Navigation und Service

Logo der Deutschen Rentenversicherung (Link zur Startseite rvRecht)

rvRecht® - Rechtsportal der Deutschen Rentenversicherung

1 RA 13/79

Tatbestand

Streitig ist die Gewährung von Witwerrente.

Der 1914 geborene Kläger ist der Witwer der am 17. Juli 1971 verstorbenen, bei der beklagten Bundesversicherungsanstalt für Angestellte (BfA) 240 Monate - überwiegend freiwillig - versichert gewesenen W. geb. Z. Kurz zuvor, am 17. April 1971, war der einzige Sohn des Ehepaares schwer verunglückt; er ist seitdem dauernd pflegebedürftig. Der Kläger war damals an zwei Firmen beteiligt: Er war Alleininhaber der Bettwäschefabrik E.Z. in L., an der sein Sohn zu 30 v.H. still beteiligt war, ferner Mehrheitskommanditist der T-T GmbH & Co KG in L. In der erstgenannten Firma hatte seine Frau seit Jahren als Direktrice gearbeitet.

Unter Verweis auf die in der ersten Firma 1970 und 1971 erlittenen Verluste und auf seinen geringen Gewinn in der zweiten Firma - 1971: 3.697,00 DM - beantragte der Kläger im August 1971 nach seiner Frau Witwerrente.

Mit Bescheid vom 26. März 1974 lehnte die Beklagte diesen Antrag ab: Das Einkommen des Klägers habe im Vergleich zum Einkommen der verstorbenen Versicherten überwogen. Mit dem Einwand, er habe seinen Geschäftsgewinn reinvestieren müssen, könne er nicht gehört werden.

Mit der hiergegen erhobenen Klage ist der Kläger nicht durchgedrungen. Das Sozialgericht (SG) hat seinen Rechtsbehelf abgewiesen (Urteil vom 28. März 1977), und das Landessozialgericht (LSG) hat in dem angefochtenen Urteil vom 7. November 1978 auch seine Berufung zurückgewiesen: Während des letzten Jahres vor dem Tode der Versicherten „mit abgeschlossenem Lohnzahlungszeitraum“, also vom 1. Juli 1970 bis 30. Juni 1971, habe diese ein Arbeitseinkommen von netto 13.027,53 DM gehabt. Kapitalerträge seien einer Firma des Klägers zugeflossen und daher nicht der Versicherten gutzubringen. Der Wert der 5-Zimmer-Wohnung im Hause der Versicherten in D. sei bei dieser mit monatlich 114,00 DM anzusetzen. Für die weitere, der Mutter der Versicherten gehörende Wohnung in L, sei kein Mietwert anzusetzen, weil es sich um den Unterhaltsbeitrag eines Dritten gehandelt habe. Das Einkommen der Versicherten sei deshalb auf monatlich netto 1.200,00 DM festzustellen. Der Kläger dagegen habe über Privatentnahmen, Warenentnahmen, Sonderausgaben und eine private Kraftfahrzeugnutzung von insgesamt 20.167,02 DM verfügt. Der Wert der Hausarbeit sei zu vier Siebentel auf die verstorbene Versicherte und zu drei Siebentel auf den Kläger zu verteilen. Unter Berücksichtigung alles dessen habe die Versicherte Unterhalt nicht überwiegend geleistet.

Das LSG hat im Urteil die Revision zugelassen.

Der Kläger bringt mit der Revision vor: Das LSG habe ihm zu den tatsächlichen und rechtlichen Annahmen im Urteil im weiten Umfang zuvor kein rechtliches Gehör gewährt. Der tatsächliche Mietwert des Einfamilienhauses in D. habe mindestens 600,00 DM monatlich betragen und wäre beim Einkommen der Versicherten zu berücksichtigen gewesen. Für die Wohnung in L. hätten für die Versicherte 350,00 DM monatlich angesetzt werden müssen. Seine Sonderausgaben habe das LSG zu Unrecht mit 13.573,00 DM als Einkommen gewertet; Lebensversicherungs- und Krankenversicherungsbeiträge gehörten nicht zum Familienunterhalt. Beiträge zur Angestelltenversicherung dürften nicht nur bei ihm, sondern hätten folgerichtig auch bei seiner Frau als Einkommen und Unterhalt berücksichtigt werden müssen. Aufwendungen für die Zukunftssicherung seien kein Unterhalt. Schließlich habe er als kaufmännischer Leiter zweier Fabriken keine Pflicht zur Mitarbeit im Haushalt gehabt.

