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1 RA 127/68

Gründe

Der am 11. Mai 1896 geborene Kläger hatte bis zum 25. September 1915 die Schule besucht. Nach bestandenem Abiturientenexamen leistete er vom 2. Oktober 1915 bis 8. Februar 1918 Kriegsdienste Vom 9. Februar 1918 an studierte er zunächst bis zum Frühjahr 1921 Chemie und dann anschließend bis November 1927 Volkswirtschaft. Dieses Studium beendete er mit der Promotion zum Dr. rer. po. Seit Oktober 1928 wurden für ihn Pflichtbeiträge zur Angestelltenversicherung entrichtete

Seit dem 1. Mai 1961 bezieht der Kläger von der Beklagten Altersruhegeld. Bei der Berechnung der Rente hat diese ihm u.a. den Kriegsdienst während des ersten Weltkriegs als Ersatzzeit mit 29 Monaten und das Hochschulstudium als Ausfallzeit mit 60 Monaten angerechnet.

Der Kläger begehrt die Anrechnung seiner Schulzeit vom 11. Mai 1911 bis 25. September 1915 als weitere Ausfallzeit. Das Sozialgericht (SG) Berlin hat seine dahingehende Klage abgewiesen. Auf seine Berufung hin hat das Landessozialgericht (LSG) Berlin das angefochtene Urteil aufgehoben und die Beklagte in Abänderung ihres Bescheides vom 19. Oktober 1965 verurteilt, vom 1. Mai 1961 ab ein höheres Altersruhegeld unter Anrechnung einer weiteren Ausfallzeit von 48 Monaten für die Schulzeit vom 11. Mai 1911 bis 25. September 1915 zu gewähren. Es ist der Auffassung, auszugehen sei noch von § 36 Abs. 1 Nr. 4 des Angestelltenversicherungsgesetzes (AVG) i.d.F. des Angestelltenversicherungs-Neuregelungsgesetzes (AnVNG) vom 23. Februar 1957. Danach waren Ausfallzeiten auch Zeiten einer nach Vollendung des 15. Lebensjahres, liegenden weiteren Schulausbildung sowie einer abgeschlossenen Fachschul- oder Hochschulausbildung, wenn im Anschluß daran oder nach Beendigung einer an die Schul-, Fachschul- oder Hochschulausbildung anschließenden Ersatzzeit i.S. des § 28 AVG innerhalb von zwei Jahren eine versicherungspflichtige Beschäftigung oder Tätigkeit aufgenommen worden ist, jedoch eine Schul- oder Fachschulausbildung nur bis zur Höchstdauer von vier Jahren, eine Hochschulausbildung nur bis zur Höchstdauer von fünf Jahren. Diese Voraussetzungen seien hier erfüllt, so führt das LSG aus, da dabei das anfängliche Studium der Chemie und das spätere der Volkswirtschaft als Einheit aufzufassen seien. Deshalb komme es nicht darauf an, ob der Kläger den Berufswechsel zu vertreten habe, und es hätte nicht aufgeklärt zu werden brauchen, ob er sein chemisch-technisches Studium wegen seiner Kriegsverwundung hätte aufgeben müssen. Jedenfalls habe damit der Kläger eine abgeschlossene Hochschulausbildung aufzuweisen, so daß deswegen auch die vorangegangene, nach Vollendung des 15. Lebensjahres liegende Schulzeit vom 11. Mai 1911 bis 25. September 1915 mit der höchstzulässigen Dauer von vier Jahren anzurechnen sei.

Das LSG hat in seinem Urteil die Revision zugelassen. Die Beklagte hat dieses Rechtsmittel eingelegt. Sie rügt unrichtige Anwendung des § 36 Abs. 1 Nr. 4 AVG und beantragt,

  • unter Aufhebung des angefochtenen Urteils die Berufung des Klägers gegen das Urteil des SG B. vom 3. März 1967 zurückzuweisen.

Der Kläger hat sich im Revisionsverfahren nicht vertreten, lassen.

Die Revision der Beklagten ist nicht begründet.

