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§ 11 SGB X: Vornahme von Verfahrenshandlungen

Änderungsdienst
veröffentlicht am

16.03.2024

Änderung

Überarbeitung der Abschnitte 1, 1.1, 2, 3.1, 4, 5 und 6 mit Blick auf das Gesetz zur Reform des Vormundschafts- und Betreuungsrechts vom 04.05.2021

Dokumentdaten
Stand29.02.2024
Erstellungsgrundlage in der Fassung des Betreuungsgesetzes vom 12.09.1990 in Kraft getreten am 01.01.1992
Rechtsgrundlage

§ 11 SGB X

Version003.00

Inhalt der Regelung

Die Bestimmung ist im Kontext von §§ 10 und 12 SGB X zu lesen. Eine Verfahrenshandlung (§ 11 SGB X) kann nur vornehmen, wer grundsätzlich beteiligungsfähig (§ 10 SGB X) und im konkreten Verfahren auch Beteiligter im Sinne von § 12 SGB X ist. Nichtbeteiligte und Beteiligungsunfähige können keine Verfahrenshandlungen vornehmen. Schaltet sich dennoch eine solche Person in ein konkretes Verfahren ein, kann die Behörde das Vorbringen im Rahmen der freien Beweisführung beziehungsweise Sachaufklärung prüfen und gegebenenfalls verwerten (zum Beispiel durch Hinweis auf eine Schwarzarbeit).

Die Handlungsfähigkeit im Sozialrecht entspricht der Geschäftsfähigkeit im Privatrecht oder der Prozessfähigkeit im Prozessrecht.

Die Handlungsfähigkeit ist in jeder Lage des Verfahrens von Amts wegen zu prüfen.

Ergänzende Regelungen

Verfahrenshandlungen

Verfahrenshandlungen im Sinne von § 11 SGB X sind

  • alle aktiven und passiven Handlungen, die im Rahmen eines Sozialversicherungsverfahrens gegenüber dem Antragsteller oder Beteiligten als natürliche oder juristische Person vorzunehmen sind und
  • alle aktiven und passiven Handlungen, die der Antragsteller oder ein Beteiligter gegenüber der Sozialversicherungsbehörde vornimmt.

Zu den Verfahrenshandlungen gehören unter anderem die Antragstellung, die Antragsrücknahme, die Bekanntgabe von Bescheiden, das Einlegen eines Widerspruchs, die Akteneinsicht, die Anhörung, die Aufforderung zur Mitwirkung.

Es ist unerheblich, ob die Verfahrenshandlung gegenüber dem Antragsteller oder Beteiligten persönlich oder deren Bevollmächtigten vorgenommen wird.

Handlungsfähige Personen

Die Verfahrensbeteiligten müssen handlungsfähig sein.

Natürliche Personen, die voll geschäftsfähig sind (§ 11 Abs. 1 Nr. 1 SGB X)

Die Verfahrensfähigkeit im Sozialrecht, somit die Fähigkeit, Verfahrenshandlungen vorzunehmen, wird bei natürlichen Personen daran geknüpft, ob diese nach Maßgabe des bürgerlichen Rechts voll geschäftsfähig sind. Die volle Geschäftsfähigkeit wird mit der Volljährigkeit, das bedeutet mit Vollendung des 18. Lebensjahres erreicht (§ 2 BGB).

Voll geschäftsfähig sind darüber hinaus ausländische Staatsangehörige vor Vollendung des 18. Lebensjahres, die nach dem Recht ihres Heimatlandes bereits die volle Rechts- und Geschäftsfähigkeit erlangt haben (Art. 7 EGBGB).

Bei ausländischen Staatsangehörigen, die nach dem Recht ihres Heimatlandes erst zu einem späteren Zeitpunkt (also nach Vollendung des 18. Lebensjahres) die volle Rechts- und Geschäftsfähigkeit erlangen, ist nach § 11 Abs. 3 SGB X (siehe Abschnitt 6) zu verfahren.

Natürliche Personen, die nach bürgerlichem Recht in der Geschäftsfähigkeit beschränkt sind (§ 11 Abs. 1 Nr. 2 SGB X)

Natürliche Personen, die nach bürgerlichem Recht in der Geschäftsfähigkeit beschränkt sind, können Verfahrenshandlungen rechtswirksam vornehmen, wenn sie für den Gegenstand des Verfahrens durch Vorschriften des bürgerlichen Rechts als geschäftsfähig oder durch Vorschriften des öffentlichen Rechts als handlungsfähig anerkannt sind.

Nach § 106 BGB ist ein Minderjähriger, der das 7. Lebensjahr vollendet hat, nach Maßgabe der §§ 107 bis 113 BGB in seiner Geschäftsfähigkeit beschränkt. Ihm wird, wenn der gesetzliche Vertreter ihn mit Genehmigung des Vormundschaftsgerichts zum selbständigen Betrieb eines Erwerbsgeschäftes ermächtigt hat, für die Rechtsgeschäfte, die dieser Betrieb mit sich bringt, unbeschränkt Geschäftsfähigkeit eingeräumt (§ 112 BGB).