Der Kläger beantragt,

  • das Urteil des Sozialgerichts Ulm vom 23. August 1977 und das Urteil des Landessozialgerichts vom 7. November 1978 abzuändern, die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 26. März 1974 zu verpflichten, ihm Witwerrente im gesetzlich zulässigen Umfang zu gewähren, hilfsweise, die Sache unter Aufhebung der Urteile der beiden Vorinstanzen an das Landessozialgericht Baden-Württemberg zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung unter Beachtung der Rechtsauffassung des Bundessozialgerichts zurückzuverweisen, und der Beklagten die Kosten des Rechtsstreits aufzuerlegen.

Die Beklagte beantragt,

  • die Revision zurückzuweisen,

hilfsweise,

  • die Sache unter Aufhebung der Urteile der Vorinstanzen zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückzuverweisen.

Entscheidungsgründe

Die Revision des Klägers ist zulässig und begründet.

Nach § 43 Abs. 1 des Angestelltenversicherungsgesetzes (AVG) (§ 1266 Abs. 1 der Reichsversicherungsordnung - RVO -) - derzeit noch geltendes Recht (BVerfGE 39, 169 = SozR 2200 § 1266 Nr. 2) - erhält der Ehemann nach dem Tode seiner versicherten Ehefrau Witwerrente, wenn die Versicherte den Unterhalt ihrer Familie überwiegend bestritten hat. Zeitlich kommt es dabei auf den dem Tod der Versicherten vorausliegenden letzten wirtschaftlichen Dauerzustand an, wie das LSG zutreffend erkannt hat (ständige Rechtsprechung des Bundessozialgerichts - BSG -, vgl. z.B. den erkennenden Senat in SozR 2200 § 1266 Nr. 9). Auch die tatsächliche Festlegung dieser Zeitspanne für den vorliegenden Fall - 1. Juli 1970 bis 30. Juni 1971 - durch das Berufungsgericht ist nicht zu beanstanden.

Der Kläger hatte nach den nicht angegriffenen, für den Senat bindenden Feststellungen des LSG (§ 163 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG -) in dieser Zeit nur Einkünfte aus den beiden L Produktionsbetrieben. Demgemäß können auch nur diese Einkünfte - ganz oder teilweise - dem Unterhalt der Familie zur Verfügung gestanden haben. Die Prüfung ergibt, daß der Kläger aus diesen beiden Quellen kein Einkommen erzielt hat, das das seiner versicherten Ehefrau hätte übersteigen können:

Hinsichtlich der Bettwäschefabrik E.Z. in L. folgt dies bereits aus der Zusammenarbeit des Klägers mit seiner Ehefrau in dem Betrieb. Eheleute können in den verschiedensten Formen zur Erzielung von Einkünften zusammenarbeiten. Ungeachtet des Umstands, daß ein Geschäft oder Betrieb nach außen nur unter dem Namen eines Ehegatten läuft, können die geschäftlichen Beziehungen der Eheleute im Innenverhältnis (auch) als solche gesellschaftsrechtlicher Art aufgefaßt werden, ohne daß sich die Beteiligten dessen bewußt werden (BGHZ 8, 249; 31, 197; 47, 163 und BSGE 38, 179, 180 = SozR 2200 § 1266 Nr. 1). Der erkennende Senat hat in Weiterführung dieses Rechtsgedankens entschieden, daß der nicht nach außen in Erscheinung tretende stille Ehegatten-Gesellschafter bei der eigenen Innengesellschaft beschäftigt sein kann, ohne daß dies etwas daran ändern könnte, daß jeder der Ehegatten in Anwendung des § 722 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) ein Anrecht auf die Hälfte der Gesamterträgnisse aus dem gemeinsam betriebenen Geschäft oder Betrieb hat (BSGE 40, 161, 164 = SozR 2200 § 1266 Nr. 3 m.w.N.; BSG SozR 2200 § 1266 Nr. 11).

