Organisation der Sozialversicherung Vereinigtes Königreich
veröffentlicht am |
27.03.2023 |
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Änderung | Im Abschnitt 3 wurden die Änderungen zur Zuständigkeit eingepflegt. |
Stand | 06.03.2023 |
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Version | 004.00 |
- Organisation der gesetzlichen Sozialversicherung
- Organisation der gesetzlichen Rentenversicherung
- Zuständigkeiten im zwischenstaatlichen Verfahren
Organisation der gesetzlichen Sozialversicherung
Nach dem 2. Weltkrieg diente der Beveridge Report von 1942 als Grundlage für den National Insurance Act (NIA) von 1946, der eine im Prinzip die gesamte Bevölkerung im erwerbsfähigen Alter umfassende, auf Einheitsleistungen beruhende nationale Sozialversicherung sowie einen nationalen Gesundheitsdienst vorsah. Der NIA wurde zum 05.07.1948 in Kraft gesetzt und bestimmt auch heute noch die Grundprinzipien der Sozialversicherung des Vereinigten Königreichs Großbritannien und Nordirland.
Das britische System der sozialen Sicherheit ist ein umfassendes, vom Staat verwaltetes System, das die gesamte Bevölkerung schützt.
Sachleistungen bei Krankheit für im Vereinigten Königreich Großbritannien und Nordirland ansässige Personen erbringt der Gesundheitsdienst (England, Schottland, Wales: National Health Service - NHS, Nordirland: Health and Social Care - HSC -). Diese werden überwiegend durch Steuern finanziert. Eine vorherige Beitragszahlung des Betreffenden wird nicht vorausgesetzt. NHS England ist Verbindungsstelle für das gesamte Vereinigte Königreich Großbritannien und Nordirland.
Verantwortlich für die Verwaltung von Sozialleistungen ist in England, Schottland und Wales das Ministerium für Arbeit und Renten (Department for Work and Pensions - DWP), in Nordirland das Ministerium für soziale Entwicklung (Department for Communities). Verschiedene, diesen Ministerien unterstellte nationale Behörden, sind zuständig für die Gewährung der folgenden Leistungen:
- Beitragsabhängige Leistungen (Contributory Benefits)
Die im Umlageverfahren von der Mehrheit der Arbeitnehmer und Arbeitgeber erhobenen Beiträge werden von der Sozialversicherungskasse (National Insurance Fund - NIF) verwaltet. Leistungen (überwiegend Festbeträge) decken die Risiken Krankheit, Mutterschaft, Arbeitslosigkeit, Invalidität, Alter und Tod ab. Sie werden von der jeweils zuständigen Behörde bewilligt. Eine einkommensbezogene Komponente gibt es insbesondere im Zusammenhang mit der Altersrente (Additional State Pension). - Beitragsunabhängige Leistungen (Non-contributory Benefits, Universal Benefits)
Diese Leistungen (zum Beispiel bei Alter die Category D Retirement Pension ab Vollendung des 80. Lebensjahres, die Leistungen bei Arbeitsunfällen und Berufskrankheiten, Familienleistungen) werden aus allgemeinen Steuereinnahmen finanziert und hängen von individuellen Umständen ab, wie zum Beispiel Alter, familiäre Situation, Vorhandensein von Kindern. - Einkommensabhängige Leistungen (Means Tested Benefits)
Leistungen wie Wohngeld (Housing Benefit), Arbeitslosenhilfe (income-based Jobseekers' Allowance), Sozialhilfe (Income Support) für nicht erwerbstätige Personen und die Rentenbeihilfe (Pension Credit) werden aus allgemeinen Steuermitteln finanziert, sind einkommens- und vermögensabhängig und fungieren als Sicherheitsnetz. Mittlerweile sind diese Leistungen zum Universal Credit zusammengefasst worden.
Für den Einzug und die Registrierung der Beiträge ist die staatliche Steuerverwaltung (HM Revenue & Customs - HMRC) verantwortlich. Ihr obliegt ferner die Zahlung von Kindergeld (Child Benefit) und Pflegschaftsgeld (Guardians Allowance) sowie die Feststellung und Auszahlung von Aufstockungsleistungen für Familien mit Kindern und Erwerbstätige mit niedrigem Einkommen (Credits). Die Aufstockungsleistungen sind inzwischen durch Universal Credit ersetzt worden.
Bei Gibraltar handelt es sich um ein autonomes, jedoch unter der Souveränität des Vereinigten Königreichs Großbritannien und Nordirland stehendes Überseegebiet (Overseas Territory) mit Selbstverwaltung.
