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11 RA 48/81

Tatbestand

Der 1913 geborene Kläger gehört zum Personenkreis der rassisch Verfolgten; er ist wegen Schadens im beruflichen Fortkommen nach dem Bundesentschädigungsgesetz (BEG) entschädigt worden.

Vom 1. April 1930 bis 31. März 1933 absolvierte der Kläger die Zahntechnikerlehre. Im Anschluß daran war er bei dem Dentisten B bis zum 30. April 1938 als Zahntechniker oder Dentisten-Assistenten tätig. Danach wollte er ein Lehrinstitut für Dentisten besuchen. Da ihm das mißlang, arbeitete er vom 1. Juli 1938 an wieder als Zahntechniker, und zwar von Dezember 1938 bis Oktober 1945 in einem Laboratorium für Zahnprothesen. Für die Zeit vom 1. Mai 1933 bis 30. April 1938 sind für den Kläger Beiträge zur Angestelltenversicherung entrichtet, seit November 1935 durchwegs solche der Klasse C; für die Zeit vom 1. Juli 1938 bis 30. März 1945 sind Beiträge zur Invalidenversicherung entrichtet, zunächst solche der Klassen VI und VIII und ab Dezember 1938 bis zur Einführung des Lohnabzugsverfahrens solche der Klasse IX.

Die Beklagte gewährt dem Kläger ab 1. September 1978 ein Altersruhegeld; dabei berücksichtigte sie die Zeiten von 1938 bis 1945 nach Maßgabe der dafür entrichteten Beiträge. Mit der nach erfolglosem Widerspruch erhobenen Klage verlangt der Kläger unter Berufung auf § 14 des Gesetzes zur Regelung der Wiedergutmachung nationalsozialistischen Unrechts in der Sozialversicherung (WGSVG), daß die Zeit vom 1. Juni 1938 bis 30. April 1945 als Beitragszeit in der Rentenversicherung der Angestellten unter Zugrundelegung der Leistungsgruppe 2 der Anlage zu § 22 Fremdrentengesetz (FRG) berücksichtigt wird. Zur Begründung machte er geltend, er sei aus Verfolgungsgründen gehindert gewesen, als Dentist tätig zu sein und ein wesentlich höheres Einkommen zu erzielen.

Die Klage hatte in den beiden ersten Rechtszügen keinen Erfolg. Zur Begründung seiner Entscheidung hat das Landessozialgericht (LSG) ausgeführt, der Kläger habe keinen nach dem WGSVG auszugleichenden Schaden erlitten. Daß der Kläger nicht in der Angestelltenversicherung, sondern in der Invalidenversicherung versichert worden sei, liege daran, daß er in dieser Zeit nicht bei einem Dentisten, sondern in einem Zahnlabor gearbeitet habe. Dort habe er kein niedrigeres Entgelt erhalten als ein vergleichbarer nicht verfolgter Arbeitnehmer; außerdem seien für ihn Beitragsmarken der damals höchsten Klasse der Invalidenversicherung entrichtet worden, daß der Kläger seine Absicht, Dentist zu werden, nicht habe durchsetzen können. Der Kläger habe weder vorgetragen noch glaubhaft gemacht, daß er aus Verfolgungsgründen seine Beschäftigung bei dem Dentisten B verloren und nur eine solche in einem auf die handwerksmäßige Herstellung von Zahnersatz gerichteten Betrieb habe aufnehmen können. Er habe sich auch nicht dazu geäußert, welchen Tätigkeiten er zwischen dem Ausscheiden beim Dentisten B und der Aufnahme seiner Beschäftigung im Zahnlabor nachgegangen sei.

Mit der vom LSG zugelassenen Revision rügt der Kläger eine unzureichende Sachaufklärung und eine Verletzung von § 14 WGSVG. Das LSG habe den Unterschied zwischen einem Zahntechniker und einem Dentisten-Assistenten, dessen Berufsziel der dem Zahnarzt gleichgestellte Dentist gewesen sei, verkannt. Es habe daher zu Unrecht angenommen, der Kläger sei nach Abschluß seiner Lehrzeit stets als Zahntechniker tätig gewesen. Eine Vernehmung des Klägers würde ergeben haben, daß der Dentist B. wegen seiner Wahl zum Vorsitzenden der Dentisten sich vom Kläger getrennt habe, daß der Kläger dann aus Verfolgungsgründen keinen Arbeitsplatz bei einem anderen Dentisten gefunden habe und deswegen genötigt gewesen sei, in einem handwerklichen Betrieb zu arbeiten.

