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12 RK 22/85

Tatbestand

Die Beteiligten streiten darüber, ob der Kläger in der Zeit vom 1. Januar 1983 bis 30. April 1985 befugt war, gemäß § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 2 des Handwerkerversicherungsgesetzes (HwVG) nur jeden zweiten Monat einen Pflichtbeitrag zu entrichten.

Der Kläger betreibt eine Druckerei. Er ist seit 1963 in der Handwerksrolle eingetragen. Im Jahre 1975 eröffnete er neben diesem Handwerksbetrieb ein Einzelhandelsgeschäft (Buchhandlung, Papier- und Schreibwaren), in dem seine Ehefrau und ein Lehrling beschäftigt sind. Von Januar 1983 bis 31. Dezember 1984 war außerdem sein Vater in der Buchhandlung tätig.

Im Januar 1983 beantragte er bei der Beklagten, weiterhin nur für jeden zweiten Monat Beiträge zur Pflichtversicherung der Handwerker zahlen zu müssen. Die Beklagte lehnte dies ab (Bescheid vom 8. März 1983; Widerspruchsbescheid vom 14. November 1983). Ihre Entscheidung begründete sie damit, daß der Kläger die Voraussetzungen von § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 2 HwVG nicht erfülle, weil er in der Buchhandlung seine Ehefrau, seinen Vater und einen Lehrling beschäftige. Es komme nicht allein auf die im Handwerksbetrieb tätigen Personen, sondern auf alle vom Handwerker im Rahmen seiner gewerblichen Tätigkeit beschäftigten Personen an.

Die hiergegen gerichtete Klage wurde abgewiesen (Urteil des Sozialgerichts Koblenz -SG- vom 19. Juli 1984). Die Berufung wurde zurückgewiesen (Urteil des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz -LSG- vom 27. Februar 1985). Das LSG hat sich der Auffassung der Beklagten angeschlossen, daß nach § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 2 HwVG die Zahl der im Rahmen der gesamten gewerblichen Tätigkeit des Handwerkers beschäftigten Personen maßgeblich sei. Die Beitragserleichterung diene dem Schutz von Kleinhandwerkern mit geringem Einkommen; zu diesem Personenkreis gehörten Handwerker nicht mehr, wenn sie mehrere Personen beschäftigten. In § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 2 HwVG sei im Gegensatz zu anderen Vorschriften (§§ 1 und 2 HwVG) nicht vom Handwerker oder Handwerksbetrieb die Rede, sondern vom "Gewerbebetrieb".

Mit der Revision macht der Kläger weiterhin geltend, daß es nur auf den Handwerksbetrieb selbst ankommen könne. Dort sei er aber als Alleinhandwerker tätig. Das Gesetz lasse in seinem Wortlaut nicht erkennen, daß auch ein neben dem Handwerk ausgeübter Gewerbebetrieb erfaßt sei; anderenfalls hätte der Gesetzgeber die Mehrzahl benutzen müssen. Beide Betriebe seien bei ihm auch streng getrennt und wirtschaftlich selbständig. Für den Handwerksbetrieb sei er im übrigen nur aufgrund einer Ausnahmebewilligung in die Handwerksrolle eingetragen worden und nicht berechtigt, Lehrlinge auszubilden. Mit dem Einzelhandelsgeschäft sei er hingegen bei der Industrie- und Handelskammer eingetragen mit der Befugnis, Lehrlinge auszubilden.

Der Kläger beantragt,

  • die Urteile des LSG und des SG aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 8. März 1983 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14. November 1983 zu verurteilen, ihn zur Beitragsentrichtung gemäß § 4 Abs. 5 HwVG ab 1. Januar 1983 zuzulassen.

Die Beklagte beantragt,

  • die Revision zurückzuweisen.