Diese Rechtsprechung trifft auch den vorliegenden Fall, soweit es sich um die Einkünfte des Klägers und der Versicherten aus der Wäschefabrik E.Z. in L. handelt. Die Versicherte war während des letzten wirtschaftlichen Dauerzustandes vor ihrem Tod dort als Direktrice gegen Entgelt beschäftigt. Zu Unrecht hat das LSG die vorzitierte Rechtsprechung für unanwendbar gehalten. Unerheblich ist, daß das der Versicherten vom Kläger gezahlte Gehalt steuer- und versicherungsrechtlich wie echtes Entgelt behandelt wurde. Hieran läßt die zitierte Rechtsprechung des Senats keinen Zweifel. Daß die Versicherte nicht auch in dem weiteren Betrieb des Klägers, der T-T GmbH & Co KG mitgearbeitet hat, ist ebenfalls ohne Belang; ihr können deswegen allein Gewinne aus diesem zweiten Betrieb nicht als Einkommen gutgebracht werden. Das berufliche Engagement des Klägers in zwei Produktionsbetrieben belegt im übrigen, in welchem Maße er darauf angewiesen war, daß seine Ehefrau wenigstens einem dieser Betriebe, der - möglicherweise in die Ehe gebrachten - L. Wäschefabrik E.Z. ihre Arbeitskraft widmete. In der Berufung hat der Kläger auch tatsächlich vorgetragen, seine Frau sei ihm „für den Wäschebetrieb“ unersetzlich gewesen, was auch der starke Rückgang nach ihrem Tode und die Schließung dieser Fabrik zeige.

Die stille Beteiligung auch des Sohnes der Eheleute an der Wäschefabrik kann allein Einfluß auf die Höhe des verbleibenden Gewinns gehabt haben; an der Tatsache, daß dieser Gewinn gemeinsam erarbeitet worden ist, ändert dies nichts. Fraglich könnte allenfalls sein, ob dann in bezug auf das Betreiben der Wäschefabrik in Form einer Ehegatten-Innengesellschaft noch die Rede sein könne, wenn der eine Ehepartner geschäftsleitende, der andere nur eine ganz untergeordnete Funktion innegehabt hätte. Hiervon läßt sich im vorliegenden Fall nicht sprechen, da die Versicherte als Direktrice im Betrieb entscheidenden Einfluß hatte.

Hiernach gilt zunächst das Nettoarbeitsentgelt aus der Beschäftigung der Versicherten in der Bettwäschefabrik bei Anwendung des § 43 Abs. 1 AVG zur Hälfte als Einkommen auch des Klägers; der verbleibende Hälfteanteil ist Einkommen der Versicherten. Andererseits gilt auch ein etwaiger Gewinn aus der Bettwäschefabrik - das LSG spricht von bestimmten Privatentnahmen des Klägers, von weiteren Entnahmen zur Abdeckung bestimmter Schuldverpflichtungen sowie von der Reinvestition von Gewinnen in beiden Produktionsbetrieben - zur Hälfte als Gewinn auch der Ehefrau. Soweit der Kläger aus seinem Gewinnanteil Verpflichtungen beglichen haben sollte, die nicht dem Unterhalt der Familie hätten dienen können, hätten diese somit familienfremden Aufwendungen zudem sein Einkommen aus der Wäschefabrik im Vergleich zu seiner mitarbeitenden Ehefrau nur mindern können. Selbst wenn der Kläger, mutmaßlich mit Einwilligung der Versicherten, insoweit auch zu Lasten des - intern zu ermittelnden - Gewinnanteils der Ehefrau verfügt haben sollte, müßte davon ausgegangen werden, daß dieser nicht in größerem Umfange als der des Klägers selbst betroffen sein könnte.

Aus dem zweiten Produktionsbetrieb, der T-T GmbH & Co KG, hat der Kläger nach den schlüssigen Feststellungen des LSG in der zur Beurteilung stehenden Zeit nicht nur keine nennenswerten Gewinne gemacht, sondern in ihn Gewinne vornehmlich wohl aus der … E.Z. reinvestiert. Investitionen in einen einem Ehegatten allein gehörenden und von ihm allein betriebenen Produktionsbetrieb stehen nicht anders als z.B. Werbungskosten (vgl. BSGE 43, 186, 187 = SozR 2200 § 1266 Nr. 5) dem Unterhalt der Familie nicht zur Verfügung und bleiben daher bei der Frage nach dem überwiegenden Bestreiten des Familienunterhalts außer Betracht. Freilich ist, wie bei der Abdeckung von Schuldverpflichtungen, auch hier möglich, daß der Kläger der Bettwäschefabrik E.Z. als nach außen allein berechtigter Eigentümer Investitionsmittel zu Lasten des Gewinnanteils auch seiner Ehefrau entnommen hat; auch hier aber wäre in diesem Fall davon auszugehen, daß diese Gewinnverwendung die Gewinnanteile beider Ehegatten im gleichen Maße belastet. Auch insoweit kann deshalb nicht ersichtlich werden, daß der Kläger seiner Familie aus seinem Gewinnanteil aus der Bettwäschefabrik mehr als die Versicherte zur Bestreitung des Lebensunterhalts zur Verfügung gestellt hätte.

