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1 RA 59/76

Gründe I.

Streitig ist, ob die Beklagte dem Kläger eine Zeit der Arbeitslosigkeit als AusfaIlzeit vorzumerken hat.

Der 1914 geborene Kläger war - insoweit inzwischen nachversichert - von 1939 bis 8. Mai 1945 Berufssoldat, bis 28. August 1945 in Kriegsgefangenschaft und sodann bis 19. Mai 1946 arbeitslos; beide letztgenannten Zeiträume hat die Beklagte als Ersatzzeit bereits anerkannt (§ 28 Abs. 1 Nr. 1 des Angestelltenversicherungsgesetzes - AVG -). Ebenfalls anerkannt, hier aber als Ausfallzeit nach § 36 Abs. 1 Nr. 4 AVG, hat die Beklagte die anschließende Zeit eines Studiums des Klägers an einer Staatsbauschule bis 15. August 1947. Hernach war der Kläger bis 25. Januar 1948 arbeitslos; um diese Zeit geht es. Die Beklagte lehnte die Vormerkung dieser Zeit als Ausfallzeit mit der Begründung ab, daß durch sie im Sinne des § 36 Abs. 1 Nr. 3 AVG keine „versicherungspflichtige Beschäftigung oder Tätigkeit unterbrochen worden“ sei (Bescheide der Beklagten vom 1. April 1974 und 5. Juni 1974 sowie Widerspruchsbescheid vom 28. August 1974).

Während das Sozialgericht (SG) die hiergegen erhobene Klage abgewiesen hatte, hat das Landessozialgericht (LSG) im angefochtenen Urteil vom 14. Mai 1976 dem Begehren des Klägers entsprochen: Zwischen versicherungspflichtiger Tätigkeit und der streitigen Zeit der Arbeitslosigkeit lägen entsprechende „Überbrückungstatbestände“.

Diesem Urteil tritt die Beklagte mit der zugelassenen Revision entgegen und führt aus: Es könne nicht ohne weiteres für zulässig angesehen werden, über die bereits sehr extensive Gesetzesinterpretation des Bundessozialgerichts (BSG) hinaus nicht nur Ausfallzeiten, sondern auch Ersatzzeiten als Überbrückungszeiten für die Unterbrechung einer versicherungspflichtigen Beschäftigung oder Tätigkeit anzusehen. Wollte man anders verfahren, so würde dies eine Aushöhlung des vom Gesetzgeber normierten Unterbrechungsbegriffs bedeuten. Gerade das Urteil des BSG vom 26. Juni 1974 (SozR 2200 § 1259 Nr. 8) lasse erkennen, daß ein Überbrückungstatbestand immer dann zu verneinen sei, wenn der Betreffende in der fraglichen Zeit nicht jederzeit über seine Arbeitskraft habe frei verfügen können. Dies müsse für die Dauer einer Kriegsgefangenschaft jedoch verneint werden. Entscheidend sei dagegen nicht, ob der Versicherte freiwillig oder unfreiwillig ohne Arbeit gewesen sei.

Die Beklagte beantragt,

  • unter Aufhebung des angefochtenen Urteils die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts Köln vom 27. August 1975 zurückzuweisen.

Der Kläger beantragt,

  • die Revision zurückzuweisen.

Nach seiner Auffassung hat die Rechtsprechung das Kriterium der Verfügbarkeit nur in Fällen der Arbeitslosigkeit gefordert. Vorliegend handele es sich jedoch um eine Zeit der Kriegsgefangenschaft. Eine Ersatzzeit stelle den Arbeitnehmer weit günstiger als eine Ausfallzeit. Es sei daher davon auszugehen, daß die Ausfallzeit als „Minus“ in der Ersatzzeit enthalten sei.

Gründe II.

Die Revision der Beklagten ist nicht begründet.

