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1 RA 282/61

Aus den Gründen

Die Klägerinnen, Witwe und Waise des im April ... gestorbenen Versicherten, beziehen von der beklagten ... Hinterbliebenenrenten. Der Rechtsstreit wird um die Höhe dieser Renten geführt und geht um die Frage, ob eine sogenannte Praktikantenzeit, die vor Beginn der Ausbildung an einer landwirtschaftlichen Hochschule abgeleistet werden muß, als Ausfallzeit angerechnet werden kann (§ 36 Abs. 1 Nr. 4 AVG).

Der Versicherte, ein Diplom-Landwirt, hat sein Praktikum von April 1933 bis März 1935 abgeleistet und anschließend von April 1935 bis Juli 1938 studiert. Nur in dem letztgenannten Zeitabschnitt war er immatrikuliert. Die Beklagte rechnete die zwei Praktikantenjahre nicht als Ausfallzeit an, weil sie nicht als „Zeiten einer Hochschulausbildung“ i.S. des § 36 Abs. 1 Nr. 4 AVG angesehen werden könnten. Beide Vorinstanzen waren jedoch anderer Auffassung. Sie beurteilten Praktikum und Studium einheitlich als Hochschulausbildung und verpflichteten demgemäß die Beklagte, die Zeit des Praktikums als Ausfallzeit bei der Berechnung der Hinterbliebenenrenten zu berücksichtigen.

Die Revision der Beklagten ist begründet.

Ausfallzeiten, die als Versicherungsjahre anzurechnen sind, können u.a. „Zeiten ... einer abgeschlossenen Fachschul- oder Hochschulausbildung“ sein (§§ 35 Abs. 1, 36 Abs. 1 Nr. 4 AVG). Aus dem Gebrauch des Wortes „Hochschulausbildung“ in dieser Vorschrift ergibt sich bereits, daß damit nur die Ausbildungszeiten erfaßt werden sollen, die an Hochschulen verbracht worden sind. Die Meinung der Klägerinnen, der Gesetzgeber hätte, wenn er andere - etwa praktische - Ausbildungsabschnitte von der Anrechnung als Ausfallzeiten hätte ausschließen wollen, statt von „Ausbildung“ von „Studium“ sprechen müssen, überzeugt nicht. „Ausbildung“ ist zwar ein weiterer Begriff als „Studium“, doch wird durch die Verbindung des Wortes „Ausbildung“ mit „Hochschule“ eine hinreichende Klarheit erreicht und die Möglichkeit einer Abgrenzung gegeben.

Die sich schon aus der Wortfassung ergebende Begrenzung ist auch sinnvoll. Die Vorschrift in § 36 Abs. 1 Nr. 4 AVG gehört zu den Vorschriften neuen Rechts, d.h. zum Recht des 1957 in Kraft getretenen AnVNG. Nach diesem gibt es - im Gegensatz zum früheren Recht (§ 12 Abs. 1 Nr. 4 AVG a.F.) - keine Versicherungsfreiheit mehr bei Beschäftigungen als Praktikant; seit 1957 sind Praktikanten versicherungspflichtig (vgl. §§ 2 bis 6 AVG). Zeiten der Versicherungspflicht und Ausfallzeiten schließen sich jedoch, wenn das Gesetz selbst keine Ausnahmen ausdrücklich festlegt (vgl. etwa § 3 Abs. 2 HwVG vom 08.09.1960), gegenseitig aus (§ 35 Abs. 1 AVG). Zeiten eines Praktikums sind nunmehr selbst anrechnungsfähige Versicherungsjahre und bedürfen deshalb zur Anrechnung als solche nicht des Umwegs über die Regelung von Ausfallzeiten, wie er für Zeiten von Schul- und Hochschulausbildung erforderlich ist. Es besteht also im Rahmen des geltenden Rechts keine Notwendigkeit, in den Begriff „Hochschulausbildung“ auch die Ausbildung während eines Praktikums einzubeziehen. Dies zu tun, erscheint auch für Zeiten, die vor dem Inkrafttreten des neuen Rechts liegen, nicht zulässig. Der Begriff „Hochschulausbildung“ in § 36 Abs. 1 Nr. 4 AVG erhielte dann eine unterschiedliche Bedeutung, je nachdem wann Praktikantenzeiten, die im Einzelfall zu beurteilen sind, zurückgelegt wurden. Eine solche Auslegung widerspräche aber dem Wollen jeder Gesetzgebung, möglichst eindeutige Regelungen zu treffen. Überdies brächte die Anrechnung früherer, damals versicherungsfreier Praktikantenzeiten den älteren Versicherten eine Bevorzugung gegenüber den Jüngeren: jene erhielten die Zeiten ohne Beitragsleistung als Versicherungsjahre angerechnet, während diese während des Praktikums Beiträge entrichten müssen, um die Anrechnung zu erreichen. Eine solche unterschiedliche Behandlung erscheint nicht gerechtfertigt.

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