B 13 R 81/08 R
Tatbestand
Streitig ist ein Anspruch des Klägers auf Regelaltersrente unter Berücksichtigung von im Ghetto Krakau/Polen von März 1941 bis März 1943 zurückgelegten Ghetto-Beitragszeiten.
Der 1922 in Krakau geborene Kläger ist jüdischer Abstammung und als Verfolgter im Sinne des Bundesentschädigungsgesetzes (BEG) anerkannt. Nach dem Kriege nahm er seinen Wohnsitz in Frankreich; er bezieht eine Alterspension vom dortigen Rentenversicherungsträger, der Zeiten ab dem 1.1.1948 zugrunde liegen.
Seinen Antrag vom Juni 2003 auf Altersrente unter Berücksichtigung von Beschäftigungszeiten im Ghetto Krakau nach dem Gesetz zur Zahlbarmachung von Renten aus Beschäftigungen in einem Ghetto vom 20.6.2002 (BGBl I 2074) <ZRBG> bzw Ersatzzeiten lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 28.7.2004 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 8.11.2004 ab: Die Tätigkeit im Ghetto Krakau könne nicht als Beschäftigungszeit anerkannt werden, weil eine Entlohnung nur in Form von Sachleistungen erfolgt sei, sodass es jedenfalls am Merkmal der Entgeltlichkeit fehle. Nicht ausreichend sei, dass mögliche Geldleistungen an den Judenrat geflossen seien. Zudem sei auch nach den historischen Erkenntnissen davon auszugehen, dass nach der Verkleinerung des Ghettos Krakau im Juni 1942 ein Zwangsarbeitslager und kein Ghetto mehr bestanden habe.
Hiergegen hat der Kläger vor dem Sozialgericht (SG) Speyer Klage erhoben und geltend gemacht, er sei von März 1941 bis März 1943 im Ghetto Krakau als Hilfsarbeiter und Elektromechaniker beschäftigt gewesen. Er habe Lebensmittel, Unterkunft und auch Barlohn, der an den Judenrat ausgezahlt worden sei, erhalten. Mit den Lebensmittelzuwendungen habe er auch weitere Personen versorgt. Mit Urteil vom 5.10.2006 hat das SG die Klage abgewiesen. Ein Anspruch auf Altersrente bestehe nicht, weil der Kläger die allgemeine Wartezeit nicht erfülle. Es sei bereits nicht glaubhaft gemacht, dass er in der Zeit von März 1941 bis März 1943 im Ghetto Krakau eine freiwillige Beschäftigung ausgeübt habe. Entscheidend sei aber letztlich, dass er kein Entgelt für geleistete Arbeit erhalten habe. Zahlungen an den Judenrat könnten nicht berücksichtigt werden. Die angegebenen täglichen Lebensmittelrationen könnten nicht als äquivalente Entgelte Berücksichtigung finden.
Im Termin zur mündlichen Verhandlung über die Berufung des Klägers hat ihn das Landessozialgericht (LSG) persönlich angehört. Hierbei hat er ua erklärt, er habe während seiner Beschäftigung als Elektriker für die Wehrmachtspost jeweils mittags Suppe und Brot erhalten; für die Arbeit sei Geld an das Arbeitsamt gezahlt worden. Für den Fall der Berücksichtigung von Beitragszeiten hat die Beklagte Ersatzzeiten von November 1939 bis Ende 1949 anerkannt.
Das LSG hat mit Urteil vom 27.2.2008 das Urteil des SG aufgehoben und die Beklagte zur Gewährung von Regelaltersrente ab Juni 1997 verurteilt. Mit den geltend gemachten Arbeitszeiten und den von der Beklagten anerkannten verfolgungsbedingten Ersatzzeiten sei die allgemeine Wartezeit für den Anspruch auf Regelaltersrente erfüllt. Der Wohnsitz des Klägers in Frankreich stehe nicht entgegen, weil Rentenzahlungen aus der gesetzlichen Rentenversicherung von der Verordnung (EWG) Nr 1408/71 (EWGV 1408/71) erfasst seien. Glaubhaft gemacht sei nicht nur der Aufenthalt im Ghetto Krakau im streitigen Zeitraum - auch der Fortbestand des Ghettos nach seiner Verkleinerung im Jahre 1942 bis zu seiner vollständigen Liquidierung im März 1943 -, sondern auch eine Beschäftigung aus eigenem Willensentschluss und gegen Entgelt. Es reiche, dass die Arbeit dem Verfolgten von einem Unternehmen oder einer Ghetto-Autorität mit Sitz im Ghetto angeboten oder ähnlich einer Arbeitnehmerüberlassung oder Arbeitsvermittlung zugewiesen worden sei (Hinweis auf Bundessozialgericht <BSG> 4. Senat vom 14.12.2006, BSGE 98, 48 = SozR 4-5075 § 1 Nr 3). Der Kläger habe - außerhalb des Ghettos - als Elektromechaniker bei der deutschen Wehrmachtspost gearbeitet, wie sich aus dessen persönlicher Anhörung glaubhaft ergeben habe. Im Sinne der Rechtsprechung des 4. Senats des BSG liege in Abgrenzung zur Zwangsarbeit eine Beschäftigung aus eigenem Willensentschluss vor. Der Kläger habe hierzu angegeben, gleich bei Errichtung des Ghettos habe er sich an das deutsche Arbeitsamt im Ghetto gewandt, sich um Arbeit bemüht und auf dieser Grundlage die Stelle bei der deutschen Wehrmachtspost erhalten. Für seine Arbeitsleistung habe der Kläger auch ein Entgelt iS des § 1 Abs 1 Satz 1 Nr 1 Buchst b ZRBG erhalten. Zwar sei nach § 1227 der Reichsversicherungsordnung (RVO) <aF> eine Beschäftigung, für die als Entgelt nur freier Unterhalt gewährt worden sei, versicherungsfrei gewesen. Als freier Unterhalt sei jedoch nur dasjenige Maß an Wirtschaftsgütern anzusehen, das zur unmittelbaren Befriedigung der notwendigen Lebensbedürfnisse des Arbeitnehmers erforderlich sei, nicht aber das, was darüber hinaus gehe (BSG 13. Senat vom 7.10.2004, BSGE 93, 214 = SozR 4-5050 § 15 Nr 1). Bei der Gewährung von Lebensmitteln sei daher zu prüfen, ob sie nach Art und Umfang des Bedarfs unmittelbar zum Verbrauch oder Gebrauch oder zur bleibenden Vergütung gegeben worden seien. Der erkennende Senat folge insoweit dem 4. Senat des BSG (Urteil vom 14.12.2006) nicht; jedoch