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12/3 RK 80/71

Gründe I.

Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob für den Kläger als geschäftsführendes Vorstandsmitglied der Beigeladenen zu 1) - Spar- und Kreditbank eingetragene Genossenschaft mit beschränkter Haftpflicht - vom 1. Januar 1968 an Versicherungspflicht in der Angestelltenversicherung und vom 1. Juli 1969 an Beitragspflicht in der Arbeitslosenversicherung besteht.

Der 1928 geborene Kläger war seit 11. Juli 1963 als Geschäftsführer der Beigeladenen zu 1) tätig. Die Rechte und Pflichten des Klägers wurden im Dienstvertrag vom 31. März 1965 geregelt. In dem Vertrag heißt es u.a., der Kläger sei verpflichtet, die Geschäfte der Bank mit der Sorgfalt eines ordentlichen Kaufmanns zu führen; er habe dabei die gesetzlichen Bestimmungen, die Vorschriften der Satzung, der Geschäftsordnung und der Dienstanweisung, die Beschlüsse der Generalversammlung sowie die Weisungen des Vorstandes gewissenhaft zu beachten. In dem Vertrag sind ferner Pflichten des Geschäftsführers festgelegt, welche die Buch- und Kassenführung, den laufenden Geschäftsverkehr, die Kreditgewährung und die Personalführung betreffen, wobei die Einschränkung gemacht wurde, daß Einstellungen von Personal durch den Vorstand zu erfolgen haben. Außerdem heißt es in dem Vertrag, der Geschäftsführer habe der Genossenschaftsbank seine volle Arbeitskraft zu widmen; er erhalte ein Monatsgehalt von 1.500,00 DM brutto und einen Jahresurlaub von 24 Werktagen. Durch Beschluß der Generalversammlung der Beigeladenen zu 1) vom 29. Juni 1964 wurde der Kläger zum geschäftsführenden Vorstandsmitglied bestellt. In der dessen Rechte und Pflichten regelnden „Vereinbarung“ vom 19. März 1969 sind im wesentlichen die schon im Dienstvertrag vom 31. März 1965 festgelegten Pflichten des Klägers wiederholt. Für seine Tätigkeit wurde eine monatliche Vergütung von 2.500,00 DM und ein jährlicher Erholungsurlaub von 24 Wochentagen bestimmt.

Die Beklagte stellte die Versicherungspflicht in der Angestelltenversicherung (vom 1. Januar 1968 an) und die Beitragspflicht in der Arbeitslosenversicherung (vom 1. Juli 1969 an) fest, weil der Kläger als Geschäftsführer in einem Dienstverhältnis zu der Beigeladenen zu 1) stehe, aus dem sich seine persönliche und wirtschaftliche Abhängigkeit ergebe (Bescheid vom 8. Februar 1968, Widerspruchsbescheid vom 2. Dezember 1968, jeweils in der am 19. August 1971 geänderten Fassung).

Klage und Berufung hatten keinen Erfolg. Das Landessozialgericht (LSG) wies die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts (SG) vom 28. April 1970 zurück, weil sich die Tätigkeit des Klägers als eine in die Organisation der Beigeladenen zu 1) eingegliederte fremdbestimmte Dienstleistung darstelle (Urteil vom 19 August 1971).

Der Kläger hat die vom LSG zugelassene Revision eingelegt. Er rügt eine Verletzung des materiellen Rechts. Das LSG habe zu Unrecht angenommen, er sei als Angestellter in leitender Stellung anzusehen Vielmehr komme seine Rechtsstellung unter Berücksichtigung aller wesentlichen Merkmale der eines Arbeitgebers gleich.

Der Kläger beantragt sinngemäß,

  • die Urteile des LSG Nordrhein-Westfalen und des SG Aachen vom 19. August 1971 und 28. April 1970 sowie den Bescheid der Beklagten vom 8. Februar 1968 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 2. Dezember 1968 aufzuheben.

Die Beklagte und die Beigeladene zu 2) beantragen,

  • die Revision zurückzuweisen.

Sie machen sich die Rechtsauffassung des LSG zu eigen.

Die Beigeladene zu 1) ist im Revisionsverfahren nicht vertreten.

Die Beigeladene zu 3) hat keinen Antrag gestellt.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt (§ 124 Abs. 2 des Sozialgerichtsgesetzes -SGG-).

Gründe II.