Nach § 36 Abs. 1 Nr. 3 AVG (= § 1259 Abs. 1 Nr. 3 der Reichsversicherungsordnung - RVO -) sind bei der Ermittlung der Anzahl der anrechnungsfähigen Versicherungsjahre (§ 35 AVG§ 1258 RVO) zu berücksichtigende Zeiten u.a. Zeiten, in denen eine versicherungspflichtige Beschäftigung oder Tätigkeit durch eine mindestens einen Kalendermonat andauernde Arbeitslosigkeit unterbrochen worden ist. Zu Unrecht nimmt die Beklagte an, das sei deswegen nicht der Fall, weil zwischen dem Ende der versicherungspflichtigen Beschäftigung als Berufssoldat am 8. Mai 1945 und dem Beginn der hier streitigen Arbeitslosigkeit eine Ersatzzeit - die Kriegsgefangenschaft ab 9. Mai 1945 mit der daran anschließenden Arbeitslosigkeit bis 19. Mai 1946 - liege. Dem kann nicht beigepflichtet werden.

Der 5. Senat des BSG hat in einem Urteil vom 25. Februar 1971 (BSGE 32, 229, 231 = SozR Nr. 32 zu § 1259 RVO) bereits entschieden, daß es dann, wenn mehrere eine Ausfallzeit begründende Tatbestände - z.B. Arbeitslosigkeit und Arbeitsunfähigkeit - unmittelbar aufeinander folgen, für die Anerkennung einer Ausfallzeit der in Nr. 1 bis 3 des § 1259 Abs. 1 RVO genannten Art darauf ankomme, ob durch den ersten dieser Ausfallzeittatbestände eine versicherungspflichtige Beschäftigung oder Tätigkeit unterbrochen worden ist. Diese Entscheidung hat der 5. Senat damit begründet, das Gesetz gebe dem Versicherten durch Zuerkennung der Ausfallzeit einen angemessenen Ausgleich für den infolge des Ausfalltatbestandes - Krankheit, Arbeitslosigkeit usw. - unverschuldeten Beitragsausfall dann, wenn zu vermuten sei, daß der Versicherte, hätte der Ausfalltatbestand nicht vorgelegen, eine frühere Beitragsleistung fortgeführt hätte; dies nehme das Gesetz immer dann an, wenn der Versicherte unmittelbar vor dem Ausfalltatbestand in einem mit Beitragspflicht verbundenen Beschäftigungsverhältnis gestanden hätte. Liege aber zwischen dem Ausfalltatbestand, dessen Anrechnung begehrt wird, und dem Ende der versicherungspflichtigen Beschäftigung oder Tätigkeit ein weiterer Ausfalltatbestand, so lasse sich an ihn, dem unverschuldet ebenfalls keine versicherungspflichtige Beschäftigung zugrunde liegt, nicht die Vermutung knüpfen, daß der Versicherte während des anschließenden weiteren Ausfalltatbestandes bei normalem Lauf der Dinge versicherungs- und beitragspflichtig beschäftigt gewesen wäre; notgedrungenermaßen müsse diese Vermutung nach dem Plan des § 1259 Abs. 1 RVO an die dem ersten der aneinandergereihten Ausfalltatbestände vorausliegende versicherungspflichtige Beschäftigung geknüpft werden.

Dieser Entscheidung tritt der erkennende Senat bei, zumal die Überlegung des 5. Senats im Gesetz selbst einen Beleg insoweit findet, als § 1259 Abs. 1 Satz 2 RVO (= § 36 Abs. 1 Satz 2 AVG) i.d.F. des Art. 1 § 1 Nr. 22 Buchst. b des Rentenversicherungs-Änderungsgesetzes (RVÄndG) vom 9. Juni 1965 (BGBl. I 476) ausdrücklich davon ausgeht, Ausfallzeiten lägen auch dann vor, wenn „mehrere der in Nrn. 1, 2a und 3 genannten Zeiten unmittelbar aufeinanderfolgen)“. Im übrigen sind die überzeugenden Darlegungen des 5. Senats dahin zu ergänzen, daß ein unverschuldet die Beitragsleistung hindernder Ausfalltatbestand, den das Gesetz durch Gewährung einer Ausfallzeit rentenrechtlich honoriert, nach dem Gesamtplan des § 36 Abs. 1 AVG nicht der Anrechnung eines anschließenden weiteren Ausfalltatbestandes als Ausfallzeit entgegenstehen kann: Eine Zeitspanne, hinsichtlich derer das Gesetz die fehlende Beitragsleistung gerade rentenrechtlich für unschädlich erklärt, ist nicht geeignet, die Vermutung zu stützen, daß der Versicherte während des unmittelbar nachfolgenden weiteren Ausfalltatbestandes keine Beiträge geleistet haben würde.

