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L 3 An 2966/84

Tatbestand

Der am 25. März 1928 geborene Kläger bezieht seit August 1980 von der Beklagten Rente wegen Erwerbsunfähigkeit. Streitig ist allein noch, ob bei der Berechnung dieser Rente die Zeit vom 28. März bis 30. September 1977 als Ausfallzeit zu berücksichtigen ist.

Während der genannten Zeit hat der Kläger, der von Beruf Bauingenieur ist, an einer von der Bundesanstalt für Arbeit geförderten Fortbildungsmaßnahme "Bauwirtschaft" beim Institut für Arbeits- und Baubetriebswissenschaft Dr. Gerhard D. KG in L. teilgenommen. Die Maßnahme wurde in Zusammenarbeit mit dem Refa-Institut Darmstadt (Verband für Arbeitsstudien und Betriebsorganisation e.V.)durchgeführt und war nach dem System der Refa-Stufenausbildung aufgebaut. Sie umfaßte neben der Refa-Grundausbildung insgesamt elf Einzelseminare zu Fragen der Organisation, Planung und Arbeitsvorbereitung im Bauwesen, wobei jedes der zwischen einer und vier Wochen dauernden Seminare eine thematisch und organisatorisch in sich geschlossene Ausbildungseinheit bildete und mit der Erteilung eines Abschlußzeugnisses endete. In dem Rentenbescheid vom 12. August 1982 hat die Beklagte die Zeit der Maßnahmeteilnahme nicht berücksichtigt. Den Widerspruch des Klägers hat sie zurückgewiesen, weil die Refa-Weiterbildung nicht die Kriterien einer Fachschulausbildung im Sinne des § 36 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 Buchst. b des Angestelltenversicherungsgesetzes (AVG) erfülle (Widerspruchsbescheid vom 9. Dezember 1982). Auch die dagegen gerichtete Klage ist ohne Erfolg geblieben. Das Sozialgericht hat in seinem Urteil vom 8. November 1984 ausgeführt: Die Zeit vom 28. März bis 30. September 1977 sei zu Recht nicht als Ausfallzeit angerechnet worden, denn die vom Kläger absolvierte Fortbildungsmaßnahme "Bauwirtschaft" sei keine Fachschulausbildung im Sinne des Gesetzes gewesen. Sie habe zwar insgesamt 27 Wochen, also mehr als ein halbes Jahr gedauert. Entscheidend sei jedoch, daß es sich nicht um eine Gesamtmaßnahme, sondern um eine Aneinanderreihung einzelner selbständiger Lehrgänge gehandelt habe, von denen für sich gesehen keiner den Charakter einer Fachschulausbildung beanspruchen könne.

Mit der fristgerecht eingelegten Berufung verfolgt der Kläger sein Begehren weiter. Er bringt vor: Die Fortbildungsmaßnahme beim Institut für Arbeits- und Baubetriebswissenschaft müsse als Einheit gesehen werden. Ihr Ziel sei es gewesen, dem Teilnehmer eine bestimmte, auf dem Arbeitsmarkt verwertbare Qualifikation zu verschaffen, auch wenn ein formeller Gesamtabschluß oder der Erwerb eines "Titels" nicht vorgesehen gewesen sei. Die Aufgliederung in verschiedene selbständige Ausbildungseinheiten habe hieran nichts geändert. Die Einzelseminare seien nicht beliebig austauschbar gewesen, sondern hätten aufeinander aufgebaut, so daß sich das Bild eines zusammenhängenden, in sich geschlossenen Lehrgangsbiete, der einer Fachschulausbildung entspreche.

Der Kläger stellt den Antrag,

  • das Urteil des Sozialgerichts Stuttgart vom 8. November 1984 aufzuheben sowie den Rentenbescheid vom 12. August 1982 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 9. Dezember 1982 abzuändern und die Beklagte zur Gewährung höherer Rente unter Anrechnung einer Ausfallzeit vom 28. März bis 30. September 1977 zu verurteilen, hilfsweise, die Revision zuzulassen.

Die Beklagte beantragt,

  • die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.

Die den Kläger betreffenden Rentenakten der Beklagten, die Akten des Sozialgerichts Stuttgart und des Landessozialgerichts Baden-Württemberg aus den früheren Verfahren S 9 An 1675/82 und L 5 Ar 1857/80 sowie die Prozeßakten beider Rechtszüge haben vorgelegen und waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung. Zur weiteren Darstellung wird auf den Inhalt dieser Akten und der Schriftsätze der Beteiligten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

Die Berufung ist zulässig, aber unbegründet.

