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1/11 RA 54/69

Gründe I.

Der im Jahre 1904 geborene Kläger war zuletzt Oberarbeitsführer beim Reichsarbeitsdienst gewesen. Nach seiner Entlassung aus der Kriegsgefangenschaft war er u.a. vom 1. April 1951 bis 30. Juni1962 bei der beigeladenen Hessischen Brandversicherungskammer als Angestellter im öffentlichen Dienst tätig. Für ihn sind auch bis zum 30. April 1960 Beiträge zur Angestelltenversicherung (AnV) abgeführt worden. Nach § 5 Abs. 2 des Gesetzes zur Regelung der Rechtsverhältnisse der unter Artikel 131 des Grundgesetzes fallenden Personen (G 131) galt er mit Ablauf des 8. Mai 1945 als Beamter zur Wiederverwendung. Er trat mit dem 1. Oktober 1961 nach § 35 G 131 in den Ruhestand und erhielt seitdem Versorgungsbezüge.

Mit Schreiben vom 18. November 1965 forderte die Beigeladene ihre Arbeitgeberanteile für die Zeit vom 1. April 1951 an zurück, weil der Kläger während seiner Tätigkeit bei ihr nicht versicherungspflichtig gewesen sei.

Mit Bescheid vom 16. März 1966 i.d.F. des Widerspruchsbescheides vom 7. Juni 1966 stellte die Beklagte fest, daß der Kläger als Beamter zur Wiederverwendung kraft Gesetzes versicherungsfrei gewesen sei. Eine Beanstandung der vom 1. April 1951 bis 31. Dezember 1952 entrichteten Beiträge sei allerdings wegen Ablaufs der 10-Jahresfrist des § 145 Abs. 2 des Angestelltenversicherungsgesetzes (AVG) nicht mehr möglich. Dagegen beanstandete die Beklagte die vom 1. Januar 1953 bis 30. April 1960 geleisteten Beiträge zur AnV als unwirksam. Nach § 146 Abs. 2 AVG laufe nunmehr die zweijährige Rückforderungsfrist erst vom Schluß des Kalenderjahres der Beanstandung. Da der Arbeitgeber die Rückzahlung bereits am 18. November 1965 beantragt habe, müßten die Arbeitgeberanteile für die Zeit vom 1. Januar 1953 bis 30. April 1960 antragsgemäß zurückgezahlt werden.

Hiergegen erhob der Kläger Klage mit dem Antrage, den Bescheid vom 16. März 1966 und den Widerspruchsbescheid vom 7. Juni 1966 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, die in der Zeit vom 1. Januar 1953 bis 30. April 1960 entrichteten Pflichtbeiträge als rechtswirksam anzuerkennen. Er berief sich darauf, daß er die Bescheinigung des Regierungspräsidenten in Darmstadt vom 20. Dezember 1961 über seine Rechtsstellung nach dem G 131 unmittelbar nach ihrem Empfang der Beigeladenen vorgelegt hatte. Diese hätte somit nach § 73 Abs. 4 und 1 G 131 die Rückzahlung ihrer Arbeitgeberanteile bis zum Ende des Jahres 1962 beantragen müssen. Da das nicht geschehen sei, komme eine Rückzahlung nicht mehr in Betracht.

Das Sozialgericht (SG) Darmstadt hat die Klage abgewiesen. Auf die Berufung des Klägers hat das Hessische Landessozialgericht (LSG) durch Urteil vom 21. November 1968 entsprechend dem in der Berufungsinstanz gestellten Antrage das Urteil des SG vom 24. Januar 1967 und den Bescheid der Beklagten vom 16. März 1966 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 7. Juni 1966 aufgehoben und festgestellt, daß die in der Zeit vom 1. Januar 1953 bis 30. April 1960 entrichteten Pflichtbeiträge als rechtswirksam entrichtete freiwillige Beiträge gelten. Zur Begründung führt es aus, zu Recht berufe sich der Kläger darauf, daß nach § 73 Abs. 4 i.V.m. der dort vorgeschriebenen entsprechenden Anwendung des § 73 Abs. 1 G 131 die Rückforderung der zu Unrecht entrichteten Beiträge bis zum Ende des Jahres 1962 hätte erfolgen müssen. Der Auffassung des SG, daß der Ablauf dieser Frist die Beklagte nicht gehindert habe, die Beiträge nach § 146 AVG zu beanstanden, und daß deshalb gemäß § 146 Abs. 2 AG eine neue Frist für die Rückforderung zu laufen begonnen habe, könne nicht gefolgt werden. § 73 G 131 sei eine in sich geschlossene Regelung.