Gibraltar besitzt ein eigenständiges System der Sozialen Sicherheit, das zum Teil erheblich vom britischen System abweicht. Es besteht aus verschiedenen, vom Ministerium für Soziale Dienste (Department of Social Security, welches HM Government of Gibraltar untersteht) verwalteten, beitragsabhängigen Systemen (Contributory Schemes) für die Leistungsfälle
- Mutterschaft, Arbeitslosigkeit und Sterbegeld (Social Security Short-Term Benefits Scheme),
- Alter und Tod (Social Security Long-Term Benefits Scheme),
- Arbeitsunfälle (Employment Injuries Insurance Scheme) sowie
- Krankheit (Group Practice Medical Scheme).
Sachleistungen bei Krankheit erbringt jedoch die Gesundheitsbehörde Gibraltars (Gibraltar Health Authority).
Auch beitragsfreie und einkommensabhängige Leistungen (wie Elderly Persons Allowance - EPA und Household Cost Allowance - HCA) können gezahlt werden.
Sondersysteme für Beamte oder für Selbständige bestehen weder im Vereinigten Königreich noch in Gibraltar.
Organisation der gesetzlichen Rentenversicherung
Die gesetzlichen Rentenversicherungen des Vereinigten Königreichs und Gibraltars sind keine eigenständigen Versicherungszweige. Sie sind jeweils innerhalb des gesamten Systems der sozialen Sicherheit als ein Teil eingebunden.
Im Vereinigten Königreich Großbritannien und Nordirland entstand mit dem Old Age Pension Act 1908 erstmals ein aus Steuermitteln finanziertes, beitragsfreies Alterssystem. Ab 01.09.1935 wurden von Arbeitnehmern und Selbständigen Beiträge zur Rentenversicherung erhoben. In der Zeit vom 05.07.1948 (Inkrafttreten des National Insurance Act - NIA - von 1946) bis zum 05.04.1975 umfasste die Versicherungspflicht darüber hinaus auch alle Einwohner mit Ausnahme verheirateter Frauen, sofern diese sich für einen ermäßigten Beitragssatz, der nicht alle Risiken abdeckte, entschieden hatten.
Ergänzend zu der Versicherung im staatlichen Grundrentensystem mit seiner gesetzlichen Grundrente (Basic State Pension) wurde für Altersrenten zum 06.04.1978 ein staatliches Pflichtsystem der verdienstbezogenen Zusatzrente (Additional State Pension) eingeführt, das sogenannte "State Earnings Related Pension Scheme (SERPS)". Dieses wurde am 06.04.2002 durch das Modell der "State Second Pension (S2P)" abgelöst.
Ab 06.04.2016 ersetzt die neue staatliche Rente (New State Pension) die vorherige staatliche Grundrente (Basic State Pension) und die verdienstbezogene staatliche Zusatzrente (Additional State Pension - SERPS/S2P) sowie das proportionale Altersruhegeld (Graduated Retirement Benefit).
Für die Feststellung der staatlichen Leistungen bei Alter, Tod und Invalidität ist im Vereinigten Königreich das DWP zuständig. Das International Pension Centre (IPC) ist als Koordinierungsstelle für alle Fälle mit Auslandsberührung zuständig (vergleiche auch Abschnitt 3).
Neben dem staatlichen System für Leistungen bei Alter existieren Betriebsrenten der Arbeitgeber (Occupational Pensions) und Renten aufgrund individueller Vereinbarungen mit Geldinstituten (Personal Pension/Stakeholder Pensions). Sofern bestimmte Bedingungen erfüllt waren, bestand bis zum 05.04.2016 die Möglichkeit, sich für die Mitgliedschaft in einem dieser Systeme zu entscheiden und aus dem staatlichen System der verdienstbezogenen Zusatzrente (Additional State Pension) auszutreten. Dies wurde als contracting-out oder opting-out bezeichnet. Die Versicherung im Grundrentensystem (Basic State Pension) blieb allerdings bestehen. Die Pflichtbeiträge zur Sozialversicherung wurden vom Zeitpunkt des contracting-out oder opting-out an entsprechend der Art des gewählten Ersatzsystems teilweise gekürzt oder zurückerstattet und an das Ersatzsystem überwiesen.
