B 4 RA 17/98 R
Tatbestand
Die Klägerin ist die Witwe eines bei der beklagten Bundesversicherungsanstalt für Angestellte (BfA) versichert gewesenen Wirtschaftsprüfers. Dieser war persönlich haftender Gesellschafter einer in der Rechtsform einer Kommanditgesellschaft (KG) geführten Wirtschaftsprüfungs- und Steuerberatungsgesellschaft (im folgenden: F. KG). Aufgrund des Gesellschaftsvertrages stand ihm nach seinem Ausscheiden aus der Gesellschaft ein Anspruch auf Altersversorgung zu. Der Gesellschaftsvertrag vom 22. Dezember 1967 sieht insoweit vor: „Scheidet ein persönlich haftender Gesellschafter wegen Erreichung der Altersgrenze ... aus der Gesellschaft aus, erhält er mit Rücksicht auf seine frühere Tätigkeit in der F. bis zum Lebensende einen Anteil von 10 % am jährlichen Komplementärgewinn ... höchstens das jährliche Ruhegehalt eines Oberfinanzpräsidenten“. Die ihm insoweit zufließenden Zahlungen wurden vom Finanzamt als „Einkünfte aus selbständiger Arbeit“ veranlagt. Für den Fall seines Todes bestimmt der Gesellschaftsvertrag für seine Witwe, daß diese bis zu ihrem Lebensende oder bis zu ihrer Wiederverheiratung „einen unübertragbaren Anteil am Komplementärgewinn von 7 %, jedoch mindestens DM 4.800,00 jährlich, ... höchstens das jährliche Witwengeld der Witwe eines Oberfinanzpräsidenten“ erhält.
Die BfA bewilligte der Klägerin nach dem Tod des Versicherten ab April 1995 eine sog. große Witwenrente (Bescheid vom 13. September 1995). Nach Bekanntwerden der an die Klägerin seitens der F. KG gezahlten Bezüge erteilte die BfA der Klägerin einen neuen Bescheid, mit dem sie den monatlichen Wert des Rechts auf Rente (ebenso wie den Auszahlbetrag) unverändert ließ; sie führte allerdings aus, die von der F. KG an die Klägerin gezahlten Beträge seien dem Grunde nach auf ihre Hinterbliebenenrente anzurechnen, nicht jedoch im ersten Jahr nach dem Tod des Versicherten (vgl. § 314 Abs. 3 Satz 1 SGB VI). Nach Ablauf eines Jahres rechnete sie die Zahlungen der F. KG sodann auf die Hinterbliebenenrente der Klägerin an. Zur Begründung führte sie aus: Bei den aufgrund des Gesellschaftsvertrages der F. KG geleisteten Bezügen handele es sich um nachträgliche Einkünfte aus selbständiger Tätigkeit, die bei der Einkommensanrechnung als Arbeitseinkommen i.S. von §§ 15, 18a Abs. 2 SGB IV zu berücksichtigen seien. § 15 SGB IV lasse für eine „selbständige Auslegung des Begriffs Arbeitseinkommen im Sozialrecht kaum einen Spielraum“; dies entspreche genau der Absicht des Gesetzgebers beim Gesetz zur Reform der agrarsozialen Sicherung (Agrarsozialreformgesetz 1995 <ASRG 1995>) vom 29. Juli 1994 (BGBl. I S. 1890), mit dem § 15 SGB IV seine jetzige Fassung erhielt. Ausschlaggebend sei aus Gründen der Verwaltungsvereinfachung allein die steuerrechtliche Behandlung der Bezüge. Seien Einkünfte des hinterbliebenen Berechtigten steuerrechtlich als Einkünfte aus selbständiger Arbeit zu behandeln, müßten sie auch als Arbeitseinkommen i.S. von §§ 15, 18a SGB IV angesehen werden. Nach § 24 Nr. 2 Einkommensteuergesetz (EStG) zählten zu den Einkünften i.S. des § 2 Abs. 1 EStG auch Einkünfte aus einer ehemaligen Tätigkeit, wobei allerdings diese steuerrechtliche Einordnung nach dem gesetzgeberischen Willen vom Rentenversicherungsträger nicht zu überprüfen sei. Bei nachträglichen Einkünften i.S. von § 24 Nr. 2 EStG, die steuerrechtlich den Einkünften aus selbständiger Tätigkeit oder Gewerbebetrieb zuzuordnen sind, handele es sich um Arbeitseinkommen i.S. von §§ 15, 18a SGB IV. Dies gelte selbst dann, wenn die Zahlungen nicht dem Steuerpflichtigen, sondern dessen Hinterbliebenen zufließen (Bescheid vom 1. Februar 1996; Widerspruchsbescheid vom 21. Juni 1996).