Das LSG hat die Revision zugelassen. Die Beklagte hat dieses Rechtsmittel eingelegt und stellt den aus der Urteilsformel ersichtlichen Antrag. Gerügt wird unrichtige Anwendung des § 146. Die Beigeladene hat sich diesem Antrag sowie den Ausführungen der Beklagten angeschlossen.

Der Kläger beantragt,

  • die Revision zurückzuweisen,
  1. da das angefochtene Urteil zu Recht davon ausgegangen sei, daß § 73 G 131 eine dem § 146 AVG in jeder Hinsicht vorgehende Sonderregelung darstelle.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.

Gründe II.

Die Revision der Beklagten ist begründet.

Zutreffend hat das LSG zunächst ausgeführt, daß der Kläger während seiner Beschäftigung bei der Beigeladenen in der Zeit vom 1. April 1951 bis 30. April 1960 eine Tätigkeit im öffentlichen Dienst ausgeübt hat und daß seine Rechtsstellung als Beamter zur Wiederverwendung nach dem G 131 erst nachträglich, nämlich am 20. Dezember 1961, festgestellt worden ist (§ 73 Abs. 4 G 131). Weiter ist es dem Recht unter Berufung auf das Urteil des 4. Senats des Bundessozialgerichts (BSG) vom 19. August 1964 (BSG 21, 252, 254; ebenso BSG 24, 45, 47) davon ausgegangen, daß der Kläger in dieser Zeit in Wahrheit nicht versicherungspflichtig war, so daß die für ihn abgeführten Beiträge zur AnV zu Unrecht entrichtet worden waren. Schließlich ist dem LSG noch darin zu folgen, daß wegen der in § 73 Abs. 4 G 131 vorgeschriebenen entsprechenden Anwendung der Sätze 4 und 3 des Abs. 1 der sich aus § 146 Abs. 1 und 4 AVG ergebende Rückforderungsanspruch der Beigeladenen hinsichtlich der von ihr getragenen Beitragsanteile bis Ende des Jahres 1962 hätte erhoben werden müssen, weil der Kläger ihr Ende 1961 den Bescheid vom 20. Dezember 1961 über die Feststellung seiner Eigenschaft als Beamter zur Wiederverwendung nach dem G 131 vorgelegt hatte. Insoweit sind sich im übrigen die Beteiligten hinsichtlich der Rechtslage auch einig.