Nachdem der Kläger weitere ursprünglich gestellte Anträge nicht mehr aufrecht erhalten hat, ist Gegenstand des Berufungsverfahrens nur noch das Begehren auf Anrechnung der umstrittenen Ausfallzeit vom 28. März bis 30. September 1977. Insoweit greifen Berufungsausschließungsgründe (§§ 144, 146 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG) nicht ein. Die allgemeinen Prozeßvoraussetzungen, die der Senat bei einer zulässigen Berufung von Amts wegen zu prüfen hat, liegen vor. Zwar hat der Kläger nach den Feststellungen des Sozialgerichts die Widerspruchsfrist gegen den Rentenbescheid vom 18. August 1982 versäumt. Die Beklagte hat sich hierauf jedoch nicht berufen, sondern über den Widerspruch nach materiell-rechtlicher Prüfung sachlich entschieden und damit durch den Widerspruchsbescheid vom 9. Dezember 1982 den Rechtsweg neu eröffnet. In der Sache sind das angefochtene Urteil und der zugrundeliegende Verwaltungsakt nicht zu beanstanden. Die Teilnahme an der vom Kläger besuchten Fortbildungsmaßnahme "Bauwirtschaft" begründet keine Ausfallzeit.

Als Ausfallzeiten, die gemäß § 35 AVG bei der Ermittlung der anrechnungsfähigen Versicherungsjahre zu berücksichtigen sind und somit die Rentenhöhe beeinflussen, bezeichnet das Gesetz Zeiten, in denen der Versicherte aus bestimmten in seiner Person liegenden Gründen vorübergehend unverschuldet an einer Beitragsleistung zur gesetzlichen Rentenversicherung gehindert war. Dazu zählen u.a. auch Zeiten einer weiterführenden Schul- oder Berufsausbildung; jedoch hat der Gesetzgeber aus Gründen der Praktikabilität und Finanzierbarkeit nicht Ausbildungszeiten schlechthin, sondern nur bestimmte typische Ausbildungen berücksichtigt (vgl. BSGE 30, 34; BSG SozR 2200 § 1259 Nr. 42 mwN). Die einschlägige Bestimmung des § 36 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 AVG nennt als ausfallzeitbegründende Tatbestände eine nach Vollendung des 16. Lebensjahres liegende abgeschlossene - nicht Versicherungspflichtige oder versicherungsfreie - Lehre (Buchst. a) sowie eine weitere Schulausbildung oder eine abgeschlossene Fachschul- oder Hochschulausbildung (Buchst. b). Von diesen Varianten kommt hier nur die der abgeschlossenen Fachschulausbildung in Betracht.

Der Begriff der Fachschulausbildung ist im Gesetz selbst nicht definiert. Das Bundessozialgericht (BSG) und ihm folgend der erkennende Senat haben ihn bislang in ständiger Rechtsprechung im wesentlichen so ausgelegt, wie er in dem früher vom Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung herausgegebenen Fachschulverzeichnis verstanden wurde (BSGE 35, 52, 53 f; BSG SozR 2200 § 1259 Nrn. 42, 47, 62; unveröffentlichtes Urteil des Senats vom 24. November 1982 -L 3 An 369/80 - u.a.). Danach galten als Fachschulen berufsbildende Vollzeitschulen mit einer Mindestausbildungsdauer von einem halben Jahr oder, bei kürzerer Dauer, einem Umfang von mindestens 600 Unterrichtsstunden. Inzwischen ist der Fachschulbegriff, der seit längerem im Wandelbegriffen war, durch den Beschluß der Kultusministerkonferenz vom 8. Dezember 1975 (KMK-Beschlußsammlung Nr. 330) neu definiert worden. Unter Fachschulen werden seither berufsbildende Schulen verstanden, die den Abschluß einer einschlägigen Berufsausbildung oder eine entsprechende praktische Berufstätigkeit voraussetzen und deren Bildungsgänge bei Vollzeitform in der Regel mindestens ein Jahr und bei Teilzeitform entsprechend länger dauern. Ob und inwieweit für die Qualifikation einer nach 1975 zurückgelegten Ausbildung als Fachschulausbildung i.S. des § 36 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 Buchst. b AVG die Merkmale der neuen Begriffsbestimmung heranzuziehen sind, braucht hier nicht entschieden zu werden, da die umstrittene Fortbildungsmaßnahme in keinem Fall die Voraussetzungen einer Fachschulausbildung aufweist.