sei der Entgeltbegriff des ZRBG im Hinblick auf seine Zielsetzung weit zu fassen. Die besonderen Verhältnisse, die in einem Ghetto herrschten, können nicht außer Betracht bleiben. Auch halte es der Senat nicht für erforderlich, dass die Entlohnung für die geleistete Arbeit unmittelbar dem Beschäftigten selbst zugeflossen sei (Hinweise auf Rechtsprechung des LSG Nordrhein-Westfalen). Ausreichend sei vielmehr, wenn die Zahlung als Gegenleistung für die verrichtete Arbeit an den Judenrat erfolgt und dem Inhaftierten daher mittelbar zugeflossen sei. Aus Gutachten von Prof. Dr. G. sei zu entnehmen, dass im Ghetto Krakau reguläre Arbeitsleistung grundsätzlich in Geld vergütet worden sei; diese Zahlungen seien allerdings in der Regel nicht von den Arbeitgebern an die Beschäftigten direkt ausgezahlt, sondern über den Judenrat geleitet worden, der sie besteuert und aus den Erlösen Waren für das Ghetto eingekauft habe. Diese Form der Entlohnung erfülle die Voraussetzung der Entgeltlichkeit iS des ZRBG. Im Hinblick auf den erzwungenen Aufenthalt im Ghetto und der sich daraus ergebenden Schicksalsgemeinschaft der Juden sei diese Form der Abwicklung rechtlich als Lohnabtretung zu qualifizieren. Dies gelte auch für die Zeit ab Oktober 1942, in der die Funktion des Judenrats durch SS-Einheiten übernommen worden sei, die nunmehr den Lohn, zum Teil in Naturalien, erhalten hätten. Der Kläger beziehe für die streitige Zeit keine Leistungen aus einem System der sozialen Sicherheit. Der Zahlung von Regelaltersrente stünden auch nicht die vom Kläger bezogenen Leistungen nach dem Gesetz über die Errichtung der Stiftung "Erinnerung, Verantwortung und Zukunft" entgegen. Denn der Kläger habe zeitlich nach den hier nach dem ZRBG zu berücksichtigenden Beschäftigungszeiten anderswo Zwangsarbeit verrichtet.
Hiergegen richtet sich die durch den Senat zugelassene Revision der Beklagten. Sie rügt die Verletzung des materiellen Rechts, zunächst von "§ 31 SGB I iVm § 35 SGB VI", weil der Kläger die allgemeine Wartezeit nicht erfüllt habe. Denn für die Zeit von März 1941 bis März 1943 seien die Voraussetzungen für eine Beitragsfiktion nach dem ZRBG nicht gegeben. Die Beschäftigung könne nicht als gegen Entgelt ausgeübt iS des § 1 Abs 1 Satz 1 Nr 1 Buchst b ZRBG angesehen werden. Unter den Begriff des Entgelts im Sinne dieser Regelungen fielen alle Einnahmen, die in einem unmittelbaren oder mittelbaren Zusammenhang mit der geleisteten Arbeit stünden (Hinweis auf BSG 4. Senat vom 14.12.2006). Hieraus folge, dass eine Beschäftigung nicht bereits dann gegen Entgelt ausgeübt worden sei, wenn ein Arbeitgeber für eine durch einen Verfolgten in einem Ghetto erbrachte Arbeitsleistung eine Gegenleistung an einen beliebigen Empfänger erbracht habe. Den Feststellungen des LSG seien auch keine Anhaltspunkte dafür zu entnehmen, dass der Kläger seinen Anspruch auf Arbeitslohn an den Judenrat abgetreten habe. Durch das ZRBG solle eine Beitragsfiktion in der gesetzlichen Rentenversicherung gerade für solche Personen begründet werden, die infolge ihres zwangsweisen Aufenthalts in einem Ghetto zwar nur begrenzte Möglichkeiten zur Auswahl eines Arbeitsplatzes gehabt hätten, hiervon abgesehen jedoch keinen rechtlichen Einschränkungen ihrer die Eingehung und Ausgestaltung eines Beschäftigungsverhältnisses betreffenden Vertragsfreiheit unterworfen gewesen seien. Hiermit wäre jedoch die Vorstellung nicht vereinbar, dass die Vertragsfreiheit des Beschäftigten hinsichtlich der Verfügung über seinen Entgeltanspruch aufgrund seiner Zugehörigkeit zu einer jüdischen Schicksalsgemeinschaft aufgehoben oder eingeschränkt gewesen sein könnte. Schließlich seien nach dem ZRBG die Anspruchsvoraussetzungen für eine Rente erst zu Beginn des Monats Juli 1997 erfüllt (Inkrafttreten des ZRBG zum 1.7.1997), sodass eine Rente nicht, wie vom LSG entschieden, bereits ab Juni 1997 gewährt werden könne.
Die Beklagte beantragt,
- das Urteil des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz vom 27.2.2008 aufzuheben und die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Speyer vom 5.10.2006 zurückzuweisen.
Der Kläger beantragt,
- die Revision zurückzuweisen.
Er schließt sich den Entscheidungsgründen des angefochtenen Urteils an und trägt ergänzend vor, er habe, wie in der mündlichen Verhandlung vor dem LSG ausgeführt, gewusst, dass der Arbeitslohn für die von ihm geleistete Arbeit "an das deutsche Arbeitsamt" gezahlt worden sei. Mit dem LSG sei davon auszugehen, dass eine konkludente Abtretung des Anspruchs an den Judenrat vorgelegen habe. Das ZRBG fordere nicht, dass der Betroffene über seinen Entgeltanspruch habe frei verfügen können; das Merkmal der Freiwilligkeit beziehe sich lediglich auf die Ausübung und Aufnahme des Beschäftigungsverhältnisses. Dass das LSG Rente bereits ab Juni 1997 zugesprochen habe, begegne keinen Bedenken. Das ZRBG bestimme, dass die Anspruchsvoraussetzungen zum 18.6.1997 als erfüllt anzusehen seien. Dies entspreche nach § 99 Abs 1 des Sechsten Buchs Sozialgesetzbuch (SGB VI) einem Rentenbeginn zu Anfang Juni 1997. Unerheblich sei, dass das Gesetz erst zum 1.7.1997 in Kraft getreten sei.
Entscheidungsgründe
Die Revision der Beklagten ist - mit Ausnahme der sich aus dem Entscheidungssatz ergebenden Maßgabe (hierzu unter 6) - unbegründet.
