Navigation und Service

Logo der Deutschen Rentenversicherung (Link zur Startseite rvRecht)

rvRecht® - Rechtsportal der Deutschen Rentenversicherung

§ 154 SGG: Aufschiebende Wirkung der Berufung

Änderungsdienst
veröffentlicht am

20.08.2019

Änderung

Dokumentdaten
Stand07.08.2015
Erstellungsgrundlage in der Fassung des 6. SGG-ÄndG vom 17.08.2001 in Kraft getreten am 02.01.2002
Rechtsgrundlage

§ 154 SGG

Version001.00

Inhalt der Regelung

§ 154 Absatz 1 und 2 SGG ordnen an, in welchen Fällen die Berufung und die Nichtzulassungsbeschwerde gemäß § 145 Abs. 1 SGG (im Gesetz wird fälschlicherweise auf § 144 Absatz 1 SGG hingewiesen) aufschiebende Wirkung entfalten.

§ 154 Absatz 1 SGG nimmt auf § 86a SGG Bezug, so dass insoweit auf die GRA zu § 86a SGG verwiesen wird. Die in Absatz 1 erwähnten „Klagen“ gemäß § 86a SGG sind ausschließlich isolierte Anfechtungsklagen. Diese haben keinen vollstreckungsfähigen Inhalt, sondern entfalten ihre Gestaltungswirkung ohne Vollstreckung (Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, Kommentar zum SGG, § 154, Rdnr. 2). Für die Praxis der Rentenversicherungsträger sind sie von eher untergeordneter Bedeutung.

§ 154 Abs. 2 SGG beschreibt Besonderheiten bezüglich der Berufung oder Beschwerde unter anderem von Versicherungsträgern (siehe Abschnitt 3). Für die Praxis der Rentenversicherungsträger ist die Vorschrift von Bedeutung.

Die Regelungen des § 154 Abs. 1 SGG

Die in Absatz 1 erwähnten „Klagen“ gemäß § 86a SGG sind ausschließlich isolierte Anfechtungsklagen (Binder in HK-SGG, § 154, Rdnr. 7). Typisches Beispiel ist die isolierte Anfechtungsklage eines Versicherten gegen die Entziehung seiner Rente. Von einem Rentenversicherungsträger wird üblicherweise keine isolierte Anfechtungsklage erhoben.

Gewinnt der Versicherte sein Klageverfahren, lautet der Tenor der Gerichtsentscheidung in der Regel sinngemäß: „Auf die Klage wird der Bescheid in Gestalt des Widerspruchsbescheides aufgehoben.“ Ein derartiger Tenor ist nicht vollstreckungsfähig, da er nicht zu einer Leistung verpflichtet. Für den Rentenversicherungsträger bedeutet dies im Falle einer Berufung, dass er zulässigerweise keinen Antrag auf Aussetzung der Vollstreckung gemäß § 154 Abs. 2 SGG in Verbindung mit § 199 Abs. 2 Satz 2 SGG stellen kann; schließlich liegt kein vollstreckungsfähiger Tenor vor. Das Urteil wird deshalb für die Zeit ab Erlass der angefochtenen Entscheidung (siehe Abschnitt 3) vorläufig auszuführen sein.

Verliert der Versicherte sein Klageverfahren und ficht er die Entscheidung des Sozialgerichts mit der Berufung an, hat seine Berufung keine aufschiebende Wirkung. Denn aufschiebende Wirkung tritt nur ein, soweit die Klage nach § 86a SGG Aufschub bewirkt. Dies tut sie jedoch gemäß § 86a Abs. 2 Nr. 3 SGG nicht.

Die Regelungen des § 154 Abs. 2 SGG

Nach § 154 Absatz 2 SGG bewirkt die Berufung eines Versicherungsträgers Aufschub, soweit es sich um Beträge handelt, die für die Zeit vor Erlass des angefochtenen Urteils nachgezahlt werden sollen.

