12 RK 73/79
Tatbestand
Die Beteiligten streiten darüber, ob die Klägerin für Beschäftigungszeiten iSd § 16 des Fremdrentengesetzes (FRG) Beiträge nach § 10 Abs. 1 des Gesetzes zur Regelung der Wiedergutmachung nationalsozialistischen Unrechts in der Sozialversicherung (WGSVG) nachentrichten darf.
Die jetzt in Israel als Staatsangehörige dieses Landes lebende Klägerin ist die Witwe des am 12. Juli 1941 in einem Konzentrationslager verstorbenen Angestellten O R, der von 1930 bis März 1941 in Z als Versicherungsangestellter beschäftigt war. Für die Zeit ab 1. Januar 1938 - nach der Einführung der Rentenversicherung in Jugoslawien - sind Beiträge entrichtet worden. Die Beklagte hat die davorliegende Zeit bis Dezember 1937 als Beschäftigungszeit iSd § 16 FRG und die folgende Zeit bis März 1941 als Beitragszeit iSd §15 FRG sowie bis Juli 1941 als Ersatzzeit anerkannt.
Den Antrag der Klägerin, ihr für die Zeit von Januar 1933 bis Dezember 1937 die Beitragsnachentrichtung nach § 10 WGSVG zu gestatten, lehnte die Beklagte durch Bescheid vom 31. Mai 1978 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 18. Oktober 1978 mit der Begründung ab, die Nachentrichtung sei wegen der Anerkennung dieser Zeit als Beschäftigungszeit iSd § 16 FRG ausgeschlossen.
Die Klage und die Berufung der Klägerin blieben ohne Erfolg (Urteil des Sozialgerichts -SG- vom 14. Februar 1979; Urteil des Landessozialgerichts -LSG- vom 4. September 1979). Das LSG hat zur Begründung ausgeführt, die Beitragsnachentrichtung nach § 10 Abs. 1 Satz 1 WGSVG sei für eine Beschäftigungszeit iSd § 16 FRG ausgeschlossen; diese Zeit sei „wie eine Beitragszeit“ zu beurteilen und dürfe daher als beitragslose Versicherungszeit iSd § 27 Abs. 1 Buchst. b des Angestelltenversicherungsgesetzes (AVG) nicht mit Beiträgen belegt werden. Diese Abgrenzung entspreche auch der Zielsetzung des § 10 WGSVG, wonach nur verfolgungsbedingte Lücken im Versicherungsverlauf geschlossen werden sollen.
Gegen dieses Urteil richtet sich die - vom LSG zugelassene - Revision der Klägerin. Sie macht geltend, das LSG habe den in § 10 Abs. 1 Satz 1 WGSVG verwendeten Begriff „Beiträge“ unzutreffend mit dem in § 27 Abs. 1 Buchst. b AVG verwendeten Begriff „Beitragszeiten“ gleichgesetzt. Außerdem habe es verkannt, daß Beschäftigungszeiten iSd § 16 FRG den Beitragszeiten nicht völlig gleichstehen, weil gem § 98 Abs. 2 AVG Renten für solche Zeiten nicht ins Ausland gezahlt werden.
Die Klägerin beantragt,
- die Urteile des LSG Berlin vom 4. September 1979 und des SG Berlin vom 14. Februar 1979 sowie den Bescheid der Beklagten vom 31. Mai 1978 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 18. Oktober 1978 aufzuheben, die Beklagte zu verurteilen, die Klägerin zur Beitragsnachentrichtung nach § 10 WGSVG für die Zeit von Januar 1933 bis Dezember 1937 zuzulassen.
Die Beklagte beantragt,
- die Revision zurückzuweisen.
Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.
Beide Beteiligte haben sich mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung (§ 124 Abs. 2 des Sozialgerichtsgesetzes -SGG-) einverstanden erklärt.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist begründet, die Klägerin ist zur Beitragsnachentrichtung nach § 10 WGSVG für die Zeit von Januar 1933 bis Dezember 1937 berechtigt.