Das SG Bremen hat die Bescheide der Beklagten vom 12. Januar 1996, 1. Februar 1996 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21. Juni 1996 sowie die weiteren, nach Abschluß des Widerspruchs- und während des Klageverfahrens ergangenen (Anrechnungs-)Bescheide vom 23. September 1996 und 4. Februar 1997 insoweit aufgehoben, als hierdurch Einkommen auf die Hinterbliebenenrente angerechnet wurde (Urteil vom 24. Februar 1997). Das LSG Bremen hat das Urteil des SG aufgehoben, die Klage abgewiesen und in der Urteilsbegründung die Rechtsansicht der Beklagten bestätigt (Urteil vom 20. Januar 1998).
Die Klägerin hat die vom LSG zugelassene Revision eingelegt und eine Verletzung des § 15 SGB IV, der Art. 14 und 3 GG gerügt.
Die Klägerin beantragt,
- das Urteil des Landessozialgerichts Bremen vom 20. Januar 1998 aufzuheben, die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Bremen vom 24. Februar 1997 zurückzuweisen und den während des Berufungsverfahrens ergangenen Bescheid der Beklagten vom 12. August 1997 aufzuheben, soweit auf ihre Hinterbliebenenrente Zahlungen der F. KG als Einkommen angerechnet werden.
Die Beklagte beantragt,
- die Revision zurückzuweisen.
Sie hält das Urteil des LSG für zutreffend.
Entscheidungsgründe
Die Revision der Klägerin ist zulässig und begründet. Das SG hat den Bescheid der Beklagten vom 1. Februar 1996, der erstmals zu einer „Kürzung“ der Rente der Klägerin führte, sowie die während des sozialgerichtlichen Verfahrens ergangenen weiteren (Anrechnungs-)Bescheide im Ergebnis zu Recht aufgehoben, da die Voraussetzungen des § 97 SGB VI i.V.m. §§ 18a und b, § 15 SGB IV für eine Anrechnung eigenen Einkommens der Klägerin auf deren große Witwenrente nicht vorlagen; die Klägerin erzielt aufgrund der monatlichen Zahlungen der F. KG kein Erwerbseinkommen i.S. von § 18a, § 15 SGB IV, das auf ihre Hinterbliebenenrente angerechnet werden könnte (dazu unter B.). Das LSG hätte daher das Urteil des SG nicht aufheben und die Klage gegen die vor dem SG angefochtenen Bescheide nicht abweisen dürfen. Aus demselben Grund war das LSG nicht befugt, den während des Berufungsverfahrens ergangenen Bescheid vom 12. August 1997 aufzuheben, der gemäß § 153 Abs. 1 i.V.m. § 96 SGG Gegenstand des Berufungsverfahrens geworden ist und über den das LSG erstinstanzlich „auf Klage“ zu entscheiden hatte (vgl. BSGE 47, 241; BSGE 18, 231; Pawlak in: Hennig, SGG, § 96 RdNr. 50; Meyer-Ladewig, SGG, 6. Aufl. 1998, § 96 RdNr. 7).