Ein Minderjähriger, der mit Einwilligung seines gesetzlichen Vertreters ein Dienst- oder Arbeitsverhältnis eingeht, ist für alle Rechtsgeschäfte, die sich aus diesem Verhältnis herleiten, unbeschränkt geschäftsfähig (§ 113 BGB). Er kann zum Beispiel als Arbeitgeber Arbeitgeberbescheinigungen ausstellen, als Arbeitnehmer zur Beitragsleistung herangezogen werden oder als Selbständiger einen Antrag auf Versicherungspflicht als Selbständiger (§ 4 Abs. 2 SGB VI) stellen.

Aufgrund von Sonderbestimmungen im SGB liegt unter anderem in folgenden Fällen Handlungsfähigkeit vor:

  • Nach § 36 SGB I können Jugendliche, die das 15. Lebensjahr vollendet haben, Sozialleistungen beantragen und entgegennehmen.
  • Nach § 8 Abs. 2 SGB VIII haben Kinder und Jugendliche das Recht, sich in allen Angelegenheiten der Erziehung und Entwicklung an das Jugendamt zu wenden.

Juristische Personen und Vereinigungen (§ 11 Abs. 1 Nr. 3 SGB X)

Juristische Personen oder Vereinigungen sind nicht an sich, sondern durch ihre Organe, somit durch ihre gesetzlichen Vertreter oder durch besondere Beauftragte handlungsfähig.

Wer gesetzlicher Vertreter (zum Beispiel Vorstand, Geschäftsführung, Gesellschafter) ist, bestimmt sich nach den jeweiligen materiellen Rechtsvorschriften. Eine besondere Beauftragung kann sich aus Gesetz, Verordnung, Satzung, Gesellschaftervertrag oder ähnlichem herleiten. Darüber hinaus kann aber auch das zuständige Organ einen unbeteiligten Dritten mit der Vertretung beauftragen (§ 13 SGB X).

Fehlt die Vertretungsbefugnis oder wird sie überschritten, sind die Verfahrenshandlungen unwirksam.

Behörden (§ 11 Abs. 1 Nr. 4 SGB X)

Eine Behörde wird durch ihren Leiter, dessen Vertreter oder durch besondere Beauftragte vertreten. Die Behördenleiter und deren Vertreter sind als ”geborene Vertreter” für die Behörde tätig. Einer besonderen Beauftragung bedarf es nicht. Andere Bedienstete, die für die Behörde handeln, müssen beauftragt werden. Auch hier gilt: Fehlt die Vertretungsbefugnis oder wird sie überschritten, wirken die Verfahrenshandlungen nicht.

Ausnahme:

Überschreitet in einem gerichtlichen Verfahren ein Behördenvertreter seine internen Kompetenzen, muss die Behörde diese Überschreitung gegen sich gelten lassen.

Handlungsfähigkeit beim Vorliegen eines Betreuungsverhältnisses (§ 11 Abs. 2 SGB X)

  • Betreuung ohne Einwilligungsvorbehalt nach § 1825 BGB
    Ist bei einem Volljährigen eine Betreuung angeordnet (§§ 1814 ff. BGB), ändert dies nichts an seiner Handlungsfähigkeit im Sinne des § 11 SGB X. Auch ein Betreuter verliert nicht seine bürgerlich-rechtliche Geschäftsfähigkeit, es sei denn, infolge einer nicht nur vorübergehenden krankhaften Störung der Geistestätigkeit ist ein Zustand eingetreten, der die freie Willensbestimmung ausschließt (Geschäftsunfähigkeit gemäß § 104 BGB).
    Demnach kann ein geschäftsfähiger Betreuter, für den kein Einwilligungsvorbehalt angeordnet ist, selbständig wirksam Verfahrenshandlungen vornehmen, Verwaltungsakte können ihm bekanntgegeben werden; dies sollte aber nur auf ausdrücklichen Wunsch des Betreuers erfolgen (vergleiche GRA zu § 37 SGB X, Abschnitt 8.5).
    Fallen die Verfahrenshandlungen in den Aufgabenbereich des Betreuers, kann dieser in jeder Lage des Verfahrens gegenüber der Behörde schriftlich erklären, dass das Verfahren fortan ausschließlich durch ihn geführt wird (Ausschließlichkeitserklärung, § 11 Abs. 3 SGB X in Verbindung mit § 53 Abs. 2 S. 1 ZPO). Mit Eingang der Ausschließlichkeitserklärung steht der Betreute für das weitere Verfahren einer handlungsunfähigen Person gleich (§ 11 Abs. 3 SGB X in Verbindung mit § 53 Abs. 2 S. 2 ZPO); in diesen Fällen besteht kein gesetzlicher Anspruch auf Übersendung einer gesonderten Abschrift an die betreute Person. Der Betreuer kann die Ausschließlichkeitserklärung jederzeit, auch im laufenden Verfahren, mit Wirkung für die Zukunft zurücknehmen (§ 11 Abs. 3 SGB X in Verbindung mit § 53 Abs. 2 S. 3 ZPO).
  • Betreuung mit Einwilligungsvorbehalt nach § 1825 BGB
    Ist neben der Betreuung zusätzlich auch ein Einwilligungsvorbehalt angeordnet, der sich auf das Betreiben des Sozialverwaltungsverfahrens bezieht, besteht grundsätzlich keine rechtlich wirksame Handlungsfähigkeit des Betreuten mehr. Rechtliche Erklärungen sind nur durch den oder gegenüber dem Betreuer möglich.
  • Auszahlung von Geldleistungen beim Vorliegen einer Betreuung
    Es wird auf die Ausführungen in der GRA zu § 47 SGB I, Abschnitt 4.3 verwiesen.
  • Mitwirkungspflichten eines Betreuten
    Auch für einen Betreuten gelten die Mitwirkungspflichten der §§ 60 ff. SGB I.