Nach § 10 WGSVG können Verfolgte, die nach § 9 WGSVG zur Weiterversicherung berechtigt sind, abweichend von der Regelung des § 140 AVG Beiträge in einem bestimmten Umfang nachentrichten. Zur Weiterversicherung berechtigt sind nach § 9 WGSVG Verfolgte mit einer Versicherungszeit von ö0 Kalendermonaten, deren rentenversicherungspflichtige Beschäftigung oder Tätigkeit aus Verfolgungsgründen unterbrochen oder beendet worden ist oder die bis zum Beginn der Verfolgung eine Ausfallzeit nach § 1259 Abs. 1 Nrn 1, 2 oder 3 der Reichsversicherungsordnung (RVO) zurückgelegt haben. Verfolgte im Sinne dieser Vorschrift sind gemäß § 1 WGSVG auch die Hinterbliebenen derjenigen, die die Voraussetzungen des § 1 des Bundesentschädigungsgesetzes (BEG) erfüllen, die also ua aus Gründen der Rasse durch nationalsozialistische Gewaltmaßnahmen iSd § 2 BEG verfolgt worden sind. Da nach den bindend gewordenen Feststellungen des LSG die Voraussetzungen des § 9 WGSVG in der Person ihres Ehemannes erfüllt sind, ist die Klägerin auch grundsätzlich zur Beitragsnachentrichtung nach § 10 WGSVG berechtigt.
Entgegen der von der Beklagten und den Vorinstanzen vertretenen Rechtsansicht steht der Zulässigkeit der Beitragsnachentrichtung nach § 10 WGSVG nicht entgegen, daß die Zeiten, für welche die Nachentrichtung erfolgen soll, Beschäftigungszeiten iSd § 16 FRG sind. Die Beitragsnachentrichtung nach § 10 WGSVG ist nur ausgeschlossen, soweit die Zeiten, für die Beiträge nachentrichtet werden sollen, bereits mit Beiträgen belegt oder als Ersatzzeiten anzurechnen sind. Der Senat hat schon in dem Urteil vom 23. September 1980 - 12 RK 28/79 - (SozR 5070 § 8 Nr. 3) entschieden, daß eine Beschäftigung, die nach § 16 FRG einer rentenversicherungspflichtigen Beschäftigung, für die Beiträge entrichtet worden sind, nur „gleichsteht“, keine mit Beiträgen belegte Zeit iSd § 8 Abs. 1 Satz 1 WGSVG ist, weil die Unterscheidung zwischen einer mit Beiträgen belegten und einer nur gleichstehenden Zeit sich ua daraus rechtfertige, daß die Rechtswirkungen beider Zeiten, insbesondere hinsichtlich der Auszahlung der auf sie entfallenden Rente ins Ausland, unterschiedlich sind. Dieser Grundsatz gilt nicht nur für die Fälle der Nachentrichtung gem § 8 WGSVG nach einer Beitragserstattung wegen Heirat iSd § 7 WGSVG, sondern in gleicher Weise auch für die Nachentrichtung nach § 10 WGSVG in den Fällen der verfolgungsbedingten Unterbrechung oder Beendigung einer versicherungspflichtigen Beschäftigung iSd § 9 WGSVG. Der Gesetzgeber hat zwar für beide Fälle der Weiterversicherungsberechtigung (§§ 7 und 9 WGSVG) und der Nachentrichtungsberechtigung (§§ 8 und 10 WGSVG) an unterschiedliche Verfolgungstatbestände angeknüpft; er hat jedoch die versicherungsrechtlichen Beschränkungen der Beitragsnachentrichtung für beide Fälle gleich geregelt und sie übereinstimmend nur ausgeschlossen, soweit die Zeiten, für die die Nachentrichtung erfolgen soll, schon mit Beiträgen belegt oder als Ersatzzeiten anzurechnen sind. Mit der inhaltlich nur in dieser Weise und darüber hinaus nur noch zeitlich beschränkten Zulassung der Nachentrichtung nach § 10 WGSVG hat der Gesetzgeber