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11 RA 54/80

Tatbestand

Die Beteiligten streiten darüber, ob dem Kläger die Zeit vom Dezember 1947 bis Mai 1950 als Ausfallzeit vorzumerken ist. Der Kläger war damals Lehrling im elterlichen Handwerksbetrieb in G., B.; es war vorgesehen, daß er ihn später übernehmen sollte. Im Rahmen einer Kontenklärung entschied die Beklagte, daß die Lehrzeit nicht als Ausfallzeit vorgemerkt werden könne (Bescheid vom 30. September 1977, Widerspruchsbescheid vom 19. April 1978).

Das Sozialgericht (SG) Würzburg hat die Beklagte zur Vormerkung verpflichtet (Urteil vom 5. Dezember 1978). Das Bayeroscje Landessozialgericht (LSG) hat die Berufung der Beklagten zurückgewiesen (Urteil vom 12. Juni 1980) und ausgeführt: Der Kläger sei während der Lehrzeit versicherungsfrei i.S. von § 36 Abs. 1 Nr. 4 Buchst. a Angestelltenversicherungsgesetz (AVG) gewesen. Hierfür komme es auf den damaligen Rechtszustand an. Nach der seinerzeit wie positives Recht hingenommenen Rechtsprechung des Reichsversicherungsamtes (RVA) sei bei wahrscheinlicher künftiger Geschäftsübernahme vermutet worden, daß der Sohn des Handwerksmeisters im väterlichen Geschäft nicht abhängig beschäftigt werde (AN 1937, 300). Die Ansicht der Beklagten, § 36 Abs. 1 Nr. 4 Buchst. a AVG sei nur anwendbar, wenn eine Versicherungspflicht für Lehrlinge entweder nicht vorgesehen gewesen sei oder wegen fehlender Entgeltzahlung Versicherungsfreiheit bestanden habe, finde im Gesetz keine Rechtfertigung.

Mit der vom LSG zugelassenen Revision rügt die Beklagte Verletzung der genannten Vorschrift. Sie erfasse mit den Worten „nicht versicherungspflichtig oder versicherungsfrei“ keine Lehrzeiten, die in einem Meistersohnverhältnis zurückgelegt und schon deshalb von vornherein aus der Versicherungspflicht ausgeschieden seien.

Die Beklagte beantragt,

  • die Urteile der Vorinstanzen aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Der Kläger ist im Revisionsverfahren nicht vertreten.

Entscheidungsgründe

Auf die Revision der Beklagten war die Klage hinsichtlich der Zeit vom 7. September 1949 bis Mai 1950 abzuweisen und der Rechtsstreit im übrigen an das Berufungsgericht zurückzuverweisen.

1. Das LSG geht zu Unrecht davon aus, daß auch eine im Rahmen familienhafter Mitarbeit nach Art der Lehrlingsausbildung ausgeübte Tätigkeit den Ausfallzeittatbestand des § 36 Abs. 1 Nr. 4 Buchst. a AVG erfüllen könne; erforderlich ist vielmehr eine Lehrzeit, die in einem abhängigen Beschäftigungsverhältnis stattfand, gleichwohl aber nicht versicherungspflichtig oder versicherungsfrei war. Der Senat stimmt nicht der Auffassung zu, daß der Gesetzeswortlaut für eine solche einengende Auslegung keinen Anhalt biete. Das LSG hat die nach der seinerzeitigen Meistersohnrechtsprechung nicht der Versicherungspflicht unterworfene Lehrzeit als „versicherungsfrei“ bezeichnet, obwohl es sie von seinem Standpunkt aus als „nicht versicherungspflichtig“ hätte ansehen müssen. Dieser im Gesetz erstgenannte Begriff „nicht versicherungspflichtig“ könnte zwar für sich allein zu der Meinung führen daß damit jede Lehrzeit erfaßt sei, gleichgültig aus welchem Grunde gerade sie im Einzelfall keine Versicherungspflicht ausgelöst hat. Dann fragt es sich jedoch, weshalb der Gesetzgeber die Worte „oder versicherungsfrei“ beigefügt hat; denn eine versicherungsfreie Lehrzeit war ebenfalls im konkreten Falle nicht versicherungspflichtig. Der Gesetzeswortlaut unterscheidet sich zudem von anderen auf das Fehlen einer konkreten Versicherungspflicht deutenden Formulierungen, so z.B. in § 28 Abs. 2 Satz 1 AVG „Versicherungspflicht nicht bestanden“ und Art. 2 § 44a Abs. 3 Satz 1 Angestelltenversicherungs-Neuregelungsgesetz (AnVNG) „während ... Ausbildung ... nicht pflichtversichert“. Der Senat hat schon bei der Beurteilung einer im Ausland zurückgelegten Lehrzeit (BSGE 48, 100) u.a. aus dem Wortlaut des § 36 Abs. 1 Nr. 4 Buchst. a AVG den Schluß gezogen, daß darunter nicht jede Lehrzeit falle, die aus welchem Grunde auch immer in der deutschen Rentenversicherung nicht versicherungspflichtig gewesen sei; er hat dort eine bereits durch das Territorialitätsprinzip bewirkte fehlende Versicherungspflicht nicht genügen lassen. Im Ergebnis nichts anderes kann aber gelten, wenn eine Versicherungspflicht für die Lehrzeit ebenfalls von vornherein deshalb nicht in Betracht kam weil es an einem - nach den Besonderheiten der Lehrzeit ausgerichteten - abhängigen Beschäftigungsverhältnis gefehlt hat. Dafür sprechen vor allem die Entstehungsgeschichte und der Sinn und Zweck der Vorschrift; diesen Auslegungskriterien hat der Senat auch in BSGE a.a.O. entscheidendes Gewicht beigemessen; sie machen deutlich, daß die Wortverbindung „nicht versicherungspflichtig oder versicherungsfrei“ ein abhängiges Beschäftigungsverhältnis voraussetzt.