Daraus ergibt sich eine rechtliche Verpflichtung des Versicherungsträgers, Urteile, mit denen er zur Gewährung einer Leistung dem Grunde nach oder zur Erteilung eines Bescheides über eine Leistung verurteilt worden ist, vorläufig ab Erlass des Urteils auszuführen (siehe Abschnitt 3.1).

Mit dem Zeitraum „vor Erlass des Urteils“ ist folgendes gemeint:

  • Urteile ergehen regelmäßig in den öffentlichen Terminen zur mündlichen Verhandlung. Sie werden dort verkündet (§ 132 Absatz 1 Satz. 2 SGG). Der Zeitraum vor dem Tag der mündlichen Verhandlung ist der Zeitraum „vor Erlass des Urteils“.
  • Gerichtliche Entscheidungen können auch ohne mündliche Verhandlung ergehen. Die Verkündung wird in diesen Fällen durch die Zustellung ersetzt (§ 133 Satz 1 SGG). Der Zeitraum vor der Zustellung ist der Zeitraum „vor Erlass des Urteils“.

Beachte:

Um sich der (vorläufigen) Zahlung ab Erlass des angefochtenen Urteils zu entziehen, kann der Rentenversicherungsträger einen Antrag auf Aussetzung der Vollziehung (für die Zeit ab Erlass des angefochtenen Urteils) stellen (§ 154 Abs. 2 SGG in Verbindung mit § 199 Abs. 2 Satz 1 SGG).

Vorläufig an den Kläger zu zahlende Leistungen können nicht zur Begleichung anderer Forderungen (zum Beispiel Abtretung, Aufrechnung, Verrechnung oder Pfändung) verwendet werden. Die Auszahlung an den Kläger muss aber in Höhe der auf die andere Forderung entfallenden Beträge unterbleiben, da diese Forderungen bei endgültigem Erfolg der Klage dem Gläubiger anzuweisen wären. Diese Beträge müssen deshalb zunächst bis zur abschließenden gerichtlichen Entscheidung einbehalten bleiben

Siehe Beispiel 1

Erstattungsansprüche anderer Leistungsträger nach §§ 102 ff. SGB X, die sich auf eine ab Erlass des Urteils ergebende Rentennachzahlung erstrecken, sind zu erfüllen. Dem erstattungsberechtigten Leistungsträger ist mitzuteilen, dass es sich nur um eine vorläufige Leistung aufgrund eines angefochtenen Urteils handelt und im Fall der Aufhebung des Urteils die erstatteten Beträge nach § 112 SGB X zurückzuerstatten sind.

Vorläufiger Ausführungsbescheid ab Erlass des vom Rentenversicherungsträger angefochtenen Urteils

Das vom Rentenversicherungsträger angefochtene Urteil ist regelmäßig vom Tage der Entscheidung (bei Urteilen mit mündlicher Verhandlung) beziehungsweise ab dem Datum der Zustellung (bei Urteilen ohne mündliche Verhandlung) durch einen (vorläufigen) Ausführungsbescheides auszuführen (siehe Abschnitt 3).

Beachte:

Um sich der (vorläufigen) Zahlung ab Erlass des angefochtenen Urteils zu entziehen, kann der Rentenversicherungsträger einen Antrag auf Aussetzung der Vollziehung (für die Zeit ab Erlass des angefochtenen Urteils) stellen (§ 154 Abs. 2 SGG in Verbindung mit § 199 Abs. 2 Satz 1 SGG).

Der Ausführungsbescheid stellt nach überwiegender Meinung der Rechtsprechung einen Verwaltungsakt dar, er trifft jedoch nur eine vorläufige Regelung. Der Bescheid verliert seine Wirkung, wenn das Urteil, auf dem er beruht, aufgehoben wird (BSG vom 20.10.2005, AZ: B 7a/7 AL 76/04 R, SozR 4-4300 § 193 Nr. 10). Der Ausführungsbescheid ist mit einer Widerspruchsklausel zu versehen. Mit einem Rechtsbehelf gegen den Ausführungsbescheid kann aber nur die Richtigkeit der vorläufigen Ausführung des Urteils beanstandet werden.

