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11 RA 52/67

Aus den Gründen

Die Klägerin und die Beigeladene sind frühere Ehefrauen des am 21.9.1959 verstorbenen M.B., der in der AV versichert war. Die 1924 eingegangene Ehe der Klägerin wurde im Dezember 1941 aus Verschulden des Versicherten, die im Dezember 1942 geschlossene Ehe der Beigeladenen im Mai 1957 aus beiderseitigem Verschulden geschieden.

Der Beigeladenen gewährte die Beklagte mit Besch. vom 12.04.1960 die Hinterbliebenenrente nach § 42 AVG, weil der Versicherte ihr im Jahr vor seinem Tode Unterhalt geleistet habe. Nach ihrer Wiederheirat im Mai 1965 erhielt die Beigeladene den fünffachen Jahresbetrag der Rente als Abfindung.

Im März 1962 beantragte auch die Klägerin Hinterbliebenenrente nach § 42 AVG. Mit Besch. vom 07.09.1962 lehnte die Beklagte den Rentenantrag der Klägerin ab. Deren Klage und Berufung hatten keinen Erfolg.

Das LSG verneinte die Voraussetzungen der drei Alternativen des § 42 Satz 1 AVG (i.d.F. des 1. RVÄndG vom 09.06.1965). Es verneinte auch einen Anspruch auf Grund des am 01.07.1965 in Kraft getretenen § 42 Satz 2 AVG mit folgender Begründung: Der eherechtliche Unterhaltsanspruch sei zwar nicht daran gescheitert, daß die Klägerin nicht bedürftig gewesen sei; weil die Beigeladene nach § 42 Satz 1 AVG anspruchsberechtigt sei, fehle es jedoch an der Voraussetzung, daß aus dem Versicherungsverhältnis keine „Witwenrente“ zu gewähren sei. Die einer geschiedenen Frau nach § 42 Satz 1 AVG gewährte Rente müsse nämlich einer Witwenrente gleichgestellt werden, weil sie ebenfalls eine echte Unterhaltsersatzfunktion habe. Der Sinn des § 42 Satz 2 AVG gebiete hier eine vom Wortlaut abweichende Auslegung. Denn die Ausdehnung des Anspruchsrechts der geschiedenen Frau durch § 42 Satz 2 AVG solle nicht dazu führen, daß Ansprüche mit echter Unterhaltsersatzfunktion durch eine Rententeilung (§ 45 Abs. 4 AVG) geschmälert würden.

Mit der zugelassenen Revision beantragt die Klägerin, die Beklagte zu verurteilen, ihr vom 01.07.1965 an Hinterbliebenenrente zu dem Teil zu gewähren, der der Dauer ihrer Ehe mit dem Versicherten entspricht.

Die Revision der Klägerin ist insofern begründet, als für die Zeit vom 01.07.1965 an das Urt. des LSG aufzuheben und der Rechtsstreit zu neuer Entsch. an das LSG zurückzuverweisen ist.

Zunächst muß der Senat, auch wenn die Klägerin eine Verletzung des § 42 Satz 1 AVG nicht rügt, prüfen, ob das LSG § 42 Satz 1 AVG richtig ausgelegt und - für die noch streitige Zeit vom 01.07.1965 an - auf den festgestellten Sachverhalt zu Recht nicht angewandt hat (wird bejaht).

Es kommt entscheidend darauf an, ob der Klägerin die Vergünstigung des § 42 Satz 2 AVG zugute kommt. Danach findet Satz 1, d.h. die Rechtsfolgeanordnung dieses Satzes (Gewährung der Rente) noch in einem weiteren Fall unter zwei Bedingungen Anwendung. Erste Bedingung ist, daß eine Witwenrente nicht zu gewähren ist; zweite Bedingung ist, daß eine Unterhaltsverpflichtung des Versicherten wegen seiner Vermögens- und Erwerbsverhältnisse nicht bestanden hat. Das LSG hat die erste Bedingung verneint, weil die Beigeladene nach § 42 Satz 1 (3. Alternative) AVG einen Anspruch auf die „Geschiedenenwitwenrente“ habe. Dem kann der Senat nicht zustimmen. Wäre die einer geschiedenen Frau wegen Erfüllung der Voraussetzungen des § 42 Satz 1 AVG gewährte Rente einer Witwenrente gleichzustellen, so könnte zwar die Klägerin derzeit noch keinen Anspruch nach § 42 Satz 2 AVG haben, weil die Beigeladene - deren Rentenberechtigung die Klägerin an sich nicht bestreitet - im Mai 1965 eine Abfindung ihrer Rente erhalten hat; ein Anspruch nach § 42 Satz 2 AVG könnte alsdann für die Klägerin frühestens nach Ablauf von fünf Jahren (dann allerdings wohl ungekürzt) seit dieser Abfindung, also frühestens im Jahre 1970, entstehen (vgl. Urt. des 12. Senats vom 26.06.1969 - BSG 29, 296 = SozR Nr. 50 zu § 1265 RVO). Eine auf Grund des § 42 Satz 1 AVG gewährte Rente ist aber bei der Prüfung der 1. Bedingung des § 42 Satz 2 AVG nicht einer Witwenrente gleichzustellen.

