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12 RK 70/81

Gründe I.

Die Beteiligten streiten darüber, ob der Kläger berechtigt ist, Beiträge nach Art. 2 § 50 des Angestelltenversicherungs-Neuregelungsgesetzes (AnVNG) nachzuentrichten, obwohl er innerhalb der Ausschlußfrist, (3 Jahre nach der Vertreibung oder einer Ersatzzeit i.S. des § 28 Abs.. 1 Nr. 6 des Angestelltenversicherungsgesetzes - AVG -) nicht im Geltungsbereich des AnVNG, sondern lediglich in Frankreich eine versicherungspflichtige Beschäftigung ausgeübt hat, für die Beiträge entrichtet wurden.

Der Kläger ist Inhaber des Ausweises A für Vertriebene und Flüchtlinge. Er hatte vor seiner Einberufung zur Wehrmacht im März 1941 auf dem elterlichen Hof in R./CSSR gearbeitet. Nach dem Tode seines Vaters wurde ihm dieser Hof als Anerbe aufgrund des Reichserbhofgesetzes durch „Einantwortungsurkunde“ vom 27. August 1943 zugewiesen. Im April 1945 geriet der Kläger in französische Kriegsgefangenschaft. Aus dieser wurde er am 10. September 1947 entlassen, blieb aber in Frankreich und übte dort bis zum 21. Mai 1952 eine versicherungspflichtige Beschäftigung in einem „freien“ Arbeitsverhältnis aus. (Der darüber geschlossene erste Arbeitsvertrag lief am 10. September 1948 aus.) Für ihn wurden Pflichtbeiträge zur französischen Rentenversicherung entrichtet. Erst nach seiner Übersiedlung in die Bundesrepublik Deutschland am 24. Mai 1952 wurden für ihn ab 16. Juni 1952 Pflichtbeiträge zur deutschen Rentenversicherung entrichtet.

Im September 1977 beantragte der Kläger die Nachentrichtung freiwilliger Beiträge nach Art. 2 § 50 AnVNG. Die Beklagte lehnte diesen Antrag jedoch ab, weil der Kläger nicht innerhalb von 3 Jahren nach der Vertreibung eine versicherungspflichtige Beschäftigung in der Bundesrepublik Deutschland aufgenommen habe (Bescheid vom 16. Februar 1978, Widerspruchsbescheid vom 21. Juni 1978).

Die Klage hatte Erfolg (Urteil des Sozialgerichts - SG - Mannheim vom 30. Mai 1980). Auf die Berufung der Beklagten wurde dieses Urteil jedoch aufgehoben und die Klage abgewiesen (Urteil des Landessozialgerichts - LSG - Baden-Württemberg vom 29. September 1981). Das LSG hat die Auffassung vertreten, daß die Nachentrichtungsberechtigung nach der genannten Vorschrift nur durch eine versicherungspflichtige Beschäftigung im Geltungsbereich des AnVNG, für die auch tatsächlich Beiträge entrichtet worden sind, begründet werde.

Mit der Revision macht der Kläger geltend, daß die Entscheidung des LSG gegen EG-Recht verstoße. Der Kläger sei erst 1952 in die Bundesrepublik übersiedelt, weil es ihm vorher nicht gelungen sei, einen Arbeitsplatz zu finden. Er habe deshalb das in Frankreich begründete Arbeitsverhältnis fortgeführt. Die dafür entrichteten Beiträge seien nach Art. 9 Abs.. 2 der EWG-Verordnung (EWG-VO) Nr. 1408/71 für die freiwillige Versicherung deutschen Beiträgen gleichzustellen. Wegen der Auslegung dieser Vorschrift regt der Kläger an, gem. Art. 177 des EWG-Vertrages den Europäischen Gerichtshof (EuGH) anzurufen.

Der Kläger beantragt,

  • das Urteil des LSG aufzuheben und die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des SG zurückzuweisen.

Die Beklagte beantragt,

  • die Revision zurückzuweisen.

Sie ist der Auffassung, daß Art. 9 Abs.. 2 EWG-VO 1408/71 hier nicht anzuwenden sei. Es handele sich nicht um die Anrechung von Vorversicherungszeiten schlechthin, sondern um die Begründung eines Status als Versicherter durch Entrichtung zumindest eines deutschen Versicherungsbeitrages. Die Anknüpfung an diesen Status sei aber nach einem bereits vorliegenden Urteil des EuGH vom 27. Januar 1981 (Rechtssache 70/80) zulässig.

Beide Beteiligten haben sich damit einverstanden erklärt, daß der Rechtsstreit durch Urteil ohne mündliche Verhandlung (§ 124 Abs.. 2 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG -) entschieden wird.

Gründe II.

Die Revision ist unbegründet. Der Kläger ist nicht berechtigt, nach Art. 2 § 50 AnVNG Beiträge nachzuentrichten. Nach dieser Vorschrift sind u.a. Vertriebene im Sinne der §§ 1 bis 4 des Bundesvertriebenengesetzes (BVFG) zur Nachentrichtung von Beiträgen berechtigt, wenn sie vor der Vertreibung als Selbständige erwerbstätig waren und nach der Vertreibung binnen drei Jahren ein versicherungspflichtige Beschäftigung oder Tätigkeit aufgenommen haben.

Der Kläger ist Vertriebener. Er war auch vor der Vertreibung i.S. der genannten Vorschrift „als Selbständiger erwerbstätig“, obwohl er diese Tätigkeit wegen der Einberufung zum Wehrdienst nicht ausüben konnte. Entscheidend ist, daß er vor der Vertreibung Eigentümer eines landwirtschaftlichen Anwesens war, das seinem Lebensunterhalt diente, und daß dieser Hof für ihn verwaltet wurde (vgl. dazu Urteil des Senats vom 17. März 1981 - 12 RK 2/80 -).