Die durch Zulassung statthafte Revision ist nicht begründet.

Ob der Kläger als geschäftsführendes Vorstandsmitglied der Beigeladenen zu 1) in einem freien Dienstverhältnis oder in einem abhängigen Beschäftigungsverhältnis steht, ist nach dem Dienstvertrag unter Berücksichtigung der tatsächlichen Ausgestaltung seiner Tätigkeit zu beurteilen (vgl. BSG 13, 196, 201 und SozR Nr. 68 zu § 165 der Reichsversicherungsordnung - RVO -). Dabei ist das für ein abhängiges Beschäftigungsverhältnis wesentliche Merkmal der persönlichen Abhängigkeit des Beschäftigten gegenüber einem Arbeitgeber (vgl. Urteil des erkennenden Senats vom 1.3.1972 in DAngVers 1972, 211 mit weiteren Nachweisen) dann nicht gegeben, wenn der Kläger nicht in die betriebliche Ordnung der Beigeladenen zu 1) eingegliedert ist und seine Tätigkeit frei gestalten sowie seine Arbeitszeit frei bestimmen kann. Diese Voraussetzungen für eine selbständige Tätigkeit hat das Bundessozialgericht (BSG) unter Heranziehung des in § 84 Abs. 1 Satz 2 des Handelsgesetzbuches (HGB) enthaltenen allgemeinen Rechtsgedankens wiederholt ausgesprochen (vgl. BSG 13, 196, 201; 19, 265, 269). Sie sind indes für die Tätigkeit des Klägers bei der Beigeladenen zu 1) vom LSG mit zutreffenden Gründen verneint worden.

Eine freie Bestimmung der Arbeitszeit hätte hier nur dann vorgelegen, wenn der Kläger ohne Mindestarbeitszeit und bestimmtes Arbeitspensum tätig geworden wäre (vgl. Urteil des erkennenden Senats vom 1.3.1972 a.a.O. unter Hinweis auf Baumbach-Duden, HGB, 19. Aufl., Anm. 5 B zu § 84). Nach den für das Revisionsgericht gemäß § 163 SGG bindenden Feststellungen des LSG wird indes die Arbeitskraft des Klägers durch den Kreis der ihm durch die Verträge vom März 1965 und 1969, die Satzung und die Dienstanweisung der Beigeladenen zu 1) zugewiesenen Aufgaben derart beansprucht, daß in der Regel seine Anwesenheit während der üblichen täglichen Dienststunden in der Bank geboten ist. Da diese für eine abhängige Beschäftigung des Klägers sprechenden Feststellungen des LSG auf den eigenen Angaben des Klägers in der mündlichen Verhandlung vor dem LSG beruhen, ist nicht ersichtlich, inwiefern sich aus den damaligen Erklärungen des Klägers - wie die Revision ohne nähere Begründung meint - das Gegenteil ergeben sollte. Überdies hat das LSG die grundsätzliche Anwesenheitspflicht des Klägers im Betrieb der Beigeladenen zu 1) während der täglichen üblichen Dienstzeit auch ohne Rechtsfehler der Regelung in § 6 des Vertrages vom März 1969 entnommen, wonach der Kläger den Erholungsurlaub mit seinem Stellvertreter so abzustimmen hat, daß niemals beide (gleichzeitig) dem Betrieb fernbleiben.

