§ 104 SGB VI: Minderung der Erwerbsfähigkeit bei einer Straftat
veröffentlicht am |
20.08.2019 |
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Änderung | Die GRA wurde redaktionell überarbeitet. |
Stand | 31.01.2019 |
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Erstellungsgrundlage | in der Fassung des LPartÜG vom 15.12.2004 in Kraft getreten am 01.01.2005 |
Rechtsgrundlage | |
Version | 001.00 |
- Inhalt der Regelung
- Allgemeines
- Strafrechtliche Voraussetzungen
- Gesundheitliche Beeinträchtigung
- Ermessensausübung
- Auszahlung der Rente an andere Personen
Inhalt der Regelung
Die Vorschrift enthält folgende Regelungen:
- Nach Absatz 1 können Renten wegen Erwerbsminderung, große Witwenrenten und große Witwerrenten wegen Erwerbsminderung und Altersrenten für schwerbehinderte Menschen ganz oder teilweise versagt werden, wenn sich die Berechtigten die für die Rentenleistung erforderliche gesundheitliche Beeinträchtigung bei einem Verbrechen oder einem vorsätzlichen Vergehen zugezogen haben.
- Absatz 2 bestimmt, dass eine Auszahlung der Rente an unterhaltsberechtigte Ehegatten, Lebenspartner und Kinder möglich ist.
Ergänzende/korrespondierende Regelungen
§ 104 SGB VI ergänzt die Anspruchsnormen für die Bewilligung von Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit. Hierzu gehören die Renten wegen Erwerbsminderung im Sinne der §§ 43, 45, 240 SGB VI, die Altersrenten nach den §§ 37, 236a SGB VI und die großen Witwenrenten und großen Witwerrenten nach den §§ 46, 242a, 243 SGB VI. Darüber hinaus ergibt sich durch den Verweis in Absatz 2 ein enger Zusammenhang mit folgenden Regelungen:
- Kommen Leistungsberechtigte ihren gesetzlichen Unterhaltsverpflichtungen gegenüber den Ehegatten/eingetragenen Lebenspartnern oder Kindern nicht nach, können diese nach § 48 SGB I laufende Geldleistungen in angemessener Höhe zur Sicherung ihres Unterhalts erhalten.
- Nach § 49 SGB I können laufende Geldleistungen an die Unterhaltsberechtigten ausgezahlt werden, wenn Leistungsberechtigte auf Grund richterlicher Anordnung länger als einen Kalendermonat in einer Anstalt oder Einrichtung untergebracht sind.
Allgemeines
Tritt eine verminderte Erwerbsfähigkeit aufgrund eines von Berechtigten verübten Verbrechens oder vorsätzlichen Vergehens ein (vergleiche hierzu Abschnitt 3), können Renten, deren Anspruchsvoraussetzung von der Minderung der Erwerbsfähigkeit abhängen (vergleiche hierzu Abschnitt 4), ganz oder teilweise versagt werden. Ob die Erwerbsminderung bei einer strafbaren Handlung eingetreten ist, hat der Rentenversicherungsträger gemäß § 20 SGB X von Amts wegen zu prüfen und nach pflichtgemäßem Ermessen zu entscheiden (vergleiche hierzu Abschnitt 5).
Die Versagung der Rente wirkt sich nicht auf die KVdR aus. Das Versagen der Rente nach § 104 Abs. 1 SGB VI führt – wie das Versagen der Rente nach § 66 SGB I – nicht zum Ende der Mitgliedschaft in der KVdR (GRA zu §§ 5 ff. SGB V, Abschnitt 7.2).
Strafrechtliche Voraussetzungen
Voraussetzung für die Anwendung des § 104 Abs. 1 SGB VI ist das Vorliegen eines rechtskräftigen strafgerichtlichen Urteiles im Sinne des § 260 StPO oder eines rechtskräftigen Strafbefehls des Amtsgerichts nach § 407 StPO.
Die Begriffe „Verbrechen“ und „Vergehen“ werden in § 12 StGB definiert. Danach handelt es sich bei einem „Verbrechen“ um die Ausübung einer rechtswidrigen Tat, die im Mindestmaß mit einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und mehr bedroht ist. Ein „Vergehen“ ist eine rechtswidrige Tat, die im Mindestmaß mit einer geringeren Freiheitsstrafe (unter ein Jahr) oder mit einer Geldstrafe bestraft wird. Bei einem Vergehen ist die Versagung der Rentenzahlung nach § 104 Abs. 1 SGB VI allerdings ausgeschlossen, wenn es lediglich aus Fahrlässigkeit begangen wurde, da § 104 Abs. 1 S. 1 SGB VI ausdrücklich ein vorsätzliches Vergehen fordert.
Von dem Grundsatz der Erforderlichkeit eines Strafurteils wird gemäß § 104 Abs. 1 S. 2 SGB VI abgewichen, wenn aus Gründen, die aus der Person der Berechtigten resultieren, ein Urteil nicht vorliegt. Dies ist unter anderem der Fall bei Abwesenheit oder dauernder Verhandlungsunfähigkeit des Beschuldigten. Nicht hiervon erfasst ist hingegen der Fall, dass Strafverfolgungsverjährung (§§ 78 ff. StGB) eintritt.