A. Mit Bescheid vom 1. Februar 1996 hat die Beklagte erstmals (allerdings zu Unrecht, dazu unter B.) von ihrer Befugnis Gebrauch gemacht, die Hinterbliebenenrente der Klägerin mit Blick auf eigenes Erwerbseinkommen gemäß § 97 SGB VI i.V.m. § 18a, § 15 SGB IV zu kürzen. Eine ausdrückliche oder konkludente Aufhebung oder Rücknahme früherer Bescheide wurde entgegen der Ansicht des LSG und SG in diesem Bescheid nicht vorgenommen; insoweit sind die Ausführungen des LSG unzutreffend, mit sog Neufeststellungsbescheid vom 1. Februar 1996 sei der zunächst ergangene Bescheid vom 13. September 1995 gemäß § 48 Abs. 1 SGB X zurückgenommen worden, soweit mit Wirkung für die Zukunft (ab 1. April 1996) eine Einkommensanrechnung stattfinde. Der Rentenbewilligungsbescheid vom 13. September 1995 enthielt keine Feststellungen oder Ausführungen zur - grundsätzlichen - Anrechenbarkeit oder der konkreten Anrechnung eigenen Einkommens auf die Rente; eine gleichsam negative Feststellung i.S. einer Nichtanrechnungsentscheidung in Gestalt eines Verwaltungsaktes mit Dauerwirkung wurde in diesem Bescheid nicht getroffen. Gleiches gilt für den Bescheid vom 12. Januar 1996; dieser erging, nachdem die Klägerin gegenüber der Beklagten die Zahlungen der F. KG offengelegt und erläutert hatte. Auch in diesem Bescheid stellte die Beklagte eine Kürzung des sich nach dem monatlichen Wert des Rechts auf Rente (abzüglich der Eigenanteile der Klägerin zur Kranken- und Pflegeversicherung) bemessenden Auszahlbetrages der Rente nicht fest; lediglich in der Begründung des Bescheides wurde sinngemäß darauf hingewiesen, daß bei der Klägerin zwar - dem Grunde nach - anrechenbares Einkommen vorliege, dieses aber bis zum Ablauf von zwölf Monaten nach dem Tode des Versicherten nicht angerechnet werde. Eine grundsätzliche Nichtanrechnungsentscheidung i.S. eines Grundlagenverwaltungsaktes mit Dauerwirkung kann hierin nicht gesehen werden, so daß der genannte Bescheid die Klägerin im übrigen auch nicht beschwerte.
B. Die Beklagte war nicht befugt, auf die große Witwenrente der Klägerin nach § 97 Abs. 1 Nr. 1 SGB VI i.V.m. § 18a Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 Satz 1, § 15 Abs. 1 SGB IV die monatlichen Zahlungen der F. KG anzurechnen.
§ 97 SGB VI bestimmt, ob und in welchem Umfang der Rentenversicherungsträger eigenes „Einkommen des Berechtigten“ auf Zahlungsansprüche auf Renten wegen Todes anspruchsvernichtend „anrechnen“ darf. Danach ist die BfA zur Anrechnung ermächtigt, soweit „Einkommen (i.S. von §§ 18a bis 18e SGB IV) des Berechtigten“ (nicht: eines Dritten) u.a. mit einer Witwenrente „zusammentrifft“. Ein Zusammentreffen von Einkommen und Witwenrente liegt im Rechtssinne vor, wenn der Rentenberechtigte für denselben Zahlungszeitraum (d.h. bei Renten: für einen bestimmten Kalendermonat; vgl. § 118 Abs. 1 SGB VI) gegen den Träger der Rentenversicherung aus seinem Renten(stamm)recht einen (Zahlungs-)Anspruch auf Rente hat und ihm für diesen Zeitraum außerdem ein Recht auf Einkommen aus eigener Erwerbstätigkeit zusteht (zur dogmatischen Figur der Anrechnung vgl. eingehend Urteil des Senats vom 31. März 1998 - B 4 RA 49/96 R - zur Veröffentlichung vorgesehen).
Der Tatbestand dieser Ermächtigungsgrundlage ist hier schon deshalb nicht erfüllt, weil der Klägerin im streitigen Anrechnungszeitraum kein „Einkommen (§§ 18a bis 18e SGB IV)“, das hätte angerechnet werden dürfen, zustand. Zur näheren Bestimmung der Arten des Einkommens des Berechtigten (nicht: eines Dritten) - der anrechenbaren Einkommensarten - nimmt § 97 Abs. 1 Satz 1 SGB VI in Form eines Klammerzusatzes auf die §§ 18a bis 18c SGB IV Bezug. Danach sind bei Renten wegen Todes als - anrechenbares - Einkommen des Berechtigten sein Erwerbseinkommen (dazu unter 2.), sein Erwerbsersatzeinkommen (dazu unter 1.) sowie seine vergleichbaren Einnahmen (dazu unter 3.) zu berücksichtigen (§ 18a Abs. 1 SGB IV). Die Forderungen der Klägerin gegen die F. KG fallen unter keine dieser Einnahmearten.