Der Kläger hat Anspruch auf Regelaltersrente (§ 35 SGB VI) ab 1.7.1997 (zum Rentenbeginn s unter 6). Zu diesem Zeitpunkt hatte er das 65. Lebensjahr vollendet und die allgemeine Wartezeit (als Voraussetzung für eine Rente aufgrund von Ghetto-Beitragszeiten: Senatsurteil vom 26.7.2007, SozR 4-5075 § 1 Nr 4 LS 1, RdNr 25 ff; Urteil des 5. Senats des BSG vom 12.2.2009 - B 5 R 70/06 R, zur Veröffentlichung vorgesehen) erfüllt (§ 35 SGB VI). Gemäß §§ 50 Abs 1 Nr 1, 51 Abs 1 SGB VI werden auf die allgemeine Wartezeit Kalendermonate mit Beitragszeiten und nach § 51 Abs 4 SGB VI solche mit Ersatzzeiten angerechnet. Nach § 55 Abs 1 SGB VI sind Beitragszeiten Zeiten, für die nach Bundesrecht Beiträge gezahlt worden sind oder aber als gezahlt gelten. Zwar hat der Kläger keine Beiträge zur deutschen Rentenversicherung geleistet. Allerdings gelten für die Zeit von März 1941 bis März 1943 nach § 2 Abs 1 des - als Art 1 des "Gesetzes zur Zahlbarmachung von Renten aus Beschäftigungen in einem Ghetto und zur Änderung des Sechsten Buches Sozialgesetzbuch" vom 20.6.2002 (ZRBG/SGB VI-ÄndG) verkündeten - ZRBG Beiträge als gezahlt. Zusammen mit den von der Beklagten anerkannten Ersatzzeiten wird damit die Wartezeit überschritten (hierzu unter 5a).
Zu Recht hat das LSG eine Ghetto-Beitragszeit des Klägers im zugesprochenen Umfang festgestellt. Auf der Grundlage der von ihm getroffenen tatsächlichen Feststellungen, die die Revision nicht angegriffen hat, sind für den Zeitraum von März 1941 bis März 1943 die Tatbestandsvoraussetzungen des § 1 Abs 1 Satz 1 ZRBG erfüllt. Nach dieser Vorschrift gilt das ZRBG
"für Zeiten der Beschäftigung von Verfolgten in einem Ghetto, die sich dort zwangsweise aufgehalten haben <hierzu unter 1>, wenn
1. | die Beschäftigung | |
a) | aus eigenem Willensentschluss zustande gekommen ist <2>, | |
b) | gegen Entgelt ausgeübt wurde <3> und | |
2. | das Ghetto sich in einem Gebiet befand, das vom Deutschen Reich besetzt oder diesem eingegliedert war < 1>, |
soweit für diese Zeiten nicht bereits eine Leistung aus einem System der sozialen Sicherheit erbracht wird."
Das ZRBG ist auch nicht verfassungswidrig <4>. Auf seiner Grundlage ergibt sich für den Kläger der Anspruch auf eine nach Frankreich zu zahlende Regelaltersrente <5> ; allerdings erst ab 1.7.1997 <6>.
1. Der Kläger ist Verfolgter iS des BEG. Er hat sich, wie vom LSG festgestellt, im Zeitraum von März 1941 bis März 1943 zwangsweise im Ghetto Krakau aufgehalten, das damals im deutsch besetzten Gebiet (Generalgouvernement) lag.
Es liegt ferner eine "Beschäftigung von Verfolgten in einem Ghetto" iS des § 1 Abs 1 Satz 1 ZRBG vor. Der Senat liest diese Formulierung so, dass jegliche Beschäftigung darunter fällt, die von Verfolgten ausgeübt wurde, während sie sich zwangsweise in einem Ghetto aufgehalten haben. Ist diese Voraussetzung erfüllt, bedarf es keiner gesonderten Prüfung mehr, ob Dienstleistungen oder Arbeiten, die außerhalb des räumlichen Bereichs eines Ghettos verrichtet wurden, "Ausfluss der Beschäftigung im Ghetto waren" (so jedoch BSG 4. Senat vom 14.12.2006, BSGE 98, 48 = SozR 4-5075 § 1 Nr 3, RdNr 99 im Anschluss an einen Redebeitrag Dr. Schwaetzer, FDP, bei den Beratungen zum ZRBG im Deutschen Bundestag).
2. Der Kläger hat im fraglichen Zeitraum auch eine aus eigenem Willensentschluss zustande gekommene Beschäftigung ausgeübt (§ 1 Abs 1 Satz 1 Nr 1 Buchst a ZRBG). Dies ergibt sich aus den nicht angegriffenen tatsächlichen Feststellungen des LSG.
a) Der Senat geht von folgenden Grundsätzen aus:
Die aus eigenem Willensentschluss zustande gekommene Beschäftigung iS des § 1 Abs 1 Satz 1 Nr 1 Buchst a ZRBG ist von einer Zwangsarbeit iS des Gesetzes über die Errichtung der Stiftung "Erinnerung, Verantwortung und Zukunft" (EVZStiftG) vom 2.8.2000 (BGBl I 1263) abzugrenzen (ebenso BSG 4. Senat vom 14.12.2006, BSGE 98, 48 = SozR 4-5075 § 1 Nr 3, RdNr 100 f) ; nach § 11 Abs 1 Satz 1 Nr 1 EVZStiftG ist leistungsberechtigt ua derjenige, der in einem Ghetto unter vergleichbaren Bedingungen (wie in einem KZ) inhaftiert war und "zur Arbeit gezwungen wurde". Diese Wendung macht deutlich, dass hiervon niemand erfasst wird, der (allgemein) zur Arbeit gezwungen "war". Ein (faktischer oder rechtlicher) Arbeitszwang allein stellt keine Zwangsarbeit dar und steht deshalb einer "Beschäftigung aus eigenem Willensentschluss" nicht entgegen; diese ist vielmehr dann nicht mehr gegeben, wenn jemand zu einer (spezifischen) Arbeit gezwungen "wurde".
Einem Anspruch nach dem ZRBG steht nicht entgegen, dass der Kläger Leistungen nach dem EVZStiftG bezieht. Dies gilt bereits deshalb, weil er nach den Feststellungen des LSG im Anschluss an die hier streitige Ghetto-Beschäftigung in Lagern Zwangsarbeiten verrichten musste.
Zwangsarbeit ist die Verrichtung von Arbeit unter obrigkeitlichem (hoheitlichem) Zwang, wie zB bei Strafgefangenen und Kriegsgefangenen. Typisch ist dabei zB die obrigkeitliche Zuweisung von Arbeitern an bestimmte Unternehmen, ohne dass die Arbeiter selbst hierauf Einfluss haben. Eine verrichtete Arbeit entfernt sich um so mehr von dem Typus des Arbeits-/Beschäftigungsverhältnisses und nähert sich dem Typus der Zwangsarbeit an, als sie durch hoheitliche Eingriffe überlagert wird, denen sich der Betroffene nicht entziehen kann (Senatsurteil vom 14.7.1999, SozR 3-5070 § 14 Nr 2 S 8 f mwN).