Beachte:

Wird im vorläufigen Ausführungsbescheid nicht ausdrücklich darauf hingewiesen, dass es sich um eine vorläufige Ausführung im Hinblick auf § 154 Abs. 2 SGG handelt, werten die Gerichte den entspr. („endgültigen“) Ausführungsbescheid für die Zeit ab Erlass des angefochtenen Urteils regelmäßig als Teilanerkenntnis.

Dem LSG ist eine Durchschrift des Ausführungsbescheides zu übersenden (§ 153 Abs. 1 SGG in Verbindung mit § 96 Abs. 2 SGG).

Für die Erstattung der vorläufigen Leistungen gilt die GRA zu § 50 SGB X, Abschnitt 6.1.

Das vom Rentenversicherungsträger angefochtene SG-Urteil wird rechtskräftig

Verliert der Rentenversicherungsträger das Berufungsverfahren, so dass das angefochtene Urteil Rechtskraft erlangt, so ist für die Zeit vor Erlass des angefochtenen Urteils ein formloser Ergänzungsbescheid zu erteilen. In ihm ist zum Ausdruck zu bringen, dass er in Ausführung des Urteils und in Ergänzung des vorangegangenen Ausführungsbescheides ergeht. Auch dieser Bescheid ist mit einer Widerspruchsklausel zu versehen.

Das vom Rentenversicherungsträger angefochtene SG-Urteil wird aufgehoben

Gewinnt der Rentenversicherungsträger das Berufungsverfahren, so dass das angefochtene Urteil aufgehoben wird, so wird der Ausführungsbescheid gegenstandslos, ohne dass es einer ausdrücklichen Aufhebung oder Rücknahme dieses Bescheides bedarf. Zahlungen sind sofort einzustellen. Die Rechtskraft des Urteils ist nicht abzuwarten.

Ist gegen den Ausführungsbescheid ein sozialgerichtliches Verfahren anhängig, so ist dem Gericht mitzuteilen, dass das angefochtene Urteil nunmehr aufgehoben und damit der Ausführungsbescheid gegenstandslos wurde. Im Widerspruchsverfahren erhält der Widerspruchsführer eine entsprechende Mitteilung. Zahlungen sind sofort einzustellen.

Für die Erstattung der vorläufigen Leistungen gilt die GRA zu § 50 SGB X, Abschnitt 6.1.

Beispiel 1: Einbehaltung vorläufig zu zahlender Leistungen

(Beispiel zu Abschnitt 3)

Der Kläger hat durch Urteil vom 01.09.2015 die Gewährung einer Rente wegen voller Erwerbsminderung in Höhe von 1.500,00 EUR erstritten. Gegen ihn liegt ein Pfändung- und Überweisungsbeschluss vor, der in Höhe von 150,00 EUR zu bedienen ist. Die Deutsche Rentenversicherung Bund legt gegen das Urteil Berufung ein, ein Aussetzungsantrag gemäß § 199 SGG wird nicht gestellt.

Lösung:

Ab Erlass des angefochtenen Urteils (01.09.2015) sind dem Kläger 1.350,00 EUR anzuweisen. Sollte das SG-Urteil vom LSG bestätigt werden, wären 150,00 EUR aus der dann zu zahlenden Erwerbsminderungsrente an den Pfändungsgläubiger zu überweisen. Bis zu endgültigen Entscheidung sind sie jedoch einzubehalten.

6. SGG-ÄndG vom 17.08.2001 (BGBl. I S. 2144)

Inkrafttreten: 02.01.2002

Quelle zum Entwurf: BT-Drucksache 14/5943

§ 154 Absatz 1 SGG ist zuletzt durch Art. 1 Nr. 51 des 6. SGG-Änderungsgesetzes (6. SGG-ÄndG vom 17.08.2001, BGBl. I 2001, S. 2144) mit Wirkung vom 02.01.2002 an die Neuregelung des § 86a SGG (vergleiche GRA zu § 86a SGG) angepasst worden.

Zusatzinformationen

Rechtsgrundlage

§ 154 SGG