Dem LSG kann jedoch nicht mehr darin gefolgt werden, daß mit dem erwähnten Fristablauf auch das Recht der Beklagten erloschen wäre, die zu Unrecht entrichteten Beiträge hinsichtlich des Zeitraums vom 1. Januar 1953 bis zum 30. April 1960, für den die zehnjährige Frist des § 145 Abs. 2 AG noch nicht abgelaufen war, nach § 146 Abs. 2 AVG zu beanstanden, und daß die zu Unrecht entrichteten Beiträge jetzt als freiwillige Beiträge zu gelten hätten. Diese Auffassung findet in dem Gesetz keine Stütze. Es trifft insbesondere nicht zu, wie der Kläger meint, daß den Vorschriften des G 131 der allgemeine Grundsatz zu entnehmen wäre, daß Pflichtbeiträge, die durch die rückwirkende Feststellung der Rechtsstellung als Beamter zur Wiederverwendung nachträglich unwirksam geworden sind, grundsätzlich als freiwillige Beiträge zu gelten hätten. Eine dahingehende Auffassung kann auch nicht aus § 74 Abs. 3 G 131 gefolgert werden, wonach die in der Zeit vom 8. Mai 1945 bis zum 31. März 1951 entrichteten Beiträge als freiwillige Beiträge gelten, falls kein Erstattungsantrag nach Abs. 1 oder 2 gestellt wird. Hierbei handelt es sich um eine zeitlich eng begrenzte Sondervorschrift, die keine Verallgemeinerung zuläßt. Die Ansicht des Klägers würde zu einer im Gesetz nicht vorgesehenen und deshalb nicht berechtigten Bevorzugung der unter § 73 G 131 fallenden Personen führen. Nach § 1446 RVO a.F. i.V.m. § 190 AVG a.F. und nach § 144 AVG i.d.F. des Angestelltenversicherungs-Neuregelungsgesetzes vom 23. Februar 1957 galten und gelten Pflichtbeiträge, die in der irrtümlichen Annahme der Versicherungspflicht zur AnV entrichtet sind, nur dann als für die Weiterversicherung in der AnV entrichtet, wenn das Recht dazu in der Zeit der Entrichtung bestand und wenn sie außerdem nicht zurückgefordert werden. Allerdings soll der Kläger nach den Feststellungen des LSG früher zur Selbst- oder Weiterversicherung berechtigt gewesen sein. Dies ist indessen nicht entscheidend; denn eine Umdeutung der zu Unrecht entrichteten Pflichtbeiträge in freiwillige Beiträge ist nur dann möglich, wenn sie in vollem Umfang nicht zurückgefordert werden, was wegen des grundsätzlichen Rückforderungsrechts des Arbeitgebers bezüglich seiner Beitragsanteile voraussetzt, daß der Arbeitnehmer dem Arbeitgeber die Arbeitgeberanteile ersetzt (§ 146 Abs. 4 AVG). Nur dann, wenn der Versicherte nicht nur seine Arbeitnehmeranteile nicht zurückfordert, sondern darüber hinaus noch nachträglich die Arbeitgeberanteile zu übernehmen bereit ist, kommt eine Anwendung des § 144 AVG in Betracht, so daß alsdann die Pflichtbeiträge als freiwillige Beiträge gelten können (vgl. 1 RA 81/65 vom 1. Februar 1967, Zentralblatt für Sozialversicherung, Sozialhilfe und Versorgung 1967, 179).

Mangels einer besonderen Regelung gilt grundsätzlich § 146 AVG ganz allgemein mit allen daraus sich ergebenden Folgerungen (vgl. Anders / Jungkunz, Käppner, Komm. zum G 131, 4. Aufl., § 73 Note 5). Es ist also sowohl § 73 G 131 als auch § 146 AVG anzuwenden. Lediglich gegenüber der Zweijahresfrist des § 146 Abs. 1 AVG bringt § 73 G 131 gewisse Abweichungen, indem er einerseits die Rückforderungsfrist auf ein Jahr verkürzt, andererseits nicht auf den Ablauf des Kalenderjahres der Entrichtung abstellt, sondern auf den Ablauf des Monats, in dem die Rechtsstellung als Beamter zur Wiederverwendung festgestellt wird. Im übrigen aber wird durch die Nichtausübung des Rückforderungsrechts das Beanstandungsrecht des Versicherungsträgers nicht berührt, soweit es nicht durch § 145 Abs. 2 AVG ausgeschlossen ist, was hier jedoch nur hinsichtlich der für die Zeit vom 1. April 1951 bis 31. Dezember 1952 entrichteten Pflichtbeiträge zutrifft. Die Beklagte ist auch zu einer Beanstandung in solchen Fällen grundsätzlich verpflichtet (vgl. Elsholz / Theile, Die gesetzliche Rentenversicherung, Nr. 142 Note 1 c; VerbKomm. Vorbem. 2 G vor § 1418 RVO). Geschieht dies, so kommt zwar eine Rückzahlung der zu Unrecht entrichteten Pflichtbeiträge von Amts wegen nicht in Betracht. Gleichwohl wird dadurch eine neue Rückforderungsfrist ausgelöst, nämlich die des § 146 Abs. 1 AVG, so daß die Beigeladene ihre Ansprüche rechtzeitig geltend gemacht hat.

Damit ist das Verhalten der Beklagten nicht zu beanstanden, so daß ihre Revision Erfolg haben muß.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

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