Der Ausfallzeittatbestand einer Lehrzeit ist durch das Rentenversicherungsänderungsgesetz (RVÄndG) vom 9. Juni 1965 in das AVG eingeführt worden. In dem Gesetzgebungsverfahren bat der Bundesrat zu prüfen, ob versicherungsfreie Lehrzeiten und sonstige Ausbildungszeiten nicht auch wie die Schulzeiten angerechnet werden sollten. Der Bundesrat wies darauf hin, daß in vielen Fällen nach dem vor März 1957 geltenden Recht für Lehrlingszeiten keine Versicherungspflicht bestand (BT-Drucks. IV/2572, S. 33, Nr. 7a). Der zuständige Bundestagsausschuß erweiterte den Regierungsentwurf daraufhin auf „Zeiten einer abgeschlossenen versicherungsfreien Lehrzeit“ (BT-Drucks. IV/3233, S. 13, Nr. 13b). In der zweiten Beratung des Bundestages erhielt die Vorschrift die dann Gesetz gewordene Fassung: „Zeiten einer abgeschlossenen nicht versicherungspflichtigen oder versicherungsfreien Lehrzeit“. Damit war eine Klarstellung bezweckt, weil Lehrverhältnisse ohne Entgelt nicht versicherungspflichtig und solche ohne Barlohn aber mit Kost und Logis versicherungsfrei gewesen seien (vgl. stenografischer Bericht über die 176. Sitzung des Bundestages am 1. April 1965, S. 8863 D, Abgeordneter B. und BT-Drucks. IV/3272 S. 2/3).

Der aufgezeigte Zusammenhang des hier streitigen Ausfallzeittatbestandes mit den gesetzlichen Vorschriften über die Versicherungspflicht der Lehrlinge ist bei der Auslegung zu berücksichtigen. Nach § 1226 Reichsversicherungsordnung (RVO) i.V.m. § 165 Abs. 2 RVO, beide Vorschriften i.d.F. der 1. Verordnung zur Vereinfachung des Leistungs- und Beitragsrechts in der Sozialversicherung (Vereinfachungs-VO) vom 17. März 1945 (RGBl. I S. 41) - auf das Inkrafttreten dieser VO wird noch einzugehen sein -, war Voraussetzung der Versicherung für die in Abs. 1 Nr. 1 und 2 bezeichneten Arbeiter und Angestellten, „mit Ausnahme der Lehrlinge, daß sie gegen Entgelt beschäftigt werden“. Diese Formulierung ist stets dahin verstanden worden, daß für Lehrlinge eine Ausnahme nur für das Entgelt, nicht aber für das Beschäftigungsverhältnis gelten sollte. Eine entsprechend gefaßte Vorschrift kannte die Krankenversicherung schon in der RVO vom 19. Juli 1911 (RGBL S. 509). Nach deren § 165 Abs. 2 war Voraussetzung für die Versicherung der zuvor „Bezeichneten mit Ausnahme der Lehrlinge aller Art, daß sie gegen Entgelt (§ 160) beschäftigt werden“. Dabei wurden gem. der „Anleitung über den Kreis der nach der RVO gegen Invalidität und wegen Krankheit versicherten Personen“ des RVO (AN 1912, 721, hier Nr. 39 auf S. 760) als Lehrling angesehen „wer zum Zwecke seiner Fachausbildung in ein Beschäftigungsverhältnis getreten ist“. Auch die derzeitige Fassung des § 2 Abs. 1 Nr. 1 AVG unterwirft der Versicherungspflicht alle Personen, die „... als Lehrling ... beschäftigt sind“.

