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11 RA 29/81

Tatbestand

Streitig ist, ob die Beklagte die Zahlung von Witwenrente an die Klägerin für die Zeit vor Dezember 1970 wegen Verjährung verweigern darf.

Die Klägerin hat im Juni 1934 in Buenos Aires mit dem 1909 geborenen Versicherten die Ehe geschlossen. Dieser hielt sich nach Anfang 1939 wieder in Südamerika auf. Im Januar 1946 heiratete er in Chile die damalige chilenische Staatsangehörige I. geb. K; bei der Eheschließung gab er an, er sei Junggeselle. Am 20. Juli 1952 verstarb der Versicherte in Santiago de Chile; er war bis zu seinem Tode deutscher Staatsangehöriger.

Die Klägerin stellte im November 1974, die I.Z. im Dezember 1975 Antrag auf Hinterbliebenenrente. Die Beklagte bewilligte im April 1977 der I.Z. Witwenrente ab 1. Januar 1972; für die voraufgegangene Zeit berief sie sich auf Verjährung. Dagegen lehnte die Beklagte den Antrag der Klägerin im März 1977 mit der Begründung ab, es sei nicht nachgewiesen, daß zur Zeit des Todes des Versicherten zwischen diesem und der Klägerin noch eine rechtsgültige Ehe bestanden habe.

Auf die dagegen erhobene Klage verurteilte das Sozialgericht (SG) Berlin nach Beiladung der I.Z. durch rechtskräftiges Urteil vom 24. September 1979 die Beklagte, „der Klägerin ab 20. Juli 1952 eine Witwenrente nach dem Versicherten H.Z. zu gewähren“. Zur Begründung führte das SG aus, obgleich eine Annullierung der Ehe der Klägerin mit dem Versicherten nach südamerikanischem Recht stattgefunden haben müsse, habe nach dem allein maßgebenden deutschen Recht die Ehe bis zum Tode des Versicherten fortbestanden. Die Klägerin sei daher dessen Witwe; sie erfülle die Voraussetzungen des § 41 des Angestelltenversicherungsgesetzes (AVG). Die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen für die Gewährung der Rente ergäben sich aus § 40 Abs. 2 AVG i.V.m. § 17 AnVNG (Art. 2). Der Rentenbeginn ergebe sich aus § 67 Abs. 1 AVG. Das Gericht habe nicht zu entscheiden, ob zwei volle Witwenrenten zu gewähren oder ob eine Quotierung durchzuführen sei; es gehe allein um die Berechtigung der Klägerin; Überlegungen der Beklagten über den Umfang der Rentengewährung seien weiteren Verwaltungsentscheidungen vorbehalten.

Im Bescheid vom 18. Januar 1980 bewilligte darauf die Beklagte der Klägerin Witwenrente (als Umstellungsrente i.S. des Art. 2 § 33 AnVNG) ab dem 1. Januar 1957, erhob jedoch für die Zeit bis einschließlich November 1970 die Einrede der Verjährung. Die insoweit von der Klägerin beantragte Einleitung von Vollstreckungsmaßnahmen gegen die Beklagte lehnte das SG ab, weil durch den Leistungsbescheid das Urteil vollständig ausgeführt sei; das Landessozialgericht (LSG) wies die Beschwerde zurück, weil die Auszahlung der einzelnen Leistung nicht mit der Zwangsvollstreckung aus einem Grundurteil erzwungen werden könne.

Die daraufhin nach erfolglosem Widerspruch gegen den Bescheid vom 18. Januar 1980 erhobene, auf Zahlung der Witwenrente ab Juli 1952 gerichtete Klage hatte vor dem SG keinen Erfolg (Urteil des SG vom 12. Januar 1981). Nach der Ansicht des SG hat die Beklagte im angefochtenen Bescheid die Einrede der Verjährung rechtswirksam erhoben. Der sich aus diesem Bescheid erstmals ergebende Leistungsanspruch sei mit dem Klageanspruch des früheren Verfahrens nicht identisch. Dort sei streitig gewesen, ob die Klägerin überhaupt Witwe des Versicherten sei. Entsprechend der Interessenlage der Beteiligten habe das SG ein Grundurteil gemäß § 130 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) erlassen; dadurch sei der Streitgegenstand auf den Grund des Anspruchs begrenzt worden. Über diesen Urteilsinhalt gehe der die Leistung der Höhe nach festsetzende Bescheid hinaus. Die nun der Höhe nach festgesetzte Leistung sei eine erst nach Rechtskraft des ersten Urteils entstandene Leistung, die nach § 45 Abs. 1 Sozialgesetzbuch (SGB) I für die streitige Zeit verweigert werden dürfe.

