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11/1 RA 136/60

Gründe

I

Die Beklagte bewilligte dem Kläger im Verlauf des Revisionsverfahrens Altersruhegeld vom 1. Januar 1959 an. Der Kläger begehrt das Altersruhegeld auch für die vorhergehende Zeit seit Vollendung seines 65. Lebensjahres (Oktober 1950), mindestens ab April 1952 (Inkrafttreten des Fremdrenten- und Auslandsrentengesetzes - FAG - vom 7.8.1953). Die Beteiligten streiten darüber, ob der Kläger für diese Zeit einen Leistungsanspruch nach dem FAG hat; das hängt davon ab, ob er in seinem Heimatland Estland bei einem nicht deutschen Versicherungsträger in einer gesetzlichen Rentenversicherung versichert gewesen ist (§§ 1, 2, 4 FAG). 2Die Beklagte hat das verneint und daher den im Januar 1954 gestellten Rentenantrag abgelehnt. Klage und Berufung blieben ohne Erfolg. Das Landessozialgericht (LSG) ging davon aus, daß der Kläger als Bediensteter estnischer Kommunal- und Staatsbehörden in den Jahren 1907 bis 1944 (seit 1925 als Bezirksrichter) zu dem vom Ruhegeldgesetz Estlands vom 22. September 1936 (Staatsanzeiger 1936 Nr. 76, Gesetz Nr. 619) in der Fassung vom 20. April 1938 (Staatsanzeiger 1938 Nr. 39, Gesetz Nr. 360) erfaßten Personenkreis gehörte; die Pensionsversorgung nach diesem Gesetz habe aber keine gesetzliche Rentenversicherung im Sinne des FAG dargestellt, vielmehr vorwiegend der Versorgung der im öffentlichen Dienst Beschäftigten gedient und unmittelbar auf deren Dienstverhältnis beruht. Voraussetzungen und Höhe der vorgesehenen Leistungen hätten sich ausschließlich nach den dienstrechtlichen Verhältnissen und nicht nach den Beiträgen bestimmt, die die Berechtigten gegebenenfalls (bis höchstens 4 % des Gehalts) zum Pensionskapital beim Sozialministerium entrichten mußten. Die Mittel hierfür hätten in erster Linie der Staat im Staatshaushalt und die sonstigen Dienstherren in einem jährlichen Umlageverfahren (bis höchstens 10 % der Gehaltssumme) aufbringen müssen. Mit geringen im öffentlichen Interesse gebotenen Ausnahmen sei der berechtigte Personenkreis auf die Beschäftigten im öffentlichen Dienst begrenzt gewesen.

Mit der zugelassenen Revision beantragte der Kläger, 4das Urteil des LSG und des Sozialgerichts aufzuheben und die Beklagte zur Gewährung von Altersruhegeld auch für die streitige Zeit vor 1959 zu verurteilen.

Er rügte Verletzung des § 1 Abs. 2 Nr. 2 FAG. Das Sicherungssystem des estnischen Ruhegeldgesetzes weise alle Merkmale auf, die das Bundessozialgericht - BSG - (BSG 6, 263) für eine gesetzliche Rentenversicherung im Sinne des FAG fordere. Die Unabhängigkeit der Leistungen von den Beiträgen und die Zuschüsse des Staates seien nur für eine Übergangszeit von 30 bis 35 Jahren gedacht gewesen. Der Kreis der Leistungsberechtigten außerhalb des öffentlichen Dienstes sei mindestens so groß wie der Kreis der Staats- und Kommunalbediensteten.

Die Beklagte beantragt,

  • die Revision zurückzuweisen.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt (§§ 124 Abs. 2, 153 Abs. 1. 165 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG -).

II

Die Revision ist zulässig (§§ 162 Abs. 1 Nr. 1, 164 SGG), aber unbegründet.

Der Kläger kann, wie das LSG zu Recht entschieden hat, für die Zeit vor 1959 von der Beklagten weder ein Altersruhegeld noch eine sonstige Rente verlangen. Er hat keinen Anspruch nach dem FAG, weil er in Estland nicht in einer gesetzlichen Rentenversicherung versichert war (§ 1 Abs. 1 und Abs. 2 Nr. 2 FAG). Eine andere Anspruchsgrundlage als das FAG kommt für die hier noch streitige Zeit vor 1959 nicht in Betracht.

Wie das BSG schon mehrfach entschieden (BSG 6, 263; SozR Nr. 16 u. 23 zu § 1 FremdRG aF) und der Gesetzgeber in § 15 Abs. 2 Satz 3 des Fremdrentengesetzes vom 25. Februar 1960 nun auch ausdrücklich bestimmt hat, stellt ein System, das vorwiegend zur Sicherung der Beschäftigten im öffentlichen Dienst geschaffen worden ist (im folgenden Dienstversorgung genannt), keine gesetzliche Rentenversicherung im Sinne des Fremdrentenrechtes dar. Dies gilt selbst dann, wenn Leistungen aus gleichen oder ähnlichen Anlässen gewährt werden (BSG 6, 263) und sich auch sonst die Systeme in den Merkmalen gleichen oder ähneln. Eine Dienstversorgung schließt die Annahme einer gesetzlichen Rentenversicherung aus. Die Bewertung eines Sicherungssystems als Dienstversorgung hängt dabei nicht davon ab, ob das System in seiner gesamten Gestalt einer deutschen Dienstversorgung entspricht. Wie die ausländische Rentenversicherung kein Spiegelbild der deutschen Rentenversicherung sein muß, um als gesetzliche Rentenversicherung im Sinne des FAG zu gelten (BSG aaO), braucht auch die ausländische Dienstversorgung nicht in allen Punkten mit einer deutschen Dienstversorgung übereinzustimmen, um als Dienstversorgung, also nicht als eine gesetzliche Rentenversicherung gewertet zu werden. Es kommt vielmehr immer auf den Gesamteindruck und die wesentlichen Merkmale an; sie liegen in der Abgrenzung des Personenkreises und auch im Einfluß des Dienstverhältnisses auf die Leistungen.