Nach den weiteren, von der Revision nicht angegriffenen Feststellungen des LSG stellt der Kläger seine volle Arbeitskraft ohne jedes eigene Unternehmerrisiko der Beigeladenen zu 1) zur Verfügung (vgl. hierzu Urteil des erkennenden Senats vom 1.3.1972 a.a.O.) und erhält hierfür ein festes monatliches Gehalt sowie einen bezahlten Jahresurlaub. Seine Arbeitsleistung erweist sich demnach als fremdbestimmt. Schließlich hat das LSG auch ohne Rechtsfehler festgestellt, daß der Kläger in der Gestaltung der geschäftlichen Angelegenheiten nicht völlig frei und in die betriebliche Ordnung der Beigeladenen zu 1) funktionsgerecht eingegliedert war. Dies ergibt sich bereits aus den §§ 2, 3 der Verträge vom März 1965 und 1969, wonach der Kläger bei der Führung der Geschäfte der Genossenschaft die Vorschriften der Satzung, der Geschäftsordnung, der Dienstanweisung, die Beschlüsse der Organe sowie die Weisungen des Verstandes zu beachten hat und Kredite - von näher bezeichneten Ausnahmen abgesehen - erst nach Genehmigung durch die zuständigen Verwaltungsorgane der Genossenschaft gewähren darf. Auch wenn der Kläger im übrigen als geschäftsführendes Vorstandsmitglied das Direktionsrecht der Beigeladenen zu 1) einer juristischen Person (vgl. § 17 Genossenschaftsgesetz - GenG -), als .Arbeitgeber gegenüber den Arbeitnehmern ausübt und dabei von Weisungen weitgehend unabhängig ist (vgl. §§ 24 ff. GenG), steht dieser Umstand - wie das BSG gerade im Falle des Vorstandsvorsitzenden einer eingetragenen Genossenschaft entschieden hat (BSG 16, 73, 74) - der Annahme eines abhängigen Beschäftigungsverhältnisses nicht entgegen. Aus der weisungsfreien Gestaltung einer fremdbestimmten Arbeit könnte nach der Rechtsprechung des erkennenden Senats für sich allein eine selbständige versicherungsfreie Tätigkeit ohnehin nicht hergeleitet werden, wenn - wie hier - infolge Eingliederung des Dienstleistenden in den Betrieb eines Unternehmens eine funktionsgerechte, dienende Teilhabe am Arbeitsprozeß zu bejahen ist (vgl. Urteil des erkennenden Senats vom 27.9.1972 in SozR Nr. 7 zu § 2 des Angestelltenversicherungsgesetzes - AVG - mit weiteren Nachweisen).

Die gegenteilige Auffassung der Revision kann nicht darauf gestützt werden, daß der Kläger nach den vertraglichen Vereinbarungen die Geschäfte der Genossenschaft mit der Sorgfalt eines ordentlichen Kaufmannes zu führen hat. Zutreffend hat das LSG hieraus nicht auf eine unabhängige Tätigkeit geschlossen, zumal der Kläger - anders als ein selbständiger Kaufmann - kein eigenes Kapital einzusetzen braucht. Im übrigen kann es für die rechtliche Beurteilung der Versicherungspflicht - wie der Senat im Urteil vom 1. März 1972 a.a.O. bereits ausgeführt hat - nicht auf die von den Vertragsparteien gewählten Bezeichnungen (hier: Kaufmann), sondern nur auf die tatsächliche Ausführung der beruflichen Tätigkeit und die für sie maßgeblichen Verhältnisse ankommen. Nach der tatsächlichen Ausgestaltung des Vertragsverhältnisses ist der Kläger aber jedenfalls nicht als selbständiger Kaufmann tätig.

Entgegen der Ansicht der Revision kann aus der Tatsache, daß der Kläger nach dem Arbeitsgerichtsgesetz (ArbGG) nicht als Arbeitnehmer behandelt wird (vgl. §§ 5 Abs. 1 Satz 3, 22 Abs. 2 Nr. 1 ArbGG), nicht gefolgert werden, daß er über diese spezielle Regelung hinaus auch im Sozialversicherungsrecht nicht als abhängiger Beschäftigter anzusehen ist (vgl. BSG 13, 196, 198). Vielmehr hat das LSG gerade aus der Gleichstellung eines Vorstandsmitgliedes, einer eingetragenen Genossenschaft mit einem selbständigen Arbeitgeber in anderen Rechtsbereichen zutreffend den Schluß gezogen, daß - mangels einer entsprechenden Gleichstellung im Sozialversicherungsrecht - die Frage, ob zwischen dem Kläger und der Beigeladenen zu 1) ein abhängiges Beschäftigungsverhältnis im Sinne der Sozialversicherung besteht, allein nach den für die Sozialversicherung maßgebenden Grundsätzen zu beurteilen ist (ebenso BSG 19, 265, 269 mit weiteren Nachweisen). Schon deswegen geht auch der Hinweis der Revision auf § 1 Abs. 3a des 3. Vermögensbildungsgesetzes fehl.

Der Revision kann auch nicht in der Annahme gefolgt werden, daß Organmitglieder mit Generalvollmacht oder Prokura schlechthin versicherungsfrei seien. Das BSG hat im Gegenteil wiederholt entschieden, daß die Organstellung innerhalb einer juristischen Person des Privatrechts für sich allein die Versicherungspflicht nicht ausschließt (vgl. BSG 13, 196, 200; 16, 73, 74; 17, 15, 20; SozR Nr. 68 zu § 165 RVO).

