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1 RA 145/69

Gründe I.

Der im Jahre 1902 geborene Kläger bezieht von der Beklagten seit dem 1. Juli 1966 Rente wegen Erwerbsunfähigkeit. Die Beteiligten streiten darüber, ob hierbei die Zeit seiner Arbeitslosigkeit vom 1. November 1928 bis 31. Oktober 1935 als nachgewiesene Ausfallzeit nach § 36 Abs. 1 Nr. 3 des Angestelltenversicherungsgesetzes (AVG) i.d.F. des Rentenversicherungs-Änderungsgesetzes (RVÄndG) vom 9. Juni 1965 rentensteigernd anzurechnen ist. Der Kläger war vom 19. September 1927 bis 31. Oktober 1928 bei der … in ... und vom 1. November 1935 bis 20. Mai 1936 bei der Fa. … in …, Zweigstelle …, versicherungspflichtig beschäftigt. Für die genannten Zeiträume sind für ihn auch Beiträge zur Rentenversicherung entrichtet worden, ausgenommen die Zeit vom 1. August bis 31. Oktober 1928. Die … war nämlich zum Schluß in Konkurs gegangen. Zwar hatte der Kläger noch sein Gehalt für die letzten drei Monate bekommen. Von den für die Beitragsentrichtung einbehaltenen Beiträgen waren jedoch keine Beitragsmarken mehr gekauft worden. Das Konkursverfahren wurde mangels Masse eingestellt. Das von der früheren Reichsversicherungsanstalt für Angestellte (RfA) eingeleitete Verfahren zur Beitreibung der für den genannten Zeitraum rückständigen Pflichtbeiträge des Klägers wurde als erfolglos eingestellt.

Das Sozialgericht (SG) Hamburg hat die Beklagte unter Abänderung ihres Bescheides vom 20. September 1966 verurteilt, dem Kläger die Rente wegen Erwerbsunfähigkeit in der Höhe zu gewähren, die sich nach Anrechnung einer Ausfallzeit von 84 Monaten (vom 1. November 1928 bis 31. Oktober 1935) ergibt. Der Kläger sei in der genannten Zeit arbeitslos sowie beim Arbeitsamt gemeldet gewesen und habe von dort Unterstützung bezogen. Seine Arbeitslosigkeit habe auch seine versicherungspflichtige Beschäftigung unterbrochen. Das letzte Beschäftigungsverhältnis habe am 31. Oktober 1928 geendet. Entgegen der Auffassung der Beklagten sei es bis zu seinem Ende „versicherungspflichtig“ geblieben. Daß für die letzten drei Monate keine Beiträge mehr entrichtet worden seien, hebe die Versicherungspflicht nicht auf. Aus der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) ergebe sich nichts Gegenteiliges. Es würde dem Sinn des § 36 Abs. 1 Nr. 3 AVG widersprechen, einem Versicherten, der bereits durch die Nichtabführung von Beiträgen geschädigt sei, auch noch die Anerkennung der folgenden Arbeitslosigkeit als Ausfallzeit zu versagen.

Die hiergegen von der Beklagten eingelegte Berufung hat das Landessozialgericht (LSG) …. durch Urteil vom 25. April 1969 zurückgewiesen. Zwar müßten nach BSG 16, 120 und dem Urteil 11/1 RA 247/63 vom 23. März 1965 die Ausfallzeiten des § 36 Abs. 1 Nr. 3 AVG in unmittelbarem Zusammenhang mit einer Beitragszeit stehen. Eine Beitragszeit in diesem Sinne sei aber auch dann gegeben, wenn eine rentenversicherungspflichtige Beschäftigung vorgelegen habe, für die dem Versicherten von seinem Gehalt der Arbeitnehmeranteil der Beiträge abgezogen, die Beiträge jedoch vom Arbeitgeber nicht abgeführt worden seien und der Beitreibungsversuch des Versicherungsträgers ergebnislos geblieben sei. Der Kläger hätte sich nach § 183 AVG damaliger Fassung gefallen lassen müssen, daß ihm bei der Gehaltszahlung die Hälfte seines Beitrags zur Angestelltenversicherung abgezogen wurde. Damit hätte er alles getan, um sein Versicherungsverhältnis aufrecht zu erhalten, wobei er sogar vom Versicherungsträger noch durch das allerdings ergebnislose Beitreibungsverfahren unterstützt worden sei. Sein Fall unterscheide sich mithin wesentlich von den bisher vom BSG entschiedenen Fällen, in denen der Betroffene zwar einer rentenversicherungspflichtigen Beschäftigung nachgegangen sei, Beiträge jedoch wissentlich oder aus Unkenntnis überhaupt nicht entrichtet worden seien. Der Kläger müsse jedenfalls, was die Frage der Unterbrechung im Sinne des § 36 AVG betreffe, in entsprechender Anwendung des Erlasses des früheren Reichsarbeitsministers (RAM) vom 20. April 1943 (AN 1943, 175) und des jetzigen § 119 Abs. 6 AVG so gestellt werden, als wäre der Arbeitgeber, auf dessen Handlungsweise er im übrigen keinen Einfluß gehabt habe, seine gesetzlichen Verpflichtungen nachgekommen.