den Verfolgten nicht nur die nachträgliche Belegung der durch eine Verfolgungsmaßnahme individuell verlorenen Beitragszeiten gestattet, sondern die Nachentrichtung für einen von dem Umfang einer Vorversicherungszeit unabhängigen Zeitraum eröffnet. In dieser Zielsetzung stimmen - unbeschadet der Unterschiede zwischen den Schädigungstatbeständen iSd § 7 WGSVG (siehe dazu erkennender Senat, Urteil vom 23. September 1980 - 12 RK 28/79 - aaO) und des § 9 WGSVG - die den Betroffenen in den §§ 8 und 10 WGSVG eröffneten Nachentrichtungsrechte überein. Bei den §§ 9 und 10 WGSVG handelt es sich daher nicht um die Gleichstellung bestimmter, im Vertreibungsgebiet iSd § 16 FRG zurückgelegter Beschäftigungszeiten mit Beitragszeiten im Geltungsbereich des FRG, sondern um die allein aus dem Verfolgungstatbestand der Unterbrechung oder Beendigung einer rentenversicherungspflichtigen Beschäftigung hergeleitete und inhaltlich eigenständig geregelte Beitragsnachentrichtung für gesetzlich im einzelnen festgelegte Zeiten. Dies kann, wie die Beklagte zutreffend meint, als eine Pauschalierung des Schadens bezeichnet werden, die hinsichtlich des Nachentrichtungszeitraumes im Einzelfall der Höhe nach auch fiktiv sein kann.
Im Verhältnis zur Gleichstellung gem § 16 FRG ist die Beitragsnachentrichtung nach § 10 WGSVG die speziellere Regelung, die dem Berechtigten - insbesondere hinsichtlich der Rentenzahlung ins Ausland - weitergehende Rechte eröffnet, als sie ihm durch die (bloße) Gleichstellung von Beschäftigungszeiten iSd § 16 FRG mit Beitragszeiten gewährt werden. Es fehlt auch jeder Anhalt dafür, daß der Gesetzgeber die für den Berechtigten günstigere Regelung des Nachentrichtungsrechtes in § 10 WGSVG mit der später geschaffenen Vorschrift des § 16 FRG einschränken wollte. Das FRG hat ersichtlich nur den Zweck, für die Betroffenen eine Verbesserung ihrer Rentenansprüche herbeizuführen, indem Lücken geschlossen werden, die anders nicht geschlossen werden können oder jedenfalls noch bestehen. Eine andere Auslegung würde darüber hinaus mit dem Zweck des WGSVG nicht vereinbar sein. Es war Ziel der Vorschriften des WGSVG, allen Verfolgten die Möglichkeit zur Verbesserung ihres versicherungsrechtlichen Status zu geben, und zwar unabhängig davon, ob sie deutsche Staatsangehörige sind oder sich in Deutschland aufhalten, weil angesichts der Tatsache, daß sich ein großer Teil der Opfer des NS-Regimes im Ausland aufhält oder gar ausländischer Staatsbürger ist, eine Entschädigung anders nicht wirksam hätte erfolgen können. Die Auffassung der Beklagten würde auf einem Umweg zu einer im WGSVG nicht angelegten Differenzierung zwischen verschiedenen Gruppen von Verfolgten führen, ohne daß hierfür aus dem Regelungsziel des FRG ein Bedürfnis abzuleiten wäre.
Aus diesen Gründen ist eine Beschäftigungszeit, die nach § 16 FRG einer Zeit rentenversicherungspflichtiger Beschäftigung, für die Beiträge entrichtet worden sind, nur „gleichsteht“, nicht nur iSd § 8 Abs. 1 Satz 1 WGSVG, sondern in gleicher Weise auch iSd § 10 Abs. 1 Satz 1 WGSVG keine „mit Beiträgen belegte“ Zeit.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.