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Sowjetunion (bis 1991) - 2. Systeme der sozialen Sicherheit (Überblick): Recht der Herkunftsgebiete

Änderungsdienst
veröffentlicht am

05.06.2021

Änderung

Es wurden kleinere redaktionelle Änderungen vorgenommen, die noch im Zusammenhang mit der Abstimmung der GRA stehen.

Dokumentdaten
Stand22.12.2016
Rechtsgrundlage

Recht der Herkunftsgebiete

Version003.00

Überblick über die soziale Sicherheit

Die Bürger der Sowjetunion hatten ein verfassungsmäßiges Recht auf soziale Absicherung. Die hierzu gebildeten Sicherungssysteme wurden üblicherweise mit dem Oberbegriff „soziale Versorgung“ bezeichnet. Die soziale Versorgung beinhaltete Elemente der Sozialversicherung, der Versorgung und der Fürsorge, die nicht immer eindeutig voneinander abgegrenzt waren, sich mitunter überschnitten und teilweise anders gegliedert waren als im deutschen Sozialrecht.

Sozialversicherung

Die als Sozialversicherung zu bezeichnenden Sicherungssysteme grenzten sich von der Versorgung und der Fürsorge dadurch ab, dass sie (wenn auch oft nur zum Teil) aus Beiträgen finanziert wurden.

Es bestand eine allgemeine Sozialversicherung, in die nahezu alle Beschäftigten (und zuletzt auch Selbständige) einbezogen waren. In der Vergangenheit gab es auch noch eigenständige Systeme für Mitglieder der Gewerbeartel (Gewerbegenossenschaften) und für Kolchosmitglieder.

Während des Bestandes der Sowjetunion waren die Kranken-, Unfall- und Rentenversicherung zur Sozialversicherung zusammengefasst.

Mit den Reformen von 1990 erfolgte dann eine Trennung der einzelnen Sozialversicherungszweige. Seit dieser Zeit wird der Begriff „Sozialversicherung“ teilweise nicht mehr als Zusammenfassung für die Kranken-, Unfall- und Rentenversicherung gebraucht, sondern er bezeichnet einen Teil der Krankenversicherung (der Krankenpflichtversicherungsfonds gewährt die medizinischen Leistungen, der Sozialversicherungsfonds das Krankengeld).

Diese vom deutschen Verständnis abweichende Bedeutung des Begriffs „Sozialversicherung“ muss bei der Würdigung von Unterlagen aus diesen Herkunftsgebieten beachtet werden.

Nähere Erläuterungen der Sozialversicherung (in unserem Sinne) sind in den folgenden GRA enthalten:

GRA zu Sowjetunion (bis 1991) - 2.1 Grundsätze der Sozialversicherung: Recht der Herkunftsgebiete,
GRA zu Sowjetunion (bis 1991) - 2.2 Versicherte Personen (Arbeitnehmer): Recht der Herkunftsgebiete,
GRA zu Sowjetunion (bis 1991) - 2.3 Besondere Arbeitsverhältnisse und Berufsgruppen: Recht der Herkunftsgebiete,
GRA zu Sowjetunion (bis 1991) - 2.4 Kolchosmitglieder: Recht der Herkunftsgebiete,
GRA zu Sowjetunion (bis 1991) - 2.6 Rentenleistungen: Recht der Herkunftsgebiete.

Versorgungssysteme

Die Sicherungssysteme, die der Versorgung (im engeren Sinne) zuzurechnen waren, wurden dadurch charakterisiert, dass sie vollständig aus dem Staatshaushalt finanziert wurden. Solche Versorgungen gab es sowohl für einzelne Personen (persönliche Renten) als auch für bestimmte Berufsgruppen (Militärpersonen, Wissenschaftler, Künstler). Zu beachten ist dabei, dass diese Berufsgruppen zum Teil auch von der Sozialversicherung erfasst wurden.

Das Versorgungssystem für die Militärangehörigen ist in der GRA zu Sowjetunion (bis 1991) - 2.5 Militärpersonen: Recht der Herkunftsgebiete“ näher erläutert.

Hinweise zu anderen Versorgungsleistungen enthält die GRA zu Sowjetunion (bis 1991) - 2.6 Rentenleistungen: Recht der Herkunftsgebiete, Abschnitt 5.