Der Kläger hat jedoch nicht innerhalb von drei Jahren nach dem Ende der Vertreibung eine versicherungspflichtige Beschäftigung oder Tätigkeit aufgenommen. Dabei kann hier dahinstehen, mit welchem genauen Zeitpunkt für den Kläger die Vertreibung geendet hat. Insbesondere ist nicht zu entscheiden, ob auch andere Ersatzzeittatbestände des § 28 AVG als dessen Nr. 6, wie zum Beispiel Kriegsgefangenschaft und anschließende Krankheit oder Arbeitslosigkeit, den Beginn des Drei-Jahres-Zeitraums hinausschieben; denn selbst wenn man von dem Zeitpunkt ausgeht, in dem der Kläger in ein „freies“ Arbeitsverhältnis übergewechselt ist (10. September 1947) und diesen Zeitpunkt mit der Beklagten und dem LSG noch einmal um ein Jahr verschiebt, weil der Kläger erst dann Frankreich verlassen konnte, sind die Voraussetzungen des Art. 2 § 50 AnVNG nicht erfüllt. Der Kläger hat erst im Juni 1952 eine versicherungspflichtige Beschäftigung im Bundesgebiet aufgenommen. Unter versicherungspflichtiger Beschäftigung im Sinne von Art. 2 § 50 AnVNG ist nämlich - auch wenn dies aus dem Wortlaut des Gesetzes nicht eindeutig hervorgeht - nur eine Beschäftigung zu verstehen, die nach dem im Geltungsbereich des AnVNG geltenden Recht Versicherungspflicht begründet und für die auch tatsächlich Pflichtbeiträge zur deutschen Rentenversicherung entrichtet worden sind.

Der Gesetzgeber hat nicht alle Vertriebenen, die durch Kriegsereignisse oder die Vertreibung ihre Selbständigkeit verloren haben, begünstigen wollen. Er hat vielmehr unter Berücksichtigung des Eingliederungsgedankens den Kreis der Berechtigten beschränkt. Nicht einbezogen sind - trotz Gleichstellung von Zeiten der Beschäftigung in den Vertreibungsgebieten oder der DDR nach dem Fremdrentengesetz - Personen, die lediglich dort Beiträge entrichtet haben (Urteil des erkennenden Senats vom 24. September 1981 - 12 RK 48/80 -; vgl. ferner BSG SozR Nrn. 3, 6 und 7 zu Art. 2 § 52 ArVNG); nicht einbezogen sind ferner Personen, die erst nach Ablauf der drei Jahre mit einer versicherungspflichtigen Beschäftigung begonnen haben. Dabei spielen die Gründe der Verzögerung nach dem Gesetz keine Rolle.

Eine planwidrige Lücke kann dem Gesetz insoweit nicht entnommen werden, auch wenn die Ergebnisse nicht in vollem Umfang befriedigen mögen. Zweck der in Art. 2 § 50 AnVNG gewährten besonderen Rechte - sowohl der Erleichterung der Weiterversicherung als auch des Nachentrichtungsrechts - war es nur, den ehemals Selbständigen zu ermöglichen, die Verbindung mit der deutschen Rentenversicherung, die sie nach ihrer Vertreibung durch die Aufnahme einer versicherungspflichtigen Beschäftigung hergestellt hatten, zu einer ausreichenden Versicherung auszugestalten (BT-Drucks. II/2437, S. 86, Begründung zu § 1418 Abs.. 3, dem späteren Art. 2 § 52 ArVNG = Art. 2 § 50 AnVNG). Das erfordert nicht nur die Aufnahme einer versicherungspflichtigen Beschäftigung im Gebiet der Bundesrepublik oder in Westberlin, sondern auch die tatsächliche Entrichtung von Beiträgen zur deutschen Rentenversicherung. Daß diese Regelung sowohl im Grundsatz als auch in ihrer Einzelausgestaltung mit Art. 3 des Grundgesetzes (GG) vereinbar ist, hat das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) bereits entschieden (BVerfG Beschluß vom 15. Mai 1979 - 1 BvR 545/78 - SozR 5750 Art. 2 § 52 Nr. 4).

Die Berechtigung des Klägers zu der beantragten Nachentrichtung von Beiträgen ergibt sich auch nicht aus dem EG-Recht, wie das LSG zutreffend entschieden hat. Art. 9, Abs.. 2 EWG-VO 1408/71, der eine in einem Mitgliedsstaat (und damit auch eine in der französischen Sozialversicherung) zurückgelegte Versicherungszeit einer Versicherungszeit gleichstellt, die nach dem Recht eines anderen Mitgliedsstaats zurückgelegt ist und dort als Vorversicherungszeit für eine freiwillige Versicherung oder Weiterversicherung gefordert wird, betrifft nicht die Nachentrichtung nach Art. 2 § 50 AnVNG. Diese Vorschrift fordert nicht eine Vorversicherungszeit, sondern - wie die Beklagte zu Recht hervorhebt - die Begründung des Status als Versicherter des deutschen Rentenversicherungssystems durch die Entrichtung zumindest eines Pflichtbeitrags. Es könnte zwar fraglich sein, ob das nationale Recht generell als Voraussetzung der freiwilligen Versicherung einen derartigen Status fordern darf. Zur Regelung der Verhältnisse einzelner Personengruppen, denen aus bestimmten, im nationalen Bereich wurzelnden Gründen besondere Vergünstigungen gewährt werden, ist diese Begrenzung jedoch - wie der EuGH bereits in anderem Zusammenhang entschieden hat (Rechtssache 70/80, SozR 6050 Art. 4 Nr. 12) - nicht zu beanstanden.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

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