Auszugehen ist von § 36 Abs. 1 Nr. 4 AVG i.d.F. des AnVNG, allerdings mit der Maßgabe, dass bereits die Verlängerung der Frist für die Aufnahme einer versicherungspflichtigen Beschäftigung oder Tätigkeit von zwei auf fünf Jahre gilt (Art. 1 § 2 Nr. 19 Buchst. d i.V. mit Art. 5 § 4 Abs. 2 Buchst. e des Rentenversicherungs-Änderungsgesetzes - RVÄndG - vom 9. Juni 1965). Hierzu führt die Beklagte zunächst mit Recht aus, nach dem Wortlaut des Gesetzes müsse an sich die versicherungspflichtige Tätigkeit innerhalb von fünf Jahren der Schulausbildung oder einer anschließenden Ersatzzeit folgen. Bei einer solchen Auslegung wäre danach die Anrechnung der Schulzeit schon deshalb nicht möglich, weil für den Kläger der erste Sozialversicherungsbeitrag erst mehr als zehn Jahre nach der Beendigung der Ersatzzeit (des Kriegsdienstes) geleistet worden sei. Eine derartige Auslegung würde jedoch dem Sinn und Zweck der Vorschrift nicht entsprechen, versicherungsrechtliche Nachteile einer Ausbildung auszugleichen, und insbesondere den Fällen nicht Rechnung tragen, in denen z.B. nach dem Kriegsdienst ein unterbrochenes Hochschulstudium zu Ende geführt worden ist. Insoweit schließt sich der Senat der Rechtsauffassung der Beklagten an. § 36 Abs. 1 Nr. 4 AVG ist daher dahin zu verstehen, daß auch eine vor und nach einer Ersatzzeit liegende Hochschulausbildung Ausfallzeit sein und den Anschluß der Schulausbildung zur Versicherungspflichtigen Tätigkeit wahren kann, so daß die Frist zur Aufnahme der versicherungspflichtigen Beschäftigung oder Tätigkeit alsdann auch erst mit dem Abschluß des Studiums beginnt. Entsprechendes gilt, wenn - wie hier - die Ersatzzeit des militärischen Dienstes (§ 28 Abs. 1 Nr. 1 AVG) zwischen dem Ende der Schulzeit und dem Beginn der Hochschulausbildung liegt; auch in einem solchen Fall muß der erforderliche Zusammenhang der Ausbildungszeit noch als gewahrt angesehen werden. Im Ergebnis bleiben deshalb Unterbrechungen von aufeinanderfolgenden Ausbildungszeiten im Sinne von § 36 Abs. 1 Nr. 4 AVG durch Ersatzzeiten unberücksichtigt. Dazu ist allerdings Voraussetzung, daß Ersatzzeit und Hochschulausbildung jeweils in einem angemessenen Anschlußzeitraum untereinander sowie der Schulzeit folgen, und daß dann schließlich nach Beendigung der Hochschulausbildung innerhalb von fünf Jahren die versicherungspflichtige Beschäftigung oder Tätigkeit aufgenommen wird.

Darüber hinaus will die Beklagte aber eine weitere Einschränkung machen. Sie meint, als den Anschluß wahrende Hochschulausbildung komme nur eine solche in Betracht, die erfolgreich beendet worden ist. Diese Einschränkung sei nicht willkürlich, sondern nach dem Wortlaut des Gesetzes und nach seinem Sinn und Zweck geboten. Nach § 36 Abs. 1 Nr. 4 AVG könne ein Hochschulstudium nämlich nur anerkannt werden, wenn es abgeschlossen ist. Auch sonst sei in dieser Vorschrift nur von abgeschlossener Fachschul- oder Hochschulausbildung die Rede. Dieser Sprachgebrauch stehe eindeutig im Gegensatz zur Ausdrucksweise in § 28 Abs. 2 Buchst. a AVG, wo nur von „Ausbildung“ gesprochen werde, und das müsse bei der Auslegung beachtet werden. Deshalb könne auch nur ein abgeschlossenes Hochschulstudium Bindeglied zwischen Schulausbildung bzw. anschließender Ersatzzeit und versicherungspflichtiger Beschäftigung sein. Wenn das Chemiestudium des Klägers aber wegen fehlenden Abschlusses nicht als Ausfallzeit angerechnet werden könne, müsse es auch bei der Prüfung, ob die Schulausbildung anrechenbar sei, außer Betracht bleiben. Da nicht innerhalb von fünf Jahren nach Beendigung der Ersatzzeit die versicherungspflichtige Tätigkeit aufgenommen worden sei und mit dem mehr als drei Jahre nach Beendigung der Kriegsdienstzeit begonnenen abgeschlossenen Studium der Volkswirtschaft nicht der Anschluß gewahrt werde (BSG 17, 129, 132 i.V. mit der durch; das RVÄndG in § 28 Abs. 2 Buchst. a AVG jetzt eingeführten Dreijahresfrist), könne somit die Schulausbildung des Klägers nicht als Ausfallzeit angerechnet werden. Das entspreche auch allein dem Sinn und Zweck der Gesetzesregelung. Ein Ausgleich versicherungsrechtlicher Nachteile durch Anrechnung von Ausfallzeiten solle nur bei einer kontinuierlichen, zur Ausübung des in Aussicht genommenen Berufs führenden Ausbildung gewährt werden. Durch das nicht abgeschlossene Studium der Chemie sei dieser Weg bei rückschauender Betrachtung unterbrochen worden. Da die Unterbrechung die angemessene Anschlußfrist von drei Jahren überschreite, könne die Schulzeit nicht berücksichtigt werden.