Sozialfürsorge

Die Fürsorge, die ebenfalls allein aus dem Staatshaushalt finanziert wurde, diente als letztes Glied in der Kette der sozialen Versorgung als „Auffangbecken“. Fürsorgeleistungen/Beihilfen konnten zum Beispiel die Invaliden erhalten, die durch Sozialversicherung und Versorgung nicht (ausreichend) gesichert waren, weil sie beispielsweise von Geburt an invalide und daher noch nicht in die Sozialversicherung einbezogen waren.

In der Vergangenheit waren die Fürsorgeleistungen regelmäßig von der Bedürftigkeit abhängig. Mit den Reformen von 1990 wurde ein genereller Anspruch auf diese Fürsorgeleistungen eingeräumt, die als sogenannte „Sozialrenten“ formal in die allgemeine Rentenversicherung einbezogen wurden. Nach ihrem Charakter handelt es sich aber weiterhin um Fürsorgeleistungen, deren Aufwendungen aus dem Staatshaushalt erstattet werden.

Private Vorsorge

Neben diesen staatlichen Versorgungsleistungen gab es auch in der Sowjetunion die Möglichkeit der privaten Vorsorge. Bereits seit Anfang der 1920er Jahre konnten Lebens- und private Altersrentenversicherungen mit individueller Beitragsleistung abgeschlossen werden. Träger der (privaten) Personenversicherung war die „Staatliche Versicherung“. Trotz der (möglicherweise irreführenden) Bezeichnung, die darauf zurückzuführen ist, dass das gesamte Versicherungswesen zum Staatsmonopol gehörte, hat die Staatliche Versicherung mit der sozialen Versorgung und erst recht mit der Sozialversicherung nichts zu tun.

Gleiches gilt für die seit 01.01.1988 eingeführte Versicherung für Zusatzrente, mit der die Leistungen der Sozialversicherung aufgestockt werden konnten. Auch hierbei handelte es sich um eine auf privatem Versicherungsvertrag basierende Versicherung. Versicherungsträger war in der Sowjetunion weiterhin die Staatliche Versicherung.

Im Rahmen der deutschen Rentenversicherung und der FRG-Anwendung sind solche privaten (Zusatz-)Renten und die hierfür gezahlten Beiträge ohne jede Bedeutung.

Zeitliche Entwicklung und Rechtsgrundlagen

Nach Beendigung des Bürgerkrieges wurde durch das „Gesetz über die Sozialversicherung der Arbeitnehmer“ vom 15.11.1921 die Grundlage für eine Rentenversicherung geschaffen. Die Organe der Sozialversicherung nahmen jedoch erst Ende 1922 die Arbeit auf, nachdem die Vorschriften in das am 15.11.1922 in Kraft getretene Arbeitsgesetzbuch vom 09.11.1922 aufgenommen wurden.

Mit dem Inkrafttreten des Arbeitsgesetzbuches am 15.11.1922 ist vom Vorhandensein einer gesetzlichen Rentenversicherung im Sinne von § 15 Abs. 2 S. 1 FRG in der Sowjetunion auszugehen. Ab 15.11.1922 können folglich Beitragszeiten nach § 15 FRG erworben werden; vor dem 15.11.1922 können lediglich Beschäftigungszeiten nach § 16 FRG angerechnet werden.

Die Versicherung erstreckte sich auf sämtliche Arbeitnehmer in staatlichen, gesellschaftlichen, genossenschaftlichen und privaten Betrieben und Organisationen. Nicht erfasst waren Bauern, Handwerker, Angehörige freier Berufe und private Unternehmer. In ihrem sachlichen Geltungsbereich umfasste die Sozialversicherung (neben den Bereichen der Kranken-, Unfall- und - später wieder eingestellten - Arbeitslosenversicherung) den Schutz bei Invalidität und Tod. Leistungen wegen Alters waren noch nicht vorgesehen; es wurden allenfalls Invalidenrenten gezahlt, wenn altersbedingte Invalidität vorlag.