Was aber für die Ausfallzeiten gilt, muß auch für Ersatzzeiten gelten: Wie die Ausfallzeiten bezwecken die Ersatzzeiten einen rentenrechtlichen Ausgleich dafür, daß der Versicherte infolge bestimmter Umstände - hier der in § 28 Abs. 1 AVG (= § 1251 Abs. 1 RVO) genannten Ersatzzeittatbestände - ohne Verschulden gehindert war, einer rentenversicherungspflichtigen Tätigkeit nachzugehen und so Pflichtbeiträge zur Rentenversicherung zu leisten (allgemeine Meinung und ständige Rechtsprechung des BSG, vgl. z.B. die Entscheidung des erkennenden Senats vom 31. August 1977 - 1 RA 145/75 -). Die Ersatzzeiten unterscheiden sich von den Ausfallzeiten nur dadurch, daß jene wie die Beitragszeiten Versicherungszeiten sind, also anders wie die Ausfallzeiten nicht nur die Rentenhöhe beeinflussen, sondern den Rentenanspruch auch dem Grunde nach stützen (§§ 27 Abs. 1, 26 AVG§§ 1250 Abs. 1, 1249 RVO). Diese umfassendere Rechtsqualität der Ersatzzeiten im Vergleich zu den Ausfallzeiten kann jedoch - worauf der Kläger zutreffend hinweist - in einem Fall der vorliegenden Art dem Versicherten nicht nachteilig sein: Die oben für eine Kette von Ausfallzeiten angestellten Überlegungen werden von diesem Unterschied nicht berührt; den rentenrechtlichen Ausgleich für unverschuldet ausgefallene Beitragszeiten geben auch die Ersatzzeiten, und nur hierauf kommt es, wie dargestellt, in diesem Zusammenhang an. Überdies erscheint eine Ersatzzeit - wie die Beitragszeit Versicherungszeit - noch weniger als ein Ausfalltatbestand geeignet, die Vermutung zu stützen, der Versicherte werde nachfolgend nicht mehr versicherungspflichtig tätig werden.

Was aber gleichermaßen für eine Reihe unmittelbar anschließender Ausfall- oder Ersatzzeiten gilt, muß auch, was keiner näheren Begründung bedarf, für eine Kette gelten, die sowohl durch Ausfall- wie durch Ersatzzeiten gebildet wird.

Eine solche Kette liegt im Falle des Klägers vor. Zwischen der an die versicherungspflichtige Beschäftigung anschließenden Kriegsgefangenschaft (samt anschließender Arbeitslosigkeit) - Ersatzzeit - und dem Beginn des hier streitigen Ausfalltatbestandes der Arbeitslosigkeit liegt die Zeit des Studiums des Klägers an einer Staatsbauschule, die die Beklagte als Ausfallzeit bereits vorgemerkt hat. Mithin kommt es entsprechend der oben angeführten Rechtsprechung des 5. Senats des BSG bezüglich der Frage der Unterbrechung einer versicherungspflichtigen Beschäftigung oder Tätigkeit durch den streitigen Ausfalltatbestand nur darauf an, ob die am Beginn der Kette stehende Ersatzzeit eine versicherungspflichtige Beschäftigung oder Tätigkeit unterbrochen hat. Das aber ist hier unstreitig der Fall.

Da nach den nicht angegriffenen Feststellungen des LSG im übrigen alle anderen Voraussetzungen des § 36 Abs. 1 Nr. 3 AVG gegeben sind, hat das Berufungsgericht die Beklagte mit Recht verurteilt, die hier streitige Zeit als Ausfallzeit vorzumerken. Die Revision der Beklagten gegen das angefochtene Urteil war daher als unbegründet zurückzuweisen.

Die Beklagte hat dem Kläger die außergerichtlichen Kosten auch des Revisionsverfahrens zu erstatten (§ 193 des Sozialgerichtsgesetzes).

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