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1 RA 211/66

Tenor

Das Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen vom 8. Juli 1966 wird aufgehoben.

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Oldenburg vom 26. Januar 1966 wird zurückgewiesen.

Kosten sind nicht zu erstatten.

Gründe

Der Kläger verlangte von der Beklagten die Feststellung, daß je 12 freiwillige Beitragsmarken der Beitragsklasse A, die er für die Jahre 1960 und 1961 auf einem mit seiner Versicherungskarte Nr. 14 fest verbundenen privaten Zettel geklebt hatte, ein gültiges Versicherungsverhältnis begründet haben (§ 145 Abs. 3 des Angestelltenversicherungsgesetzes - AVG -). Die Beklagte bezeichnete die Beiträge jedoch als unwirksam (Bescheid vom 15. Februar 1965). Den Widerspruch des Klägers wies sie zurück (Bescheid vom 9. April 1965). Das Sozialgericht (SG) Oldenburg wies die Klage ab (Urteil vom 26. Januar 1966). Auf die Berufung des Klägers gab das Landessozialgericht (LSG) Niedersachsen der Klage - unter Zulassung der Revision - statt; es stellte fest, die 24 Beiträge der Klasse A für die Monate Januar 1960 bis Dezember 1961 seien gültig. Zwar sehe § 131 Abs. 1 Satz 1 AVG vor, daß die Entrichtung von Beiträgen durch Verwendung von Beitragsmarken mittels Einklebens der Beitragsmarken in die Versicherungskarte erfolge, auch habe schon das Reichsversicherungsamt (RVA) das Aufkleben von Beitragsmarken auf einem besonderen Bogen - auch auf einem mit der Versicherungskarte fest verbundenen Anhang - als rechtlich unwirksam angesehen. Während des zweiten Weltkrieges seien jedoch unter dem Zwang der Verhältnisse Bestimmungen ergangen, auf Grund derer die Rentenversicherungsträger zu den vorhandenen Versicherungs- und Quittungskarten Einlagezettel ausgegeben hätten (AN 1944, 6). Diese Maßnahmen seien rechtsgültig gewesen und bisher formell nicht außer Kraft gesetzt worden. Die Versicherungsträger und ihre Überwachungsbeamten duldeten auch heute noch die Verwendung dieser alten Einlagezettel für Entgelteintragungen. Es sei nicht einzusehen, warum nicht auch noch in den Jahren 1960 und 1961 Beitragsmarken durch Aufkleben auf einem mit der Versicherungskarte fest verbundenen Anhang wirksam entrichtet werden konnten (Urteil vom 8. Juli 1966).

Mit der Revision rügte die Beklagte die Verletzung der §§ 131, 133 und 134 AVG. Sie beantragte,

  • unter Aufhebung des angefochtenen Urteils die Berufung gegen das Urteil des SG Oldenburg vom 26. Januar 1966 als unbegründet zurückzuweisen.

Der Kläger war im Revisionsverfahren nicht vertreten.

Die Revision der Beklagten ist zulässig und begründet. Sie ist bei dem gegebenen Sachverhalt nicht nach § 145 Abs. 3 AVG zu der Feststellung verpflichtet, daß die 24 vom Kläger für die Jahre 1960 und 1961 verwendeten Beitragsmarken der Klasse A ein gültiges Versicherungsverhältnis begründet haben. Diese Beiträge sind vielmehr unwirksam.

Nach § 131 Abs. 1 Satz 1 AVG erfolgt in der Rentenversicherung der Angestellten die Entrichtung von Beiträgen durch Verwendung von Beitragsmarken in der Weise, daß die Beitragsmarken in die Versicherungskarte des Versicherten (§ 133 AVG) eingeklebt werden. Dieser Vorschrift entspricht § 1409 Abs. 1 Satz 1 der Reichsversicherungsordnung (RVO), der für die Rentenversicherung der Arbeiter die gleiche Anordnung trifft. Wie bereits das RVA zu der inhaltlich gleichlautenden Vorschrift in § 1413 RVO aF entschieden hat, ist zur rechtswirksamen Verwendung der Beitragsmarken das Einkleben in die (damalige) Quittungskarte selbst unerläßlich, es genügt nicht, daß die Beitragsmarken auf ein besonderes Blatt Papier aufgeklebt werden, auch wenn dieses mit der Quittungskarte fest verbunden ist (GE Nr. 4480, AN 1932, 465). Für das RVA ergab sich die Richtigkeit dieser Auffassung schon aus dem eindeutigen Wortlaut des Gesetzes, hinzu kam die Erwägung, daß eine andere Verwendungsart die Handhabung der Karten erschweren und unlauteren Maßnahmen durch Abtrennen der Blätter Vorschub leisten könnte. Zwar wird die Gültigkeit der Markenverwendung nicht dadurch berührt, daß die Beitragsmarken nicht genau in die auf der Karte vorgesehenen Markenfelder, sondern auf Stellen außerhalb derselben, zum Beispiel auch auf die Rückseite der Karte geklebt sind (GE Nr. 4467, AN 1932, 441 unter Berufung auf EuM 26, 110). Jedoch erfüllt das Einkleben auf ein mit der Karte verbundenes Papier nicht die Voraussetzungen des Einklebens "in die Versicherungskarte" und damit einer gültigen Markenverwendung.