Schon dieser Sprachgebrauch spricht dafür, daß der streitige Ausfallzeittatbestand eine Lehrzeit i.S. eines Beschäftigungsverhältnisses voraussetzt. Die Entstehungsgeschichte des § 36 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a AVG und die dabei deutlich gewordenen Vorstellungen des Gesetzgebers bieten keinen Anhalt dafür, daß auch Lehrzeiten die nicht in einem abhängigen Beschäftigungsverhältnis zurückgelegt und schon deshalb keiner Versicherungspflicht unterliegen konnten, ebenfalls Ausfallzeiten werden sollten. Das hätte zudem dem schon in der Entscheidung zur Auslandslehre (BSGE 48, 100, 102) herausgestellten Ziel des Gesetzes widersprochen, eine (gewisse) Gleichbehandlung der vor und nach der Rentenreform von 1957 zurückgelegten Lehrzeiten zu erreichen. Denn auch für Zeiten nach Februar 1957 konnte für Lehrzeiten eine Verneinung der Versicherungspflicht wegen der Zurücklegung in familienhafter Mitarbeit in Betracht kommen. Der Gedanke der Gleichbehandlung schließt es aber aus, Ausbildungen, die auch nach der Rentenreform von 1957 nicht versicherungspflichtig blieben, als Ausfallzeiten anzuerkennen. Soweit eine Ausbildung nicht in einem Beschäftigungsverhältnis erfolgte - sei es bei familienhafter Mithilfe (vgl. BSGE 17, 1), bei staatlichem Zwang (vgl. BSGE 18, 246) oder möglicherweise auch bei einer Allgemeinerziehung (vgl. dazu BSGE 18, 246) - kann diese Ausbildung somit nicht den Ausfallzeittatbestand der Lehrzeit erfüllen. Die Klage wäre daher in vollem Umfang abzuweisen, wenn das LSG zu Recht familienhafte Mitarbeit angenommen hätte.

2. Der Senat vermochte jedoch im weiteren der Ansicht des LSG, daß bei der Ausbildung des Klägers allein wegen der zu erwartenden Betriebsübernahme nur familienhafte Mitarbeit vorgelegen habe, ebenfalls nicht zu folgen. Dem LSG ist zwar darin zuzustimmen, daß die Versicherungspflicht nach dem zur Zeit der streitigen Ausbildung geltenden Recht zu beurteilen ist. Das LSG verkennt jedoch, daß es schon dem von ihm angeführten sogenannten Meisterschnurteil des Bundessozialgerichts (BSG) (Urteil des 3. Senats vom 5. April 1956 - BSGE 3, 30) widerspricht, die Fragen einer Beschäftigung als Lehrling für den hier streitigen Zeitraum von Dezember 1947 bis Juni 1950 nach den in der grundsätzlichen Entscheidung des RVA Nr. 5134 vom 27. April 1937 (AN 1937, 300) für Meistersöhne entwickelten Rechtsgrundsätzen zu entscheiden.

Das RVA hatte in der angeführten Entscheidung Nr. 5134 die in früherer Rechtsprechung entwickelten Kriterien zur Abgrenzung einer familienhaften Mitarbeit nicht in Frage gestellt, sondern um die Vermutung ergänzt, daß ein „Meistersohn“ im väterlichen Geschäft nicht abhängig beschäftigt werde, wenn die spätere Betriebsübernahme zu erwarten sei. Das galt auch für die Berufsausbildung, zumal das RVO zuvor schon die Heranbildung zum Geschäftsnachfolger im Rahmen sittlicher Verpflichtung anerkannt hatte (AN 28, 277; zur früheren Meistersohnrechtsprechung insgesamt vgl. Merz, Mitteilungen der LVA Unterfranken und Mittelfranken, 1980, 330, 334).

Bei dieser „Vermutung“ handelt es sich um einen Rechtsgrundsatz, den der 3. Senat des BSG im angeführten Meistersohnurteil indessen nicht mehr gebilligt hat. Zu Unrecht meint das LSG, dies sei nur für die Zeit nach Erlaß des Urteils geschehen. Insoweit ergibt das „Meistersohnurteil“ im Gegenteil, daß die neue Rechtsprechung vielmehr auch für die zurückliegende Zeit, darunter die damals beurteilte Zeit ab Juli 1949, gelten sollte; der 3. Senat hat nämlich den vom RVA entwickelten Rechtsgrundsatz als rechtsirrig angesehen.

