Navigation und Service

Logo der Deutschen Rentenversicherung (Link zur Startseite rvRecht)

rvRecht® - Rechtsportal der Deutschen Rentenversicherung

11 RA 272/66

Gründe I.

Die Beteiligten streiten darüber, wie lange die Beklagte eine der Klägerin bei ihrer Wiederheirat gewährte Abfindung von der nach Auflösung der zweiten Ehe wiederaufgelebten Witwenrente in Teilbeträgen einbehalten darf (§ 68 Abs. 2 Satz 2 des Angestelltenversicherungsgesetzes - AVG -). Die Klägerin erhielt aus der Versicherung ihres ersten, am 14. Februar 19.. gestorbenen Mannes von der Beklagten eine Witwenrente von zuletzt 421,70 DM (1. Witwenrente). Am 25. September 1964 heiratete sie wieder. Damit fiel die Rente weg. Auf ihren Antrag vom 29. September 1964 bewilligte ihr die Beklagte eine Abfindung der Rente in Höhe von 24.880,30 DM (Fünfjahresbetrag abzüglich des schon gezahlten Oktoberbetrages). Inzwischen war der zweite Ehemann am 7. Oktober 19.. verstorben. Die Beklagte bewilligte der Klägerin aus der Versicherung des zweiten Mannes eine neue Witwenrente (2. Witwenrente). Diese war bis 1. Februar 1965 höher und danach um 34,80 DM niedriger als die erste Witwenrente. Die Klägerin beantragte deshalb die Wiedergewährung der ersten Witwenrente. Durch Bescheid vom 19. Februar 1965 und Ergänzungsbescheid vom 7. April 1965 erkannte die Beklagte an, daß die erste Witwenrente infolge des Todes des zweiten Mannes mit Wirkung vom 1. November 1964 an wiederaufgelebt ist; sie rechnete aber auf sie die zweite Witwenrente an und behielt außerdem den verbleibenden Unterschiedsbetrag (ab 1. Februar 1965 in Höhe von 34,80 DM) „zur Tilgung“ des gesamten Abfindungsbetrages ein; demnach stellte sie fest, daß die Klägerin „bis zur Tilgung“ des Abfindungsbetrages keinen Anspruch auf Zahlung der wiederaufgelebten ersten Witwenrente habe.

Das Sozialgericht (SG) verurteilte die Beklagte, der Klägerin einen neuen Bescheid zu erteilen, „in dem die Witwenrentenabfindung aus der Versicherung ihres ersten Ehemannes nur für die Zeit bis zum 30. September 1969 mit der wiederaufgelebten Witwenrente verrechnet wird“. Das Landessozialgericht (LSG) wies die Berufung der Beklagten zurück: § 68 Abs. 2 AVG lasse im letzten Halbsatz die Anrechnung der Abfindung nur zu, „soweit sie für die Zeit nach Wiederaufleben des Anspruchs auf Rente gewährt ist“, also nicht unbegrenzt. Man müsse demnach die an sich für alle Zukunft gewährte Abfindung in zwei Beträge - je einen für die Zeiten vor und nach dem Wiederaufleben der Rente - aufteilen. Das sei nur möglich, wenn man einen bestimmten Abfindungszeitraum fingiere. Da nach § 81 Abs. 1 AVG der fünffache Jahresbetrag der Rente als Abfindung gewährt werde, biete sich ein Zeitraum von 5 Jahren nach der Wiederheirat an. Nur bis zum Ablauf dieses Zeitraums (hier bis zum 30. September 1969) dürfe die Abfindung mit der wiederaufgelebten Rente verrechnet werden.

Mit der zugelassenen Revision beantragt die Beklagte

  • die Urteile des LSG und des SG aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Sie rügt eine Verletzung des § 68 Abs. 2 AVG: Sie stimme mit dem LSG überein, was den Umfang der verrechenbaren Abfindung betreffe; entgegen der Ansicht des LSG sei die Verrechnungsmöglichkeit aber nicht zeitlich begrenzt.

Die Klägerin ist im Revisionsverfahren nicht vertreten.

Beide Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt (§ 124 Abs. 2 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG -).

Gründe II.

Die Revision ist zulässig und begründet.

Die Klägerin wendet sich allein dagegen, daß die Beklagte die gezahlte Abfindung in Teilbeträgen von der laufenden Rente auch noch nach September 1969 einbehalten will. Die Beklagte hat in den Bescheiden vom 19. Februar und 7. April 1965 die Einbehaltung des Abfindungsbetrages von der wiederaufgelebten ersten Witwenrente „bis zur Tilgung“ des Abfindungsbetrages verfügt. Da bei einer Einbehaltung von monatlich 34,80 DM innerhalb von 5 Jahren nicht einmal ein Zehntel der Abfindungssumme „getilgt“ ist, hat sie damit eine Einbehaltung der Rente auch für die Zeit nach September 1969 angeordnet. Mit der Klage erstrebt die Klägerin dem Sinne nach die Aufhebung dieser Regelung für die Zeit von Oktober 1969 an. Ihre Klage ist daher eine Anfechtungsklage (§§ 123, 54 Abs. 1 SGG) und als solche zulässig.