Mit der vom SG zugelassenen Revision macht die Klägerin geltend, der Entscheidungssatz des Urteils vom 24. September 1979 schließe nach seinem eindeutigen Wortlaut im Einklang mit den Entscheidungsgründen die nachträgliche Erhebung der Verjährungseinrede aus. Das SG habe zu Unrecht dem früheren Urteil anhaftende Fehler dadurch auszugleichen versucht, daß es der Verjährungseinrede stattgegeben habe.

Die Klägerin beantragt,

  • das Urteil des SG vom 12. Januar 1981 aufzuheben, den Bescheid vom 18. Januar 1980 zu ändern, den Widerspruchsbescheid vom 26. Juni 1980 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, die gewährte Witwenrente auch für die Zeit von Juli 1952 bis einschließlich November 1970 zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

  • die Revision zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

Die Revision ist begründet; das SG hat verkannt, daß die Rechtskraft des Urteils vom 24. September 1979 die nachträgliche Erhebung der Verjährungseinrede durch die Beklagte ausschließt.

Nach § 141 Abs. 1 SGG binden rechtskräftige Urteile die Beteiligten, soweit über den Streitgegenstand entschieden worden ist. Die Klägerin hatte in dem durch das Urteil vom 24. September 1979 abgeschlossenen Verfahren eine verbundene Anfechtungs- und Leistungsklage (§ 54 Abs. 4 SGG) erhoben. Streitgegenstand dieser Klage waren die Behauptung der Klägerin, der die Witwenrente ablehnende Bescheid sei rechtswidrig, und ihr Begehren, die Verpflichtung der Beklagten zur Gewährung (Leistung) der Witwenrente ab 20. Juli 1952 auszusprechen. Dem steht nicht entgegen, daß im wesentlichen über die Frage gestritten wurde, ob die Klägerin überhaupt Witwe des Versicherten ist; auch wenn diese Frage im Vordergrund stand, war sie gleichwohl nur ein Streitpunkt innerhalb des bezeichneten Streitgegenstandes.

Über die damalige Klage hat das SG durch ein Grundurteil i.S. des § 130 SGG entschieden. Nach dessen Satz 1 kann, wenn gem. § 54 Abs. 4 SGG eine Leistung in Geld begehrt wird, auf die ein Rechtsanspruch besteht, auch zur Leistung nur dem Grunde nach verurteilt werden. Das bedeutet, daß sich das Gericht auf die Feststellung des Leistungsanspruchs dem Grunde nach beschränken darf; nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts - BSG - (SozR Nrn. 2, 3 und 4 zu § 130 SGG) muß es dann allerdings über den Grund und nicht nur über einzelne Anspruchsvoraussetzungen entscheiden und überdies eine Mindesthöhe für wahrscheinlich halten. Der Senat braucht im vorliegenden Fall nicht allgemein abzugrenzen, was hiernach zu dem bei einem Grundurteil festzustellenden Grund eines Leistungsanspruchs gehört. Wenn eine Rente im ganzen streitig ist, gehören zum Grund des Anspruchs jedenfalls nicht nur die Voraussetzungen des Stammrechts, sondern auch die Voraussetzungen für die monatlichen Rentenzahlungen.