In den 1920er und 1930er Jahren wurde die gesetzliche Rentenversicherung weiter ausgebaut. So wurden nach und nach für einzelne Berufsgruppen Leistungen wegen Alters eingeführt, bis schließlich aufgrund einer Verordnung vom 31.07.1937 Altersrenten für alle Arbeiter und Angestellten gewährt wurden. Für die Anwendung des § 15 FRG ist das aber unerheblich, weil das Merkmal einer gesetzlichen Rentenversicherung auch ohne Leistungen für den Fall des Alters gegeben sind.

Der Kreis der versicherten Personen wurde ebenfalls schrittweise ausgedehnt.

Mit dem Staatsrentengesetz vom 14.07.1956 und der dazugehörenden Durchführungsverordnung vom 04.08.1956 - beide am 01.10.1956 in Kraft getreten - wurde die Sozialversicherung auf eine neue Rechtsgrundlage gestellt. Die Reform brachte neben der Zusammenfassung und Aktualisierung diverser Einzelregelungen in erster Linie leistungsrechtliche Verbesserungen. Der in die Sozialversicherung einbezogene Personenkreis wurde nicht wesentlich geändert.

Für einen wichtigen Personenkreis, die Kolchosmitglieder, wurde durch das ab 01.01.1965 geltende Kolchosrentengesetz vom 15.07.1964 ein eigenes Sozialversicherungssystem geschaffen.

Nachdem das Rentenrecht in den 1980er Jahren bereits in einzelnen Punkten verändert wurde, kam es als Folge der Wirtschaftsreformen auch zu einer umfassenden Neugestaltung der Sozial- und Rentenversicherung. Ihren Abschluss fand diese im sowjetischen Rentengesetz vom 15.05.1990, das etappenweise zum 01.10.1990, 01.01.1991 und 01.01.1992 in Kraft trat beziehungsweise treten sollte.

Gegenüber dem Staatsrentengesetz und dem Kolchosrentengesetz gab es - neben diversen Detailregelungen - folgende wesentliche Änderungen:

  • Die einzelnen Zweige der Sozialversicherung (Kranken-, Unfall- und Rentenversicherung) wurden getrennt.
  • Die allgemeine Rentenversicherung für Arbeitnehmer und das Sondersystem für Kolchosmitglieder wurden zu einer einheitlichen Rechtsgrundlage vereint und auch die besonderen Bestimmungen für die Dienstaltersrenten wurden in das Rentengesetz einbezogen.
    Lediglich die Versorgung der Militärpersonen blieb weiter eigenständig.
  • Der versicherte Personenkreis wurde an die veränderten Wirtschaftsverhältnisse angepasst, indem zum Beispiel Selbständige in die Rentenversicherung einbezogen wurden.
  • Die Versicherten hatten sich erstmals mit einer (wenn auch geringen) eigenen Beitragsleistung an der Finanzierung zu beteiligen.

Die Rentenreform fiel zusammen mit der Auflösung der Sowjetunion. Hinsichtlich der weiteren Entwicklung der Sozialversicherung in den einzelnen Nachfolgestaaten wird auf die dortigen GRA verwiesen.

Territoriale Entwicklung

Die seit Ende 1922 bestehende Sozialversicherung (siehe Abschnitt 2) galt im gesamten Staatsgebiet der Sowjetunion.

Veränderungen gab es im Zusammenhang mit dem 2. Weltkrieg (siehe GRA zu Sowjetunion (bis 1991) - 1. Allgemeines: Recht der Herkunftsgebiete, Abschnitt 1.1). Die sowjetische Sozialversicherung wurde auf die von der Sowjetunion besetzten Gebiete ausgedehnt. Das geschah zum Teil sofort nach der Besetzung, teilweise erst mit Verzögerung. Nach der Besetzung durch deutsche Truppen war die Rechtslage uneinheitlich. Erst nach Rückeroberung durch die Sowjetunion wurde dann wieder die sowjetische Sozialversicherung eingeführt, sodass sie wieder einheitlich im gesamten (erweiterten) Staatsgebiet galt.

Einzelheiten zu den jeweiligen Gebieten sind in den folgenden Abschnitten beschrieben.