1. Die von der F. KG der Klägerin geschuldeten Zahlungen sind für diese kein Erwerbsersatzeinkommen i.S. von § 18a Abs. 1 Nr. 2 SGB IV, der die insoweit in Betracht kommenden „Leistungen“ im einzelnen abschließend aufzählt. Die Forderungen haben ihren Rechtsgrund in einer privatrechtlichen (gesellschaftsrechtlichen) Vereinbarung zwischen dem verstorbenen Ehemann der Klägerin und der F. KG, während es sich bei Erwerbsersatzeinkommen nur um „Leistungen“ handelt, die aufgrund oder in entsprechender Anwendung öffentlich-rechtlicher Vorschriften erbracht werden, um Erwerbseinkommen zu ersetzen.
2. Entgegen der Ansicht der Beklagten handelt es sich bei den Forderungen der Klägerin gegen die F. KG auch nicht um Arbeitseinkommen der Klägerin (der Berechtigten). Was der Art nach als Arbeitseinkommen anzusehen ist und wie dessen Höhe im Einzelfall zu ermitteln ist, ergibt sich aus § 15 SGB IV. Danach ist Arbeitseinkommen der nach den allgemeinen Gewinnermittlungsvorschriften des Einkommensteuerrechts ermittelte Gewinn aus einer selbständigen Tätigkeit (Abs. 1 Satz 1 a.a.O.). Einkommen ist als Arbeitseinkommen zu werten, wenn es als solches nach dem Einkommensteuerrecht zu bewerten ist (Abs. 1 Satz 2 a.a.O.). Arbeitseinkommen i.S. von § 15 SGB IV als der nach den allgemeinen Gewinnermittlungsvorschriften ermittelte Gewinn ist allerdings nur dann nach § 97 Abs. 1 Satz 1 SGB VI auf eine Hinterbliebenenrente anrechenbares „Einkommen des Berechtigten“, wenn es aus eigener selbständiger Tätigkeit des Einkommensempfängers selbst herrührt. Liegen derartige Einnahmen aus eigener selbständiger Tätigkeit vor, sind dem Träger der Sozialversicherung eigene Wertungen über die Höhe des Gewinns nach § 15 Abs. 1 Satz 2 SGB IV nicht erlaubt. Indessen kann aus der steuerlichen Bewertung bestimmter Einnahmen als Gewinn des Berechtigten nicht darauf geschlossen werden, dieser habe eine selbständige Tätigkeit i.S. von § 15 Satz 1 SGB IV als Erwerbsquelle ausgeübt: Ob eine solche Beschäftigung ausgeübt wird und hieraus Einnahmen - mithin Arbeitseinkommen - erzielt werden, ist von den Trägern der Rentenversicherung ohne Rücksicht auf steuerrechtliche Tatbestände zu ermitteln. Dies ergibt sich schon auf der Grundlage allein des § 15 SGB IV, nämlich aus dem Wortlaut in seiner hier anwendbaren Fassung durch das ASRG 1995, seiner Textgeschichte und ihrem Zweck nach nur begrenzten Tatbestandswirkung einer steuerrechtlichen Gewinnfestsetzung.