Die gesetzliche Rentenversicherung Gibraltars kennt Renten für die Leistungsfälle Alter und Tod, nicht jedoch bei Invalidität. Gesetzliche Grundlagen sind der Social Security (Closed Long-Term Benefits and Scheme) Act 1996 und der Social Security (Open Long-Term Benefits Scheme) Act 1997. Ob - wie im Vereinigten Königreich - Zusatz- und Betriebsrentensysteme für den Leistungsfall des Alters existieren, ist nicht bekannt.
Für die Feststellung von Leistungen zuständig ist das Department of Social Security, das dem HM Government of Gibraltar unterstellt ist. Weil das Sozialversicherungssystem Gibraltars gegenüber dem des Vereinigten Königreichs Großbritannien und Nordirland autonom ist, sind besondere Zuständigkeitsregelungen zu beachten (vergleiche Abschnitt 3).
Das Vereinigte Königreich ist am 01.02.2020 aus der Europäischen Union ausgetreten.
Vom Europarecht oder vom HKA erfasste Systeme
Das Vereinigte Königreich ist am 01.02.2020 aus der Europäischen Union ausgetreten. Daher bestimmen sich die maßgeblichen britischen Rechtsvorschriften und Systeme danach, ob sie vom Europarecht und dem HKA erfasst werden:
Die Mitgliedstaaten der EU geben in Erklärungen (siehe Art. 9 VO (EG) Nr. 883/2004) die Rechtsvorschriften und Systeme bekannt, für die das Europarecht entsprechend Art. 3 VO (EG) Nr. 883/2004 oder Art. 4 Abs.1 und 2 VO (EWG) Nr. 1408/71 gelten soll. Deren Wirkung gilt fort, soweit das Europarecht über das zwischen der EU und dem Vereinigten Königreich geschlossene Austrittsabkommen (Brexit-Abkommen) weiterhin Anwendung findet. Für den Anwendungsbereich des Abkommens über Handel und Zusammenarbeit (HKA) gilt nichts Abweichendes.
In Bezug auf das Vereinigte Königreich Großbritannien und Nordirland werden folgende Leistungen aus dem Bereich der gesetzlichen Rentenversicherung erfasst:
- für Zeiten ab 06.04.2016:
neue staatliche Rente (New State Pension) für die Risiken Alter und Tod. - für Zeiten bis zum 05.04.2016:
- Grundrente (Basic State Pension) für die Risiken Alter und Tod,
- proportionales Altersruhegeld (Graduated Retirement Benefit) für die Risiken Alter und Tod aus einer zusätzlichen Versicherung vom 06.04.1961 bis zum 05.04.1975,
- verdienstbezogene Zusatzrente (Additional State Pension) für die Risiken Alter und Tod bestehend aus
- State Earnings Related Pension (SERPS) für Zeiten vom 06.04.1978 bis zum 05.04.2002 und
- State Second Pension (S2P) für Zeiten vom 06.04.2002 bis zum 05.04.2016.
Leistungen für Invalidität sind gesondert zu betrachten, da sie zwischenstaatlich vom Europarecht und dem HKA als Leistungen der Rentenversicherung, innerstaatlich jedoch als Beschäftigungs- und Unterstützungsbeihilfe bei Krankheit oder Behinderung (Employment and Support Allowance – KV Leistung) erfasst werden.
In Bezug auf Gibraltar wird ausschließlich für den Anwendungsbereich der VO (EG) Nr. 883/2004, sofern sie über das Brexit-Abkommen weiter anzuwenden ist, das folgende Versicherungssystem aus dem Bereich der gesetzlichen Rentenversicherung erfasst:
- das Social Security Long-Term Benefit Scheme (Leistungen bei Alter und Tod)
Vom Europarecht und dem HKA nicht erfasste Systeme
Folgende Systeme im Vereinigten Königreich sind in die Anwendung des Europarechts, sofern es über das Brexit-Abkommen weiter anzuwenden ist, - und auch in die Anwendung des HKA - nicht einbezogen:
- Contracted-out Betriebsrentensysteme (Workplace Pension, Superannuation oder Occupational Pension Schemes: COSRS, COMPS, COMBS und NEST),
- das Privatrentensystem (Personal Pension Scheme),
- die private Alterssicherung (Stakeholder Pension).
Für Gibraltar gilt das HKA insgesamt nicht (Art. 774 Abs. 3 HKA). Daher wird das Social Security Long-Term Benefit Scheme nicht erfasst.
