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1 RA 107/76

Gründe I.

Der Kläger begehrt, ihm die Zeit der Vorbereitung auf eine Gymnasial-Ergänzungsprüfung als Ausfallzeit vorzumerken.

Der 1912 geborene, aus Böhmen stammende Kläger legte im Juni 1930 an der Deutschen Staatsrealschule in Teplitz-Schönau die Reifeprüfung ab, die ihn zum Besuch einer Technischen Hochschule berechtigte. Im Sommer 1931 unterzog er sich mit Erfolg einer Ergänzungs-Reifeprüfung aus dem Lateinischen; er wurde darauf als reif zum Besuch einer Universität erklärt. Er studierte sodann ab Herbst 1931 Rechtswissenschaft; er ist jetzt Rechtsanwalt.

Den Antrag des Klägers auf Vormerkung der Zeit vom 18. Juni 1930 bis 30. September 1931 als Ausfallzeit lehnte die Beklagte mit der Begründung ab, daß die Vorbereitung auf das Ergänzungsabitur durch Privatunterricht nicht als schulische Ausbildung im Sinne des Gesetzes angesehen werden könne (Bescheid vom 26. Juni 1974 und Widerspruchsbescheid vom 17. Oktober 1974).

Mit der hiergegen erhobenen Klage hatte der Kläger in zweiter Instanz keinen Erfolg. In dem angefochtenen Urteil vom 26. Oktober 1976 hat das Landessozialgericht (LSG) die zusprechende Entscheidung des Sozialgerichts (SG) vom 8. September 1975 aufgehoben und die Klage abgewiesen. In der Begründung heißt es, der Privatunterricht in Latein, dem sich der Kläger in der streitigen Zeit unterzogen habe, sei weder eine Schul- noch eine sonstige Ausbildung im Sinne des § 36 Abs. 1 Nr. 4 Buchst. b des Angestelltenversicherungsgesetzes (AVG). Ausbildungszeiten seien nicht schlechthin, sondern nur dann Ausfallzeiten, sofern dies im Gesetz ausdrücklich vorgesehen sei. Ein Privatunterricht entspreche nicht dem Begriff der Schulausbildung, wie ihn auch das Bundessozialgericht (BSG) entwickelt habe.

Gegen dieses Urteil richtet sich die vom LSG zugelassene Revision des Klägers. Er trägt vor, das streitige "Ausbildungsjahr" habe nach den seinerzeit geltenden (altösterreichischen) Bestimmungen eingehalten werden müssen. In seinen Auswirkungen stehe es dem letzten Jahr am Gymnasium gleich. Es habe sich auch um keine private Weiterbildung gehandelt; sonst müsse man annehmen, daß er die Universitätsreife ohne weitere Ausbildung erworben habe. Die Annahme des LSG verstoße außerdem gegen § 92 Abs. 2 des Bundesvertriebenengesetzes (BVFG).

Der Kläger beantragt,

  • das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 26. Oktober 1976 aufzuheben, die Berufung der Beklagten gegen das Urteil der ersten Instanz zurückzuweisen und ihr die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen.

Die Beklagte beantragt,

  • die Revision zurückzuweisen.

Sie hält das angefochtene Urteil im Hinblick auf die einschlägige Rechtsprechung des BSG für zutreffend und für nicht einsichtig, wie § 92 Abs. 2 BVFG verletzt sein könne.

Beide Beteiligten haben erklärt, daß sie mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden sind (§ 124 Abs. 2 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG -).

Gründe II.

Die Revision ist zulässig, aber nicht begründet.

Nach § 36 Abs. 1 Nr. 4 Buchst b AVG (= § 1259 Abs. 1 Nr. 4 Buchst. b der Reichsversicherungsordnung - RVO -) sind bei der Ermittlung der anrechnungsfähigen Versicherungsjahre (§ 35 AVG = § 1258 RVO) zu berücksichtigende Ausfallzeiten u.a. Zeiten einer nach Vollendung des 16. Lebensjahres liegenden weiteren Schulausbildung.

Es bestehen schon erhebliche Zweifel daran, ob sich die Zeit zwischen der Ablegung der Reifeprüfung an der Deutschen Staatsrealschule in Teplitz-Schönau im Juni 1930 und dem Bestehen der Ergänzungsprüfung in Latein im Sommer 1931 überhaupt als ein "Ausbildungsjahr" ansprechen läßt. Der Kläger verweist in diesem Zusammenhang zwar auf Nr. 5 Satz 1 der - in Böhmen anwendbar gebliebenen - (altösterreichischen) Verordnung des Ministers für Kultus und Unterricht vom 29. März 1909/Z. 1997. Danach konnte die Maturitäts-Ergänzungsprüfung für Universitätsstudien der Realschulabsolventen in Latein tatsächlich "erst nach Ablauf eines Jahres vom Zeitpunkt der Erwerbung des Realschul-Reifezeugnisses erworben" werden. Indessen kann nicht übersehen werden, daß die Absolventen der "realen Abteilung" der "achtklassigen Realgymnasien, Reform-Realgymnasien und der Oberrealgymnasien des Tetschener Typus" (Eingangssatz a.a.O.) zur Ergänzungsprüfung in Latein "sofort nach Erlangung des Reifezeugnisses dieser Anstalt zugelassen werden". Da die Anforderungen der Ergänzungsprüfung in beiden Fällen gleich waren, das Reifezeugnis an einer Realschule dagegen - wie dies auch beim Kläger der Fall war - schon nach Absolvierung von sieben Klassen erworben werden konnte, hat die in Nr. 5 Satz 1 a.a.O. genannte Jahresfrist mutmaßlich vorwiegend den Charakter einer Wartefrist, die verhindern sollte, daß die Realschulabsolventen bezüglich der Berechtigung zum Universitätsstudium im "Vergleich zu den Absolventen der Realgymnasien ungerechtfertigt bevorzugt waren. Die Überlegung, daß die Jahresfrist auch diejenigen Realschulabsolventen einzuhalten hatten, die