a) Nach § 15 SGB IV (auf.) in seiner bis zum 31. Dezember 1994 gültigen Fassung des Art. 1 des SGB IV vom 23. Dezember 1976 (BGBl. I S. 3845) war Arbeitseinkommen definiert als „der nach den allgemeinen Gewinnermittlungsvorschriften des Einkommensteuerrechts ermittelte Gewinn aus einer selbständigen Tätigkeit. Bei der Ermittlung des Gewinns sind steuerliche Vergünstigungen unberücksichtigt zu lassen und Veräußerungsgewinne abzuziehen.“
Das BSG hat diese Bestimmung dahin ausgelegt, daß sie zwar eine weitgehende, aber keine uneingeschränkte Anknüpfung an das Einkommensteuerrecht enthält. Als sozialversicherungsrechtlich beachtliche Einnahmearten wurden im Zusammenhang mit der Anrechnung eigenen Einkommens auf Renten nur solche aus selbständiger Tätigkeit und der Begriff des Arbeitseinkommens in § 15 SGB IV a.F. als nicht deckungsgleich mit demjenigen der Einkünfte aus selbständiger Tätigkeit i.S. von § 18 EStG angesehen; § 15 SGB IV a.F. erfaßte danach nur alle typischerweise mit persönlichem Einsatz verbundene Einkunftsarten, also Einkünfte aus Gewerbebetrieb, aus selbständiger Tätigkeit sowie aus Land- und Forstwirtschaft, nicht dagegen - von Ausnahmen abgesehen - Einkünfte aus Kapitalvermögen, aus Vermietung und Verpachtung oder sonstige Einkünfte i.S. von § 22 EStG (Urteil des Senats vom 30. September 1997 - 4 RA 122/95 - SozR 3-2400 § 15 Nr. 4 m.w.N.). Mangels Vorliegens einer besonderen gesetzlichen Regelung wurde bei der Frage, ob Arbeitseinkommen i.S. von § 15 SGB IV a.F. vorliegt, eine strikte Bindung der Träger der Sozialversicherung an Entscheidungen und Gerichte der Finanzgerichtsbarkeit i.S. einer Feststellungswirkung verneint (vgl. Urteil des Senats vom 30. September 1997, BSG SozR 3-2400 § 15 Nr. 4 S. 6/7; BSGE 45, 244, 245 = SozR 2200 § 1248 Nr. 19; BSG SozR 2200 § 18 Nr. 30).
b) Mit Wirkung vom 1. Januar 1995 wurde § 15 SGB IV durch das ASRG 1995 neu gefaßt. Zur Begründung wurde im Gesetzentwurf der Bundesregierung hierzu u.a. ausgeführt (BR-Drucks. 508/93, S. 92, BT-Drucks. 12/5700 zu Art. 3 Nr. 2): Die bisherige Regelung des § 15 Satz 2 SGB IV, daß steuerliche Vergünstigungen bei der Feststellung des Arbeitseinkommens nicht zu berücksichtigen sind, führe in der Praxis zu erheblichen Schwierigkeiten. So sei der Begriff der steuerlichen Vergünstigung im Steuerrecht nicht eindeutig bestimmt und im übrigen der Umfang solcher Vergünstigungen dem Steuerbescheid nicht zu entnehmen. Im Interesse der Verfahrensvereinfachung solle die bisherige Regelung des § 15 Satz 2 SGB IV entfallen. Das Arbeitseinkommen entspreche damit dem steuerrechtlichen Gewinn; dieser werde unverändert aus „dem Steuerbescheid des Selbständigen“ übernommen. Auch für die Bestimmung, welches Einkommen als Arbeitseinkommen zu werten ist, sei nach der neuen Regelung des § 15 Abs. 1 Satz 2 SGB IV das Einkommensteuerrecht maßgebend. Damit werde eine volle Parallelität von Einkommensteuerrecht und Sozialversicherungsrecht sowohl bei der Zuordnung zum Arbeitseinkommen als auch bei der Höhe des Arbeitseinkommens erreicht, was zu einer Verwaltungserleichterung bei den Sozialversicherungsträgern führe, so daß eigene Nachprüfungen dieser Träger in diesem Bereich entfallen.