Auch die Sozialversicherungen der Kanalinseln (Channel Islands) und der Insel Man (Isle of Man) unterliegen weder dem Geltungsbereich des Europarechts (vergleiche auch GRA zu Übersicht VO (EG) Nr. 883/2004) über das Brexit-Abkommen, noch dem Geltungsbereich des HKA (Art. 774 Abs. 2 HKA).
Für die Isle of Man gilt nur das SVA-Großbritannien vom 20.04.1960 (siehe hierzu GRA zu Rechtsgrundlagen Vereinigtes Königreich, Abschnitt 4).
Zuständigkeiten im zwischenstaatlichen Verfahren
- Versicherungszeiten in England, Schottland, Wales oder Nordirland
In Abhängigkeit vom zu bearbeitenden Geschäftsprozess ergibt sich folgende Zuständigkeitsverteilung, wie sie für die Anwendung im EESSI Clerk Access Interface (CAI) abgebildet wird:- Anträge außerhalb eines Rentenverfahrens von Antragstellern unter 66 Jahren:
HM Revenue and Customs (HMRC) - Anträge außerhalb eines Rentenverfahrens von Antragstellern ab 66 Jahren:
Department for Work and Pensions (DWP) - Anträge im Rahmen eines Rentenverfahrens, unabhängig von der Art der beantragten Rentenleistung:
Department for Work and Pensions (DWP) - Anträge von Antragstellern, die auch Versicherungszeiten in Gibraltar zurückgelegt haben:
Department for Work and Pensions (DWP) und
HM Government of Gibraltar (Geschäftsprozess).
Dabei werden beide Träger als beteiligte Träger angesehen. - Anträge von Antragstellern mit Wohnort in Gibraltar, unabhängig vom ausgelösten Geschäftsprozess:
HM Government of Gibraltar
- Anträge außerhalb eines Rentenverfahrens von Antragstellern unter 66 Jahren:
- Versicherungszeiten ausschließlich in Gibraltar
- Anträge von Antragstellern, die ausschließlich Versicherungszeiten in Gibraltar zurückgelegt haben:
HM Government of Gibraltar
- Anträge von Antragstellern, die ausschließlich Versicherungszeiten in Gibraltar zurückgelegt haben:
- Versicherungszeiten oder Wohnort auf der Insel Man (Isle of Man)
Sofern Versicherungszeiten auf der Insel Man (Isle of Man) zurückgelegt wurden oder ein Antragsteller, der nicht vom persönlichen Geltungsbereich der VO (EG) Nr. 883/2004 erfasst wird, sich dort aufhält, gelten die folgenden Besonderheiten:- Wohnt der Antragsteller auf der Isle of Man oder hat er den Wohnort außerhalb von England, Schottland, Wales oder Nordirland und ausschließlich oder zuletzt Versicherungszeiten auf der Isle of Man zurückgelegt, wird das zwischenstaatliche Verfahren nach dem SVA-Großbritannien vom 20.04.1960 mit dem Department of Health and Social Security (DHSS) der Isle of Man geführt.
Sind (gegebenenfalls neben Zeiten auf der Isle of Man) Versicherungszeiten in England, Schottland, Wales oder Nordirland zurückgelegt worden, ist für diese Zeiten ein SED P5000 vom IPC beziehungsweise vom HMRC anzufordern, sofern der Antragsteller vom persönlichen Geltungsbereich der VO (EG) Nr. 883/2004 erfasst wird. - Bei Wohnort in England, Schottland, Wales oder Nordirland oder wenn außerhalb des Vereinigten Königreichs zuletzt britische Versicherungszeiten in England, Schottland, Wales oder Nordirland zurückgelegt worden sind, wird das zwischenstaatliche Verfahren mit dem IPC geführt. Zeiten auf der Isle of Man werden vom IPC dann (zusammen mit den eigenen Zeiten) im Formular G7/G8 aufgeführt. Für die in England, Schottland, Wales und Nordirland zurückgelegten Zeiten wird außerdem ein SED P5000 UK ausgestellt, sofern der Antragsteller vom persönlichen Geltungsbereich der VO (EG) Nr. 883/2004 erfasst wird.
- Wohnt der Antragsteller auf der Isle of Man oder hat er den Wohnort außerhalb von England, Schottland, Wales oder Nordirland und ausschließlich oder zuletzt Versicherungszeiten auf der Isle of Man zurückgelegt, wird das zwischenstaatliche Verfahren nach dem SVA-Großbritannien vom 20.04.1960 mit dem Department of Health and Social Security (DHSS) der Isle of Man geführt.