Baltische Gebiete (Estland, Lettland, Litauen)

Während ihrer Eigenständigkeit wurde in den baltischen Staaten im Wesentlichen nur eine Kranken- und Unfallversicherung eingeführt. Eine allgemeine gesetzliche Rentenversicherung existierte nicht. Lediglich für den Personenkreis der Staatsbediensteten wurden in allen drei Staaten Pensionsgesetze erlassen:

Litauen:Gesetz vom Parlament angenommen am 13.11.1925, verkündet am 10.04.1926
Lettland:Gesetz vom 31.07.1931, in Kraft getreten am 15.08.1931
Estland:Gesetz vom 16.09.1936, verkündet am 22.09.1936

Eine Ausnahme galt lediglich für das unter litauischer Hoheit stehende Memelgebiet. Dort wurde auch nach der Abtrennung vom Deutschen Reich die bisherige reichsgesetzliche Rentenversicherung durch die Landesversicherungsanstalt des Memelgebiets weitergeführt. In der Angestelltenversicherung wurden aufgrund einer Sondervereinbarung die Beiträge auch bis zum 31.12.1922 noch an die RfA gezahlt. Durch die Verordnung betreffend Umgestaltung der sozialen Sicherung im Memelgebiet vom 18.11.1922 wurde die gesetzliche Rentenversicherung zum 01.01.1923 in eine Einheitsversicherung geändert (Überführung der Angestelltenversicherung in die Invalidenversicherung). Träger war ebenfalls die Landesversicherungsanstalt des Memelgebiets (Satzung vom 30.11.1922). Beim versicherten Personenkreis ergaben sich gegenüber der früheren reichsgesetzlichen Versicherung keine wesentlichen Änderungen. Nach der Eingliederung des Memelgebiets wurde ab 01.05.1939 wieder Reichsrecht eingeführt (§ 4 Gesetz über die Wiedervereinigung des Memellands mit dem Deutschen Reich vom 23.03.1939 sowie Verordnung über die Einführung der Reichsversicherung im Memelland vom 17.08.1939). Die früheren memelländischen Beiträge waren bei der Leistungsgewährung ohne besondere Bedingungen anzurechnen (§ 13 VO vom 17.08.1939).

Nach der Eingliederung in die Sowjetunion wurde durch Erlass vom 28.11.1940 mit Wirkung vom 10.11.1940 in der Lettischen SSR die allgemeine sowjetische Sozialversicherung eingeführt. Für die beiden anderen Unionsrepubliken konnten entsprechende Erlasse zwar nicht ermittelt werden; angesichts der weitgehend parallelen Rechtsentwicklung in den baltischen Unionsrepubliken kann aber davon ausgegangen werden, dass die sowjetische Sozialversicherung gleichzeitig auch in der Estnischen beziehungsweise Litauischen SSR eingeführt wurde.

Nach der Besetzung durch deutsche Truppen wurde zunächst die sowjetische Sozialversicherung beibehalten. Das ergab sich aus der Anordnung Nr. 3 des Generalkommissars für Lettland vom 05.08.1941 sowie einer Bekanntmachung (über die Regelung der Alters- und Invalidenrenten ... ) des Reichskommissars für das Ostland vom 26.10.1941, mit der das bisherige sowjetische Rentenrecht nur geringfügig geändert wurde. Diese war zwar formal auf die Generalkommissariate Lettland und Litauen beschränkt; in dem erst später in das Reichskommissariat aufgenommenen Generalkommissariat Estland wird aber nichts anderes gegolten haben.

In allen drei Generalkommissariaten wurde aber später eine eigenständige Sozialversicherung eingeführt, die sich zwar am Reichsrecht orientierte, aber dennoch verschiedene Abweichungen aufwies. Rechtsgrundlagen waren die vom jeweiligen Generalkommissar (praktisch inhaltsgleich) erlassenen

  • Verordnungen über den Aufbau einer Sozialversicherung (Aufbau-VO) vom 01.05.1943,
  • 1. Durchführungs-Verordnungen hierzu (1. DVO) vom 01.05.1943,
  • 2. Durchführungs-Verordnungen hierzu (2. DVO) vom 01.07.1943 und
  • Beitragsordnungen (BO) vom 01.07.1943.

Diese traten in den Generalkommissariaten Estland und Lettland am 01.07.1943 in Kraft, im Generalkommissariat Litauen am 01.08.1943 (Änderungs-Verordnung vom 29.06.1943).