Durch die Neufassung des § 15 SGB IV wurde der geschilderten Rechtsprechung des BSG entgegen der Ansicht der Beklagten auch mit Rücksicht auf die geschilderte Gesetzesbegründung die Grundlage nicht entzogen. § 15 Abs. 1 Satz 1 SGB IV nF nimmt bezüglich der Frage der Höhe von Arbeitseinkommen auf die steuerrechtlichen Gewinnermittlungsvorschriften Bezug, sofern - dem Grunde nach - Einkünfte aus selbständiger Tätigkeit, also Arbeitseinkommen im sozialversicherungsrechtlichen Sinne, erzielt werden. Die Vorschrift schließt es damit aus, daß - soweit eine eigene selbständige Tätigkeit ausgeübt wird - der Gewinn hieraus für die Zwecke der Sozialversicherung anders ermittelt wird als im Einkommensteuerrecht; Einkommen ist vielmehr immer dann auch in der Sozialversicherung als (Arbeits-)Einkommen zu werten, wenn es „als solches nach dem Einkommensteuerrecht zu bewerten ist“ (vgl. a.a.O., Satz 2). Steuerliche Vergünstigungen schlagen mithin auf das Sozialversicherungsrecht durch bzw. können dort, wo das Steuerrecht Vergünstigungen nicht vorsieht, ebenfalls nicht berücksichtigt werden. Da es auf den nach den „allgemeinen Gewinnermittlungsvorschriften des Einkommensteuerrechts ermittelten Gewinn“ (vgl. Wortlaut des § 15 Abs. 1 Satz 1 SGB IV) im Einkommensteuerrecht (nur) bei den Einkünften aus Land- und Forstwirtschaft, Gewerbebetrieb und selbständiger Arbeit ankommt (vgl. § 2 Abs. 2 Nr. 1 EStG) folgt hieraus: Ist jemand selbständig tätig und erzielt er aus dieser selbständigen Tätigkeit einen steuerlichen Gewinn aus Land- und Forstwirtschaft, Gewerbebetrieb oder selbständiger Arbeit i.S. von § 2 Abs. 2 EStG liegt in Höhe des steuerlichen Gewinns auch Arbeitseinkommen i.S. von § 15 Abs. 1 Satz 1 SGB IV vor.
Hingegen kann § 15 SGB IV nicht entnommen werden, daß die steuerrechtliche Qualifizierung bestimmter Einkünfte als eine der sieben Einkunftsarten des § 2 EStG (Einkünfte aus Land- und Forstwirtschaft, aus Gewerbebetrieb, aus selbständiger Arbeit, aus nichtselbständiger Arbeit, aus Kapitalvermögen, aus Vermietung und Verpachtung und sonstige Einkünfte i.S. des § 22 EStG) auch darüber entscheidet, ob i.S. von § 15 SGB IV von einer selbständigen Tätigkeit und damit hieraus resultierender Einkünfte als Arbeitseinkommen auszugehen ist. Dies ergibt sich schon daraus, daß das Einkommensteuerrecht den Begriff des „Arbeitseinkommens“ nicht kennt. § 15 SGB IV liefe leer, wenn er im strengen Wortsinn darauf abstellte, daß Einkommen immer, aber auch nur dann als Arbeitseinkommen zu werten ist, wenn „es als solches“ nach dem Einkommensteuerrecht zu bewerten ist. Dies ist nie der Fall: Einkommen wird im Einkommensteuerrecht nicht als „Arbeitseinkommen“ bewertet, sondern allenfalls einer der o.g. Einkunftsarten zugerechnet.
c) Wäre der Begriff des Arbeitseinkommens - wie die Beklagte meint - stets identisch mit dem vom Finanzamt ermittelten Gewinn, würden einem Hinterbliebenen unter Umständen zudem auch Einkünfte als Erwerbseinkommen zugerechnet, die auf privater Vorsorge und damit auf der sog 3. Säule der Altersvorsorge beruhen. Diese sind nach dem System der §§ 18a ff. SGB IV aber gerade nicht zu den anrechenbaren Einkünften zu zählen.