Bei dem estnischen Ruhegeldgesetz haben zum berechtigten Personenkreis vorwiegend die Staats- und Kommunalbediensteten (§ 1 des Gesetzes) gehört. Daß dieser Kreis sich nicht auf die Personen beschränkte, die nach deutschem Recht Beamte gewesen wären, hat das LSG mit Recht als unerheblich erachtet. Auch das deutsche Rentenversicherungsrecht (vgl. die Hinweise auf § 1234 der Reichsversicherungsordnung - RVO - aF in den Urteilen des BSG SozR aaO und die §§ 6 bis 8 des Angestelltenversicherungsgesetzes - AVG - nF) kennt eine Dienstversorgung - die hier von der Rentenversicherungspflicht befreit oder doch befreien kann - nicht nur bei den Beamten, sondern auch bei den Sonstigen Beschäftigten des öffentlichen Dienstes. Keiner Erörterung bedarf daher, daß das estnische Ruhegeldgesetz in seinen §§ 2 und 3 immerhin weite Teile der im öffentlichen Dienst tätigen Arbeiterschaft von der Versorgung ausschloß oder ihnen nur Versorgung für eine Gesundheitsschädigung im Dienst zugestand. Entgegen der Meinung des Klägers vermag auch die Einbeziehung der in § 1 Nr. 6, 7 und 10 bis 12 des Gesetzes genannten Personengruppen (Lehrkräfte und Angestellte der Privatschulen ohne die Rechte der öffentlichen Lehranstalten; Angestellte der örtlichen Selbstverwaltungen ihrer Verbände und der Selbstverwaltungsdienststellen der völkischen Minderheiten; Angestellte der Berufs-Selbstverwaltungen, der Versicherungsgenossenschaften, Krankenkassen und ihrer Verbände; ständige Angestellte des estnischen Roten Kreuzes; ständige Angestellte von Organisationen, die staatswichtige Aufgaben erfüllen) nichts daran zu ändern, daß der Personenkreis des Gesetzes in der Hauptsache durch die Beschäftigten des öffentlichen Dienstes gebildet und geprägt worden ist. Das zahlenmäßige Verhältnis ist dabei nicht ausschlaggebend; entscheidend ist vielmehr, daß auch die Tätigkeit dieser Personengruppen für das Gemeinwohl als nicht minder bedeutsam angesehen worden ist als die Tätigkeit der im öffentlichen Dienst Beschäftigten und daß der estnische Gesetzgeber aus diesem Grunde die für den öffentlichen Dienst gewollte Versorgung auf sie erstreckt hat; diese Erweiterung des Personenkreises schließt nicht aus, bestätigt im Gegenteil, daß das estnische Ruhegeldgesetz vorwiegend der Sicherung der Beschäftigten im öffentlichen Dienst hat dienen sollen.

Ebenso deutlich wird die Eigenschaft einer Dienstversorgung aus den Bestimmungen (§§ 6 und 7 des Gesetzes) über die Voraussetzungen der Gewährung von Ruhegeld (Pension) an die Berechtigten und ihre Hinterbliebenen und über die Höhe des Ruhegeldes. Die Beitragsleistungen, die die Berechtigten und ihre Dienstherren zum Pensionskapital zu leisten hatten, haben hierbei keine Rolle gespielt. Für die Gewährung des Ruhegeldes sind vielmehr die dienstrechtlichen Verhältnisse maßgebend gewesen. Sowohl für das gewöhnliche Altersruhegeld (Alterspension) als auch für die Krankheitspension und Familienpension sind Mindestdienstzeiten vorgeschrieben gewesen; auf sie ist es nur bei Gesundheitsschädigungen im Dienst nicht angekommen. Auch für die Höhe des Ruhegeldes sind allein die zurückgelegte Dienstzeit, das zuletzt verdiente Gehalt und der Grund des Ausscheidens aus dem Dienstverhältnis maßgebend gewesen.

Bei dieser Sachlage ist dem LSG darin zuzustimmen, daß das streitige Sicherungssystem seinem Gesamteindruck nach eine Dienstversorgung und keine gesetzliche Rentenversicherung darstellt, obgleich die Berechtigten abweichend von deutschen Dienstversorgungen gegebenenfalls selbst Beiträge zu ihrer Versorgung leisten mußten und die Versorgung aus einem eigens gebildeten Pensionskapital bestritten wurde. Für die Frage, ob es sich um eine Dienstversorgung handelt, sind diese Besonderheiten nicht wesentlich; hierfür ist es auch nicht von Bedeutung, ob die Beitragsleistungen nach Ablauf von 30 bis 35 Jahren zur Bestreitung der Versorgungsleistungen ausreichten und dann die Staatszuschüsse entbehrlich wurden; das gilt um so mehr, als hier der Charakter des Versorgungssystems bis zum Jahre 1944, also in der Zeit zu beurteilen ist, in der der Kläger ihm angehört hat. Am Ende dieser Zeit ist in Estland durch Verordnung vom 1. Mai 1943 (AN 1943 S. 358) überhaupt erst eine gesetzliche Rentenversicherung eingeführt worden, ohne daß dabei das Sicherungssystem des Ruhegeldgesetzes etwa als Ersatzeinrichtung der nun geschaffenen Rentenversicherung anerkannt worden wäre.

Die Revision des Klägers ist mithin als unbegründet zurückzuweisen (§ 170 Abs. 1 Satz 1 SGG).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

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