Die Sozialversicherung umfasste die Zweige der Kranken-, Unfall- und Rentenversicherung, wobei die Rentenversicherung nicht in Angestellte und Arbeiter unterteilt war, sondern alle Beschäftigte gleichermaßen einbezog, und galt für die einheimische Bevölkerung (§ 1 Aufbau-VO). Nicht erfasst waren die aus dem Reichsgebiet entsandten Deutschen (für sie galt nach der Besetzte-Gebiete-VO vom 04.08.1941 Reichsrecht), die nicht in den baltischen Generalkommissariaten beheimateten Ausländer sowie die Juden (§ 2 Aufbau-VO). Ostarbeiter waren nur kranken- und unfallversichert, nicht aber rentenversichert (§ 1 Aufbau-VO in Verbindung mit § 5 1. DVO und § 1 2. DVO).

Versicherungspflichtig waren alle gegen Entgelt beschäftigten Arbeiter und Angestellten (wobei als Entgelt auch die Gewährung von freiem Unterhalt ausreichte) sowie Lehrlinge (§ 2 Aufbau-VO in Verbindung mit § 4 1. DVO und § 1 2. DVO). Eine Jahresarbeitsverdienstgrenze gab es nur in der Krankenversicherung. Versicherungsfrei blieben Personen, die beim Ehegatten beschäftigt waren oder nur vorübergehende Beschäftigungen ausübten (§ 2 2. DVO). Die Beitragsentrichtung erfolgte im Markenverfahren (Einkleben von Wochenmarken in die Versicherungskarte) und war allein vom Arbeitgeber zu tragen (§ 12 Aufbau-VO in Verbindung mit §§ 57 ff. 2. DVO und BO). Träger der Rentenversicherung war die „Rentenversicherungsanstalt für den {jeweiligen} Generalbezirk xxx“ (§ 6 Aufbau-VO). Die Versicherungskarten waren zweisprachig (deutsch/Landessprache) und nur im jeweiligen Generalbezirk zu verwenden (§ 23 BO). Bei Personen, die nur kranken- und unfallversichert waren, enthielten die Versicherungskarten den Zusatz „Nicht voll versichert“ (§ 17 BO).

Diese eigenständige Sozialversicherung bestand bis zur Rückeroberung durch die Sowjetunion. Anschließend galt wieder das sowjetische Sozialversicherungsrecht.

Auswirkungen auf die FRG-Anwendung

Die baltischen Gebiete gehören zu den Vertreibungsgebieten, sodass dort grundsätzlich - sofern keine vorrangigen Beitragszeiten vorhanden sind - Beschäftigungszeiten nach § 16 FRG anerkannt werden können. Das gilt gleichermaßen während der Zeit der Selbständigkeit wie auch während der Eingliederung in die Sowjetunion oder während der Zeit unter deutscher Besatzung beziehungsweise Zivilverwaltung. Ausgenommen sind lediglich die aus dem Reichsgebiet entsandten Deutschen, für die nach der Besetzte-Gebiete-VO vom 04.08.1941 Reichsrecht galt.

Eine Anerkennung von Beitragszeiten nach § 15 FRG bis zum 09.11.1940 ist ausgeschlossen, weil in den baltischen Staaten bis zu diesem Zeitpunkt noch keine gesetzliche Rentenversicherung existierte. Die jeweiligen Pensionsgesetze gelten nicht als gesetzliche Rentenversicherung, denn es handelt sich um Sondersysteme für Beschäftigte des öffentlichen Dienstes im Sinne von § 15 Abs. 2 S. 3 FRG (BSG vom 17.03.1964, AZ: 11/1 RA 136/60, SozR Bd. A 8, Nr. 25 zu § 1 FremdRG (für das estnische Pensionsgesetz) sowie BSG vom 26.09.1967, AZ: 1 RA 343/63, SozEntsch BSG X/B, Art. 1 § 15 Nr. 7 (für das lettische Pensionsgesetz)).