Ob eine aus eigenem Willensentschluss iS des ZRBG zustande gekommene Beschäftigung oder eine den eigenen Willensentschluss ausschließende Zwangsarbeit vorlag, ist vor dem Hintergrund der wirklichen Lebenslage im Ghetto zu beurteilen. Dabei sind die Sphären "Lebensbereich" und "Beschäftigungsverhältnis" grundsätzlich zu trennen; ebenso spielen die Beweggründe zur Aufnahme der Beschäftigung keine Rolle (Senatsurteil vom 14.7.1999, SozR 3-5070 § 14 Nr 2 S 7; BSG 5. Senat vom 18.6.1997, BSGE 80, 250, 252 = SozR 3-2200 § 1248 Nr 15). Eine aus eigenem Willensentschluss aufgenommene Beschäftigung liegt vor, wenn der Ghetto-Bewohner hinsichtlich des Zustandekommens oder der Durchführung der Arbeit noch eine Dispositionsbefugnis zumindest dergestalt hatte, dass er die Annahme oder Ausführung der Arbeit auch ohne Gefahr für Leib, Leben oder seine Restfreiheit ablehnen konnte.
Auch die Annahme einer vom Judenrat angebotenen Arbeit erfüllt das Tatbestandsmerkmal der "aus eigenem Willensentschluss" zustande gekommenen Beschäftigung. Hiervon ging bereits die sog Ghetto-Rechtsprechung des BSG aus, die den Gesetzgeber zur Verabschiedung des ZRBG veranlasst hat. In einer Parallelentscheidung zum Leiturteil (BSG 5. Senat vom 18.6.1997, BSGE 80, 250 = SozR 3-2200 § 1248 Nr 15), nämlich im Urteil vom 18.6.1997 - 5 RJ 68/95 (in Juris nicht dokumentiert) findet sich zur Freiwilligkeit der Beschäftigung lediglich die Feststellung, dass die damalige Klägerin auf Vermittlung des Judenrats (als Näherin in einer Kleiderfabrik) beschäftigt war. Sofern dem Urteil des Senats vom 7.10.2004 (BSGE 93, 214 = SozR 4-5050 § 15 Nr 1, RdNr 26) strengere Anforderungen zu entnehmen sind, hält er hieran nicht fest.
b) Die tatsächlichen Feststellungen des LSG tragen seine Schlussfolgerung, die streitige Beschäftigung des Klägers als Elektriker bei der Wehrmachtspost sei aus eigenem Willensentschluss zustande gekommen. Denn nach den Feststellungen des Berufungsurteils hat er sich die seiner beruflichen Vorbildung entsprechende Arbeit über das deutsche Arbeitsamt selbst beschafft und ist über längere Zeit bei dieser geblieben.
3. Der Kläger hat die Beschäftigung auch "gegen Entgelt" ausgeübt (§ 1 Abs 1 Satz 1 Nr 1 Buchst b ZRBG).
Das LSG hat festgestellt, dass die Vergütung für die Arbeit des Klägers - wie dies historischen Erkenntnissen entspricht - über die deutsche Arbeitsverwaltung an den Judenrat (ab Oktober 1942 an SS-Einheiten) zur Versorgung der im Ghetto Festgehaltenen gezahlt wurde. Bereits eine Entlohnung in dieser Form reicht als Entgelt im obigen Sinne aus.
Denn "Entgelt" iS von § 1 Abs 1 Satz 1 Nr 1 Buchst b ZRBG ist jegliche Entlohnung, nicht nur in Geld, sondern auch in Form von Nahrungsmitteln oder entsprechenden Gutscheinen (Coupons). Weitergehende Erfordernisse (zB Einhaltung einer Mindesthöhe; Miternährung einer anderen Person) müssen nicht erfüllt werden. Unerheblich ist,
- | ob das Entgelt nur "geringfügig" war oder zum Umfang der geleisteten Arbeit in keinem angemessenen Verhältnis stand (a), |
- | ob als Entgelt nur Sachbezüge in Form freien Unterhalts (oder eines Teils davon) gewährt wurden (b), |
- | ob das Entgelt unmittelbar von der Beschäftigungsstelle ("Arbeitgeber") oder von einer anderen Instanz (zB dem Judenrat) gewährt wurde (c). |
Nur auf dieser Grundlage können Sinn und Zweck des ZRBG erfüllt werden. Das Gesetz soll Verfolgten für deren Beschäftigung während ihres Zwangsaufenthalts in einem vom Deutschen Reich zu verantwortenden Ghetto eine Rente aus der deutschen Rentenversicherung ermöglichen. Es knüpft an die sog Ghetto-Rechtsprechung des BSG an, erweitert jedoch in mehrfacher Hinsicht deren Reichweite.
Die Ghetto-Rechtsprechung hatte ein rentenversicherungspflichtiges Beschäftigungsverhältnis iS der Reichsversicherungsgesetze (vor allem also der RVO) bei Arbeitsleistungen angenommen, zu denen es aufgrund eines "Ghetto-Arbeitsmarkts" gekommen war, die in "Ghetto-Geld" entlohnt worden waren und bei denen die Überschreitung einer Geringfügigkeitsgrenze in Höhe eines Ortslohndrittels festgestellt werden konnte (vgl etwa Urteil des 5. Senats vom 18.6.1997, BSGE 80, 250, 252 f = SozR 3-2200 § 1248 Nr 15 S 54 f zum Ghetto Lodz).
Demgegenüber erfasst das ZRBG alle Beschäftigten, die sich zwangsweise in einem Ghetto aufhielten, das sich in einem Gebiet befand, das vom Deutschen Reich besetzt oder diesem eingegliedert war, und geht insoweit von einer einheitlichen Beurteilung aus (s BT-Drucks 14/8583, S 5: "Es kommt nicht darauf an, in welchem vom Deutschen Reich beherrschten Gebiet die Beitragszeiten zurückgelegt worden sind"). Obwohl der Gesetzgeber davon ausgehen musste, dass die von der ursprünglichen Rechtsprechung aufgestellten Kriterien nur in ganz wenigen Ghettos anzuwenden sein würden, hat er eine unterschiedslose Regelung unabhängig von lokal anwendbarem Recht, Ghetto-Größe und -Struktur geschaffen; die Berücksichtigung einer Ghetto-Beitragszeit hat er darüber hinaus lediglich davon abhängig gemacht, dass die Beschäftigung aus eigenen Willensentschluss zustande gekommen und entgeltlich war.