Die steuerliche Behandlung der Einkünfte der Klägerin steht dem nicht entgegen: Die Zahlungen der F. KG an die Klägerin werden steuerrechtlich zwar als Gewinn aus selbständiger Arbeit bewertet. Letzteres ergibt sich jedoch nicht daraus, daß sie selbst bestimmte Tätigkeiten verrichtet, sondern aus Besonderheiten des Steuerrechts: Nach § 24 Nr. 2 EStG gehören zu den Einkünften i.S. des § 2 Abs. 1 EStG u.a. Einkünfte aus einer ehemaligen Tätigkeit i.S. des § 2 Abs. 1 Nrn. 1 bis 4 EStG, und zwar auch dann, wenn sie dem Steuerpflichtigen als Rechtsnachfolger zufließen. Hierbei kommt es steuerrechtlich nicht darauf an, ob diese Einkünfte - anders als hier - rechtlich gerade aus der Rechtsnachfolge in den Anspruch auf sie zustehen oder - wie hier - ein rechtlich originärer, nicht kraft Rechtsnachfolge übergegangener, sondern ein eigener Anspruch auf sie entstanden war und besteht. Maßgeblich ist steuerrechtlich vielmehr der wirtschaftliche Zusammenhang, der die faktische Grundlage für diese Einkünfte bildet (dazu unten).
§ 24 EStG ergänzt § 2 Abs. 1 Satz 2 EStG und bestimmt, zu welcher Einkunftsart die Einkünfte des Steuerpflichtigen im Einzelfall gehören. Aus diesem systematischen Verhältnis zu § 2 Abs. 1 Satz 2 EStG und dem Wort „auch“ in § 24 EStG ist zu entnehmen, daß die in der Vorschrift genannten Einnahmen aus steuerrechtlicher Sicht keine neue selbständige Einkunftsart bilden, sondern daß Ersatzeinnahmen unter dieselbe Einkunftsart fallen, zu der die ursprünglichen Einnahmen, wären sie erzielt worden, gehört hätten (vgl. BFHE 135, 488; Seeger in: Schmidt, EStG, 17. Aufl. 1998, § 24 Anm. 1 RdNr. 2; Stuhrmann in: Blümich, EStG-KStG-GewStG, Stand: Juni 1995, § 24 EStG RdNr. 2 m.w.N.). Die Ersatz- bzw. Nachfolgeeinkünfte i.S. des § 24 Nrn. 1 bis 3 EStG teilen damit das Besteuerungsschicksal der Ursprungseinkünfte; einerseits kommt auf sie die einschlägige Einkunftsart uneingeschränkt, d.h. mit all ihren Besteuerungseigenheiten (z.B. den besonderen Besteuerungsgrenzen, Steuerfreiheit, den Freibeträgen oder tariflichen Vergünstigungen) zur Anwendung; gehören andererseits die „ursprünglichen“ Einnahmen keiner der Einkunftsarten des § 2 EStG (einschließlich § 22 EStG) an, so bleiben auch die mit ihnen zusammenhängenden Ersatz- bzw. Nachfolgeeinnahmen außerhalb der Einkünfte des § 2 EStG und somit außerhalb der Einkommensbesteuerung (Zimmermann in: Frotscher, EStG, Stand: 16. Ergänzungslieferung Juni 1984, § 24 RdNr. 3 m.w.N.).
Einkünfte aus einer ehemaligen Tätigkeit i.S. von § 24 Nr. 2 EStG liegen vor, wenn die Einkünfte in wirtschaftlichem Zusammenhang mit der ehemaligen Tätigkeit stehen, insbesondere ein Entgelt für die im Rahmen der ehemaligen Tätigkeit vom Steuerpflichtigen erbrachte Leistung darstellen. Dies führt etwa dazu, daß die einem Rechtsanwalt für seine frühere Beratungstätigkeit bzw. bei dessen Tod seiner Ehefrau zugesagte Leibrente zu den freiberuflichen Einkünften gerechnet wird, und zwar als solche aus einer ehemaligen Tätigkeit, wenn die Beratungstätigkeit nicht mehr ausgeübt wird (vgl. BFHE 149, 563). Dementsprechend werden die Bezüge, die die Witwe eines Arztes aus einem bei einer Kassenärztlichen Vereinigung angesammelten Fonds erhält, als Einkünfte aus freiberuflicher Tätigkeit bewertet (BFHE 85, 442) und werden die an die Witwe eines selbständigen Handelsvertreters von einer Versicherungsgesellschaft gezahlten Versorgungsleistungen zu den nachträglichen Einkünften aus Gewerbebetrieb gerechnet und nicht zu den sonstigen Einkünften i.S. von § 22 Nr. 1 EStG (vgl. BFHE 118, 572).
