Navigation und Service

Logo der Deutschen Rentenversicherung (Link zur Startseite rvRecht)

rvRecht® - Rechtsportal der Deutschen Rentenversicherung

§ 39 SGB I: Ermessensleistungen

Änderungsdienst
veröffentlicht am

11.11.2019

Änderung

In Abschnitt 1.2 bzw. R1.2 wurde ein redaktioneller Fehler beseitigt (Angabe '§ 39 SGB I' statt '§ 39 SGB VI').

Dokumentdaten
Stand30.03.2015
Erstellungsgrundlage in der Fassung des Einigungsvertragsgesetzes vom 23.09.1990 in Kraft getreten am 01.01.1991
Rechtsgrundlage

§ 39 SGB I

Version001.01

Inhalt der Regelung

Die Vorschrift normiert - wie § 38 SGB I - für den Bereich des Sozialrechts bereits allgemein anerkannte und praktizierte Grundsätze des allgemeinen Verwaltungsrechts. Es wird klargestellt, dass bei Ermessensleistungen für den Leistungsträger eine Verpflichtung zur pflichtgemäßen Ausübung des Ermessens besteht.

Absatz 1 ergänzt § 38 SGB I dahingehend, dass dem Einzelnen auch bei Sozialleistungen, auf die er keinen Anspruch hat (Kann- und Sollvorschriften), eine rechtlich geschützte Sphäre zuerkannt wird.

Absatz 2 enthält eine notwendige Klarstellung, indem er bestimmt, dass die Vorschriften über Leistungen, auf die ein Anspruch besteht, für Ermessensleistungen entsprechend gelten, soweit sich aus dem Gesetz nicht ausdrücklich oder aufgrund der Besonderheiten einer Ermessensleistung etwas anderes ergibt.

Ergänzende/korrespondierende Regelungen

Eine Sonderregelung zu § 39 SGB I besteht im Recht der gesetzlichen Rentenversicherung nicht.

Ermessensentscheidungen

Um eine möglichst gerechte und zweckmäßige Anpassung der konkreten Rechtsgestaltung an die besonderen Gegebenheiten bestimmter Einzelfälle zu ermöglichen, hat der Gesetzgeber die Sozialleistungsträger in verschiedenen Bestimmungen ermächtigt, ein Ermessen auszuüben.

Zur Ausübung des Ermessens ist der Rentenversicherungsträger zum Beispiel „ermächtigt“ (§ 38 SGB I) im Rahmen von:

Anspruch auf pflichtgemäße Ausübung des Ermessens

§ 39 SGB I regelt ausdrücklich, dass auf pflichtgemäße Ausübung des Ermessens ein Anspruch besteht.

Ermessensspielraum

Die Besonderheit der Ermessensentscheidung liegt im Ermessensspielraum, der je nach dem Gesetzeszweck unterschiedlich groß sein kann. Das Ermessen ist dabei entsprechend dem Zweck der Ermächtigung auszuüben und es sind die gesetzlichen Grenzen einzuhalten.

Für die Frage, ob die Behörde eine Ermessensentscheidung getroffen hat und - falls ja - ob diese rechtmäßig ist, kommt es auf den Inhalt des Bescheides, insbesondere seine Begründung an. Diese muss nicht nur erkennen lassen, dass die Behörde eine Ermessensentscheidung getroffen hat, es müssen vielmehr auch diejenigen Gesichtspunkte ersichtlich sein, von denen sie bei der Ausübung des Ermessens ausgegangen ist.

Ermessensfehler

Aus der Bindung des Leistungsträgers an die Grenzen des Ermessens ergeben sich die im Widerspruchs- und Klageverfahren nachprüfbaren Ermessensfehler, die den Ermessensgebrauch rechtswidrig machen. Eine im Verwaltungsverfahren unterbliebene Ermessensausübung kann nicht im Rechtsstreit nachgeholt werden (siehe Urteil des BSG vom 24.02.1987, AZ: 11b RAr 25/86, SozR 1300 § 44 Nr. 26).

Ermessensfehler sind:

  • Ermessensunterschreitung (Ermessensmangel) ist gegeben, wenn der Leistungsträger bei der Entscheidung über die Sozialleistung von seinem ihm zustehenden Ermessen überhaupt keinen Gebrauch macht, entweder in der irrigen Annahme, bei der Entscheidung über die Sozialleistung gebunden zu sein, oder aber dadurch, dass er die Ausübungsmöglichkeit seines Ermessens übersieht. Der Ermessensfehler besteht darin, dass der Leistungsträger verpflichtet ist, in jedem Fall das eingeräumte Ermessen zu gebrauchen und er bei der Ausübung seines Ermessens gegebenenfalls eine andere Entscheidung getroffen hätte.
  • Ermessensüberschreitungen sind fehlerhafte Rechtshandlungen, durch die der Leistungsträger den gesetzlichen Rahmen seines Ermessens dergestalt überschritten hat, dass er Rechtsfolgen setzte, die nicht zu den im Gesetz aufgeführten Entscheidungsmöglichkeiten gehörten.
    Hierfür kommen folgende Fallgestaltungen in Betracht:
    • Ermessensausübung, obwohl die gesetzlichen Voraussetzungen nicht vorliegen,
    • Verfügung einer Rechtsfolge, die nicht zu der von der Ermessensvorschrift vorgegebenen Möglichkeit gehört.
  • Ermessensmissbrauch liegt vor, wenn der Leistungsträger die ihm rechtlich gezogenen inneren Schranken seines Handelns absichtlich oder irrtümlich missachtet, also von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch macht.
    Hierfür kommen folgende Fallgruppen in Betracht:
    • Entscheidung aufgrund sachfremder Gesichtspunkte. Was sachgerecht und was sachfremd ist, ist dem Normzweck zu entnehmen.
    • Entscheidung unter Missachtung des Gleichheitsgebotes, das heißt eine andere Entscheidung als sonst in gleich gelagerten Fällen (Verstoß gegen verbindliche von der Verwaltung aufgestellte Ermessensrichtlinien).
    • Entscheidung aufgrund eines unzutreffenden Sachverhalts.
    • Entscheidung unter Missachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit, das heißt, Mittel und Zweck stehen nicht in dem erforderlichen angemessenen Verhältnis.