Diese früheren Entscheidungen haben auch für das vom 1. Januar 1957 an geltende Recht ihre Bedeutung behalten. Der Vorgang der Markenverwendung als solcher hat sich nicht geändert. Wenn § 131 Abs. 1 Satz 1 AVG anordnet, daß die Beitragsmarken in die Versicherungskarte einzukleben sind, so bedeutet dies schon nach dem Gesetzeswortlaut keine bloße Ordnungsvorschrift, deren Mißachtung die Gültigkeit einer anderweitigen Markenverwendung - hier das Aufkleben auf ein besonderes Blatt - nicht berühren kann. Vielmehr bildet das Einkleben der Beitragsmarken in die Versicherungskarte eine unerläßliche Voraussetzung für die Wirksamkeit der Beitragsentrichtung im Markenverfahren. Die Beachtung der Vorschrift ermöglicht nicht nur eine zuverlässige Prüfung der Rechtzeitigkeit der Markenverwendung, sie vermag auch Unregelmäßigkeiten auf dem Gebiet der Beitragsleistung durch Markenverwendung vorzubeugen; § 131 Abs. 1 Satz 1 AVG dient damit der Rechtssicherheit. Deshalb bedeutet das Aufkleben auf einen mit der Karte verbundenen Anhang keine Beitragsentrichtung in der gesetzlich vorgeschriebenen Form. Die von der Ausgabestelle ausgestellte und ausgehändigte Versicherungskarte (§ 133 Abs. 2 AVG) ist eine inländische, öffentliche, zum Beweis von Rechtsverhältnissen bestimmte und erhebliche Urkunde im Sinne von § 415 der Zivilprozeßordnung (ZPO) und § 348 des Strafgesetzbuches (StGB) - vergleiche RG in EuM 40, 58 -. Sie kann vom Versicherten nicht beliebig verändert und - hier durch Anheften eines Zettels - mit der Wirkung erweitert werden, daß auch der angeheftete Zettel Teil der öffentlichen Urkunde wird. Nach dem Gesetz ist aber nur eine solche Beitragsentrichtung rechtswirksam, die sich aus der Urkunde, das heißt aus der Versicherungskarte selbst ergibt. Soweit § 28 der Allgemeinen Verwaltungsvorschrift über Versicherungskarten und Aufrechnungsbescheinigungen in der Rentenversicherung der Arbeiter und der Rentenversicherung der Angestellten (VVA) vom 27. Mai 1964 (BABl 1964, 393) neuerdings die Verwendung von Einlagezetteln gestattet, gilt dies nur für einzelne bestimmte Vorgänge (Berichtigungen und Änderungen von Eintragungen nach § 27 sowie Aufnahme maschinell hergestellter Entgeltbescheinigungen), nicht jedoch für die Beitragsentrichtung durch Markenverwendung. Von den hier bestimmten Vorgängen abgesehen ist es, wie § 28 VVA ausdrücklich sagt, unzulässig, die Versicherungskarte durch Einlagezettel zu ergänzen.

Von dieser Auffassung ist auch das LSG ausgegangen. Es begründet seine gegenteilige Entscheidung lediglich mit der Erwägung, daß während des zweiten Weltkriegs und in den ersten Jahren danach auf Grund von Verwaltungsanordnungen eine formlosere Handhabung bei der Verwendung von Beitragsmarken bestanden habe, wonach diese wirksam auch auf Einlagezettel geklebt werden durften. Selbst wenn dies zuträfe - die vom LSG angeführte Bekanntmachung des RVA vom 30. November 1943 (AN 1944, 6) spricht nur von Entgelteintragungen auf Einlagezetteln, andererseits aber Verbandskommentar Anm. 3 zu § 1409 RVO -, so kann auf diese unter den besonderen Verhältnissen der Kriegs- und Nachkriegszeit ergangenen Anordnungen jedenfalls in der Zeit nach der Neuregelung des Rechts der Rentenversicherung durch die Gesetze vom 23. Februar 1957 nicht mehr abgestellt werden, selbst wenn die Anordnungen, wie das LSG meint, nicht besonders aufgehoben worden sein sollten. Im übrigen sind durch Art. 3 § 2 des Angestelltenversicherungs-Neuregelungsgesetzes (AnVNG) mit dem Inkrafttreten dieses Gesetzes alle ihm entgegenstehenden oder gleichlautenden Vorschriften außer Kraft gesetzt worden; dazu sind auch frühere Vorschriften zu rechnen, die möglicherweise eine den §§ 131, 133 und 134 AVG entgegenstehende Handhabung bei der Verwendung von Beitragsmarken zugelassen haben. Danach stellt aber die Verwendung von Beitragsmarken für die Jahre 1960 und 1961 auf einem mit der Versicherungskarte verbundenen Blatt Papier keine wirksame Entrichtung freiwilliger Beiträge zur Angestelltenversicherung dar.

Auf die Revision der Beklagten muß daher das Urteil des LSG aufgehoben und die Berufung des Klägers gegen das zutreffende Urteil des SG zurückgewiesen werden.

Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 193 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG -.

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