12 RK 27/72
Gründe I.
Der im Jahre 1895 geborene Beigeladene zu 2., ein Steueramtmann im Ruhestand, ist einer der drei Vorstandsmitglieder der Klägerin, einer eingetragenen Genossenschaft mit beschränkter Haftpflicht. Auf seinen Antrag wurde er ab Februar 1970 von der Versicherungspflicht in der Krankenversicherung und in der Angestelltenversicherung befreit. Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob von der Klägerin für die Zeiten bis dahin Beiträge zu den genannten Versicherungen zu entrichten sind.
In seiner Eigenschaft als Vorstandsmitglied war der Beigeladene zu 2. im streitigen Zeitraum wöchentlich 15 bis 18 Stunden tätig. Er erhielt eine „Aufwandsvergütung“ von 650,00 DM monatlich sowie Sondervergütungen und Sitzungsgelder. Der Vorstand führte die Geschäfte nach einer durch die Generalversammlung genehmigten „Geschäftsanweisung für den Vorstand“.
Die Beklagte stellte die Versicherungspflicht des Beigeladenen zu 2. in der Krankenversicherung bis zum 17. Februar 1970 sowie in der Angestelltenversicherung bis zum 19. Februar 1970 fest und forderte deshalb von der Klägerin unter Berücksichtigung der Verjährungsvorschriften rückwirkend vom 1. Januar 1968 an Sozialversicherungsbeiträge in Höhe von insgesamt 4.0.66,24 Dl nach (Bescheid von 18. März 1970, Änderungsbescheid vom 26. August 1970, Widerspruchsbescheid vom 10. September 1970).
Die Klägerin machte geltend, ihre Vorstandsmitglieder stünden in keinem abhängigen Beschäftigungsverhältnis zu ihr. Weder die Satzung noch die Geschäftsanweisung enthalte für sie Bestimmungen über die Gestaltung ihrer Tätigkeit oder die Einhaltung bestimmter Arbeitszeiten. Solche Regelungen seien auch nicht in Betracht gekommen, weil die Vorstandsgeschäfte von Anfang an nebenamtlich von aktiven Beamten geführt worden seien. Mit dem Beigeladenen zu 2, sei ein Ruhestandsbeamter Vorstandsmitglied, dessen Tätigkeit, jedoch nicht anders geartet sei, als die der übrigen Vorstandsmitglieder. Die Klage hatte keinen Erfolg (Urteil des Sozialgerichts - SG - Frankfurt/Main vom 18. Mai 1971).
Auf die Berufung der Klägerin hob das Landessozialgericht (LSG) das Urteil des SG und die angefochtenen Bescheide der Beklagten auf. Es war der Ansicht, der Beigeladenen zu 2. sei im streitigen Zeitraum bei der Klägerin nicht als Angestellter gegen Entgelt beschäftigt gewesen (Urteil vom 5. Oktober 1972).
Die Beklagte und die Beigeladene zu 1. haben die vom LSG zugelassene Revision eingelegt. Sie rügen Verletzungen des materiellen Rechts durch das LSG.
Die beiden Revisionskläger beantragen übereinstimmend,
- das angefochtene Urteil aufzuheben und die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des SG Frankfurt/Main vom 18. Mai 1971 zurückzuweisen,
hilfsweise
- den Rechtsstreit zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückzuverweisen.
Die Klägerin beantragt,
- die Revision zurückzuweisen.
Der Beigeladene zu 2. ist im Revisionsverfahren nicht durch einen vor dem Bundessozialgericht (BSG) zugelassenen Prozeßbevollmächtigten (§ 166 Abs. 2 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG -) vertreten.
Die Beteiligten sind mit einer Entscheidung ohne mündliche Vorhandlung (§ 124 Abs. 2 SGG) einverstanden.
Gründe II.
Die durch Zulassung statthaften Revisionen der Beklagten und der Beigeladenen zu 1. sind begründet.
Die Beitragspflicht der Klägerin hängt davon ab, ob der Beigeladene zu 2. im streitigen Zeitraum - Januar 1968 bis Februar 1970 - in der Angestelltenversicherung und in der Krankenversicherung versicherungspflichtig gewesen ist (§§ 2 Abs. 1 Nr. 1, 3 Abs. 1 Nr. 1 des Angestelltenversicherungsgesetzes - AVG -, §§ 165 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2, 165b Nr. 1 der Reichsversicherungsordnung - RVO -). Maßgebend ist somit, ob der Beigeladen zu 2. als Angestellter in einem abhängigen Beschäftigungsverhältnis gestanden hat. Dies ist vom LSG zu Unrecht verneint worden.
