11 RA 104/75
Gründe
Streitig war hier die Frage, ob ein Versicherter, der erst 1961 die CSSR verlassen durfte, Anspruch auf die Zuerkennung von Ersatzzeiten nach § 1251 Abs. 1 Nr. 3 RVO hat.
Der Kläger ist deutscher Staatsangehöriger. 1948 übersiedelte er von seinem damaligen Wohnort S. in die CSSR, wo er bei dem Karlsbader Symphonieorchester als Musiker sozialversicherungspflichtig tätig war. Seit Juli 1956 besaß er die tschechoslowakische Staatsangehörigkeit. 1961 wurde ihm die Ausreise in die Bundesrepublik Deutschland gestattet; er kehrte daraufhin hierher zurück.
Im Verfahren zur Herstellung von Versicherungsunterlagen für nach dem Fremdrentengesetz (FRG) anrechenbare Zeiten erkannte die LVA in B. die tschechoslowakischen Beitragszeiten bis März 1950 an. Die Beklagte lehnte die Anerkennung der folgenden Zeiten dagegen ab, da der Kläger nicht die Voraussetzungen des § 1 FRG erfülle. Die hiergegen erhobene Klage hatte keinen Erfolg.
Im - streitigen - Bescheid über die Gewährung von Altersruhegeld vom 28. November 1973 berücksichtigte die Beklagte die tschechoslowakischen Beitragszeiten nur bis März 1950; sie fühlte sich insoweit an die von der LVA vollzogene Anerkennung gebunden.
Dem Begehren (Hilfsbegehren) des Klägers, die Zeiten ab Februar 1949 bis August 1961 als Ersatzzeit nach § 28 Abs. 1 Nr. 3 des AVG anzurechnen, gaben das SG und das LSG nicht statt (Urteile vom 16. Januar 1975 und 20. Juni 1975). Der erkennende Senat des BSG sah die eingelegte Revision als nicht begründet an.
Der Kläger habe keinen Anspruch darauf, so stellte der erkennende Senat im einzelnen fest, daß für das Altersruhegeld weitere Ersatzzeiten rentensteigernd berücksichtigt würden.
Ab Februar 1949 bis März 1950 sei dies schon deshalb nicht möglich, weil diese Zeit bereits als Beitragszeit nach § 15 Abs. 1 FRG angerechnet worden sei. Damit stehe sie den nach Bundesrecht zurückgelegten Beitragszeiten gleich, so daß für dieselben Zeiten keine Ersatzzeiten mehr berücksichtigt werden könnten; denn Ersatzzeiten seien Zeiten ohne Beitragsleistung (§ 27 Abs. 1 Buchstabe b AVG).
Für den anschließenden Zeitabschnitt bis August 1961 stehe die Tatsache, daß der Kläger (Pflicht-) Beiträge in der Tschechoslowakei geleistet habe, der Anrechnung von Ersatzzeiten zwar nicht mehr entgegen. Denn diese Beiträge müßten bei der Berechnung des Altersruhegeldes unberücksichtigt bleiben. Da der Kläger die Voraussetzungen des § 1 FRG nicht erfülle, stünden diese an den tschechoslowakischen Versicherungsträger entrichteten Beiträge nicht gemäß § 15 Abs. 1 FRG den nach Bundesrecht zurückgelegten Beitragszeiten gleich. Infolgedessen fehle es hier an Beitragszeiten im Sinne des § 27 Abs. 1 Buchst. a AVG, so daß diese Zeiten „Zeiten ohne Beitragsleistung“ im Sinne des § 27 Abs. 1 Buchstabe b AVG seien. Im Gegensatz zur Auffassung der Beklagten sei deshalb zu fragen, ob der Kläger am Zurücklegen bundesdeutscher Beitragszeiten im Sinne von § 28 Abs. 1 Nr. 3 AVG verhindert gewesen sei. Das treffe jedoch nicht zu. Der Kläger sei während der streitigen Zeiten von April 1950 bis August 1961 nicht durch feindliche Maßnahmen verhindert gewesen, nach Deutschland zurückzukehren. Diese Auffassung hätten die Vorinstanzen zu Recht vertreten.
Die tatsächlichen Feststellungen, die das LSG zu dem Begriff „feindliche Maßnahmen“ getroffen habe und aus denen sich seine rechtlichen Überlegungen herleiteten, habe der Kläger nicht angegriffen. Sie seien für den Senat daher bindend (§163 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG -). Sonach sei davon auszugehen, daß die Behörden der CSSR während des in Rede stehenden Zeitraums Ausreisegenehmigungen grundsätzlich nicht erteilt hätten. Nur in Ausnahmefällen soll Deutschen, Rentnern und Arbeitsunfähigen die Ausreise erlaubt worden sein. Diese Feststellung des LSG schränkte die Revision sogar mit der Bemerkung ein, die CSSR habe „überhaupt keine Menschen aus ihrem Staatsgebiet herausgelassen“. Wenn aber das Ausreiseverbot eines Staates sich unterschiedslos gegen sämtliche Bürger richte, dann sei es keine feindliche Maßnahme im Sinne von § 28 Abs. 1 Nr. 3 AVG (BSG in SozR Nr. 57 zu § 1251 der Reichsversicherungsordnung - RVO -; Urteil vom 21. September 1971 - 12/11 RV 142/70). Feindlich seien nach der schon vom 1. Senat des Bundessozialgerichts vertretenen Auffassung (SozR 2200 zu § 1251 Nr. 7) Maßnahmen, „die der ehemalige Feindstaat hauptsächlich wegen seiner Bevölkerungsteile mit deutscher Volkszugehörigkeit erlassen hatte, die sich aber auch allgemein gegen den früheren Kriegsgegner Deutschland richteten“. Diese Erläuterungen halte der erkennende Senat für zutreffend (siehe Urteil vom 23. Oktober 1975-11 RA 110/74). Sie gelte auch für den vorliegenden Fall. Daß der Kläger von Maßnahmen solcher Art betroffen worden sei, gehe aus den Feststellungen des LSG nicht hervor. Vielmehr sei er als Deutscher nicht schlechter behandelt worden als die anderen Einwohner der CSSR, zumal nach Verleihung der tschechoslowakischen Staatsangehörigkeit. Gegen seine Person habe sich das Ausreiseverbot deshalb gerichtet, weil er Einwohner und später Bürger dieses Staates gewesen sei. Es habe auf einer generellen Anordnung, die nicht auf die deutsche Volksgruppe beschränkt war, beruht.
Sei der Kläger sonach nicht durch „feindliche Maßnahmen“ an der Rückkehr aus dem Ausland verhindert gewesen, so sei er durch solche Maßnahmen in der CSSR auch nicht festgehalten worden (§ 28 Abs. 1 Nr. 3, 2. Alternative AVG). Ob dieser Alternativtatbestand seiner Entstehungsgeschichte und Zielsetzung nach überhaupt in Betracht käme (vgl. hierzu BSG in SozR Nrn. 13 und 57 zu § 1251 RVO; SozR 2200 a.a.O.), habe deshalb offenbleiben können; auch er setze jedenfalls voraus, daß die Einschränkung der persönlichen Freiheit sich in der Hauptsache gegen die deutschstämmigen Teile der Bevölkerung eines früheren Feindstaates richte (vgl. hierzu Eicher-Haase-Rauschenbach, Die Rentenversicherung, 1973, Anm. 11 zu § 1251 RVO - § 28 AVG -).