Handlungsunfähige Personen

Geschäftsunfähig und damit auch grundsätzlich handlungsunfähig, also auch nicht in der Lage, Verfahrenshandlungen vorzunehmen, sind

  • natürliche Personen vor der Vollendung des 7. Lebensjahres (§ 104 Nr. 1 BGB) sowie
  • Volljährige, die sich nicht nur vorübergehend in einem die freie Willensbestimmung ausschließenden Zustand krankhafter Störung der Geistestätigkeit befinden (§ 104 Nr. 2 BGB).

Natürliche Personen, die das 7. Lebensjahr vollendet haben, aber noch nicht das 18. Lebensjahr, sind beschränkt geschäftsfähig (siehe Abschnitt 3).

Wer nicht handlungsfähig ist, benötigt einen gesetzlichen Vertreter. Die Bestellung eines gewillkürten Vertreters (zum Beispiel Bevollmächtigter im Sinne von § 13 SGB X) ist nicht möglich, denn dies kann nur von einer handlungsfähigen (geschäftsfähigen) Person vorgenommen werden (siehe auch GRA zu § 13 SGB X, Abschnitt 5). Zulässig ist hingegen die bedingt geltende Bevollmächtigung für den Fall des Verlustes der Handlungsfähigkeit, die die Anordnung einer Betreuung vermeiden soll (Vorsorgevollmacht im Sinne des § 1814 Abs. 3 Nr. 1 BGB).

Handlungen gegenüber einem Handlungsunfähigen beziehungsweise Handlungen eines Handlungsunfähigen sind unwirksam. Ist die Handlungsfähigkeit zwischen den Beteiligten streitig, ist bis zur rechtsverbindlichen Klärung eine Handlungsfähigkeit zu unterstellen (BSGE 5, 176).

Eine Schuldunfähigkeit im Sinne von § 20 StGB ist nicht automatisch mit einer Handlungsunfähigkeit gleichzusetzen, hier bedarf es immer der konkreten Einzelfallprüfung.

Verweis auf §§ 53 und 55 ZPO (§ 11 Abs. 3 SGB X)

  • Handlungsfähigkeit beim Vorliegen einer Betreuung (§ 53 ZPO)
    Ist für einen Beteiligten eine Betreuung angeordnet, gelten die Ausführungen unter Abschnitt 4.
  • Handlungsfähigkeit eines Ausländers, dem es nach dem Recht seines Heimatlandes an der Prozessfähigkeit mangelt (§ 55 ZPO)
    Bei ausländischen Staatsangehörigen, die nach dem Recht ihres Heimatlandes nicht mit der Vollendung des 18. Lebensjahres, sondern erst zu einem späteren Zeitpunkt prozessfähig werden, ist die Prozessfähigkeit für Verfahren vor einem deutschen Gericht und damit auch die Handlungsfähigkeit im Sozialrecht nach deutschem Prozessrecht zu beurteilen, das bedeutet mit Vollendung des 18. Lebensjahres wird dieser Beteiligte handlungsfähig im Sinne von § 11 SGB X.

Handlungsfähigkeit eines Staatenlosen

Die Handlungsfähigkeit eines Staatenlosen richtet sich nach dem Recht des gewöhnlichen Aufenthaltsortes. Bei Staatenlosen, die sich in der Bundesrepublik Deutschland aufhalten, ist die Handlungsfähigkeit nach deutschem Recht zu beurteilen.

Betreuungsgesetz vom 12.09.1990 (BGBl. I S. 2002)
Inkrafttreten: 01.01.1992

Absatz 2 mit den Regelungen zum Einwilligungsvorbehalt wurde durch das Betreuungsgesetz neu eingefügt. Der bisherige Absatz 2 wurde Absatz 3.

Sozialgesetzbuch (SGB) - Verwaltungsverfahren - (Zehntes Buch) vom 18.08.1980 (BGBl. I S. 1469)

Inkrafttreten: 01.01.1981

Quelle zum Entwurf: BT-Drucksache 8/2034

Nach der Gesetzesbegründung entspricht die Vorschrift § 12 VwVfG.

Zusatzinformationen

Rechtsgrundlage

§ 11 SGB X