Sie bezieht sich im wesentlichen auf das angefochtene Urteil und weist darauf hin, daß durch Art. 12 Nr. 2 des Beschäftigungsförderungsgesetzes 1985 der § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 2 HwVG dahin geändert worden sei, daß die Vergünstigung Handwerkern zustehe, die mit Ausnahme "von Lehrlingen und" des Ehegatten keine weiteren Personen beschäftigten. Deshalb sei auch der Kläger seit dem 1. Mai 1985 wieder berechtigt, seine Beitragszahlung auf Pflichtbeiträge für jeden zweiten Monat zu beschränken.

Beide Beteiligten haben sich mit der Entscheidung des Rechtsstreits ohne mündliche Verhandlung (§ 124 Abs. 2 des Sozialgerichtsgesetzes -SGG-) einverstanden erklärt.

Entscheidungsgründe

Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und Zurückverweisung der Sache an das LSG.

Der Kläger möchte lediglich jeden zweiten Monat einen Beitrag zur Handwerkerversicherung entrichten. § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 2 HwVG in der bis 30. April 1985 geltenden Fassung (die hier anzuwenden ist) ließ dies zu für Zeiten, in denen Handwerker "in ihrem Gewerbebetrieb" nur einen Lehrling oder den Ehegatten oder einen Verwandten ersten Grades beschäftigten.

Diese Voraussetzungen könnten beim Kläger vorliegen. Der erkennende Senat vermag der Auffassung des LSG und der Beklagten, daß mit den Worten "in ihrem Gewerbebetrieb" die gesamte gewerbliche Tätigkeit des Handwerkers gemeint sei, nicht uneingeschränkt zu folgen. Es kommt vielmehr nur auf den Betrieb an, der für den Handwerker die Versicherungspflicht in der Handwerkerversicherung begründet. Dabei spielt es allerdings keine Rolle, ob sich dieser Betrieb auf handwerkliche Tätigkeiten beschränkt oder auch sonstige gewerbliche Betätigungen umfaßt. Wenn sich jedoch eine sonstige gewerbliche Tätigkeit in einem eigenständigen, von dem Handwerksbetrieb getrennten Betriebe vollzieht, sind die Beschäftigten dieses Betriebes für die Anwendung des § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 2 HwVG nicht von Bedeutung. Inwieweit beim Kläger eine solche Trennung vorliegt, bedarf noch tatrichterlicher Feststellungen.

Für die vom erkennenden Senat vertretene Auslegung des § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 2 HwVG spricht vor allem. daß der Handwerksbetrieb ein Gewerbebetrieb im Sinne des HwVG ist. Nach der Definition in § 1 Abs. 2 der Handwerksordnung ist ein Gewerbebetrieb ein Handwerksbetrieb im Sinne dieses Gesetzes, wenn er bestimmte Gewerbe umfaßt und handwerksmäßig betrieben wird. Gewerbebetrieb ist also der Oberbegriff, seine handwerksmäßige Ausübung macht ihn zum Handwerksbetrieb. Da das HwVG an die Handwerksordnung anknüpft (§ 1 HwVG), gilt die Definition der Handwerksordnung auch für das HwVG.

Indem § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 2 HwVG darauf abstellt, ob und welche Personen der Handwerker in seinem "Gewerbebetrieb" beschäftigt, legt schon diese Wortwahl eine Auslegung im Sinne eines handwerklichen Gewerbebetriebes nahe. Auch die Verwendung der Einzahl deutet, wie der Kläger mit Recht vorträgt, darauf hin, daß mit Gewerbebetrieb nur der Handwerksbetrieb gemeint ist. Anderenfalls hätte von "Gewerbebetrieben" die Rede sein müssen.