Das LSG räumt selbst ein, daß seine Auslegung vom Gesetzestext abweicht. Nach dem Sprachgebrauch der Rentenversicherungsgesetze ist „Witwenrente“ die Rente, die nach § 41 AVG der Witwe des Versicherten gewährt wird. So wird der Begriff in zahlreichen Vorschriften verwendet und ausdrücklich von der „Rente nach § 42“ unterschieden, die der geschiedenen Ehefrau gewährt wird (vgl. §§ 40 Abs. 1, 45 Abs. 1, 56 Abs. 2, 57 Abs. 1, 68 Abs. 3, 81 Abs. 2 AVG). Es besteht kein Anhalt dafür, daß der Gesetzgeber in § 42 Satz 2 AVG mit dem Begriff „Witwenrente“ die Rente nach § 42 - genauer: die Rente an Berechtigte nach § 42 Satz 1 - ausnahmsweise mitgemeint habe. Darauf deutet auch die Entstehungsgeschichte des § 42 Satz 2 AVG nicht hin. Soweit ersichtlich, wollte man immer nur die der geschiedenen Frau durch Satz 2 zugedachte Vergünstigung nicht auf Kosten der Witwe gehen lassen; ihre Witwenrente sollte nicht auf Grund der Teilungsvorschrift des § 45 Abs. 4 AVG geschmälert werden. Der Senat kann nicht erkennen, daß die gesetzliche Regelung lückenhaft ist und daß der Sinn und Zweck des § 42 Satz 2 die Gleichstellung der nach Satz 1 Berechtigten mit den Witwen gebiete. Es darf schon nicht unterstellt werden, daß das Ges. Kollisionsmöglichkeiten unter den nach Satz 1 und nach Satz 2 berechtigten geschiedenen Frauen übersehen hätte. Der Sinn der 1. Bedingung des § 42 Satz 2 liegt entgegen der Auffassung des LSG nicht darin, vor einer Rentenminderung alle Frauen zu bewahren, die eine Rente mit echter Unterhaltsersatzfunktion erhalten; vielmehr liegt der Gedanke näher, nur die Witwe des Versicherten vor solchen Nachteilen zu schützen, weil sie durch das beim Tode noch gültige Eheband mit dem Versicherten stärker verbunden war und durch seinen Tod auch regelmäßig stärker betroffen wird als jede geschiedene Frau. Dementsprechend haben die Rentenversicherungsgesetze den Witwen mehrfach eine bessere Rechtsstellung eingeräumt als den geschiedenen Frauen. Den Witwen ist lange vor den geschiedenen Frauen die Hinterbliebenenrente zugebilligt worden. Sie sind auch nach der derzeitigen Regelung insofern begünstigt, als bei ihnen ein tatsächlicher Unterhaltsverlust durch den Tod des Versicherten nicht vorzuliegen braucht. Davon abgesehen ist auch nicht einzusehen, warum einer nach § 42 Satz 1 AVG berechtigten geschiedenen Frau die Teilung der Rente mit einer anderen geschiedenen Frau erspart bleiben sollte. Denn schlechte Vermögens- und Erwerbsverhältnisse eines Versicherten i.S. der zweiten Bedingung des § 42 Satz 2 AVG dürften sich in der Regel auf die Unterhaltsrechte mehrerer geschiedener Frauen verhältnismäßig gleich auswirken; wenn das nicht der Fall ist, dann ist das nicht selten in Zufälligkeiten begründet. Das bestätigt nicht zuletzt der vorliegende Rechtsstreit. Die Rechtsstellungen der Klägerin und der Beigeladenen sind hier nur deshalb verschieden, weil der Versicherte der Klägerin trotz des für sie günstigeren Schuldausspruches im Scheidungsurteil im letzten Jahr vor seinem Tode geringere Unterhaltsbeträge gezahlt hat als der Beigeladenen, obwohl diese wegen des ungünstigeren Schuldausspruches im Scheidungsurteil von dem Versicherten allenfalls einen Unterhaltsbeitrag nach § 60 EheG hätte verlangen können.