  • nicht anders als die Absolventen einer realen Abteilung eines Realgymnasiums - die zum Bestehen der Ergänzungsprüfung erforderlichen Lateinkenntnisse bei Ablegung der Reifeprüfung
  • aufgrund etwa früheren Gymnasiumsbesuchs oder privaten Studiums - bereits hatten, verstärkt diese Vermutung. Im einzelnen mag dies Jedoch ebenso dahinstehen wie die weitere Frage, wie die Aneignung von Wissen in einem einzigen Fach überhaupt eine Ausbildung sein kann, die mit einer in einer Mittel-, Real- oder Oberschule vermittelten Allgemeinbildung rentenrechtlich vergleichbar sein könnte. Die streitige Zeit ist jedenfalls aus folgenden Gründen keine Ausfallzeit.

Der Begriff der Schulausbildung, der sich auch in anderen Vorschriften des AVG (vgl §§ 39 Abs. 3 Satz 2, 44 Abs. 1 Satz 2 = §§ 1262 Abs. 3 Satz 2, 1267 Abs. 1 Satz 2 RVO) und in anderen Gesetzen (Bundeskindergeldgesetz, Bundesversorgungsgesetz, Bundesbesoldungsgesetz) findet, ist nirgends gesetzlich definiert. Nach der mit dem Schrifttum übereinstimmenden Rechtsprechung des BSG liegt Schulausbildung immer nur dann vor, wenn die Ausbildung im Rahmen einer Einrichtung erfolgt, die sich, wenn auch nur in einem weitgefaßten Sinn, überhaupt als Schule ansprechen läßt (vgl. z.B. BSG SozR Nr. 38 und 57 zu § 1259 RVO; vgl. ferner Koch/Hartmann/ v. Altrock/Fürst, AVG, 2./3. Aufl., § 36 Anm. V 2 b; Hanow / Lehmann / Bogs, 4. Buch/ Rentenversicherung der Arbeiter, 5. Aufl., § 1259 Rd.Nr. 58 und 59). Darunter fallen demnach unter bestimmten Voraussetzungen noch eine Abendschule (BSGE 31, 152 = SozR Nr. 7 zu § 2 BKGG; SozR 2200 § 1267 Nr. 8) und gewisse Abschnitte von Fernunterrichtslehrgängen zur Vorbereitung auf das Abitur (BSG SozR 2200 § 1265 Nr. 9). Die Zeit der ausschließlich privaten Vorbereitung auf eine Prüfung läßt sich dagegen nicht unter den Begriff der Schulausbildung einordnen (BSG SozR Nr. 57 zu § 1259 RVO). Dem tritt der Senat bei.

Hierbei handelt es sich nicht um eine nur im rein Begrifflichen verhaftete Gesetzesauslegung. Die in § 36 Abs. 1 Nr. 4 Buchst. b AVG getroffene Qualifizierung bestimmter Ausbildungszeiten als rentensteigernde Ausfallzeiten bezweckt, denjenigen Versicherten einen angemessenen rentenrechtlichen Ausgleich zu verschaffen, die sich über das vollendete 16. Lebensjahr hinaus einer für einen späteren Beruf notwendigen weiteren Schulausbildung unterzogen haben, d.h. mit Rücksicht auf das Berufsziel außerstande gewesen sind, einer versicherungspflichtigen Beschäftigung nachzugehen und hierdurch in der gesetzlichen Rentenversicherung Pflichtbeitragszeiten zurückzulegen(vgl. z.B. BSG SozR Nr. 23 zu § 1259 RVO mit weiteren Nachweisen). Deshalb setzt "Schulausbildung", soll sie als Ausfallzeit qualifiziert werden können, voraus, daß die Ausbildung Zeit und Arbeitskraft des Versicherten ausschließlich oder überwiegend beansprucht hat (vgl. auch BSGE 39, 156 = SozR 2200 § 1267 Nr. 8). Bei einer privaten Vorbereitung auf eine Prüfung läßt sich dies naturgemäß nicht hinreichend sicher annehmen. Art und Umfang sowie zeitliche Einteilung der Vorbereitung obliegt in einem solchen Fall dem Belieben des Prüfungsbewerbers. Es ist daher verständlich, wenn das Gesetz verlangt, daß eine weiterführende Allgemeinausbildung nach Vollendung des 16. Lebensjahres, soll sie rentenrechtlich erheblich sein, im Rahmen der herkömmlichen Organisationsform einer Schule, d.h. in einer Institution verbracht worden ist, von der angenommen werden kann, daß sie in der Regel die Arbeitskraft des Schülers voll oder doch überwiegend in Anspruch nimmt.

Der vorliegende Fall bietet ebenfalls keinen Anlaß, die private Vorbereitung des Klägers auf die Ergänzungsprüfung in Latein wie einen Schulunterricht zu beurteilen.

Hieran vermag auch die in § 92 Abs. 2 BVFG getroffene Anordnung, daß bei Heimatvertriebenen die im Herkunftsland abgelegten gleichwertigen Prüfungen und Befähigungsnachweise anzuerkennen sind, nichts zu ändern.

Die Zeit der privaten Vorbereitung des Klägers auf eine Gymnasial-Ergänzungsprüfung in Latein ist daher keine Schulausbildung im Sinne des Gesetzes und kann daher nicht als Ausfallzeit vorgemerkt werden. Das Urteil des LSG trifft zu, so daß die Revision des Klägers hiergegen als unbegründet zurückzuweisen war.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

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