Daß das HwVG in einigen Vorschriften von "Handwerksbetrieb" spricht (vergleiche § 2 Abs. 1 Nrn. 2 und 4, § 7 Abs. 4, § 8 Abs. 2), in anderen hingegen den Ausdruck "Gewerbebetrieb" verwendet (vergleiche § 4 Abs. 5 und 6 sowie § 3 Abs. 2 in der Fassung des Beschäftigungsförderungsgesetzes 1985), läßt nicht den Schluß zu, daß beide Begriffe eine unterschiedliche sachliche Bedeutung haben sollen, insbesondere "Gewerbebetrieb" eine über den Handwerksbetrieb hinausgehende Betätigung meint. Untersucht man nämlich die genannten Vorschriften näher, so zeigt sich, daß von "Handwerksbetrieb" immer dort die Rede ist, wo es um die Einbeziehung von Personen geht, die selbst nicht Handwerker sind und lediglich über einen Handwerksbetrieb von der Handwerksordnung erfaßt werden. Wo es dagegen auf den Betrieb des Handwerkers selbst ankommt, wird der Ausdruck "Gewerbebetrieb" verwendet.

Auch in § 3 Abs. 2 HwVG kann nach Entwicklung und Zweck der Vorschrift mit dem "Gewerbebetrieb" nur der Handwerksbetrieb gemeint sein. § 3 Abs. 2 HwVG regelt die Anerkennung von Zeiten der Krankheit, der Arbeitsunfähigkeit, der Schwangerschaft und des Wochenbetts iS der §§ 1251/1259 der Reichsversicherungsordnung (RVO). Er beschränkte (in der hier anzuwendenden Fassung vor dem 30. April 1985) durch Verweisung auf § 4 Abs. 5 Nr. 2 HwVG die Anrechnung auf Zeiten, in denen Handwerker mit Ausnahme eines Lehrlings, des Ehegatten oder eines Verwandten ersten Grades keine weiteren Personen beschäftigten. Vorgänger dieser Bestimmung war § 5 Abs. 2 der Verordnung zur Durchführung und Ergänzung des Gesetzes über die Altersversorgung für das Deutsche Handwerk vom 13. Juli 1939 (RGBl I S 1255). Dort wurde körperliche Mitarbeit des Handwerkers in seinem Handwerksbetrieb gefordert. Die mit erheblichen Ermittlungsschwierigkeiten verbundene Feststellung dieser Voraussetzung wurde durch ein praktikableres Kriterium, nämlich die Zahl der Mitarbeiter, ersetzt (s auch Jorks, HwVG § 3 RdNr. 8; § 4 RdNr. 43). Der Gesetzgeber war der Auffassung, daß sich aus deren Zahl in der Regel hinreichend sicher ablesen läßt, ob der Handwerker in seinem Handwerksbetrieb in wesentlichem Umfang selbst körperlich mitarbeitet. Daraus ist zu ersehen, daß es insoweit nur auf die Mitarbeiter im Handwerksbetrieb ankommen sollte. Davon gehen im übrigen auch alle Erläuterungen der Versicherungsträger aus (vergleiche zB Lohmann, SozVers 62, 168, 171). Diese Auslegung wurde auch durch den Wortlaut des § 3 Abs. 2 HwVG in der bis 30. April 1985 geltenden Fassung gestützt. Denn dort wurde die Anrechnung der genannten Zeiten lediglich davon abhängig gemacht, wieviele Personen der Handwerker beschäftigte. Die Worte "in seinem Gewerbebetrieb" wurden erst später (mit Wirkung vom 1. Mai 1985) klarstellend eingefügt, ohne daß ersichtlich wurde, daß hiermit etwa eine Änderung des zu berücksichtigenden Personenkreises angestrebt war.

Ob der Ausdruck "Gewerbebetrieb" sich auch in § 4 Abs. 6 HwVG auf den Handwerksbetrieb beschränkt, kann hier dahinstehen. Dort wird die Möglichkeit, niedrigere Beiträge zu entrichten, von dem im letzten Einkommensteuerbescheid ausgewiesenen Betrag der "Jahreseinkünfte aus Gewerbebetrieb" abhängig gemacht. Bei diesem Begriff handelt es sich indes um einen steuerrechtlichen Ausdruck (§ 2 Abs. 1 Nr. 2 und § 15 des Einkommensteuergesetzes -EStG-), der - anders als die oben behandelten Vorschriften - nichts über den Sprachgebrauch des HwVG aussagt.