Der erkennende Senat tritt der Auffassung des 3. Senats bei; auch er meint, daß die genannte Vermutung einer Rechtsgrundlage entbehrt und sich die 1937 eingeleitete Meistersohnrechtsprechung des RVA auch nicht schon zu einem Gewohnheitsrecht verdichtet hatte. Eine frühere Rechtsprechung allein, auch soweit sie allgemein angewandt wurde, kann jedenfalls die Anwendung der zutreffenden Rechtsauffassung auch auf zurückliegende Zeiten nicht hindern. Dem steht hier ferner nicht der Grundsatz entgegen, daß ein bereits abgewickeltes Versicherungsverhältnis nicht nachträglich geändert werden darf (vgl. BSGE 22, 162, 166; 26, 120, 123; 47, 211, 213 und g9, 85, 89). Dieser Grundsatz wird schon deshalb nicht verletzt, weil bei der Lehre des Klägers kein Versicherungsverhältnis abgewickelt worden ist. Im übrigen hat dieser Grundsatz etwa eine Beanstandung der Beiträge durch den Rentenversicherungsträger aufgrund geläuterter Rechtsauffassung ebenfalls nicht ausgeschlossen. Hinzu kommt demgegenüber hier, daß die Beurteilung der Versicherungspflicht der Lehrzeit nach den seit 1957 als richtig erkannten Rechtsgrundsätzen dem schon herausgestellten Gedanken der Gleichbehandlung der jetzigen und früheren Lehrzeiten entspricht.

Dazu, ob das Ausbildungsverhältnis des Klägers unabhängig von dem Vermutungssatz des RVA nach den Gesamtumständen als familienhafte Mitarbeit oder als Beschäftigungsverhältnis zu werten ist, hat das LSG, von seinem Rechtsstandpunkt aus zu Recht, keine Feststellungen getroffen.

3. Gleichwohl konnte der Senat hinsichtlich der Zeit ab 7. September 1949 in der Sache abschließend entscheiden. Insoweit erweist sich die Klage als unbegründet. Bei nur familienhafter Mitarbeit fehlt es an einem Lehrverhältnis i.S. eines Beschäftigungsverhältnisses. Der Ausfallzeittatbestand ist für diesen Zeitraum aber auch dann nicht erfüllt, wenn die Merkmale eines Beschäftigungsverhältnisses vorliegen sollten. Denn dann wäre der Kläger in der Zeit ab 7. September 1949 auch ohne Entgelt versicherungspflichtig gewesen, was eine Berücksichtigung als Ausfallzeit ausschließt.

Das LSG hat die Versicherungspflicht der Lehrzeit auch für diesen Zeitabschnitt nach § 1226 Abs. 1 Ziff. 4 und Abs. 2 RVO beurteilt, ohne die Fassung des Gesetzes näher zu bezeichnen. Anzuwenden sind die §§ 1226 Nr. 1, 165b und 165 Abs. 1 Nr. 2 RVO, jeweils i.d.F. der Vereinfachungs-VO. Die gegen Kriegsende durch Ausgabe des Reichsgesetzblattes in Berlin am 11. April 1945 verkündete Vereinfachungs-VO vom 17. März 1945 ist nach ständiger Rechtsprechung des BSG im gesamten Bundesgebiet spätestens am 7. September 1949 mit dem Zusammentritt des Deutschen Bundestages wirksam geworden (BSGE 3 161; 10, 156; 15, 65; 18, 246, 248; SozR 5750 Art. 2 § 46 Nr. 3). Das gilt auch für B., wo der Kläger in G. ausgebildet worden ist. Wenn die Versicherungsträger der amerikanischen Zone zum Teil auf Anweisung ihrer Aufsichtsbehörden die Vereinfachungs-VO nicht angewandt haben so ist das für deren Rechtsgültigkeit ohne Bedeutung; sie ist dadurch insbesondere nicht gewohnheitsrechtlich außer Kraft gesetzt worden (BSGE 3, 161, 171). Dem steht nicht entgegen, daß auch im Bericht des Bundestagsausschusses zu den Renten-Neuregelungsgesetzen vom 23. Februar 1957 die Ansicht vertreten wird, die Vereinfachungs-VO sei nur in den Ländern der ehemaligen britischen Besatzungszone in Kraft getreten (vgl. zu BT-Drucks. II/30/80 auf S. 1). Denn diesen Gesetzen kann nicht entnommen werden, der Gesetzgeber habe - hilfsweise - die Rechtslage entsprechend ändern wollen.