Zuwiderhandlungen gegen Bergbauverordnungen oder bergbehördliche Anordnungen gelten nach § 104 Abs. 1 S. 3 SGB VI nicht als Vergehen im obigen Sinne.
Gesundheitliche Beeinträchtigung
Als „gesundheitliche Beeinträchtigung im Sinne des § 104 Abs. 1 SGB VI ist eine Minderung der Erwerbsfähigkeit anzusehen, die zu einem Anspruch auf Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit, Altersrente für schwerbehinderte Menschen oder die große Witwenrente beziehungsweise Witwerrente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit führen würde.
Besteht bereits ein Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung und tritt als Folge einer Straftat des Berechtigten nunmehr volle Erwerbsminderung ein, kann die Rente wegen voller Erwerbsminderung ganz oder teilweise versagt werden. Entsprechendes gilt für die Altersrente für schwerbehinderte Menschen, sofern die Schwerbehinderung nach § 2 Abs. 2 SGB IX nicht bereits zuvor gegeben war.
Im Übrigen wird auf die Ausführungen in der GRA zu § 103 SGB VI, Abschnitt 2 hingewiesen.
Ermessensausübung
Die sich aus der Vorschrift ergebenden Rechtsfolgen sind nicht zwingend. Bei der Entscheidung über die Versagung der Rente ist nach pflichtgemäßem Ermessen unter Abwägung der Gesamtumstände vom Versicherungsträger zu verfahren. Hierbei ist das regelmäßig vorrangige Prinzip der sozialen Vorsorge dem Eigenverschulden der Berechtigten gegenüberzustellen.
Auszahlung der Rente an andere Personen
Die versagte Rente kann nach § 104 Abs. 2 S. 1 SGB VI an unterhaltsberechtigte Ehegatten, Lebenspartner nach dem LPartG und Kinder ausgezahlt werden. Die Auszahlung einer versagten Rente an frühere Ehegatten und frühere eingetragene Lebenspartner ist dagegen nicht möglich. Diese werden von § 104 Abs. 2 S. 1 SGB VI nicht erfasst.
§ 104 Abs. 2 S. 2 SGB VI bestimmt die entsprechende Anwendung der §§ 48, 49 SGB I. Eine Verletzung der Unterhaltspflicht, wie sie § 48 SGB I voraussetzt, ist im Rahmen des § 104 Abs. 2 S. 2 SGB VI aber nicht erforderlich. Die entsprechende Anwendung betrifft insbesondere die Bestimmung der Höhe der Leistung, die an die unterhaltsberechtigten Ehegatten, eingetragenen Lebenspartner nach dem LPartG und Kinder gezahlt werden kann.
Gesetz zur Überarbeitung des Lebenspartnerschaftsrechts (LPartÜG) vom 15.12.2004 (BGBl. I S. 3396) |
Inkrafttreten: 01.01.2005 Quelle zum Entwurf: BT-Drucksache 15/4052 |
Zum 01.01.2005 wurden in Absatz 2 Satz 1 die „Lebenspartner“ als weitere unterhaltsberechtigte Personen eingefügt. Es handelt sich um eine redaktionelle Folgeänderung der Vorschrift durch die Einbeziehung von Eingetragenen Lebenspartnerschaften in die Hinterbliebenenversorgung der gesetzlichen Rentenversicherung, das Rentensplitting sowie den Versorgungsausgleich.
SGB IX vom 19.06.2001 (BGBl. I S. 1046) |
Inkrafttreten: 01.07.2001 Quelle zum Entwurf: BT-Drucksache 14/5074 |
In Absatz 1 Satz 1 wurde zum 01.07.2001 die Bezeichnung „Altersrente für Schwerbehinderte“ durch die Bezeichnung „Altersrente für schwerbehinderte Menschen ersetzt. Es handelte sich um eine redaktionelle Folgeänderung der Vorschrift zu §§ 37, 236a SGB VI
EM-ReformG vom 20.12.2000 (BGBl. I S. 1827) |
Inkrafttreten: 01.01.2001 Quelle zum Entwurf: BT-Drucksache 14/4230 |
Zum 01.01.2001 wurden in Absatz 1 Satz 1 nach dem Wort „Schwerbehinderte die Wörter „Berufsunfähige oder Erwerbsunfähige“ gestrichen. Es handelte sich um eine redaktionelle Folgeänderung der Vorschrift zu §§ 37, 236a SGB VI.
RRG 1992 vom 18.12.1989 (BGBl. I S. 2261) |
Inkrafttreten: 01.01.1992 Quelle zum Entwurf: BT-Drucksache 11/4124 |
Die Vorschrift entspricht inhaltlich den bis zum 31.12.1991 geltenden § 54 Abs. 2 und 3 AVG, §°1277 Abs. 2 und 3 RVO und § 73 Abs. 2 und 3 RKG. Im Gegensatz zu diesen Vorgängervorschriften kann seit dem 01.01.1992 die versagte Rente nicht mehr an alle Angehörigen, die der Rentenberechtigte unterhalten hat, gezahlt werden. Möglich ist dies nur noch für unterhaltsberechtigte Ehegatten, Lebenspartner nach dem LPartG und Kinder, wobei diese nicht mehr zwingend im Inland wohnen müssen.