Für die Auffassung des Klägers spricht schließlich auch die Systematik des Handwerkerversicherungsrechts. Der erkennende Senat hat bereits mit Urteil vom 1. Februar 1979 (SozR 2200 § 1227 Nr. 24) entschieden, daß ein gemäß § 6 Abs. 3 HwVG versicherungsfreier Handwerker, der neben seinem Handwerksbetrieb eine davon unabhängige selbständige Tätigkeit ausübt, zur Antragspflichtversicherung nach § 1227 Abs. 1 Satz 1 Nr. 9 RVO zugelassen ist. Dieser versicherungsrechtlichen Trennung von Handwerksbetrieb und sonstiger gewerblicher Tätigkeit entspricht es, beide Betätigungen auch im Rahmen des Beitragsrechts getrennt zu betrachten. Dies gilt auch für § 4 Abs. 5 und 6 HwVG und die dort vorgesehene Minderung der Beitragspflicht im Hinblick auf die begrenzte wirtschaftliche Leistungsfähigkeit von Kleinhandwerkern. Mit ihr hat der Gesetzgeber die Existenz der betroffenen Handwerksbetriebe sichern wollen. Dieses Ziel kann aber nur erreicht werden, wenn die Fortführung des Betriebes nicht mit Belastungen verbunden ist, die nicht mehr in angemessenem Verhältnis zu den Einnahmen aus diesem Betrieb stehen. Dabei können, wo das Gesetz nichts anderes erkennen läßt, die Vorschriften des HwVG nur auf den Handwerksbetrieb selbst bezogen werden.

Auf der Grundlage dieser Auslegung des § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 2 HwVG bedarf es indes noch weiterer Feststellungen. Der erkennende Senat hat bereits in dem zitierten Urteil vom 1. Februar 1979 hervorgehoben, daß andere gewerbliche Tätigkeiten nur dann einen eigenen versicherungsrechtlichen Tatbestand bilden, wenn sie sich in einem selbständigen Gewerbebetrieb vollziehen. Nur dann sind die übrigen gewerblichen Tätigkeiten nicht Teil des Handwerksbetriebes. Maßgebliche Kriterien für die Entscheidung, ob die übrigen gewerblichen Tätigkeiten des Klägers dem Handwerksbetrieb zuzurechnen sind oder insoweit ein selbständiger Betrieb besteht, sind die Einheit des Betriebsinhabers, der Betriebsleitung, des Betriebszwecks, der Personalverwaltung, ferner der Umfang der gemeinschaftlich verwendeten Arbeitsmittel und das Ausmaß der betriebsorganisatorischen Verflechtung. Im einzelnen wird auf das zitierte Urteil verwiesen (vergleiche auch BSG SozR 4670 § 2 Nr. 2 S 5; BSGE 46, 218; SozR 4100 § 75 Nr. 9; BSGE 59, 87, 89; BSG, 12. August 1987 - 10 RAr 13/85 - ZIP 1987, 1264; s auch BAGE 46, 363).

Das LSG wird also unter Anwendung der genannten Kriterien noch feststellen müssen, inwieweit die Druckerei des Klägers und sein Einzelhandelsgeschäft (Buchhandlung, Papier- und Schreibwaren) miteinander verflochten sind. Erst danach kann entschieden werden, ob es sich bei dem Einzelhandelsgeschäft um einen selbständigen Betrieb handelt, dessen Beschäftigte dann im Rahmen von § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 2 HwVG nicht zu berücksichtigen wären, oder ob beide Gewerbezweige in einem einheitlichen Betrieb verbunden sind und deshalb auch für § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 2 HwVG nur einheitlich betrachtet werden können.

Ob die Druckerei einen handwerklichen Nebenbetrieb bildet, ist hier nicht entscheidungserheblich, weil Versicherungsfreiheit nach § 2 Abs. 1 Nr. 1 HwVG für den Inhaber eines handwerklichen Nebenbetriebes nur eintritt, wenn er als solcher in die Handwerksrolle eingetragen ist. Die Kostenentscheidung bleibt dem abschließenden Urteil überlassen.

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