Der gebotenen Einheitlichkeit der Beurteilung von Ghetto-Beschäftigungen hat der Senat bereits dadurch Rechnung getragen, dass für die Anerkennung auch von außerhalb des Geltungsbereichs der Reichsversicherungsgesetze zurückgelegten Ghetto-Beitragszeiten das Erfordernis der Zugehörigkeit zum deutschen Sprach- und Kulturkreis nicht erfüllt sein muss (Urteil vom 26.7.2007, BSGE 99, 35 = SozR 4-5075 § 1 Nr 4, RdNr 19) ; ferner dadurch, dass er in Anwendung des ZRBG einheitlich die Maßstäbe der Reichsversicherungsgesetze angelegt hat, einerlei, ob die Ghetto-Beschäftigungen innerhalb (Urteil vom 20.7.2005 - B 13 RJ 37/04 R, RdNr 28 ff) oder außerhalb (im Ghetto Warschau, Generalgouvernement: Urteil vom 7.10.2004, BSGE 93, 214 = SozR 4-5050 § 15 Nr 1, RdNr 19 ff; s allg zur dortigen Rechtslage Senatsurteil vom 23.8.2001, SozR 3-2200 § 1248 Nr 17 S 67 f) ihrer unmittelbaren Geltung stattgefunden hatten.
An dieser Rechtsprechung hält der Senat jedoch insoweit nicht mehr fest, als er auch für Beschäftigungen iS des ZRBG verlangt hat, dass diese, gemessen an den Bestimmungen der Reichsversicherungsgesetze, zur Rentenversicherungspflicht geführt haben müssen. Für die Ermittlung von Ghetto-Beitragszeiten nach dem ZRBG kann diese Voraussetzung nicht gelten.
Zwar ist das ZRBG, wie sich auch aus der hierzu vorliegenden Gesetzesbegründung (BT-Drucks 14/8583, S 1, 6; 14/8602, S 1, 5) ergibt, ausdrücklich in Reaktion auf die (und in Akzeptanz der) Ghetto-Rechtsprechung des BSG verabschiedet worden (s Senatsurteil vom 7.10.2004, BSGE 93, 214 = SozR 4-5050 § 15 Nr 1, RdNr 36). Dennoch kann dem Gesetzgeber nicht entgangen sein, dass jedenfalls bei dem umfassenden Anwendungsbereich des ZRBG die in der Ghetto-Rechtsprechung notwendigerweise umgesetzte Rechtslage zur Abgrenzung einer rentenversicherungspflichtigen Beschäftigung von einer versicherungsfreien Tätigkeit - zB unter dem Gesichtspunkt der Geringfügigkeit - den Verhältnissen im Ghetto nicht mehr gerecht wurde.
(zu a) Die Anwendung des § 1 Abs 1 Satz 1 Nr 1 Buchst b ZRBG erfordert nicht, dass das Entgelt mehr als nur geringfügig war. Entgelt in diesem Sinne ist vielmehr jegliche Gegenleistung (Geld oder Sachbezüge, insbesondere Lebensmittel) für die vom Ghettobewohner verrichtete Arbeit ohne Rücksicht auf deren Höhe. Es ist nicht zu prüfen, ob die Beschäftigung nach den Maßstäben der Reichsversicherungsgesetze rentenversicherungspflichtig war.
Wenn der Senat nunmehr auch unter anderen Umständen vernachlässigbare Sachbezüge (zB im Nährwert unzureichende Verpflegung am Arbeitsplatz) als Entgelt iS des § 1 Abs 1 Satz 1 Nr 1 Buchst b ZRBG ansieht, so mag dies den Rahmen der herkömmlichen Regeln über das sozialversicherungsrechtliche Entgelt für zwangsweise im Ghetto lebende Verfolgte verlassen. Hierin liegt jedoch kein grundsätzlicher Bruch, denn die diesen Regeln zugrunde liegende Wertung wird gerade beachtet; zudem eröffnete bereits die Rechtsprechung zu den Reichsversicherungsgesetzen Spielräume zur Berücksichtigung der individuellen Verhältnisse des Beschäftigten. Die Sozialversicherungspflicht knüpft nach damaligem Recht ebenso wie heute an der Erwerbstätigkeit an, wenn diese eine wesentliche Lebensgrundlage des Versicherten darstellt. Auch an sich geringfügige Sachleistungen (Lebensmittel) aber waren im Ghetto, das die Bewohner nicht verlassen durften und in dem sie ständig von Hunger bedroht waren, überlebenswichtig; sie konnten sogar eher als Lebensgrundlage angesehen werden als Geld oder geldwertes Vermögen.
Um rentenversicherungspflichtig zu sein, musste damals (wie heute) die Beschäftigung ein Entgelt in Form von Geld oder von Sachbezügen (§ 1226 Abs 1 Nr 1, Abs 2 iVm § 160 RVO <aF>) abwerfen, das eine gewisse Höhe überschreitet. Während heute nach § 8 Abs 1 Nr 1 des Vierten Buchs Sozialgesetzbuch (SGB IV) ein fester Mindestbetrag überschritten sein muss, bestand damals keine einschlägige gesetzliche Regelung. Das Reichsversicherungsamt (RVA) sah jedoch allzu geringfügige, wirtschaftlich unerhebliche Zuwendungen nicht als Entgelt iS des § 160 RVO (aF) an (Anleitung des RVA über den Kreis der nach der Reichsversicherungsordnung gegen Invalidität und gegen Krankheit versicherten Personen, in der Bearbeitung von Kreil, Stand 1935 - im Folgenden "Anleitung" - S 73 mwN; eine entsprechende Fragestellung war trotz § 8 SGB IV noch 1988 relevant: BSG vom 22.9.1988, SozR 4100 § 101 Nr 7 S 26 f mwN). Auf vorübergehende Dienstleistungen war gemäß § 1232 RVO (aF) iVm Art 104 des Einführungsgesetzes zur RVO die "Bekanntmachung betreffend die Befreiung vorübergehender Dienstleistungen von der Versicherungspflicht …" vom 27.12.1899 (RGBl 725) weiterhin anwendbar, die ohne konkrete Betrags- und Zeitgrenzen ähnliche Beschränkungen der Versicherungspflicht enthielt wie heute § 8 Abs 1 Nr 2 SGB IV. Dabei kam es allerdings auf eine Angemessenheit des Entgelts nicht an (s "Anleitung" S 73: "Andernfalls würde zu Unrecht eine Arbeit schon deshalb versicherungsfrei sein, weil sie gering gelohnt wird"; mwN). Auch kann entgegen oft zu lesenden Ausführungen von keiner allgemeinen Geringfügigkeitsgrenze von "einem Drittel des Ortslohns" gesprochen werden. Das RVA hat in einer solchen Schwelle ausdrücklich nur einen "gewissen Anhalt, nicht aber eine feste Abgrenzung" gesehen und vielmehr in der Hauptsache einen subjektiven Maßstab aus der Sicht des Beschäftigten angelegt. Es hat "im Einzelfalle unter Vergleichung mit den übrigen Einkünften des Beschäftigten und unter Berücksichtigung seiner Lebenshaltung" darauf abgestellt, ob dieser durch die Tätigkeit "seinen Lebensunterhalt überwiegend oder doch in solchem Umfang erwirbt, dass seine wirtschaftliche Stellung zu einem erheblichen Teile" hierauf beruht ("Anleitung", S 104; RVA vom 30.1.1931, EuM 29, 81, 82 f; vom 6.2.1922, EuM 13, 229, 231, jeweils mwN).