Während der Kläger Einkommen aus der Bettwäschefabrik E.Z. zu einem nur gleich hohen Anteil wie die Versicherte hatte, hatte diese zusätzlich Einkünfte: Es handelt sich dabei zum einen um den Nutzungswert des ihr allein gehörenden und von der Familie bewohnten Einfamilienhauses in D.; zum anderen überwog die geldwerte Hausarbeitsverpflichtung der Versicherten die des Klägers. Zwar trifft dessen Auffassung nicht zu, zu seinen Lasten dürfe kein Wertansatz für Mitarbeit im Haushalt seiner Familie ausgebracht werden. Richtig hat das LSG herausgestellt, daß im Gefolge und in Weiterführung der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) vom 24. Juli 1973 (BGBl. I 693 = SozR Nr. 52 zu Art. 3 GG) die Rechtsprechung des BSG auch die Mitarbeit des Ehemannes im Haushalt als Familieneinkommen bewertet hat, und zwar unabhängig davon, ob der Ehemann der nach § 1360 BGB bestehenden Mitarbeitspflicht tatsächlich genügt hat (SozR Nr. 10 zu § 1266 RVO). Es ist deshalb unerheblich, daß die Versicherte laut Vortrag des Klägers zusammen mit ihrer Mutter die Hausarbeit allein bewältigt hat. Jedoch ist die Aufteilung der häuslichen Arbeit auf den Kläger und die Versicherte im maßgeblichen Zeitraum von drei Siebentel zu vier Siebentel durch das LSG ebenfalls nicht zu beanstanden. Sie stützt sich sachgerecht im wesentlichen auf die Feststellung des Berufungsgerichts, daß der Kläger an fünf Wochentagen täglich zehn, die Versicherte täglich sieben Stunden außerhäuslich erwerbstätig gewesen sei. Hieraus folgt, daß die Versicherte der Familie die Ergebnisse ihrer häuslichen Mitarbeit in einem größeren Umfange als der Kläger zugewendet hat.

Demnach steht fest, daß die Versicherte in der hier maßgeblichen Zeit ihrer Familie im Vergleich zum Kläger größere Unterhaltsmittel zur Verfügung stellen konnte. Es kommt daher nicht darauf an, ob der Nutzungswert der Wohnung der Familie in der …Straße ... in L. von der Klägerin oder von deren Mutter, die Wohnungseigentümerin war, stammte. Da sich der Beitrag jedes Ehegatten zum Familienunterhalt nach §§ 1360, 1360a Abs. 1 BGB nach dem jeweiligen Einkommen bestimmt, ist mangels gegenteiliger Feststellungen davon auszugehen, daß auch im konkreten Fall sowohl der Kläger wie seine versicherte verstorbene Ehefrau während des letzten wirtschaftlichen Dauerzustandes entsprechend ihrem Einkommen zum Unterhalt der Familie beigetragen haben. Dies müßte auch dann gelten, wenn der schwer verunglückte Sohn der Eheleute in dieser Zeit noch zur Familie gezählt haben sollte.

Da die Versicherte, wie dargelegt, in dieser Zeit über ein größeres Einkommen als der Kläger verfügte, war sie es, die im Sinne von § 43 Abs. 1 AVG den Unterhalt der Familie überwiegend bestritt. Da auch die Wartezeit erfüllt ist (§§ 40 Abs. 2, 23 Abs. 3 AVG§§ 1263, 1246 Abs. 3 RVO), besteht der Anspruch des Klägers auf Witwerrente. Auf seine Revision waren daher die Urteile der Vorinstanzen und der Ablehnungsbescheid der Beklagten aufzuheben und zu entscheiden wie geschehen.

Die Beteiligten haben dem Kläger die außergerichtlichen Kosten des Rechtsstreits zu erstatten (§ 193 SGG).

Zusatzinformationen