XII ZB 253/13
Tenor
Die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss des 20. Familiensenats des Oberlandgerichts Dresden vom 30. April 2013 wird auf Kosten des Antragsgegners zurückgewiesen.
Wert: bis 19.000 €.
Gründe
I.
Auf den am 20. Juli 2010 zugestellten Antrag hat das Familiengericht die am 13. April 1995 geschlossene Ehe der Antragstellerin (Ehefrau) und des Antragsgegners (Ehemann) geschieden und den Versorgungsausgleich geregelt.
Im Zeitpunkt der Eheschließung waren die Ehefrau 29 Jahre und der Ehemann 48 Jahre alt. Aus der Ehe sind zwei Töchter hervorgegangen, von denen eine beim Ehemann und eine bei der Ehefrau lebt. Der Ehemann hat seit dem 1. Juli 2009 Vorruhestandsbezüge erhalten und befindet sich seit dem 1. März 2013 im Altersruhestand. Für die bei der Ehefrau lebende Tochter zahlt er Barunterhalt. Die Ehefrau lebt ohne eigenes Einkommen in einer neuen Lebensgemeinschaft.
Während der Ehezeit (1. April 1995 bis 30. Juni 2010; § 3 Abs. 1 VersAusglG) hat die Ehefrau 2,7465 Entgeltpunkte und 5,1011 Entgeltpunkte (Ost) in der gesetzlichen Rentenversicherung erworben, der Ehemann 30,3984 Entgeltpunkte (Ost) sowie insgesamt Anrechte aus betrieblicher Altersversorgung mit Kapitalwerten von 333.526 €, 55.880,60 €, 11.430,48 €, 20.620,31 € und 6.921,92 €.
Das Familiengericht hat diese Anrechte intern geteilt. Dagegen hat der Ehemann Beschwerde eingelegt mit dem Begehren, den Versorgungsausgleich wegen grober Unbilligkeit (§ 27 VersAusglG) insgesamt schuldrechtlich durchzuführen, hilfsweise die Kürzung seiner laufenden Versorgung auszusetzen. Das Oberlandesgericht hat die Beschwerde zurückgewiesen; hiergegen richtet sich die zugelassene Rechtsbeschwerde des Ehemanns.
II.
Die Rechtsbeschwerde ist nicht begründet.
1. Das Oberlandesgericht hat seine Entscheidung im Wesentlichen wie folgt begründet:
Die Anordnung eines schuldrechtlichen Versorgungsausgleichs komme nur für Anrechte in Betracht, die nicht ausgleichsreif seien (§ 19 VersAusglG), oder bezüglich derer die Ehegatten einen schuldrechtlichen Versorgungsausgleich durch Vereinbarung vorbehalten hätten (§ 6 Abs. 1 Nr. 3 VersAusglG). Diese Voraussetzungen lägen nicht vor. Auch sei ein schuldrechtlicher Versorgungsausgleich im vorliegenden Fall nicht aufgrund verfassungskonformer ergänzender Auslegung des Versorgungsausgleichsrechts geboten. Das frühere sogenannte Rentnerprivileg habe der Gesetzgeber bewusst abgeschafft.
Unter den Voraussetzungen der Härteregelung des § 27 VersAusglG könnte der Ehemann nur einen Ausschluss oder eine Beschränkung des gesetzlichen Versorgungsausgleichs zu Lasten der Ehefrau verlangen, nicht aber eine Verweisung auf den schuldrechtlichen Versorgungsausgleich. Eine unbillige Härte liege auch nicht vor, da dem Ehemann selbst nach der Kürzung seiner Versorgung um ca. 1.800 € noch Einkünfte von mehr als 5.000 € monatlich verblieben, die unter Berücksichtigung seines Selbstbehalts ausreichend seien, den Unterhalt der Töchter zu bestreiten.
Auch der Antrag auf Aussetzung der Kürzung gemäß § 33 VersAusglG bleibe ohne Erfolg, da der Ehefrau keine Ansprüche auf nachehelichen Unterhalt zustünden. Auf Fälle, in denen der Ausgleichspflichtige Kindesunterhalt zahle, seien die §§ 32 ff. VersAusglG nicht entsprechend anwendbar.
2. Diese Ausführungen halten einer rechtlichen Nachprüfung stand.
a) Durch § 9 Abs. 1 VersAusglG ist die Rangfolge der Ausgleichsformen dahin festgelegt, dass dem Wertausgleich bei der Scheidung alle Anrechte unterfallen, es sei denn, die Ehegatten haben den Ausgleich nach den §§ 6 bis 8 geregelt oder die Ausgleichsreife der Anrechte nach § 19 fehlt. Da weder ein Fall fehlender Ausgleichsreife noch eine Vereinbarung der Ehegatten vorliegt, ist der Wertausgleich bei der Scheidung durchzuführen, und zwar grundsätzlich durch interne Teilung der Anrechte (§ 9 Abs. 2 VersAusglG).
b) Gemäß § 27 VersAusglG findet ein Versorgungsausgleich ausnahmsweise nicht statt, soweit er grob unbillig wäre. Dies ist nur der Fall, wenn die gesamten Umstände des Einzelfalls es rechtfertigen, von der Halbteilung abzuweichen.