Der Kläger beantragt,

  • die Urteile der Vorinstanzen sowie den angefochtenen Bescheid in Gestalt des Widerspruchsbescheides aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, die Zeit vom 1. Juni 1938 bis 30. April 1945 als Beitragszeit in der Rentenversicherung der Angestellten unter Zugrundelegung der Werte der Leistungsgruppe 2 der Anlage zu § 22 FRG zu berücksichtigen.

Die Beklagte beantragt,

  • die Revision zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

Die Revision ist nicht begründet. Das angefochtene Urteil ist, auch wenn es die in Betracht gezogenen Anspruchsgrundlagen nicht immer mit der wünschenswerten Klarheit hervorgehoben hat, jedenfalls im Ergebnis nicht zu beanstanden; das Begehren des Klägers findet weder in § 13 WGSVG noch in § 14 WGSVG noch in einer anderen Vorschrift dieses Gesetzes eine Stütze.

Aus § 13 WGSVG kann der Kläger Rechte schon deswegen nicht herleiten, weil sich diese Vorschrift (in beiden Absätzen) allein auf die Bewertung von „Verfolgungszeiten“ bezieht. Nach dem WGSVG sind Verfolgungszeiten aber allein die in § 28 Abs. 1 Nr. 4 des Angestelltenversicherungsgesetzes (AVG) aufgezählten Ersatzzeiten (§ 1 Abs. 2 Buchst. a WGSVG). Um solche Zeiten (Freiheitsentziehung, Freiheitsbeschränkung, Krankheit, Arbeitslosigkeit, Auslandsaufenthalt) handelt es sich hier nicht. Allenfalls der Monat Juni 1938 käme als Verfolgungszeit im genannten Sinne in Betracht, wenn der Kläger aus Verfolgungsgründen damals unverschuldet arbeitslos gewesen wäre. Das LSG hat nach seinen Ausführungen jedoch nicht festzustellen vermocht, daß die Nichtausübung einer Beschäftigung in diesem Monat eine verfolgungsbedingte Arbeitslosigkeit darstellte. An die damit verbundenen tatsächlichen Feststellungen ist der Senat, da der Kläger zulässige und begründete Revisionsgründe dagegen nicht vorgebracht hat, gebunden (§ 163 des Sozialgerichtsgesetzes -SGG-). Zwar hat der Kläger erstmals im Revisionsverfahren geltend gemacht, er habe, was seine Vernehmung ergeben haben würde, seinen Arbeitsplatz bei dem Dentisten B. wegen dessen Wahl zum Vorsitzenden der Dentisten verloren und dann keinen Arbeitsplatz bei einem anderen Dentisten gefunden. Insoweit fehlt es aber an der für die Rüge einer Verletzung von § 103 SGG erforderlichen Darlegung, daß das LSG aufgrund des ihm vorliegenden, einschließlich des vom Kläger unterbreiteten Prozeßstoffes zu einer weiteren Sachaufklärung in dieser Hinsicht gedrängt gewesen wäre (vgl. SozR 1500 § 160a Nr. 34), insbesondere warum der Kläger diese Angaben nicht schon vor dem LSG vorbringen konnte. Das Vorbringen kann daher als neuer Sachvortrag im Revisionsverfahren nicht berücksichtigt werden.