Nach früherem wie nach jetzigem Verständnis liegt eine Fachschulausbildung nur vor, wenn zum einen die Bildungseinrichtung, in der sich die Ausbildung vollzieht, überhaupt als Schule in einem weitgefaßten Sinne qualifiziert SozR Nr. 49 zu § 1259 RVO; BSG SozR 2200 § 1259 Nrn. 47 und 62) und zum anderen die Ausbildung nach ihrem zeitlichen Umfang dem Bild einer Schulausbildung entspricht (BSG SozR 2200 § 1259 Nr. 76). Beides folgt im übrigen auch aus dem Zweck der Ausfallzeitenregelung und aus dem Zusammenhang, in dem der Begriff Fachschulausbildung in § 36 Abs. 1 AVG verwendet wird. Wenn dort die Fachschulausbildung neben der Schul- und Hochschulausbildung steht, so bedeutet das, daß sie diesen Ausbildungen vergleichbar sein muß (BSG SozR 2200 § 1259 Nr. 49). Zur Abgrenzung der Fachschulausbildung gegenüber nichtschulischen Ausbildungsformen wie etwa einer betrieblichen Ausbildung ist, sofern sie auf Grund des formalen Status der Bildungseinrichtung nicht vorgenommen werden kann, darauf abzustellen, ob diese dem Erscheinungsbild einer Schule entspricht. Dazu gehört mindestens die Erteilung von Unterricht an mehrere Schüler; sofern die Ausbildung neben dem Unterricht auch andere Formen der Ausbildung wie etwa die Beobachtung oder Übung praktischer beruflicher Tätigkeit umfaßt, muß der theoretische Unterricht zeitlich die Gesamtausbildung prägen (BSG SozR 2200 § 1259 Nr. 76 mwN). Was das Erfordernis einer bestimmten Mindestausbildungsdauer angeht, so soll dadurch die Fachschulausbildung von anderen kurzfristigen Maßnahmen der Fortbildung oder Weiterbildung wie z.B. Umschulungs-, Meister- oder Ergänzungskursen abgegrenzt werden, die nach allgemeinem Sprachgebrauch nicht als Schulausbildung gelten und demzufolge von der Regelung des § 36 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 Buchst. b AVG nicht erfaßt werden.

Bei Zugrundelegung der vorgenannten Kriterien kann die vom Kläger besuchte Fortbildungsmaßnahme "Bauwirtschaft" nicht als Fachschulausbildung gewertet werden. Zwar mag das Institut für Arbeits- und Baubetriebswissenschaft, das die Lehrgänge ausgerichtet hat, von der Organisation und Konzeption des Unterrichts her als (Fach-) Schule im weiteren Sinne einzustufen sein. Die weitere Voraussetzung einer zusammenhängenden Ausbildung von längerer Dauer ist jedoch nicht erfüllt, wobei für den vorliegenden Fall dahinstehen kann, ob die zu fordernde Mindestausbildungszeit wie bisher mit einem halben Jahr oder entsprechend der neuen Definition der Kultusministerkonferenz mit einem Jahr anzusetzen ist. Die Fortbildungsmaßnahme hat zwar insgesamt 27 Wochen gedauert und damit die Halbjahresgrenze erreicht bzw. geringfügig überschritten. Auf die Gesamtausbildungsdauer und damit auf die Maßnahme als Ganzes wäre indes nur dann abzustellen, wenn die im Rahmen der Fortbildung angebotenen Seminare Bestandteile eines einheitlichen abgeschlossenen Bildungsganges gewesen wären. Tatsächlich hat es sich jedoch, wie das Sozialgericht zutreffend dargelegt hat, um eine Zusammenstellung mehrerer jeweils eigenständiger, in sich abgeschlossener Bildungseinheiten gehandelt, von denen für sich gesehen keine auch nur annähernd den für eine Fachschulausbildung erforderlichen zeitlichen Mindestumfang erreicht hat. Die dagegen mit der Berufung vorgebrachten Einwände sind nicht stichhaltig.