Das LSG ist auch unter Berücksichtigung des § 3 Abs. 1a AVG zutreffend davon ausgegangen, daß bei Vorstandsmitgliedern einer eingetragenen Genossenschaft es der Prüfung im Einzelfall bedarf, ob diese Personen als Angestellte in leitender Stellung (§§ 3 Abs. 1 Nr. 1 AVG, 165b Nr. 1 RVO) gegen Entgelt beschäftigt sind. Aus der in § 3 Abs. 1a AVG getroffenen Ausnahmeregelung für Vorstandsmitglieder von Aktiengesellschaften kann somit nicht der Umkehrschluß gezogen werden, daß der Beigeladene zu 2. als Vorstandsmitglied der Klägerin ohne weiteres zu den versicherungspflichtigen Angestellten gehört (vgl. ebenso bereits Urteil des erkennenden Senats vom 2.3.1973 in DAngV 1973, 184). Die gegenteilige Ansicht der Beklagten übersieht, daß es Fälle geben kann, in denen sich die Tätigkeit des Vorstandsmitgliedes in seiner Organstellung und damit in der Mitwirkung bei der Willensbildung des Verstandes und der gesetzlichen Vertretung der Genossenschaft nach außen entsprechend § 24 Abs. 1 des Gesetzes betreffend die Erwerbs- und Wirtschaftsgenossenschaften - Genossenschaftsgesetz - (GenG) erschöpft, die Erledigung der laufenden Geschäfte - insbesondere die kaufmännische und technische Leitung sowie die Verwaltung der Genossenschaft - aber leitenden Angestellten übertragen ist. In diesen Fällen der bloßen Wahrnehmung der Funktionen eines gesetzlichen Vertreters als Ausfluß der genossenschaftsrechtIichen Organstellung üben die VorstandsmitgIieder der Genossenschaft keine abhängige Arbeit aus (vgl. BSG 13, 196, 198; 16, 73, 74).
Nach der Feststellungen des LSG und dem von der Klägerin im Berufungsverfahren selbst vorgelegten Geschäftsverteilungsplan ist der Beigeladene zu 2. nicht bloß als Organmitglied der Genossenschaft nach außen tätig geworden, sondern hat auch die laufenden Verwaltungsgeschäfte der Klägerin mitgeführt. Insoweit unterscheidet das LSG zwar unter Hinweis auf die Entscheidung in BSG 13, 196, 198 zwischen der genossenschaftsrechtlichen Organstellung nach außen und dem zwischen dem Beigeladenen zu 2. und der Klägerin bestehenden Angestelltenverhältnis. Das LSG hat indes aus der von ihm angenommenen Weisungsfreiheit des Beigeladenen zu 2. bei der Ausführung der für die Klägerin im Innenverhältnis ausgeübten Arbeiten zu Unrecht eine selbständige, versicherungsfreie Tätigkeit hergeleitet. Zwar ist in Falle einer Bindung des Dienstnehmers an Einzelweisungen des Dienstgebers in bezug auf die Ausführung der Arbeit regelmäßig eine die Versicherungspflicht auslösende abhängige Beschäftigung anzunehmen (vgl. BSG in SozR Nr. 27 zu § 165 RVO und Urteil des erkennenden Senats vom 17.5.1973 - 12 RK 9/72 -). Es kann offen bleiben, ob hier nicht wenigstens teilweise - insbesondere aufgrund der Vorschriften über Schriftgutablage, Zahlungsverkehr und Rechnungswesen in den §§ 20 bis 22 der von der Generalversammlung der Klägerin genehmigten Geschäftsanweisung für den Vorstand - eine derartige Weisungsgebundenheit des Beigeladenen zu 2. auch bei der Ausführung der ihm obliegenden Aufgaben vorgelegen hat. Auch beim Fehlen derartiger Weisungen kann nämlich nicht ohne weiteres auf eine selbständige, versicherungsfreie Tätigkeit geschlossen werden (vgl. hierzu auch Urteil des Senats vom 22.8.1973 - 12 RK 24/72).