In dem Urteil vom 24. September 1979 hat das SG sowohl die Voraussetzungen des Rentenstammrechts als auch die Voraussetzungen für die monatlichen Rentenzahlungen ab dem 20. Juli 1952 für gegeben erachtet. Die Formel des Urteils spricht eindeutig aus, daß die Rente ab diesem Datum „zu gewähren“ sei. Darin liegt eine Entscheidung über den Beginn der Rentenzahlung. Zwar kann der vom Gesetzgeber verschiedentlich gebrauchte Begriff der „Gewährung“ auch die Deutung zulassen, daß nicht stets die Erfüllung des Anspruchs, sondern mitunter nur die Verwirklichung der Tatsachenbestandsmerkmale, von deren Gegebensein die Entstehung des Rechts abhängt, gemeint ist (BSGE 28, 214, 215). Hier geht es aber nicht darum, welcher Sinn dem Begriff des „Gewährens“ im einen oder anderen Zusammenhang des Gesetzes zukommt, sondern allein um die Auslegung der Urteilsformel. Dabei fällt ins Gewicht, daß der auf die erhobene Anfechtungs- und Leistungsklage ergangene Urteilsspruch genau dem dortigen Antrag der Klägerin entsprach. Das SG mußte davon ausgehen, daß die Klägerin damit die tatsächliche Zahlung der Rente ab 20. Juli 1952 begehrte; entsprach es diesem Antrag, so kann das nur dahin verstanden werden, daß es die Voraussetzungen für die Rentenzahlung ab diesem Datum bejahen wollte. Aus den Entscheidungsgründen ergibt sich nichts anderes. Wenn es dort insbesondere heißt: „Der Rentenbeginn ergibt sich aus § 67 Abs. 1 AVG“, so ist das zwar für die Zeit vor dem 1. Januar 1957 unzutreffend; gleichwohl hat das SG damit ersichtlich die Erwägung mitteilen wollen, auf die es die Verurteilung zur „Gewährung“ der Rente ab 20. Juli 1952 gegründet hat; es hat diesen Teil seines Urteilsspruchs sonach auch nach den Entscheidungsgründen als eine Entscheidung über den Rentenbeginn, also das Einsetzen der Rentenzahlung, und nicht nur über den Zeitpunkt der Entstehung des Rentenstammrechts aufgefaßt. Die späteren Ausführungen in den Entscheidungsgründen, daß „Überlegungen der Beklagten über den Umfang der Rentengewährung ... weiteren Verwaltungsentscheidungen der Beklagten vorbehalten“ seien, beziehen sich nach dem Zusammenhang allein noch auf die Rentenhöhe, insbesondere auf die Frage einer etwaigen Anwendung von § 45 Abs. 4 AVG.

Hat aber sonach das SG im rechtskräftig gewordenen Urteil vom 24. September 1979 auch die Voraussetzungen für die einzelnen monatlichen Rentenzahlungen ab dem 20. Juli 1952 bejaht, so war die Beklagte durch die aus der Rechtskraft abgeleitete „Präklusionswirkung“ dieses Grundurteils gehindert, in dem Ausführungsbescheid vom 18. Januar 1980 für die Zeit vor Dezember 1970 erstmalig gegenüber der Klägerin die Verjährungseinrede zu erheben. Die Rechtskraft schließt, wie sich aus ihrem Sinn (Schaffung von Rechtsfrieden) und einem Rückschluß aus § 767 Abs. 2 der Zivilprozeßordnung (hier i.V.m. §§ 198, 202 SGG) ergibt, die Geltendmachung von „Einwendungen“, die den festgestellten Leistungsanspruch vernichten oder hemmen (also auch von Einreden), aus, wenn sie sich auf Gründe stützen, die schon bei Schluß der letzten mündlichen Verhandlung des früheren Verfahrens gegeben waren. Hierzu gehört die von der Beklagten erhobene Verjährungseinrede. Die Verjährung betrifft den Anspruch auf die einzelnen monatlichen Rentenzahlungen (SozR Nrn 4 und 24 zu § 29 RVO); im vorliegenden Falle betraf die Einrede den im Grundurteil vom 24. September 1979 (u.a.) rechtskräftig festgestellten Anspruch auf die Rentenzahlungen vom 20. Juli 1952 bis 30. November 1970. Die behaupteten Verjährungsgründe lagen schon vor der diesem Urteil zugrunde liegenden mündlichen Verhandlung vor. Daß das SG sie damals noch nicht berücksichtigen konnte, weil die Verjährung von Leistungsansprüchen im sozialgerichtlichen Verfahren nur auf eine vom Leistungsträger erhobene Verjährungseinrede zu beachten ist, hat für die eingetretene Präklusionswirkung keine Bedeutung.

Nach alledem war auf die Revision der Klägerin das angefochtene Urteil des SG aufzuheben, der Bescheid vom 18. Januar 1980 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides zu ändern und die Beklagte zu verurteilen, der Klägerin Witwenrente auch für die streitige Zeit zu zahlen. Dieses Urteil ist wiederum ein Grundurteil i.S. des § 130 SGG; es ist zwar hinsichtlich der ausgesprochenen Zahlungspflicht für die genannte Zeit mit dem Urteilsspruch des SG vom 24. September 1979 inhaltsgleich, als erneutes Urteil jedoch wegen der im angefochtenen Ausführungsbescheid zu Unrecht erhobenen Verjährungseinrede und der erfolglosen Vollstreckungsbemühungen der Klägerin durch deren Rechtsschutzbedürfnis nach nochmaliger Feststellung der Zahlungspflicht der Beklagten gerechtfertigt. Der Senat hat auch keine Bedenken, daß die Beklagte auf das neue Grundurteil nunmehr die Witwenrente an die Klägerin für die streitige Zeit zahlt.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

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