Das LSG hat in seinem Urteil die Revision nach § 162 Abs. 1 Nr. 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) zugelassen. Die Beklagte hat dieses Rechtsmittel eingelegt mit dem Antrage,

  • das angefochtene Urteil und das Urteil des SG Hamburg vom 14. März 1967 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Urteile der Vorinstanzen unterlägen rechtlichen Bedenken. Da für die Zeit vom 1. August bis 31. Oktober 1928 keine Beiträge abgeführt worden seien, fehle es für diese Zeit an einer rentenversicherungspflichtigen Beschäftigung. Nach der Rechtsprechung des BSG müsse die Zeit der Arbeitslosigkeit einer versicherungspflichtigen Beschäftigung, für die auch tatsächlich Beiträge entrichtet sind, „unmittelbar nachfolgen“. Diese Voraussetzung sei hier nicht gegeben. Die vom LSG vorgenommene entsprechende Anwendung des § 1397 Abs. 6 der Reichsversicherungsordnung (RVO) (= § 119 Abs. 6 AVG) sei nicht möglich. Diese Vorschriften gingen auf § 11 Abs. 3 der Verordnung zur Durchführung der Zweiten Lohnabzugsverordnung vom 15. Juni 1942 (RGBl. I 403) zurück. Sie seien nur für Zeiten nach dem 30. Juni 1942, der Einführung des Lohnabzugsverfahrens, anwendbar. Den dort vorgesehenen Schutz hätten die Beschäftigten nicht benötigt, solange das Markenverfahren galt, weil das Vorhandensein oder Fehlen von Beiträgen anders als später bei den Entgelteintragungen durch Einsicht in die Versicherungskarten bei der Aufrechnung, spätestens beim Ausscheiden aus dem Beschäftigungsverhältnis hätte festgestellt werden können. Es hätte daher kein Anlaß bestanden, Nachteile eines Versicherten wegen unterlassener Markenverwendung durch die gesetzliche Rentenversicherung auszugleichen. Dementsprechend habe die RfA in ihrem Schreiben vom 19. November 1931 dem Kläger nicht nur die Ergebnislosigkeit des Verfahrens zur Beitreibung der rückständigen Beiträge mitgeteilt, sondern ihm gleichzeitig empfohlen, die fehlenden Beiträge zur Vermeidung von versicherungsrechtlichen Nachteilen selbst zu entrichten. Da er von dieser ihm durch § 184 Abs. 2 AVG damaliger Fassung eingeräumten Möglichkeit keinen Gebrauch gemacht habe, lasse sich nicht einmal mit dem LSG sagen, er habe seinerseits damals alles getan, um das Versicherungsverhältnis zu erhalten. Der RAM-Erlaß vom 20. April 1943 sei jedenfalls gemäß Art. 3 § 2 AnVNG außer Kraft getreten. Abgesehen hiervon sei zweifelhaft, ob er eine ausreichende Rechtsgrundlage gehabt habe. Schließlich beziehe er sich nach seinem Wortlaut nicht auf Markenbeiträge.

Der Kläger hat sich im Revisionsverfahren nicht vertreten lassen. Im Termin zur mündlichen Verhandlung hat der Senat auf Antrag der allein erschienenen Beklagten beschlossen, nach Lage der Akten (§ 126 SGG) zu entscheiden.

Gründe II.

Die Revision der Beklagten ist nicht begründet.