Nach vorgenannten Vorschriften waren Lehrlinge schlechthin, d.h. auch ohne Entgelt versicherungspflichtig, was eine Anrechnung als Ausfallzeit schon nach dem Wortlaut des Gesetzes ausschließt. Eine erweiternde Auslegung der Formulierung „nicht versicherungspflichtigen oder versicherungsfreien Lehrzeit“ in dem Sinne, daß damit jede Lehrzeit im Sinne eines Beschäftigungsverhältnisses gemeint sei, für die schuldlos keine Beiträge entrichtet wurden, ist mit dem Ziel des Gesetzes nicht zu vereinbaren (BSGE 48, 100, 103).

4. Über die Ausbildungszeit vor dem 7. September 1949 vermochte der Senat nicht abschließend zu entscheiden. Denn aufgrund der vom LSG getroffenen Feststellungen kann weder entschieden werden, daß die Vereinfachungs-VO auf das Ausbildungsverhältnis des Klägers von Anfang an anzuwenden ist und den Ausfallzeittatbestand ausschließt, noch was sich bei Anwendung des zuvor geltenden Rechtes für den vorliegenden Fall ergibt.

Die Vereinfachungs-VO ist nach vorgenannter Rechtsprechung des BSG spätestens zum 7. September 1949 in Kraft getreten; dabei blieb offen, ob für die Gebiete des Vereinigten Wirtschaftsgebietes nicht schon ein früheres Inkrafttreten mit dessen Gründung am 10. Juni 1947 anzunehmen ist (BSGE 3, 161, 169). Das ist zu verneinen. Damals war der deutsche Gesetzgeber nicht befugt, ohne Genehmigung der Besatzungsmächte die Vereinfachungs-VO im Vereinigten Wirtschaftsgebiet in Kraft zu setzen. Auch spricht nichts dafür, daß diese Genehmigung mit Sicherheit erteilt worden wäre.

Somit ist die Vereinfachungs-VO in G. (B.), am Lehrort des Klägers, zum vorgesehenen Termin am 1. Juni 1945 (Art. 25 Abs. 1 Vereinfachungs-VO) und damit vor dem Beginn des streitigen Ausbildungsverhältnisses nur in Kraft getreten, wenn G. im Zeitpunkt der Verkündung am 11. April 1945 noch nicht dauerhaft von feindlichen Truppen besetzt war. Denn ein Staat, dessen Gebiet von feindlichen Armeen besetzt wird, verliert für die Dauer der Okkupation die rechtliche Macht, Rechtssätze mit Wirkung für das besetzte Gebiet zu erlassen (BSGE 3, 161 f). War G. bei Verkündung der Vereinfachungs-VO am 11. April 1945 noch nicht besetzt, so ist diese auf die Lehrzeit anzuwenden und damit die Anrechnung einer Ausfallzeit von vornherein ausgeschlossen.

War G. hingegen schon besetzt, so reichen die Feststellungen des LSG nicht aus, den Tatbestand einer nicht versicherungspflichtigen oder versicherungsfreien Lehrzeit auch für den Fall zu verneinen, daß der Kläger im Rahmen eines Beschäftigungsverhältnisses ausgebildet wurde. Nach den dann anzuwendenden Vorschriften des § 1226 Abs. 1 Ziff. 4 und Abs. 2 RVO i.V.m. 1227 RVO, jeweils i.d.F. der Bekanntmachung vom 15. Dezember 1924 (RGBl. I, 779) war eine Lehre ohne Entgelt nicht versicherungspflichtig und eine Lehre nur gegen freien Unterhalt versicherungsfrei. Dazu, ob der Kläger ein Entgelt, gegebenenfalls nur in Form von freiem Unterhalt erhalten hat, hat das LSG keine Feststellungen getroffen. Der Senat vermochte daher über die Zeit vor dem 7. September 1949 nicht abschließend zu entscheiden. Der Rechtsstreit war insoweit und zur Entscheidung über die Kosten auch des Revisionsverfahrens an das LSG zurückzuverweisen. Aufgrund der noch zu treffenden Feststellungen wird das LSG dabei eine Lehre im Sinne eines Beschäftigungsverhältnisses um so eher dann annehmen können, wenn sich Hinweise auf einen förmlichen Lehrvertrag und dessen Mitteilung an Behörden ergeben sollten.

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