Die gegenteilige Annahme des LSG beachtet nicht genügend, daß es Arbeitsverhältnisse gibt, bei denen der Arbeitgeber keinen Einfluß auf die sachliche Ausführung der Tätigkeit des Arbeitnehmers hat. Gerade bei Diensten höherer Art (vgl. § 622 des Bürgerlichen Gesetzbuches - BGB -) folgt oft bereits aus der Arbeitsleistung selbst die weitgehende Unabhängigkeit der Arbeitnehmer von direkten Weisungen (vgl. hierzu BSG in SozR Nr. 55 u § 165 RVO). Der erkennende Senat hat daher im Urteil vom 27. September 1972 (SozR Nr. 7 zu § 2 AVG) entschieden, daß das nach der Rechtsprechung des BSG für ein abhängiges Beschäftigungsverhältnis wesentliche Merkmal der persönlichen Abhängigkeit des Beschäftigten gegenüber einem Arbeitgeber in Grenzfällen auch allein durch die Eingliederung in einen Betrieb gekennzeichnet sein kann. An die Stelle der Weisungsgebundenheit tritt dann die funktionsgerechte, dienende Teilhabe am Arbeitsprozeß (BSG 16, 289, 294). Eine solche hat der erkennende Senat gerade im Falle eines geschäftsführenden Vorstandsmitglieds einer eingetragenen Genossenschaft mit beschränkter Haftpflicht im Urteil vom 2. März 1973 a.a.O. bejaht (ebenso bereits BSG 16, 73, 74 für den Bereich der gesetzlichen Unfallversicherung.
Das LSG hat nicht näher geprüft, ob der Beigeladene zu 2. bei der Erledigung der ihm gegenüber der Genossenschaft im Innenverhältnis obliegenden Aufgaben in die betriebliche Ordnung der Klägerin eingegliedert gewesen ist. Dies muß indes nach den Vorschriften des Genossenschaftsgesetzes, der Satzung der Klägerin und der Geschäftsanweisung für den Vorstand, nach welchen der Vorstand die Geschäfte der Genossenschaft zu führen hat (vgl. § 21 Abs. 3 der Satzung) und die für den Beigeladenen zu 2. mangels eines schriftlichen Anstellungsvertrages allein maßgeblich sind, angenommen werden. Nach dem Genossenschaftsgesetz hat die Klägerin drei Organe: die Generalversammlung als oberstes Willensorgan (§§ 43 ff. GenG), den Aufsichtsrat als überwachendes Organ (§§ 36 ff. GenG) und den Vorstand, dem die Vertretung sowie die Geschäftsführung der Genossenschaft obliegt (§§ 24 ff. GenG). Bereits aus dieser Aufteilung der Funktionen auf die einzelnen Organe hat der BFH geschlossen, daß der Vorstand als Organ in die betriebliche Ordnung der Genossenschaft eingegliedert ist (Urteil vom 2.10.1968 BStBl. 1969 II 185 = Deutsches Ärzteblatt 1969, S. 2787 - bezüglich der Lohnsteuerpflicht bei Zahlung von „Aufwandsentschädigungen“ an Vorstandsmitglieder von Genossenschaften). Besonders deutlich zeigt sich dies darin, daß die Geschäftsführung des Vorstandes und damit auch die Tätigkeit des Beigeladenen zu 2. einer umfassenden Beaufsichtigung durch den Aufsichtsrat unterliegt (§ 38 Abs. 1 GenG, § 24 Abs. 1 der Satzung), die nicht nur mit einer Pflicht des Verstandes zur Berichterstattung gegenüber dem Aufsichtsrat verbunden ist (§ 21 Abs. 5 der Satzung), sondern auch - bis zur Entscheidung durch die Generalversammlung - zur vorläufigen Enthebung des Vorstandsmitgliedes von seinen Geschäften durch den Aufsichtsrat führen kann (§ 40 GenG i.V.m. § 20 Abs. 1 der Satzung). Die Eingliederung des Beigeladenen zu 2. in die betriebliche Ordnung der Klägerin zeigt sich weiter darin, daß der Vorstand die Beschlüsse der Generalversammlung (§ 43 Abs. 1 GenG i.V.m. §§ 30 Abs. 4, 32 der Satzung) auszuführen, insbesondere die von der Generalversammlung festzusetzenden Grenzen für Anleihen und Kredite (vgl. § 49 GenG) einzuhalten hat und bestimmte Geschäfte nur im Zusammenwirken mit dem Aufsichtsrat erledigen kann (vgl. § 27 der Satzung i.V.m. §§ 13 bis 17 der Geschäftsanweisung für den Verstand). Die organisatorische Eingliederung des Beigeladenen zu 2. in die Genossenschaft wird einschließlich auch noch dadurch bestätigt, daß nach den Feststellungen des LSG der Vorstand entsprechend der ihm in § 2 der Geschäftsanweisung vorgeschriebenen Regelung die Geschäfte unter seinen Mitgliedern aufgeteilt hat und diese danach verpflichtet sind, bei der Führung der Geschäfte zusammenzuarbeiten und sich gegenseitig zu unterstützen.