Zwar kann nach der Rechtsprechung des BSG eine Zeit der Arbeitslosigkeit nur dann eine Ausfallzeit im Sinne des § 36 Abs. 1 Nr. 3 AVG sein, wenn sie sich an eine rentenversicherungspflichtige Beschäftigung oder Tätigkeit, für die grundsätzlich auch Beiträge entrichtet sein müssen, unmittelbar anschließt (1 RA 21/61 vom 18. Januar 1962, BSG 16, 120; 11/1 RA 272/62 vom 16. April 1964, BSG 21, 21). In dem zuerst genannten Urteil war jedoch im wesentlichen nur die Frage zu entscheiden, ob es genügt, daß der beendeten Beschäftigung unmittelbar die Zeit der Arbeitslosigkeit nachfolgt, oder ob darüber hinaus für die Annahme einer Unterbrechung - von etwaigen Sonderfällen abgesehen - zu verlangen ist, daß der Arbeitslosigkeit wiederum eine versicherungspflichtige Beschäftigung oder Tätigkeit unmittelbar nachfolgt, die Arbeitslosigkeit also von versicherungspflichtigen Beschäftigungen oder Tätigkeiten „umrahmt“ wird. Diese Frage ist dahin entschieden worden, daß Ausfallzeiten im Sinne der §§ 35, 76 Abs. 1 Nr. 3 AVG die im Gesetz näher bezeichneten Zeiten der Arbeitslosigkeit schon dann sind, wenn sie der versicherungspflichtigen Beschäftigung oder Tätigkeit unmittelbar nachgefolgt sind und sie damit unterbrochen haben; dagegen ist nicht erforderlich, daß ihnen wiederum eine versicherungspflichtige Beschäftigung oder Tätigkeit gefolgt ist. Was unter einem unmittelbaren Anschluß zu verstehen ist, hat dagegen das BSG noch nicht näher erörtert. Immerhin ist in dem vom LSG angeführten unveröffentlichten Urteil 11/1 RA 247 vom 23. Mai 1963 offengelassen worden, ob ein Anschluß schon deswegen nicht vorhanden war, weil der letzten wegen Überschreitens der damaligen Jahresarbeitsverdienstgrenze versicherungsfreien Beschäftigung bis zum Mai 1945 die erste Arbeitslosmeldung erst am 12. September 1945 gefolgt war. Die Möglichkeit einer Anrechnung der späteren Arbeitslosigkeit als Ausfallzeit scheiterte schon daran, daß das versicherungsfreie Angestelltenverhältnis bis zum Mai 1945 keine „versicherungspflichtige Beschäftigung oder Tätigkeit“ im Sinne des § 36 Abs. 1 Nr. 3 AVG war. Darüberhinaus hat jetzt der 5. Senat des BSG (Urteil vom 30. Januar 1969 - 5 RKn 133/6 - BSG 29, 120, 122) ausgesprochen, daß eine anrechenbare Ausfallzeit der Arbeitslosigkeit nicht immer zeitlich unmittelbar an eine versicherungspflichtige Beschäftigung oder Tätigkeit anschließen muß. Das ergebe sich grundsätzlich schon aus der Vorschrift des § 36 Abs. 1 Satz 2 AVG, nach der mehrere unmittelbar aufeinanderfolgende Zeiten nach den Nummern 1, 2a und 3 als Ausfallzeiten angerechnet werden können, obschon sich davon nur die erste unmittelbar an die versicherungspflichtige Beschäftigung anschließen könne; eine zeitliche Lücke zwischen dem Ende der versicherungspflichtigen Tätigkeit und dem Beginn einer Ausfallzeit wegen Arbeitslosigkeit werde deshalb gegebenenfalls insbesondere durch eine Zeit krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit überbrückt. Die Überbrückung einer zeitlichen Lücke zwischen versicherungspflichtiger Beschäftigung und Ausfallzeit sei aber auch dann möglich, wenn mit der Beendigung der Beschäftigung zwar bereits Arbeitslosigkeit eingetreten sei, die Meldung beim Arbeitsamt und der Leistungsbezug aber erst später erfolgt seien. Eine völlige „Nahtlosigkeit“ ist also nicht erforderlich. Deshalb ist in dem zuletzt genannten Urteil abschließend gesagt worden, liegen zwischen dem Ende der versicherungspflichtigen Beschäftigung und der in Anspruch genommenen Ausfallzeit Zeiten, in welchen der Versicherte unfreiwillig ohne Arbeit, arbeitswillig und arbeitsfähig war, oder Zeiten der Arbeitsunfähigkeit i.S. des § 36 Abs. 1 Nr. 1 AVG, so können diese als Überbrückungstatbestände auch dann berücksichtigt werden, wenn sie selbst keine Ausfallzeiten sind. Das muß aber erst recht für einen Fall der vorliegenden Art gelten, wo sich an die letzte versicherungspflichtige Beschäftigung, für die auch Beiträge entrichtet worden sind, noch drei Monate derselben versicherungspflichtigen Beschäftigung anschließen, für die aber deswegen keine Beiträge mehr entrichtet sind, weil der Arbeitgeber in Konkurs geraten ist. Ein solcher Zeitraum kann nicht anders behandelt werden als die Zeit einer Arbeitslosigkeit, für die eine Arbeitslosmeldung nicht erfolgt ist (BSG 21, 21, 23; 29, 120, 123).

Damit erweist sich die Revision der Beklagten schon aus diesem Grunde als unbegründet, ohne daß es noch, wie das LSG meint, eines Zurückgreifens auf Vorschriften wie die des § 119 Abs. 6 AVG und seiner Vorgänger bedurft hätte, wonach seit dem 29. Juni 1942 bzw. dem 1. Juli 1942 im Rahmen des zu diesen Zeitpunkten für die Arbeiterrentenversicherung und die Angestelltenversicherung eingeführten Lohnabzugsverfahren der Beitrag als entrichtet gilt, wenn er dem Arbeitnehmer vom Lohn bzw. Gehalt abgezogen worden ist. Desgleichen erübrigte sich damit ein Eingehen auf den vom LSG herangezogenen RAM-Erlaß vom 20. April 1943.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

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