Das Prinzip der Refa-Weiterbildung beruht auf mehreren in sich geschlossenen, wenn auch aufeinander aufbauenden Weiterbildungsstufen. Die einzelnen Seminare sind von ihrer

Dauer her so angelegt, daß Arbeitnehmer sie ohne Unterbrechung des Arbeitsverhältnisses auf Grund kurzfristiger Freistellungen besuchen können. Demgemäß ist es in der Praxis durchaus üblich, die Kurse nicht fortlaufend, sondern in zeitlichen Abständen zu belegen (vgl. z.B. die Fallgestaltungen im Urteil des Senats vom 24. November 1982 - L 3 An 369/80 oder in dem von der Beklagten vorgelegten Urteil des LSG Nordrhein-Westfalen vom 25. Mai 1981 - L 4 An 84/79). Des weiteren ist das Lehrgangsangebot in der Weise gestaffelt, daß es dem Teilnehmer ermöglicht wird, den seiner Vorbildung gemäßen Einstieg in die Refa-Ausbildung selbst zu wählen und zu bestimmen, welche Veranstaltungen - mit Ausnahme einiger obligatorischer Lehrgänge - er belegen und in welcher zeitlichen Reihenfolge er sie absolvieren will. Eine Ausbildungsform, die es dem Bildungswilligen grundsätzlich überläßt, Zahl und Reihenfolge der Kurse selbst festzulegen und die Ausbildung nach seinem Belieben zeitlich zu strecken, entspricht aber nicht dem Erscheinungsbild einer herkömmlichen Schulausbildung, die durch einen festgelegten Lehrplan sowie Stetigkeit und Regelmäßigkeit des Unterrichts gekennzeichnet ist (vgl. BSG SozR 2200 § 1259 Nr. 9). Daß im konkreten Fall des Klägers die aufgezeigten Wahlmöglichkeiten nicht bestanden haben, weil entsprechend den Vorgaben des Arbeitsamtes die angebotenen Kurse fortlaufend besucht werden mußten, führt nicht zu einer anderen Beurteilung, da die Einordnung einer Ausbildung nur nach den für den Regelfall geltenden Merkmalen erfolgen kann.

Daß die umstrittene Fortbildungsmaßnahme nicht als einheitliche Fachschulausbildung, sondern als ein Kompendium mehrerer selbständiger berufsbildender Lehrgänge zu sehen ist, zeigt sich auch an den vom Maßnahmeträger erteilten Ausbildungsnachweisen. Während nämlich der Kläger nach Abschluß jedes einzelnen Lehrgangs eine Bescheinigung über die erfolgreiche Teilnahme beziehungsweise - soweit vorgesehen - ein Abschlußzeugnis erhalten hat, ist ein auf die Gesamtmaßnahme bezogener Abschluß nicht bescheinigt. Ein solcher Abschluß oder der Erwerb eines "Titels", d. h. einer die erlangte Qualifikation kennzeichnenden Berufsbezeichnung, war auch nach dem eigenen Vortrag des Klägers nicht vorgesehen. Zu den Merkmalen einer eigenständigen und auf ein bestimmtes Ziel hinführenden Ausbildung an einer Fachschule, welche die Ausübung eines Berufes eröffnen soll, gehört in der Regel aber gerade eine Abschlußprüfung, mag sie an der Schule selbst oder anderswo abgenommen werden (BSG SozR 2200 § 1259 Nrn. 42, 47). Bei der Refa-Weiterbildung steht im Vordergrund er einzelne Lehrgang, der in der Regel für sich allein dem Teilnehmer eine zusätzliche auf dem Arbeitsmarkt verwertbare Qualifikation in einem bestimmten, wenngleich eng begrenzten Teilbereich verschafft. Der Zusammenfassung mehrerer eigenständiger Seminare im Rahmen einer Gesamtmaßnahme kommt demgegenüber keine eigene Bedeutung zu.

Fehlt es nach alledem an einem einheitlichen geschlossenen Bildungsgang, so kann dahingestellt bleiben, ob eine Fachschulausbildung vorliegend auch deshalb zu verneinen wäre, weil sich der Besuch der Maßnahme nicht als notwendige Ausbildung für einen künftigen Beruf, sondern als Weiterbildung nach bereits abgeschlossener Berufsausbildung darstellt (vgl. hierzu BSG SozR 2200 § 1259 Nr. 56; unveröffentlichtes Urteil des BSG vom 18. März 1982 - 11 RA 32/81 -).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193.

Die Revision war nicht zuzulassen, da keiner der Gründe des § 160 Abs. 2 SGG gegeben ist.

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