heute keine praktische Bedeutung mehr, auch nicht unter dem Gesichtspunkt einer theoretisch bis heute andauernden „höheren Gewalt“ oder der vor Inkrafttreten des § 27 SGB X noch möglichen Nachsichtgewährung (vergleiche hierzu BSG-Urteil vom 11.05.2000, AZ: B 13 RJ 19/99 R).

Hier käme bei einer (damaligen) Falschberatung oder (vorwerfbar) unterlassenen Beratung eventuell noch ein sozialrechtlicher Herstellungsanspruch in Betracht.

Bei ab 1981 erlassenen Gesetzen kann nach der bisherigen BSG-Rechtsprechung grundsätzlich davon ausgegangen werden, dass zumindest bei solchen gesetzlichen Fristregelungen die Wiedereinsetzung nicht ausgeschlossen ist, die bei Fristversäumnis eine anspruchsvernichtende materiellrechtliche Ausschlusswirkung haben (vergleiche GRA zu § 26 SGB X).

Wiedereinsetzung möglich

Hiernach ist die Wiedereinsetzung zum Beispiel bei folgenden gesetzlichen Ausschlussfristen möglich:

Wiedereinsetzung nicht möglich

Antrags- beziehungsweise Erklärungsfristen, deren Nichteinhaltung nicht zum Verlust der (gewünschten) Rechtsfolge führen, sondern nur zu ihrem späteren Wirksamwerden, sind einer Wiedereinsetzung nicht zugänglich. Der vom FAVR 6/85, TOP 7 beschlossene Negativkatalog ist durch die bisherige Rechtsentwicklung teilweise zwar als gegenstandslos anzusehen - vergleiche unter anderem BSG vom 07.12.1989, AZ: 12 RK 22/89. Die diesem Katalog widersprechende neuere BSG-Rechtsprechung bezieht sich jedoch nur auf echte Ausschlussfristen, nicht aber auf diese Art von Fristen, die beispielhaft in der GRA zu § 26 SGB X, Abschnitt 3.2.2.2 unter “Antrags- beziehungsweise Erklärungsfristen” aufgeführt sind, nämlich

Unter § 27 Abs. 5 SGB X fallen ferner

Solange jemand „ohne Verschulden verhindert (war), eine gesetzliche Frist einzuhalten“, ist auch das Merkmal „unverzüglich“ (= ohne schuldhaftes Zögern - § 121 BGB) erfüllt.

Die Bestimmung über die Beschränkung der nachträglichen Leistungserbringung des § 44 Abs. 4 SGB X ist einer Wiedereinsetzung ebenfalls nicht zugänglich.

SGB X vom 18.08.1980 (BGBl. I S. 1469, 2218)

Inkrafttreten: 01.01.1981

Quelle zum Entwurf: BT-Drucksache 8/2034

§ 27 SGB X ist am 01.01.1981 in Kraft getreten. Ob die Vorschrift auf Fristen, die vor seinem Inkrafttreten abgelaufen sind, anzuwenden ist (verneinend Urteil des BSG vom 27.09.1983, AZ: 12 RK 7/82), kann heute im Hinblick auf die einjährige Ausschlussfrist des § 27 Abs. 3 SGB X dahingestellt bleiben.

Aus diesem Grunde kommt für vor dem 01.01.1981 ohne Verschulden abgelaufene Fristen auch keine Nachsichtgewährung unter Berücksichtigung von Treu und Glauben mehr in Betracht, weil auch diese regelmäßig nur möglich ist, „wenn die versäumte Rechtshandlung innerhalb eines Jahres nachgeholt worden ist“ (BSG vom 09.12.1981, AZ: 12 RK 38/80; vergleiche auch BSG vom 22.02.1989, AZ: 5 RJ 42/88).

Zusatzinformationen

Rechtsgrundlage

§ 27 SGB X