Auf diese Prüfung kann aber für die Bestimmung des Begriffs "Entgelt" in § 1 Abs 1 Satz 1 Nr 1 Buchst b ZRBG verzichtet werden. Eine wie auch immer geartete Ausgrenzung nur geringfügig vergüteter Beschäftigungen entbehrt aus den angeführten Gründen hier der inneren Rechtfertigung.
Damit verzichtet der Senat nicht insgesamt auf das Tatbestandsmerkmal des § 1 Abs 1 Satz 1 Nr 1 Buchst b ZRBG. Denn nach wie vor bleibt erheblich, ob die Ghetto-Beschäftigung "gegen" Entgelt ausgeübt wurde, also ob ein Austauschverhältnis bestand. Hiervon ist jedoch nach dem Berufungsurteil auszugehen. Denn das LSG hat - unangegriffen - festgestellt, dass der Kläger für seine Arbeit in der Form vergütet wurde, dass eine Zahlung als Gegenleistung erfolgte (zur Zahlung an den Judenrat s <zu c>).
(zu b) Das LSG hat zwar auf eine Versorgung des Klägers mit Nahrung am Arbeitsplatz nicht abgehoben und eine solche auch nicht festgestellt. Dies ist jedoch vor dem Hintergrund zu sehen, dass bereits die Beklagte im angefochtenen Bescheid Angaben des Klägers im Verwaltungsverfahren (die er auch bei seiner Anhörung vor dem LSG bekräftigt hat) zugrunde gelegt hatte, er habe für die Arbeit auch Suppe und Brot erhalten, was sie jedoch für unerheblich hielt. Das LSG ist davon ausgegangen (Bl 12 des Berufungsurteils), die tägliche Versorgung mit Lebensmitteln für den Betroffenen allein reiche nicht aus, um eine entgeltliche Beschäftigung anzunehmen, weil auch Zwangsarbeiter mit Nahrung versorgt würden. Diese Argumentation vermengt jedoch die Voraussetzung der Beschäftigung "aus eigenem Willensentschluss" (§ 1 Abs 1 Satz 1 Nr 1 Buchst a ZRBG) mit der der Beschäftigung "gegen Entgelt" (Buchst b aaO). Selbst wenn, wie zT aus Ghettos berichtet, Zwangsarbeitern auch Mittel zum Unterhalt ihrer Familie gewährt wurden, wird hieraus keine Beschäftigung aus eigenem Willensentschluss; ebenso wenig wird aus einer Beschäftigung aus eigenem Willensentschluss wegen zu geringer Entlohnung Zwangsarbeit.
Mit Rücksicht auf Sinn und Zweck des ZRBG, die entgeltlichen Ghetto-Beschäftigungen in die Rentenversicherung einzubeziehen, kann insoweit auch die Vorschrift über die Versicherungsfreiheit bei lediglich freiem Unterhalt (§ 1227 RVO <aF>) nicht gelten. Die entgegenstehende Rechtsansicht (im Senatsurteil vom 7.10.2004, BSGE 93, 214 = SozR 4-5050 § 15 Nr 1, RdNr 23 ff) hält der Senat nicht mehr aufrecht.
§ 1227 RVO (aF) regelte für das Recht der gesetzlichen Rentenversicherung als Ausnahme:
"Eine Beschäftigung, für die als Entgelt nur freier Unterhalt gewährt wird, ist versicherungsfrei".
Die Vorschrift war aus dem Invalidenversicherungsgesetz vom 13.7.1899 (IVG) übernommen worden und meinte vor allem die im Handwerk meist nur gegen freien Unterhalt beschäftigten Lehrlinge. Nach den Materialien zum IVG sollte sie eine allzu große Belastung der Arbeitgeber verhindern: Bei Gewährung nur freien Unterhalts sei dem Arbeitgeber ein Abzug der Beitragsanteile des Arbeitnehmers vom Lohn nicht möglich (Hanow/Lehmann, RVO/Invalidenversicherung, 4. Aufl 1925, § 1227 Anm 2 a; s auch RVA vom 21.8.1924, EuM 17, 141, 142 mwN). Auch die Begründung, die in den Materialien zum Arbeiterrentenversicherungs-Neuregelungsgesetz (vom 23.2.1957, BGBl I 45) zur erneuten Einführung der Regelung des alten § 1227 RVO <aF> (neu: § 1228 Abs 1 Nr 2 RVO) nach dessen Aufhebung (durch Art 3 Abs 2 der Ersten Verordnung zur Vereinfachung des Leistungs- und Beitragsrechts in der Sozialversicherung vom 17.3.1945, RGBl I 41) angeführt wurde (BT-Drucks II/2437, S 63), stellt auf die Besonderheiten enger, familienhafter persönlicher Beziehungen ab:
"Beschäftigung ohne Barlohn erfolgt in mannigfachen Formen des Zusammenlebens und der gegenseitigen Hilfeleistung. Erfahrungsgemäß stellt sich in solchen Fällen die Frage nach der Versicherungspflicht oder Versicherungsfreiheit der Beschäftigung häufig erst nach Jahren und meist als Folge von Streitigkeiten zwischen den Beteiligten. Die Versicherungsträger stehen bei der Regelung solcher Fälle oft vor unüberwindlichen Schwierigkeiten."
Alle diese Erwägungen aber treffen auf Ghetto-Fälle mit den typischen Beschäftigungen nicht zu. Würde man insoweit dennoch § 1227 RVO (aF) anwenden, würde die Anrechnung von Ghetto-Beitragszeiten gerade für diejenigen Verfolgten an erschwerte Voraussetzungen geknüpft, die damals in Form von Lebensmitteln die begehrteste Art von Entgelt erhielten (zum Ganzen in ähnlichem Sinne schon BSG 4. Senat vom 14.12.2006, BSGE 98, 48 = SozR 4-5075 § 1 Nr 3, RdNr 109 ff).