Ermessensreduzierung auf Null

Unter den besonderen Umständen des Einzelfalles kann der Anspruch auf lediglich pflichtgemäße Ausübung des Ermessens in einem Anspruch auf eine bestimmte Entscheidung erstarken, nämlich dann, wenn jede andere Ermessensentscheidung rechtswidrig wäre (sogenannte Ermessensreduzierung auf Null).

Sollvorschrift

Eingeräumt wird das Ermessen meist durch Verwendung der Worte „kann“ und „darf“. In seiner schwächsten Form wird das Ermessen eingeräumt durch die Formulierung „soll“. Das Gesetz verknüpft dann eine Rechtsfolge mit einem Tatbestand zwar für alle typischen Fälle, gestattet aber dem Leistungsträger in atypischen Fällen von der Verwirklichung der gesetzlichen Rechtsfolge abzusehen. Eine derartige Sollvorschrift enthält zum Beispiel § 48 Abs. 1 Satz 2 SGB X.

Weitere Beispiele von Sollvorschriften:

Rechtsbehelfe gegen Ermessensentscheidungen

Das Recht, sein Ermessen walten zu lassen, befreit den Leistungsträger nicht von der Pflicht zu einem sachgebotenen Verhalten und zur Beachtung des Rechts.

Gegen Verwaltungsakte, durch die sich der Beteiligte beschwert fühlt, kann er Rechtsbehelfe einlegen, das heißt zunächst Widerspruch und nach eventueller Abweisung des Widerspruchs Klage erheben (§ 78 SGG). Im Widerspruchsverfahren wird die Entscheidung nicht nur hinsichtlich der Rechtmäßigkeit, der fehlerfreien Ermessensausübung, sondern auch hinsichtlich der Zweckmäßigkeit nachgeprüft.

Die Folgen einer fehlerhaften Ausübung des Ermessens werden im Streitfall aufgrund der Nachprüfung durch das zuständige Sozial- oder Verwaltungsgericht festgelegt. Stellt das Gericht eine fehlerhafte Ausübung des Ermessens fest - sie liegt nicht etwa schon dann vor, wenn das Gericht über die Zweckmäßigkeit einer Entscheidung anderer Meinung ist als der Sozialleistungsträger -, so hebt es die angefochtene Entscheidung auf. Mitunter weist es den Sozialleistungsträger an, unter Berücksichtigung der vom Gericht in der Begründung gegebenen Grundsätze nochmals zu entscheiden. Diese Entscheidung des Sozialleistungsträgers kann auch unter Beachtung der vom Gericht aufgestellten Gesichtspunkte durchaus die gleiche wie die erste sein. Das Gericht selbst darf grundsätzlich in der Sache nicht entscheiden, nicht sein Ermessen an die Stelle des Verwaltungsermessens setzen. Nur wenn sich ergibt, dass auch unter Berücksichtigung aller überhaupt denkbaren Erwägungen nur eine Entscheidung zu rechtfertigen ist, darf ausnahmsweise das Gericht eine Sachentscheidung treffen.

Entsprechende Anwendung der Vorschriften über Sozialleistungen, auf die ein Anspruch besteht

Wenn § 39 Abs. 2 SGB I bestimmt, dass für die Ermessensleistungen die Vorschriften über Anspruchsleistungen entsprechend gelten, sofern sich aus den Vorschriften des SGB nichts anderes ergibt, so ist das nur als eine subsidiäre Regelung anzusehen, weil in den meisten Fällen, jedenfalls in den Fällen, in denen eine Ermessensleistung bewilligt wird, diese Vorschriften nicht nur entsprechend, sondern unmittelbar anzuwenden sind (vergleiche § 40 Abs. 2 SGB I, wonach bei Ermessensleistungen Ansprüche in dem Zeitpunkt entstehen, in dem die Entscheidung über die Leistung bekannt gegeben wird). Mit der Entstehung des Anspruchs sind aber die Bestimmungen folgender Vorschriften des SGB I unmittelbar anzuwenden:

Einigungsvertragsgesetz vom 23.09.1990 (BGBl. II S. 885)
Inkrafttreten: 01.01.1991

Nach dem Einigungsvertrag ist § 39 SGB I im Beitrittsgebiet seit dem 01.01.1991 anzuwenden (Anlage I Kapitel VIII Sachgebiet D Abschnitt III Nr. 1 Buchst. a EVertr).

SGB I vom 11.12.1975 (BGBl. I S. 3015)

Inkrafttreten: 01.01.1976

Quelle zum Entwurf: BR-Drucksache 305/72

§ 39 SGB I ist am 01.01.1976 in Kraft getreten (Art. II § 23 Abs. 1 SGB I) und gilt seitdem unverändert.

Zusatzinformationen

Rechtsgrundlage

§ 39 SGB I