Eine Ausnahme bildet lediglich das Memelgebiet. Die dort bestehende gesetzliche Rentenversicherung ist seit 10.01.1920 nicht mehr als reichsgesetzliche Rentenversicherung anzusehen (auch wenn Beiträge aufgrund einer Sondervereinbarung noch bis zum 31.12.1922 an die RfA gezahlt wurden), sodass dort Beitragszeiten nach § 15 FRG zu berücksichtigen sind (Urteil des LSG Schleswig-Holstein vom 07.08.1974, AZ: L 4 An 16/73). Das gilt bis zum 30.04.1939. Da mit der Wiedereinführung des Reichsrechts auch der Übergang der memelländischen Beitragszeiten vorgesehen war, sind die Voraussetzungen für die Anwendung des früheren § 17 Abs. 1 Buchst. b FRG erfüllt. Sofern diese Vorschrift ausnahmsweise noch anwendbar ist (zum Beispiel bei Verfolgten; siehe GRA zu § 17 FRG, Abschnitt 5), können die im Memelgebiet zurückgelegten Beitragszeiten auch ohne Erfüllung der persönlichen Voraussetzungen des § 1 FRG anerkannt werden.

Ab 10.11.1940 ist generell die Anerkennung von Beitragszeiten nach § 15 FRG möglich. Das gilt sowohl unter der Herrschaft des sowjetischen Sozialversicherungsrechts als auch unter der Geltung der Aufbau-VO, die keine deutsche Rentenversicherung darstellt. Beide Rechtsgrundlagen galten offenbar auch für Beschäftigte im öffentlichen Dienst, sodass auch sie Beitragszeiten nach § 15 FRG erwerben können. Ausgeschlossen sind lediglich Militär- und Polizeiangehörige (§ 15 Abs. 3 S. 3 Buchst. d FRG).

Ehemals polnische Gebiete

Auch wenn keine konkreten Vorschriften ermittelt werden konnten, ist davon auszugehen, dass in Ostpolen das sowjetische Sozialversicherungsrecht unmittelbar nach der Besetzung durch die Sowjetunion eingeführt wurde. Eine Ausnahme galt lediglich für das an Litauen abgetretene Gebiet um Wilna; dort wurde die sowjetische Sozialversicherung (wie allgemein in Litauen) erst zum 10.11.1940 eingeführt (siehe Abschnitt 3.1).

Nach der Besetzung durch deutsche Truppen wurde zunächst die sowjetische Sozialversicherung eingestellt; die weitere Entwicklung verlief dann uneinheitlich:

In Galizien und Bialystok wurde ab 01.08.1941 - wie im Generalgouvernement - wieder das frühere polnische Sozialversicherungsrecht angewandt.

Im Generalkommissariat Weißruthenien wurde die sowjetische Sozialversicherung nach kurzer Unterbrechung ab 01.12.1941 wieder aufgenommen (Verordnung vom 13.12.1941 und dazugehörige Durchführungsbestimmung vom 08.01.1942). Diese Regelungen wurden durch die Verordnung vom 23.12.1943 zum 01.02.1944 aufgehoben. Danach gab es nur noch eine Kranken- und Unfallversicherung, aber keine Rentenversicherung.

Im Reichskommissariat Ukraine wurde weder polnisches noch sowjetisches Sozialversicherungsrecht eingeführt. An eigenständigen Sicherungssystemen wurde nur eine Kranken- und Unfallversicherung aufgebaut, aber keine Rentenversicherung.

Allen Gebieten gemeinsam ist die Geltung der Verordnung über die Sozialversicherung in den besetzten Gebieten (Besetzte-Gebiete-VO) vom 04.08.1941 (einschließlich späterer Ergänzung durch die Verordnung vom 10.02.1943). Danach unterlagen die aus dem Reichsgebiet entsandten Deutschen und Deutsche, die bei deutschen Unternehmen in den besetzten Gebieten tätig waren, dem Reichsrecht. Von der Anwendung des Reichsrechts ausgeschlossen war die einheimische Bevölkerung, das heißt alle, die schon vor der deutschen Besetzung in diesen Gebieten lebten, selbst wenn sie deutscher Volkszugehörigkeit waren.

Nach der Rückeroberung durch die Sowjetunion (überwiegend im Laufe des Jahres 1944) galt wieder sowjetisches Sozialversicherungsrecht.

Auswirkungen auf die FRG-Anwendung

Die genannten Gebiete gehören zu den Vertreibungsgebieten, sodass grundsätzlich - sofern keine vorrangigen Beitragszeiten vorhanden sind - Beschäftigungszeiten nach § 16 FRG anerkannt werden können. Eine Ausnahme gilt lediglich für die aus dem Reichsgebiet entsandten Deutschen, für die nach der Besetzte-Gebiete-VO vom 04.08.1941 Reichsrecht galt.