Das LSG hat bei seiner Entscheidung weiter unberücksichtigt gelassen, daß der Beigeladene zu 2. im Hinblick auf die von seiner finanziellen Beteiligung an der Genossenschaft (vgl. § 7 Nr. 2 GenG, § 16 der Satzung) unabhängige einfache Stimmberechtigung (§ 43 Abs. 2 GenG) keinen beherrschenden Einfluß auf die Genossenschaft ausüben kann und unter Berücksichtigung seiner beschränkten Haftpflicht für Verbindlichkeiten der Genossenschaft (vgl. § 23 GenG, § 17 der Satzung) auch kein echtes Unternehmerrisiko trägt. Er hat vielmehr im streitigen Zeitraum ausschließlich seine Arbeitskraft für die Genossenschaft verwendet. Seine Arbeitsleistung erweist sich daher als fremdbezogen. Diese Merkmale sprechen aber zusätzlich jedenfalls dann für eine die Versicherungspflicht auslösende persönliche Abhängigkeit eines Vorstandsmitglieds, wenn es - entsprechend der nach § 24 Abs. 3 GenG und § 20 Abs. 4 der Satzung zulässigen Besoldung von Vorstandsmitgliedern - gleichbleibende Bezüge erhält (ebenso bereits Urteil des erkennenden Senats vom 2.3.1973 a.a.O.). Nach den Feststellungen des LSG hat der Beigeladene zu 2. aber von der Klägerin im streitigen Zeitraum für seine fremdbestimmte Arbeit - unabhängig von den sonstigen Sondervergütungen und Sitzungsgeldern - regelmäßig 650,00 DM monatlich bezogen.
Die vom LSG außerdem für die Annahme einer selbständigen Tätigkeit angeführte Verfügungsfreiheit des Beigeladenen zu 2. über seine Arbeitszeit kann nach den eigenen Feststellungen des LSG jedenfalls nicht uneingeschränkt bejaht werden und ist schon deswegen für die Frage der Versicherungspflicht oder Versicherungsfreiheit nicht entscheidend. Eine freie Bestimmung der Arbeitszeit im Sinne von § 84 Abs. 1 Satz 2 des Handelsgesetzbuches (HGB) hätte hier nur vorgelegen, wenn der Beigeladene zu 2. für die Klägerin ohne Mindestarbeitszeit und bestimmtes Arbeitspensum tätig geworden wäre (vgl. die Urteile des erkennenden Senats vom 1.3.1972 - DAngV 1972, 211 und 2.3.1973 a.a.O. jeweils mit weiteren Nachweisen). Der Anfall der vom Beigeladenen zu 2. zu erledigenden Arbeiten richtete sich aber nach dem Geschäftsverteilungsplan, der ihm ein bestimmtes Arbeitspensum auferlegte und das der Beigeladene zu 2. nach den Feststellungen des LSG in einer Mindestarbeitszeit von wöchentlich 15 Stunden bewältigt hat.
Nach alledem hat der Kläger im streitigen Zeitraum ohne echtes Unternehmerrisiko fremdbestimmte, mit gleichbleibenden Bezügen vergütete Arbeit für die Klägerin geleistet und ist dabei auch funktionsgerecht in die Ordnung der Genossenschaft eingegliedert gewesen. Trotz der vom LSG angenommenen Weisungsfreiheit beim Handeln als Mitglied des Vorstandes der Genossenschaft muß deshalb eine die Versicherungspflicht auslösende abhängige Beschäftigung des Beigeladenen zu 2. bei der Klägerin (Angestellter in leitender Stellung im Sinne der §§ 3 Abs. 1 Nr. 1 AVG, 165b Nr. 1 RVO) und damit deren - der Höhe nach unstreitige - Beitragspflicht bejaht werden.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.