(zu c) Jedenfalls wurde eine Beschäftigung auch dann iS des § 1 Abs 1 Satz 1 Nr 1 Buchst b ZRBG "gegen Entgelt ausgeübt", wenn den Beschäftigten das Entgelt (welcher Art auch immer) nicht am Arbeitsplatz (hier also: von der Wehrmachtspost), sondern von einer anderen Stelle (zB dem Judenrat) ausgehändigt wurde; ebenso reicht eine Abführung des Entgelts durch den direkten "Arbeitgeber" an eine derartige Stelle. Dies entspricht im Grundsatz dem Rechtszustand unter Geltung der Reichsversicherungsgesetze.
Bereits nach § 160 Abs 1 RVO (aF) konnte das Entgelt "von dem Arbeitgeber oder einem Dritten" gewährt werden; entsprechend konnte auch der Arbeitgeber die Vergütung an eine Mittelsperson zahlen ("Anleitung", S 77 f; s zB RVA vom 12.1.1911, AN 1911, 404; Hanow, RVO/Gemeinsame Vorschriften, 5. Aufl 1926, § 160 Anm 3, S 358 f). Dabei dürfte es sich in aller Regel um eine zumindest stillschweigend vereinbarte, weil unter den konkreten Umständen im Ghetto übliche Regelung des Arbeitsvertrags handeln. Selbst wenn diese nicht als selbstverständlich unterstellt würde, könnte dieser "ghettobedingte" Mangel dem Verfolgten jedoch nicht zum Nachteil gereichen.
Die Lösung des Senats trägt auch dem Anliegen Rechnung, in Anbetracht des vorgerückten Alters der Berechtigten über ihre Leistungsansprüche möglichst bald und ohne langwierige Ermittlungen entscheiden zu können (hierzu bereits Senatsurteil vom 26.7.2007, BSGE 99, 35 = SozR 4-5075 § 1 Nr 4, RdNr 20 mwN).
Sein Auslegungsergebnis enthebt den Senat ferner der verfassungsrechtlichen Prüfung, ob eine unterschiedliche Behandlung der für Ghettobeschäftigungen vorstellbaren Arten von "Entgelt" (zB Barlohn, um Essensgeld gekürzter Barlohn, lediglich Nahrungsmittel am Arbeitsplatz) oder auch seiner Höhe dem allgemeinen Gleichheitssatz (Art 3 Abs 1 des Grundgesetzes <GG>) widerspricht. Diese Vorschrift ist jedenfalls unmittelbar anwendbar. Denn es geht nicht um die bloße Umsetzung früherer, nicht unter Geltung des Grundgesetzes tatsächlich maßgebender Verhältnisse in Tabellen (s zum Fremdrentengesetz BVerfG vom 26.1.1977, BVerfGE 43, 213, 227 f = SozR 5050 § 22 Nr 5; ferner BVerfG Kammerbeschluss vom 4.4.1989, SozR 5050 § 22 Nr 19 S 54 f), sondern um Anwendung des im Jahre 2002 entstandenen ZRBG.
4. Das ZRBG ist nicht verfassungswidrig.
Der erkennende Senat teilt die Bedenken des 4. Senats des BSG im Urteil vom 14.12.2006 (BSGE 98, 48 = SozR 4-5075 § 1 Nr 3 RdNr 118) zur Verfassungsmäßigkeit der Finanzierung der ZRBG-Leistungen nicht. Denn für nicht beitragsgedeckte Leistungen erhält die Rentenversicherung den zusätzlichen Bundeszuschuss (s § 213 Abs 3 SGB VI).
5. Auf der geschilderten Grundlage ist dem Kläger eine auf Ghetto-Beitragszeiten beruhende Regelaltersrente zu zahlen.
a) Die allgemeine Wartezeit (s oben zu Beginn von II) von fünf Jahren (60 Monaten) erfüllt er mit 25 Monaten (März 1941 bis März 1943) an Ghetto-Beitragszeiten nicht; insgesamt ist jedoch für die Wartezeit der gesamte Zeitraum von November 1939 bis Ende 1949 (122 Monate) zu berücksichtigen. Insoweit hat die Beklagte in der Berufungsverhandlung für den Fall der Berücksichtigung von Beitragszeiten ein Anerkenntnis von Ersatzzeiten erklärt, das der Kläger angenommen hat (§ 101 des Sozialgerichtsgesetzes <SGG>). Gegen die Anrechnung der entsprechenden Ersatzzeiten im Berufungsurteil richtet sich die Revision der Beklagten nicht, so dass weitere Einzelheiten dahinstehen können.
b) Der Zahlungsanspruch besteht auch angesichts dessen, dass der Kläger in einem anderen EU-Staat (Frankreich) und somit weder in Deutschland noch in einem (sonstigen) Abkommensstaat ansässig ist. Dabei bedarf es keiner Prüfung, ob das Recht der EU, zB die EWGV 1408/71, den Export von Leistungen aufgrund des ZRBG in andere Mitgliedstaaten anordnet, weil dies bereits aus dem ZRBG folgt.
aa) Denn der Zahlung der Renten ins Ausland steht das Territorialitätsprinzip des § 30 Abs 1 des Ersten Buchs Sozialgesetzbuch (SGB I) nicht entgegen; hiernach gelten die Vorschriften des SGB (nur) für Personen, die ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt in seinem Geltungsbereich haben. Dieser Grundsatz gilt jedoch gemäß § 37 Satz 1 SGB I nur, soweit sich aus den anderen Sozialgesetzbüchern nichts anderes ergibt. Eben dies ist hier jedoch der Fall. Das ZRBG ergänzt die rentenrechtlichen Vorschriften des Gesetzes zur Regelung der Wiedergutmachung nationalsozialistischen Unrechts in der Sozialversicherung - WGSVG - (§ 1 Abs 2 ZRBG), das wiederum über seinen § 7 WGSVG das SGB VI ergänzt. Es sieht - als rentenrechtliche Spezialregelung - mit hinreichender Deutlichkeit eine Ausweitung seines räumlichen Anwendungsbereichs über den Geltungsbereich des SGB hinaus vor (aA Beschluss des 4. Senats des BSG vom 20.12.2007 - B 4 R 85/06 R, www.sozialgerichtsbarkeit.de, nicht in juris, RdNr 92 ff, insbesondere 94 f; unter Bezugnahme auf sein Urteil vom 14.12.2006, BSGE 98, 48 = SozR 4-5075 § 1 Nr 3, RdNr 57 ff).