Die Anerkennung von Beitragszeiten nach § 15 FRG ist von den jeweiligen Gebieten und Zeiträumen abhängig.

Eine ununterbrochene Anerkennung von Beitragszeiten ist nur in Galizien und dem Bezirk Bialystok möglich; und zwar

Von

Bis

Rechtsgrundlage

September 1939nach polnischem Recht
Oktober 1939Juli 1941nach sowjetischem Recht
August 1941zur Rückeroberung durch die Sowjetunion (im Laufe des Jahres 1944)nach polnischem Recht
der Rückeroberung durch die Sowjetunion (im Laufe des Jahres 1944)nach sowjetischem Recht

In allen anderen Gebieten war die Sozialversicherung/Rentenversicherung zeitweise unterbrochen, sodass insoweit keine Beitragszeiten anerkannt werden können.

Im Gebiet um Wilna können Beitragszeiten nur bis September 1939 (polnisches Recht) und dann wieder ab 10.11.1940 entsprechend der Rechtslage in Litauen (siehe Abschnitt 3.1) anerkannt werden. In der Zwischenzeit fehlt es an einer gesetzlichen Rentenversicherung.

In den nördlichen Gebietsteilen (Generalkommissariat Weißruthenien) können Beitragszeiten anerkannt werden:

Von

Bis

Rechtsgrundlage

September 1939nach polnischem Recht
Oktober 1939zur Besetzung durch deutsche Truppen (überwiegend Juni/Juli 1941)nach sowjetischem Recht
Dezember 1941Januar 1944nach sowjetischem Recht
der Rückeroberung durch die Sowjetunion (im Laufe des Jahres 1944)nach sowjetischem Recht

In den Zwischenzeiten fehlt es an einer gesetzlichen Rentenversicherung.

In den südlichen Gebietsteilen (Reichskommissariat Ukraine) können Beitragszeiten anerkannt werden:

Von

Bis

Rechtsgrundlage

September 1939nach polnischem Recht
Oktober 1939zur Besetzung durch deutsche Truppen (überwiegend Juni/Juli 1941)nach sowjetischem Recht
der Rückeroberung durch die Sowjetunion (im Laufe des Jahres 1944)nach sowjetischem Recht

In der Zwischenzeit (während der gesamten Zeit der deutschen Besetzung) fehlt es an einer gesetzlichen Rentenversicherung.

Ehemals rumänische Gebiete

Es ist davon auszugehen, dass in Bessarabien und der Nord-Bukowina sofort nach den jeweiligen Eroberungen/Rückeroberungen das entsprechende Landesrecht eingeführt wurde. Das bedeutet, dass bis Juni 1940 sowie von Juli 1941 bis etwa Juli 1944 rumänisches Rentenrecht galt und dass von Juli 1940 bis Juni 1941 sowie ab etwa August 1944 sowjetisches Sozialversicherungsrecht galt.

Auswirkungen auf die FRG-Anwendung

Bessarabien und die Nord-Bukowina gehören zu den Vertreibungsgebieten, sodass grundsätzlich Beschäftigungszeiten nach § 16 FRG anerkannt werden können.

In der Regel werden aber vorrangig Beitragszeiten nach § 15 FRG anerkannt werden können, denn es hat durchgehend eine gesetzliche Rentenversicherung bestanden. Es muss lediglich danach unterschieden werden, welches Recht angewandt wurde. Die Beurteilung richtet sich

Von

Bis

Rechtsgrundlage

Juni 1940nach rumänischem Recht
Juli 1940Juni 1941nach sowjetischem Recht
Juli 1941circa Juli 1944nach rumänischem Recht
circa August 1944nach sowjetischem Recht

Ehemals tschechoslowakisch/ungarisches Gebiet

Nach dem 2. Weltkrieg wurde die (ehemals tschechoslowakische, während des Krieges von Ungarn besetzte) Karpatho-Ukraine - dazu gehören die Stadt Uzhorod sowie die sich östlich davon anschließenden Gebiete der früheren Tschechoslowakei - durch Vertrag vom 29.06.1945 in das Staatsgebiet der Sowjetunion (in die Ukrainische SSR) eingegliedert.