Entgegen der Auffassung des LSG ist demnach die erste Bedingung des § 42 Satz 2 AVG, daß eine Witwenrente nicht zu gewähren ist, erfüllt. Das bedeutet allerdings nicht, daß der Senat schon abschließend in der Sache entscheiden könnte. Die tatsächlichen Feststellungen des LSG reichen nicht für die Beurteilung aus, ob auch die zweite Bedingung des § 42 Satz 2 AVG erfüllt ist. Danach darf während des letzten wirtschaftlichen Dauerzustandes eine Unterhaltsverpflichtung des Versicherten wegen dessen Vermögens- und Erwerbsverhältnissen nicht bestanden haben. Damit ist eine Unterhaltsverpflichtung im Sinne der 1. oder der 2. Alternative des § 42 Satz 1 gemeint, also eine Verpflichtung zu einer mehr als geringfügigen Unterhaltsleistung (BSG 28, 88, 89) nach den Vorschriften des EheG oder aus sonstigen Gründen. Auch hier ist zweckmäßig zuerst zu prüfen, ob eine vertragliche Unterhaltspflicht dieses Umfangs wegen der Vermögens- und Erwerbsverhältnisse des Versicherten nicht mehr bestanden hat. Das wäre hier unbedenklich zu bejahen, wenn das LSG nicht offengelassen hätte, ob der Unterhaltsvertrag vom 05.03.1942 überhaupt gültig zustande gekommen und bis Juni 1957 gültig geblieben ist. Der Senat kann aber auch nicht beurteilen, ob eine Unterhaltspflicht nach den Vorschriften des EheG nur wegen der Vermögens- und Erwerbsverhältnisse des Versicherten nicht mehr bestanden hat. Bei vorher vereinbarter Unterhaltsabfindung wäre (auch) sie schon wegen der Abfindung entfallen. Sie könnte aber auch wegen fehlender Unterhaltsbedürftigkeit der Klägerin nicht bestanden haben. Wie das BSG bereits entschieden hat (SozR Nr. 31 und 40 zu § 1265 RVO), ist § 42 Satz 2 AVG

nicht anzuwenden, wenn eine Unterhaltsverpflichtung des Versicherten nach den Vorschriften des EheG zur Zeit seines Todes (während des letzten wirtschaftlichen Dauerzustandes) wegen ausreichender Einkommens- und Erwerbsverhältnisse der geschiedenen Frau nicht bestanden hat. Es käme deshalb darauf an, ob die Klägerin ihren nach § 58 EheG angemessenen Unterhalt aus Erträgnissen einer Erwerbstätigkeit bestreiten konnte. Dazu hat das LSG zwar bei der Erörterung des § 42 Satz 2 AVG summarisch erklärt, daß die Anwendung dieser Vorschrift nicht an der fehlenden Bedürftigkeit der Klägerin scheitere. Andererseits hat das LSG aber bei der Erörterung der Unterhaltspflicht des Versicherten nach den §§ 58, 59 EheG innerhalb der 1. Alternative des § 42 Satz 1 AVG angeführt, die Klägerin habe die Möglichkeit gehabt, den eigenen Lebensunterhalt durch eine Erwerbstätigkeit zu verdienen, wobei nicht klar ist, ob das LSG der Klägerin die Erwerbstätigkeit im Rahmen des § 58 oder erst im Rahmen des § 59 EheG zumuten wollte. Die tatsächlichen Feststellungen des LSG zur Unterhaltsbedürftigkeit der Klägerin sind also unklar, so daß der Senat sich auf sie nicht stützen kann. Wäre der Klägerin im Rahmen des § 58 EheG - was u.a. wegen ihres Alters, ihres Gesundheitszustandes, einer fehlenden Vorbildung durchaus zweifelhaft ist - eine Erwerbstätigkeit zuzumuten gewesen, dann wäre möglicherweise aus diesem Grunde ihre Unterhaltsbedürftigkeit zu verneinen (BSG 26, 293).

Da der Senat die zur Beurteilung der zweiten Bedingung des § 42 Satz 2 AVG noch erforderlichen tatsächlichen Feststellungen nicht selbst treffen kann, muß der Rechtsstreit für die Zeit ab 01.07.1965 an das LSG zu neuer Entsch. zurückverwiesen werden. Sollte das LSG zu der Auffassung kommen, daß der Unterhaltsvertrag vom 5. 3.1942 gültig zustande gekommen (bloße Anfechtbarkeit ist insoweit unerheblich) und bis Juni 1957 gültig geblieben ist, dann wäre, weil alsdann die schlechten Vermögens- und Erwerbsverhältnisse des Versicherten zum Wegfall der Geschäftsgrundlage dieses Vertrages geführt haben, schon damit die zweite Bedingung des § 42 Satz 1 AVG erfüllt und dem Antrag der Klägerin stattzugeben.

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