Vom Gesetzgeber mitbeschlossen, bezeichnet sich das Gesetz als "Gesetz zur Zahlbarmachung von Renten aus Beschäftigungen in einem Ghetto". Hieraus folgt, dass mit seinen Regelungen jedenfalls auch die "Zahlbarmachung von Renten" erreicht werden, das ZRBG also gerade auch auf Berechtigte im Ausland anzuwenden sein sollte. Denn die Zahlbarkeit von Renten macht für Inländer keine Probleme, vielmehr standen der Zahlung von Renten nach der "Ghetto-Rechtsprechung" des BSG ins Ausland in vielen Fällen die Vorschriften der §§ 113 ff SGB VI entgegen (s BT-Drucks 14/8583, S 1 unter "A. Problem"). Darüber hinaus regelt § 2 Abs 1 Nr 2 ZRBG ausdrücklich die Behandlung der (fingierten) Beiträge "für die Erbringung von Leistungen ins Ausland".
bb) Dies ist auch nicht völkerrechtlich problematisch.
Zwar liegt dem Territorialitätsprinzip der Gedanke zugrunde, dass hoheitliche Maßnahmen eines Staates im Ausland völkerrechtlich verboten sind (vgl von Maydell, Internationales Sozialversicherungsrecht in: Festschrift zum 25jährigen Bestehen des Bundessozialgerichts, 1979, S 943, 947; Rüfner in Wannagat, SGB, § 30 SGB I RdNr 8, Stand: 2000). Hingegen ist einem Staat nicht verboten, an Sachverhalte mit Auslandsberührung Rechtsfolgen zu knüpfen oder Leistungen auch ins Ausland zu exportieren (vgl von Maydell, aaO; Schlegel in juris Praxis-Komm SGB I, 2005, § 30 RdNr 18; BSG vom 28.8.1970, BSGE 31, 288, 290 f = SozR Nr 24 zu § 381 RVO). Entsprechend hat das Territorialitätsprinzip im Sozialversicherungsrecht seine hauptsächliche Bedeutung bei der Frage der Versicherungspflicht, nicht hingegen bei der Leistungsauszahlung (vgl BSG Großer Senat vom 21.12.1971, BSGE 33, 280, 285 = SozR Nr 13 zu § 1302 RVO ; Rüfner aaO).
cc) Damit können Zweifel an der grundsätzlichen Position des 4. Senats dahingestellt bleiben. Dieser geht (s bereits Urteil vom 14.12.2006, BSGE 98, 48 = SozR 4-5075 § 1 Nr 3, RdNr 57 ff, ferner Beschluss vom 20.12.2007 - B 4 R 85/06 R, www.sozialgerichtsbarkeit.de, nicht in Juris, RdNr 92 ff) im Zusammenhang mit der Anwendung des ZRBG davon aus, der räumliche Geltungsbereich aller Bundesgesetze umfasse grundsätzlich nur die Personen, die der Gebietshoheit der Bundesrepublik Deutschland unterlägen, also im Regelfall nur diejenigen, die sich in deren Staatsgebiet aufhielten; ein Gesetz mit intendierter Auslandsgeltung müsse diese "ausdrücklich" regeln. Diese Voraussetzung aber lässt sich jedenfalls den vom 4. Senat im Urteil vom 14.12.2006angeführten Nachweisen (aaO, RdNr 58: "stellvertretend W. Graf Vitzthum, Staatsgebiet, in: HStR II, 3. Aufl 2004, § 18 RdNr 12, 13 mwN") nicht entnehmen. Ebenso wenig ergibt sich aus der vom 4. Senat in seinem Beschluss vom 20.12.2007 (aaO, RdNr 96) angeführten Quelle (Diskussionsprotokoll vom 23.5.2002 zur Sitzung des Bundesrats-Ausschusses für Arbeit und Sozialpolitik vom 16.5.2002, zu TOP 8, S 23), dass die Bundesregierung selbst darauf hingewiesen habe, der Anwendungsbereich des ZRBG sei generell auf "Inländer" und "Vertragsstaatler" beschränkt (aaO finden sich lediglich Auskünfte zur Rentenzahlung aufgrund von Entgeltpunkten aus beitragsfreien Zeiten im Hinblick auf die Regelung des § 2 Abs 2 ZRBG; s bereits das Urteil des 4. Senats vom 14.12.2006, BSGE 98, 48 = SozR 4-5075 § 1 Nr 3, RdNr 60).
6. Der Senat hat durch eine Maßgabe den Entscheidungssatz des Berufungsurteils insoweit korrigiert, als hierin der Rentenbeginn auf den 1.6.1997, statt richtig auf den 1.7.1997, festgesetzt wird.
Der Rentenbeginn aufgrund Antragstellung des Klägers im Juni 2003 bestimmt sich nach § 3 Abs 1 Satz 1 ZRBG:
"Ein bis zum 30. Juni 2003 gestellter Antrag auf Rente aus der gesetzlichen Rentenversicherung gilt als am 18. Juni 1997 gestellt."
Mit der Verurteilung der Beklagten zur Rentengewährung bereits "ab Juni 1997" hat sich das LSG auf dieser Grundlage augenscheinlich an der Vorschrift des § 99 Abs 1 Satz 1 SGB VI orientiert, wonach eine Rente aus eigener Versicherung von dem Kalendermonat an geleistet wird, zu dessen Beginn die Anspruchsvoraussetzungen für die Rente erfüllt sind. Diese Regelung gilt jedoch für einen Rentenbeginn aufgrund der Fiktion des § 3 Abs 1 Satz 1 ZRBG nicht. Denn Art 3 Abs 2 ZRBG/SGB VI-ÄndG sieht ein Inkrafttreten seines Art 1 (des ZRBG) erst "mit Wirkung vom 1. Juli 1997" vor. Entsprechend heißt es in der Gesetzesbegründung zu § 3 ZRBG (BT-Drucks 14/8583 S 6) :
"In Absatz 1 dieser Vorschrift wird bei Antragstellung bis zum 30. Juni 2003 unterstellt, dass ein Antrag auf Regelaltersrente an dem Tag gestellt ist, an dem das Bundessozialgericht seine Entscheidung zur Anerkennung von Ghetto-Beitragszeiten getroffen hat. Im Zusammenwirken mit der Regelung über das Inkrafttreten dieses Gesetzes zum 1. Juli 1997 wird damit eine rückwirkende Rentenzahlung ab 1. Juli 1997 sichergestellt."
Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 193 SGG; ein Anlass, hierbei die (unter 6 erläuterte) Maßgabe zu berücksichtigen, bestand nicht.