Diesen Ausführungen kann nicht gefolgt werden. Das Gesetz fordert nur, daß die Hochschulausbildung insgesamt erfolgreich abgeschlossen worden ist. Nicht dagegen wird dies für jedes einzelne Fachgebiet des Studiums verlangt, dem der Studierende während der Hochschulausbildung obgelegen hat. Wäre die Auffassung der Beklagten richtig, würden sich für die Bewertung als Ausfallzeit Schwierigkeiten ergeben, wenn der Studierende sein Fach wechselt, aber immerhin in der allgemeinen Sichtung des begonnenen Studiums bleibt. Ein Student der Rechtswissenschaft geht z.B. zum Studium der Volkswirtschaft über oder umgekehrt, oder ein Theologiestudent studiert nach kurzer Zeit Philologie, um Studienrat zu werden, oder ein anfänglicher Mediziner studiert später Psychologie. Für Fälle dieser Art heißt es im Kommentar zum AVG von Koch / Hartmann / v. Altrock / Fürst zu § 36 AVG Erl. B V 4 e, es komme immer darauf an, ob der erste Abschnitt dem endgültigen Ausbildungsziel dienlich gewesen sei. Das sei bei einem Wechsel innerhalb der Ausbildungsstufe, z.B. vom Polytechnikum zur technischen Hochschule oder von der pädagogischen Hochschule (Lehrerseminar) zur Universität, ohne weiteres anzunehmen. Schwieriger liege es beim Wechsel der Fachrichtung, er könne schädlich sein, doch sollten förmlich angerechnete Semester mitzählen. Danach wahrten aber unberücksichtigt bleibende Ausbildungszeiten ihrerseits den Anschluß nicht. Diese Ansicht überzeugt jedoch nicht. Eine solche Auslegung führte zu einer schwierigen und umständlichen Kasuistik und erforderte kaum durchführbare Ermittlungen darüber, ob vor Jahrzehnten Semester einer anderen Fachrichtung auf das neue Studium förmlich angerechnet worden sind oder nicht. Weiter müßte dabei auch noch an die Fälle eines durch besondere Umstände wie schwere Erkrankung erzwungenen Studienwechsels gedacht werden. Vor allem aber könnte sich der Versicherte mit Recht darauf berufen, daß die Universität nicht nur ein Ausbildungsinstitut, sondern auch eine breit angelegte Bildungsstätte ist, und daß sein anfängliches, nicht beendetes Studium ihm gleichwohl für seinen späteren Beruf wesentliche Kenntnisse vermittelt und auch sonst seinen Gesichtskreis erweitert sowie ihn schließlich in das wissenschaftliche Arbeiten und Denken eingeführt hat. Mit Rücksicht hierauf verbietet sich die von der Beklagten vorgenommene enge Auslegung, zumal sie das ohnehin schwierige Recht der Anrechnung beitragsloser Zeiten in unnötiger Weise weiter komplizieren würde. Richtig ist zwar, daß die Zeit des Chemiestudiums des Klägers keine Ausfallzeit wäre, wenn er nicht anschließend erfolgreich Volkswirtschaft studiert hätte. Daraus darf aber nicht gefolgert werden, daß deshalb die darauf verwendete Zeit als eine Ausfallzeit nach § 36 Abs. 1 Nr. 4 AVG überhaupt nicht mehr in Betracht käme. Einer übermäßigen finanziellen Belastung der Versichertengemeinschaft wird bereits dadurch vorgebeugt, daß eine Hochschulausbildung insgesamt nur bis zur Höchstdauer von fünf Jahren angerechnet wird. Darüber hinaus bei einem Wechsel des Studienfachs das nicht beendete Anfangsstudium weder als Ausfallzeit gelten noch es zur Herstellung des Anschlusses an eine vorangegangene andere, als Ausfall- oder Ersatzzeit in Betracht kommende Zeit genügen zu lassen, besteht kein Anlaß. Bei einem solchen Vorgehen wären Unbilligkeiten unvermeidlich. Wie zu entscheiden wäre, wenn der Kläger statt des nicht beendeten Chemiestudiums einen nicht abgeschlossenen Fachschulbesuch aufzuweisen hätte, oder wenn zwischen dem Chemiestudium und dem Studium der Volkswirtschaft eine längere Unterbrechung gelegen hätte, braucht hier nicht erörtert zu werden.

Somit erweist sich das Berufungsurteil als gerechtfertigt.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 des Sozialgerichtsgesetzes.

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