Entgegen der Auffassung der Vorinstanzen ist die Klage aber unbegründet. Weder aus dem Wortlaut noch aus dem Sinn und Zweck des Gesetzes ergibt sich, daß die Beklagte nur bis zum Ablauf von 5 Jahren nach der Wiederheirat die Abfindung in Teilbeträgen von der wiederaufgelebten Witwenrente einbehalten dürfe. § 68 Abs. 2 Satz 2 AVG bestimmt, daß eine bei der Wiederverheiratung gewährte Abfindung „in angemessenen monatlichen Teilbeträgen einzubehalten ist, soweit sie für die Zeit nach Wiederaufleben des Anspruchs auf Rente gewährt ist“. Der letzte Halbsatz ist nur bedeutsam für die Höhe des einzubehaltenden Abfindungsbetrages; er regelt die Frage, wie viel der Versicherungsträger im ganzen einbehalten kann, sagt aber nichts darüber, wie lange eine Einbehaltung in Teilbeträgen zulässig ist. Insoweit fehlt in dem ersten Halbsatz des § 68 Abs. 2 Satz 2 AVG eine zeitliche Begrenzung. Schon deshalb ist anzunehmen, daß das Gesetz keine zeitliche Grenze setzt.

Daran kann auch die Annahme eines fingierten Abfindungszeitraumes von 5 Jahren nichts ändern. Im Gegensatz zur Kapitalabfindung nach den §§ 72, 74 Abs. 2 des Bundesversorgungsgesetzes (BVG) wird die Abfindung der Witwenrente nach § 81 AVG zwar nicht für einen bestimmten Abfindungszeitraum gewährt; abgefunden wird die Witwenrente vielmehr für alle Zukunft. Wie das LSG aber zutreffend dargelegt hat, lässt sich der letzte Halbsatz des § 68 Abs. 2 AVG sinnvoll nur anwenden, wenn man hier einen bestimmten Abfindungszeitraum fingiert; dabei drängt sich bei den Abfindungen nach § 81 AVG wegen ihrer Berechnung der Zeitraum von 5 Jahren nach der Wiederheirat auf. Zur Ermittlung des einzubehaltenden Abfindungsbetrages ist die Abfindung daher auf die 60 Monate nach der Wiederheirat zu verteilen; demnach ist einzubehalten der Betrag, der auf die Monate nach dem Wiederaufleben des Rentenanspruchs entfällt. Die Fiktion eines Abfindungszeitraumes von 5 Jahren ermöglicht mithin die Feststellung des einzubehaltenden Abfindungsbetrages. Weshalb sich aus dieser Fiktion aber auch eine zeitliche Grenze für die Einbehaltungen an der laufenden Rente ergeben soll, hat das LSG nicht begründet. Die Autoren, auf die es sich beruft (Beck, Soziale Sicherheit 1957 S. 244, 245; Jantz-Zweng Anm. I, 3 zu § 1291 RVO; Ges.Komm. zur RVO Anm. 4 zu § 1291), äußern sich dazu nicht. Gegen die Annahme des LSG spricht jedenfalls, daß das Gesetz die Einbehaltung nur „in angemessenen monatlichen Teilbeträgen“ gestattet; diese Teilbeträge richten sich deshalb nach den Verhältnissen des Einzelfalles; der Zeitraum, über den sich die Einbehaltungen erstrecken, ist also von Fall zu Fall verschieden; damit ist nicht gewährleistet, daß der einzubehaltende Abfindungsbetrag auch tatsächlich bis zum Ablauf von 5 Jahren nach de Wiederheirat einbehalten ist. Darüber muß sich der Gesetzgeber im klaren gewesen sein. Dies erklärt aber auch, warum eine zeitliche Grenze für die Einbehaltungen im Gesetz nicht bestimmt ist. Hätte der Gesetzgeber die Einbehaltungen an der laufenden Rente nur bis zum Ablauf von 5 Jahren nach der Wiederheirat zulassen wollen, dann wäre eine entsprechende Fassung des Gesetzeswortlautes geboten gewesen.

Das bestätigt ein Blick auf die Regelungen gleicher Sachverhalte in anderen sozialrechtlichen Gesetzen. Nach § 44 BVG erhält die Witwe in der Kriegsopferversorgung bei Wiederheirat eine Abfindung in Höhe des 50fachen der monatlichen Grundrente. Abs. 3 bestimmt, daß bei Auflösung der Ehe innerhalb von 50 Monaten nach der Wiederheirat „bis zum Ablauf dieses Zeitraumes für jeden Monat ein Fünfzigstel der Abfindung“ auf die wiederaufgelebte Witwenrente anzurechnen ist. Im Gegensatz zu § 68 Abs. 2 Satz 2 AVG setzt das Gesetz dort also einen Endtermin; es fixiert aber zugleich den monatlich anzurechnenden Betrag auf ein Fünfzigstel der Abfindung, womit die „Tilgung“ des anzurechnenden Abfindungsbetrages bis zum Ablauf des 50-Monatszeitraumes gesichert ist. Nach § 615 RVO erhält die Witwe in der Unfallversicherung bei Wiederheirat wie in der Rentenversicherung den fünffachen Jahresbetrag der Rente als Abfindung. Nach Abs. 3 muß sie die bei der Wiederheirat gezahlte Abfindungssumme - gemindert um den Betrag, den die Witwe bis zum Wiederaufleben der Witwenrente hätte beanspruchen können, wenn die neue Ehe nicht geschlossen wäre - „in angemessenen monatlichen Teilbeträgen zurückzahlen“. Dort ist also der Rückzahlungspflicht - anders als in § 44 Abs. 3 BVG - keine zeitliche Grenze gesetzt; dies erklärt sich wieder damit, daß die Zurückzahlung - ebenso wie nach § 68 Abs. 2 Satz 2 AVG - nur „in angemessenen monatlichen Teilbeträgen“ zu erfolgen hat.

Nach alledem kann der erkennende Senat der Auffassung der Vorinstanzen nicht folgen. Auf die Revision der Beklagten sind deshalb die Urteile des SG und des LSG aufzuheben. Die Klage ist abzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Zusatzinformationen