Auch § 14 WGSVG bietet dem Verlangen des Klägers keine Grundlage. Das Vorliegen eines dem Absatz 2 dieser Vorschrift zuzuordnenden Sachverhalts (Beschäftigung ohne Beiträge) scheidet von vornherein aus. § 14 Abs. 1 WGSVG setzt in seinem Satz 1 voraus, daß der Verfolgte aus Verfolgungsgründen ein geringeres Arbeitsentgelt als ein nicht verfolgter Versicherter für eine gleichartige Beschäftigung erhalten hat. Nach dem vom LSG festgestellten Sachverhalt hat der Kläger in der streitigen Zeit kein geringeres Arbeitsentgelt als gleichartig Beschäftigte erhalten. Der verbleibende Satz 2 von § 14 Abs. 1 WGSVG schließlich verlangt nach dem Gesetzeswortlaut, daß der Verfolgte für die von ihm ausgeübte Beschäftigung aus Verfolgungsgründen ein geringeres Entgelt erhalten hat, als er bei Zugrundelegung der vorher ausgeübten Beschäftigung ohne Verfolgung erhalten hätte. Daß dies hier der Fall war, hat das LSG ebenfalls verneint; insoweit hat der Kläger auch im Revisionsverfahren nicht vorgetragen, daß er in den streitigen Zeiten ein geringeres Arbeitsentgelt erhalten habe als während der Beschäftigung bei dem Dentisten B. Dies wird im wesentlichen auch durch die dort und die später entrichteten Beiträge bestätigt. Die Beitragsklasse C der Angestelltenversicherung galt nämlich damals für Arbeitsverdienste von mehr als 100,00 RM bis zu 200,00 RM, die Beitragsklassen VIII und IX der Invalidenversicherung galten demgegenüber für wöchentliche Verdienste von mehr als 42,00 RM bis 48,00 RM bzw. mehr als 48,00 RM. Ein geringeres Arbeitsentgelt als früher könnte der Kläger allein während der kurzzeitigen Entrichtung von Beiträgen der Klasse VI (Entgelt von wöchentlich 30,00 bis 36,00 RM) erzielt haben; insoweit fehlt es aber an der Feststellung eines verfolgungsbedingten Grundes; ein solcher kann jedenfalls nicht schon in dem verwehrten Institutsbesuch gesehen werden, weil für ein Nichtwiedererlangen des früheren Arbeitsentgeltes das - nicht verfolgungsbedingte - Ausscheiden aus der Beschäftigung bei B die wesentliche Ursache gewesen wäre.

Allerdings ist § 14 Abs. 1 Satz 2 WGSVG nach seinem Sinn und Zweck auch dann anzuwenden, daß der Versicherte trotz gleichgebliebenen Arbeitsentgeltes dadurch einen rentenversicherungsrechtlichen Nachteil erlitten hat, daß er durch Verfolgungsmaßnahmen in einen anderen Zweig der gesetzlichen Rentenversicherungen abgedrängt worden ist, in dem für das Arbeitsentgelt nicht mehr in gleichem Umfange wie im früheren Versicherungszweig Beiträge entrichtet worden sind. An einem derartigen Nachteil fehlt es aber hier schon deshalb, weil die Beitragsleistung in der streitigen Zeit, wie der Vergleich der Beitragsklassen zeigt, bei gleichem Arbeitsentgelt nicht hinter der Beitragsleistung während der Beschäftigung bei dem Dentisten B zurückbleibt; wäre der Kläger weiterhin versicherungspflichtig in der Angestelltenversicherung geblieben, so wären bei Zugrundelegung seiner bis dahin erzielten Beiträge von keinem höheren Entgelt Beiträge zu entrichten gewesen als dem, von dem tatsächlich Beiträge entrichtet worden sind (zur Steigerungswirkung vgl. Anlage 1 zu § 1255 Reichsversicherungsordnung - RVO - und § 32 AVG).

Daß der Kläger - wovon das LSG offenbar ausgegangen ist - durch Verfolgungsmaßnahmen gehindert worden ist, die Ausbildung am Lehrinstitut für Dentisten aufzunehmen und deswegen nicht Dentist werden konnte, muß bei Anwendung von § 14 WGSVG außer Betracht bleiben. Diese Vorschrift bietet keine Grundlage für die Entschädigung einer durch Verfolgungsmaßnahmen verhinderten Ausbildung und eines infolgedessen unterbliebenen beruflichen Aufstiegs; hierbei handelt es sich vielmehr um einen außerhalb des Regelungsbereichs des WGSVG nach dem BEG zu entschädigenden Schaden im beruflichen Fortkommen. Im übrigen sind auch keine rentenversicherungsrechtlichen Nachteile erkennbar. Die Zeit einer Ausbildung am Lehrinstitut für Dentisten wäre nämlich für eine Beitragsleistung ausgefallen und als selbständiger Dentist hätte der Kläger keiner Versicherungspflicht unterlegen.

Keinen Erfolg kann schließlich die Verfahrensrüge des Klägers haben, soweit sie sich auf die Unterschiede zwischen den in Betracht kommenden Berufen der Zahnheilkunde bezieht. Ob das LSG die vorgetragenen Unterschiede zutreffend aufgefaßt hat, ist für die Entscheidung des Rechtsstreits ohne Bedeutung. Denn auch wenn man davon ausgeht, daß die Tätigkeit im Zahnlabor ihrer Art nach von der bei einem Dentisten wesentlich verschieden war, so hat diese Verschiedenheit doch weder in der Höhe des Entgelts noch in der Beitragsleistung einen Niederschlag gefunden.

Nach alledem war die Revision mit der sich aus § 193 SGG ergebenden Kostenfolge zurückzuweisen (§ 170 Abs. 1 Satz 2 SGG).

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