Diese steuerrechtliche Beurteilung von bestimmten Einnahmen ändert indessen nichts daran, daß die Klägerin schon den in § 15 SGB IV vorausgesetzten Tatbestand einer selbständigen Tätigkeit selbst nicht erfüllt; ferner kommt eine Anrechnung über Forderungen gegen die F. KG auch nach dem Zweck der §§ 18a ff. SGB IV nicht in Betracht (dazu sogleich unter d).
d) Die Klägerin hat der Sache nach mit ihren Forderungen gegen die F. KG und ihren Zahlungsansprüchen gegen die Beklagte zwei Rechtspositionen, die ihrer Art. nach beide Unterhaltsersatzfunktion haben, während es bei § 18a Abs. 1 Nrn. 1 und 2 SGB IV der Sache nach allein darum geht, dasjenige Einkommen zu erfassen, „das der Hinterbliebene aus dem Einsatz seiner Arbeitskraft erzielt“ (so wörtlich und zutreffend BVerfGE 97, 271, 293 mit Hinweis auf die Gesetzesbegründung zu den §§ 18a ff. SGB IV in BT-Drucks. 10/2677, S. 43). Bezieht der Hinterbliebene aus Verwertung und Einsatz seiner Arbeitskraft - sei es als abhängig Beschäftigter, sei es als selbständig Tätiger - ein den (Anrechnungs-)Freibetrag übersteigendes Einkommen, sinkt oder fällt der am bisherigen Lebensstandard ausgerichtete Bedarf an wirtschaftlicher Sicherung gerade durch eine Hinterbliebenenrente (vgl. BVerfGE, a.a.O., S. 291). „Dagegen werden Leistungen der Zusatzversorgung sowie Leistungen aus privaten Systemen einschließlich der privatrechtlichen Altersversorgung von der Anrechnung verschont“ (so richtig BVerfGE, a.a.O., S. 293).
Diese Beschränkung anrechenbaren Einkommens auf solche Einnahmen, die „der Hinterbliebene aus dem Einsatz seiner Arbeitskraft erzielt“ (vgl. BVerfG, a.a.O.) muß auch schon bei der Auslegung von § 15 Abs. 1 SGB IV berücksichtigt werden; insbesondere kann auf das Vorliegen der Tatbestandsvoraussetzung der „selbständigen Tätigkeit“ und damit auf den Einsatz eigener Arbeitskraft nicht allein deshalb verzichtet werden, weil der Betroffene bei Anwendung der Rechtsfolge aus steuerrechtlicher Sicht einen Gewinn erzielt hat und § 15 SGB IV zur Ermittlung (nur) der konkreten Höhe von Arbeitseinkommen eine Tatbestandswirkung des Steuerbescheides anordnet. Denn die Rechtsfolge greift nach allem nur ein, wenn der Betroffene den Tatbestand des Zuflusses von Einkünften „aus einer selbständigen Tätigkeit“ selbst erfüllt.
3. Schließlich handelt es sich bei den Forderungen der Klägerin gegen die F. KG auch nicht um dem Arbeitsentgelt oder Arbeitseinkommen „vergleichbare Einnahmen“ i.S. von § 18a Abs. 2 Satz 1 SGB IV, zumal das Kriterium der Vergleichbarkeit insoweit in den Früchten des „Einsatzes der eigenen Arbeitskraft“ zu sehen ist.
Nach allem ist der Tatbestand der Eingriffsermächtigung des § 97 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB VI schon mangels eines „Einkommens (§§ 18a bis 18e SGB IV)“ der Berechtigten nicht erfüllt. Eine Anrechnung solcher steuerlichen Gewinne auf eine Hinterbliebenenrente, die - wie im Falle der Klägerin - weder auf abhängiger Beschäftigung i.S. von § 14 SGB IV noch auf selbständiger Tätigkeit i.S. von § 15 SGB IV beruhen, war der Beklagten also nicht erlaubt.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.