Schließlich hat das LSG auch nicht - wie die Revision meint - aus der für Vorstandsmitglieder von Aktiengesellschaften in § 3 Abs. 1 a AVG getroffenen Ausnahmeregelung den Umkehrschluß gezogen, daß der Kläger als Vorstandsmitglied einer eingetragenen Genossenschaft ohne weiteres zu den versicherungspflichtigen Angestellten gehört. Es ist zu diesem Ergebnis vielmehr ohne Rechtsfehler erst aufgrund einer Gesamtwertung der im einzelnen festgestellten Tätigkeiten des Klägers gekommen. Das LSG hat lediglich zu Recht eine Gleichstellung des Klägers mit den von § 3 Abs. 1 a AVG erfaßten Personen verneint, bei welchen die Angestellteneigenschaft kraft Gesetzes ausgeschlossen ist. Insoweit hat das LSG zutreffend angenommen, daß kein Anhalt dafür besteht, der Gesetzgeber habe bei der Einführung dieser Ausnahmeregelung in das Angestelltenversicherungsgesetz durch Art. 1 § 2 Nr. 2 des Dritten Rentenversicherungs-Änderungsgesetzes - 3. RVÄndG - vom 28. Juli 1969 (BGBl. I 956, 960) die Vorstandsmitglieder eingetragener Genossenschaften oder vergleichbare Organe anderer juristischer Personen übersehen. Durch die der BT-Drucks. V/4474 beigegebenen Begründung für diese Vorschrift wird vielmehr die Annahme des LSG bestätigt. So heißt es im Schriftlichen Bericht des 18. Ausschusses für Sozialpolitik (Allg. Teil, Abschn. III 1 b, S. 7):

  • "Die CDU/CSU Fraktion hat einen Gesetzentwurf eingebracht, nach dem Mitglieder eines zur gesetzlichen Vertretung berufenen Organs einer jur. Person, das unter eigener Verantwortung ein Unternehmen zu leiten hat, nicht als Angestellte im Sinne des § 3 des Angestelltenversicherungsgesetzes (AVG) anzusehen sind (Drucks. V/2880).
  • Der Ausschuß hat sich dahingehend geeinigt, daß Vorstandsmitglieder von Aktiengesellschaften nicht zu den Angestellten im Sinne des AVG zählen sollen".

Da hiernach die Ausnahmeregelung vom Gesetzgeber bewußt auf die Vorstandsmitglieder von Aktiengesellschaften beschränkt worden ist, braucht das LSG entgegen der Auffassung der Revision nicht mehr darzulegen, welche wesentlichen Unterschiede zwischen den Vorstandsmitgliedern verschiedener juristischer Personen bestehen. Es kann offen bleiben, ob die Revision, mit ihren diesbezüglichen Ausführungen auf das verfassungsmäßige Problem der Gleichbehandlung des Klägers mit den Vorstandsmitgliedern von Aktiengesellschaften hinweisen wollte (vgl. hierzu auch die Kritik an § 3 Abs. 1 a AVG bei Koch/Hartmann/ v. Altrock/Fürst, Kommentar zum AVG, Band IV, Anm. B III 1 zu § 2, S. V/48). Die Regelung in § 3 Abs. 1 a AVG läßt jedenfalls keinen Verstoß gegen den Gleichheitsgrundsatz des Art. 3 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG) erkennen, weil die unterschiedliche gesetzliche Behandlung von Vorstandsmitgliedern von Aktiengesellschaften im Vergleich zu Vorstandsmitgliedern anderer juristischer Personen nicht als willkürlich im Sinne der ständigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts angesehen werden kann (vgl. hierzu Urteil des erkennenden Senats vom 22.4.1970 in BSG 31, 136).

Das LSG hat nach alledem zu Recht ein abhängiges Beschäftigungsverhältnis des Klägers bejaht (Angestellter in leitender Stellung, § 3 Abs. 1 Nr. 1 AVG). Darauf beruht seine Versicherungspflicht bzw. Beitragspflicht im streitigen Zeitraum (§ 2 Abs. 1 Nr. 1 AVG i.V.m. Art. 1 § 2 Nr. 1 Finanzänderungsgesetz 1967; §§ 168 Abs. 1, 169 Nr. 1 a, 251 Arbeitsförderungsgesetz - AFG -).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

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