Ab Juli 1945 sind die dort zurückgelegten Sachverhalte nach sowjetischem Sozialversicherungsrecht zu beurteilen.

Besetzte sowjetische Gebiete

Auch wenn über die Rechtslage in den besetzten Gebieten nur unzureichende Unterlagen vorhanden sind, ist entsprechend einer Auskunft des Instituts für Zeitgeschichte vom 16.03.1964 davon auszugehen, dass mit der Besetzung die bestehenden sowjetischen Sozialversicherungssysteme generell ruhten.

Anders als in verschiedenen der erst kurz zuvor von der Sowjetunion erworbenen Gebiete wurde in den schon seit der Staatsgründung zur Sowjetunion gehörenden Gebiete unter deutscher Herrschaft grundsätzlich keine gesetzliche Rentenversicherung eingeführt. Das gilt uneingeschränkt für die unter Militärverwaltung stehenden Gebiete, weitgehend aber auch für die unter Zivilverwaltung stehenden Gebiete.

Einzige Ausnahme bildet das kleine, zum Generalkommissariat Weißruthenien gehörende Gebiet. Dort wurde durch die Verordnung vom 13.12.1941 und die dazugehörige Durchführungsbestimmung vom 08.01.1942 die sowjetische Sozialversicherung ab 01.12.1941 wieder aufgenommen. Diese Regelungen wurden durch die Verordnung vom 23.12.1943 zum 01.02.1944 aufgehoben. Danach gab es nur noch eine Kranken- und Unfallversicherung, aber keine Rentenversicherung.

Im Reichskommissariat Ukraine wurde die sowjetische Sozialversicherung nicht wieder eingeführt. Es wurde ebenfalls nur eine Kranken- und Unfallversicherung aufgebaut, aber keine Rentenversicherung.

Auch für Transnistrien konnte die Einführung einer Rentenversicherung nicht festgestellt werden.

Zu beachten ist allerdings, dass in allen von Deutschland besetzten Gebieten die Verordnung über die Sozialversicherung in den besetzten Gebieten (Besetzte-Gebiete-VO) vom 04.08.1941 (einschließlich späterer Ergänzung durch die Verordnung vom 10.02.1943) galt. Danach unterlagen die aus dem Reichsgebiet entsandten Deutschen und Deutsche, die bei deutschen Unternehmen in den besetzten Gebieten tätig waren, dem Reichsrecht. Von der Anwendung des Reichsrechts ausgeschlossen war die einheimische Bevölkerung, also alle, die schon vor der deutschen Besetzung in diesen Gebieten lebten, selbst wenn sie deutscher Volkszugehörigkeit waren.

Nach der Rückeroberung durch die Sowjetunion galt in allen Gebieten sofort wieder das sowjetische Sozialversicherungsrecht.

Auswirkungen auf die FRG-Anwendung

In den besetzten sowjetischen Gebieten können grundsätzlich nur Beschäftigungszeiten nach § 16 FRG berücksichtigt werden. Eine Ausnahme gilt lediglich für die aus dem Reichsgebiet entsandten Deutschen, für die nach der Besetzte-Gebiete-VO vom 04.08.1941 Reichsrecht galt.

Eine Anerkennung von Beitragszeiten nach § 15 FRG scheitert regelmäßig daran, dass während der Zeit der Besetzung eine gesetzliche Rentenversicherung fehlte.

Der Zeitraum der Besetzung ist nach den Verhältnissen am jeweiligen Ort festzustellen. Als Orientierung können dabei die in der GRA zu Sowjetunion (bis 1991) - 1. Allgemeines: Recht der Herkunftsgebiete, Abschnitt 1.1.5 enthaltenen Zusammenstellungen des zeitlichen Ablaufs der Besetzung und Rückeroberung dienen.

Lediglich im (räumlich eng begrenzten) Generalkommissariat Weißruthenien ist eine Anerkennung von Beitragszeiten nach sowjetischem Recht in der Zeit vom 01.12.1941 bis 31.01.1944 möglich.

Generell können Beitragszeiten in der sowjetischen Sozialversicherung erst wieder nach der Rückeroberung durch die Sowjetunion berücksichtigt werden.

Zusatzinformationen

Rechtsgrundlage

Recht der Herkunftsgebiete