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11 RA 29/74

Tenor

Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 6. November 1973 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten des Revisionsverfahrens sind nicht zu erstatten.

Tatbestand

Der Kläger bezieht von der Beklagten Rente wegen Erwerbsunfähigkeit; er erstrebt eine zusätzliche Anrechnung von Beitragszeiten von Mai 1939 bis Juni 1942 in Memel.

Die erste Ehefrau des Klägers beantragte 1954 bei der Beklagten die Gewährung von Witwenrente, wobei sie angab, ihr Ehemann sei seit 1944 vermißt. Da Beitragsunterlagen fehlten, fertigte die Beklagte am 23. August 1956 eine "Bescheinigung" darüber an, daß in der "verlorenen ... Versicherungskarte Nr. 1" 20 Beitragsmarken der Klasse D und 18 der Klasse E für die streitige Zeit verwendet worden seien. Eine Bekanntgabe an die erste Ehefrau ist nicht festgestellt. Die bescheinigten Zeiten wurden bei der bis 1961 gewährten Witwenrente angerechnet.

1967 übersandte die Beklagte dem Sozialamt der Stadt L eine Beitragsübersicht, die unter Vorbehalt der Überprüfung im Leistungsfall u.a. wieder Beitragsmonate für die Zeit von Mai 1939 bis Juni 1942 auswies.

In dem dem Kläger am 28. März 1968 erteilten Rentenbescheid ist die streitige Zeit mit der Begründung nicht berücksichtigt worden, daß der Kläger damals als Selbständiger nicht versicherungspflichtig gewesen sei.

Das Sozialgericht (SG) gab der Klage statt (Urteil vom 13. Oktober 1971), die Berufung der Beklagten hatte Erfolg (Urteil vom 6. November 1973). Zur Begründung hat das Landessozialgericht (LSG) ausgeführt:

Die vom Kläger behauptete freiwillige Beitragsleistung zur Landesversicherungsanstalt Memel sei weder erwiesen noch glaubhaft gemacht. Der Kläger könne sich für die Anrechnung von Beitragszeiten auch weder auf die Bescheinigung vom 23. August 1956 noch auf den Witwenrentenbescheid noch auf die dem Sozialamt L übersandte Beitragsübersicht berufen. Obgleich die Beklagte mit der Bescheinigung einen "Kartenersatz" habe durchführen wollen, stehe sie einer Versicherungskarte nicht gleich und werde daher vom Schutz des § 145 Abs. 2 Satz 1 des Angestelltenversicherungsgesetzes (AVG) nicht erfaßt. Die Bescheinigung stelle einen Verwaltungsakt dar, dessen Rechtswirksamkeit allein nach § 77 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) zu beurteilen sei. Eine Bindung des Versicherungsträgers nach dieser Vorschrift sei jedoch nicht eingetreten, weil die Bescheinigung dem Kläger weder zugestellt noch bekanntgegeben worden sei.

Mit der - zugelassenen - Revision rügt der Kläger eine Verletzung der §§ 145 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AVG, 77 SGG.

Der Kläger beantragt,

  • das angefochtene Urteil aufzuheben und die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des SG zurückzuweisen.

Die Beklagte beantragt

  • Zurückweisung der Revision.

Beide Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.

Entscheidungsgründe

Die Revision ist nicht begründet.

Im Revisionsverfahren ist nur noch die rechtliche Tragweite der Bescheinigung vom 23. August 1956 streitig.

Im übrigen sind Bedenken weder erhoben noch gerechtfertigt.

Nach § 145 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AVG kann "nach Ablauf von 10 Jahren nach Aufrechnung der Versicherungskarten die Rechtsgültigkeit der Verwendung der in der Aufrechnung der Versicherungskarte bescheinigten Beitragsmarken nicht mehr angefochten werden". Dieser Tatbestand ist nach seinem Wortlaut ohne Zweifel nicht erfüllt. Das schließt allerdings die Anwendung der angeordneten Rechtsfolge hier noch nicht aus. Die Bescheinigung vom 23. August 1956 ist auf Grund der §§ 13 Abs. 3, 25 Abs. 1 der Beitragsordnung der Angestelltenversicherung (BeitrO) vom 21. November 1924 (RGBl I S. 745) erteilt worden; sie stellt eine "Aufrechnungsbescheinigung" im Sinne des § 27 Abs. 1 Satz 1 BeitrO dar und steht daher - vergleiche auch §§ 27 Abs. 2, 21 Abs. 3 und 4 - sonstigen Aufrechnungsbescheinigungen gleich. Die Gleichstellung gilt darum an sich auch für die in § 145 Abs. 2 AVG vorausgesetzte "Aufrechnung der Versicherungskarte". Dennoch kann der Kläger hier nicht Beanstandungsschutz verlangen. Dem steht entgegen, daß die Erteilung der Bescheinigung ihm nicht bekanntgegeben worden ist. Eine Aufrechnung der Versicherungskarte ist stets dem Versicherten bekanntzugeben (§ 134 Abs. 22 AVG; früher: § 21 Abs. 2 Nr. 3 BeitrO). Nur auf dieser Grundlage steht ihm Vertrauensschutz in Gestalt des Beanstandungsschutzes zu. Nichts anderes kann für eine ersatzweise ausgestellte Bescheinigung gelten (vgl. § 27 Abs. 4 Satz 1 BeitrO). Auch sie muß dem Versicherten bekanntgegeben sein, um Vertrauensschutz entsprechend § 145 Abs. 2 AVG auslösen zu können. Solange sie nicht bekanntgegeben worden ist, bleibt sie eine interne Verwaltungshandlung ohne Folgen nach außen.

Mangels jeglicher Bekanntgabe kann die Bescheinigung ferner nicht als Verwaltungsakt gewertet werden, so daß sich die Frage einer Bindung nach § 77 SGG nicht stellt.

Die Revision war daher als im Ergebnis unbegründet zurückzuweisen (§ 170 Abs. 1 SGG).

Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 193 SGG.

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