Ob und in welchem Umfang die Durchführung des Versorgungsausgleichs grob unbillig erscheint, unterliegt der tatrichterlichen Beurteilung. Diese ist im Verfahren der Rechtsbeschwerde nur daraufhin zu überprüfen, ob alle wesentlichen Umstände berücksichtigt wurden und das Ermessen in einer dem Gesetzeszweck entsprechenden Weise ausgeübt worden ist (Senatsbeschluss vom 19. September 2012 - XII ZB 649/11 - FamRZ 2013, 106 Rn. 16 mwN).
Dabei erfordert § 27 VersAusglG für einen Ausschluss oder eine Herabsetzung des Wertausgleichs eine grobe Unbilligkeit, das heißt eine rein schematische Durchführung des Versorgungsausgleichs muss unter den besonderen Gegebenheiten des konkreten Falles dem Grundgedanken der gesetzlichen Regelung, nämlich eine dauerhaft gleichmäßige Teilhabe beider Ehegatten an den in der Ehezeit erworbenen Versorgungsanrechten zu gewährleisten, in unerträglicher Weise widersprechen. Die grobe Unbilligkeit muss sich wegen des Ausnahmecharakters von § 27 VersAusglG im Einzelfall aus einer Gesamtabwägung der wirtschaftlichen, sozialen und persönlichen Verhältnisse beider Ehegatten ergeben (Senatsbeschluss vom 13. Februar 2013 - XII ZB 527/12 - FamRZ 2013, 690 Rn. 14 mwN).
Gemäß § 27 Satz 2 VersAusglG müssten die gesamten Umstände des Einzelfalls es rechtfertigen, von der Halbteilung abzuweichen. Das Vorliegen solcher Umstände behauptet allerdings bereits der Ehemann nicht, dessen Antrag nicht darauf zielt, von der Halbteilung abzuweichen, sondern eine gesetzlich nicht vorgesehene Ausgleichsform zu wählen.
Seine Rechtsverfolgung richtet sich somit nicht gegen die Halbteilung, sondern dagegen, dass das auf die Ehefrau im Wege der internen Teilung übertragene Anrecht erst wesentlich später Früchte trägt als wenn es bei dem Ehemann verblieben wäre, nämlich erst bei Eintritt eines Versorgungsfalls in der Person der ausgleichsberechtigten Ehefrau. Der Sache nach beanstandet der Ehemann damit die Struktur des Versorgungsausgleichs sowie die Aufhebung des früheren "Rentnerprivilegs" (§ 101 SGB VI Abs. 3 a.F.) durch das neue Versorgungsausgleichsrecht. Nach dieser Vorschrift wurde, wenn nach Beginn der Rente eine Entscheidung des Familiengerichts über den Versorgungsausgleich zu Lasten des Versicherten wirksam wurde, die Rente des Ausgleichspflichtigen erst zu dem Zeitpunkt um einen Abschlag verändert, zu dem bei einer Rente des Ausgleichsberechtigten ein Zuschlag berücksichtigt wurde.
Bei der Abschaffung dieser Regelung, die den ausgleichspflichtigen Ehegatten über den Halbteilungsgrundsatz hinaus durch eine versicherungsfremde Sozialleistung aus den Mitteln der gesetzlichen Regelsicherungssysteme begünstigte, handelt es sich um eine grundsätzlich entschädigungslos hinzunehmende Gesetzesänderung (Senatsbeschluss vom 13. Februar 2013 - XII ZB 527/12 - FamRZ 2013, 690 Rn. 20). Sie trifft auch den Ehemann des vorliegenden Verfahrens, da die gerichtliche Entscheidung über den Versorgungsausgleich nicht vor dem Inkrafttreten der Neuregelung getroffen war und deshalb keine unechte Rückwirkung vorliegt.
c) Ebenfalls zu Recht hat das Oberlandesgericht eine Anpassung der Kürzung der laufenden Versorgung (§ 33 Abs. 1 VersAusglG) abgelehnt. Dabei kann die verfahrensrechtlich umstrittene Frage, ob und gegebenenfalls unter welchen Voraussetzungen eine Anpassung der Kürzung der laufenden Versorgung wegen Unterhalt bereits im Verbundverfahren verfolgt werden kann (bejahend OLG Zweibrücken FamRZ 2012, 722; OLG Köln FamRZ 2012, 1814; Gutdeutsch FamRZ 2010, 1140; verneinend KG FamFR 2013, 137; OLG Celle FamRZ 2013, 1313; Borth Versorgungsausgleich 6. Aufl. Rn. 961; Wick Versorgungsausgleich 3. Aufl. Rn. 859 mwN), im Ergebnis dahinstehen. Denn jedenfalls zutreffend ist das Oberlandesgericht davon ausgegangen, dass die Voraussetzungen für eine Aussetzung der Kürzung der laufenden Versorgung nicht vorliegen.
aa) Gemäß § 33 Abs. 1 VersAusglG wird die Kürzung der laufenden Versorgung der ausgleichspflichtigen Person auf Antrag ausgesetzt, solange die ausgleichsberechtigte Person aus einem im Versorgungsausgleich erworbenen Anrecht keine laufende Versorgung erhalten kann und sie gegen die ausgleichspflichtige Person ohne die Kürzung durch den Versorgungsausgleich einen gesetzlichen Unterhaltsanspruch hätte. Die Voraussetzungen dieser Norm liegen jedoch nicht vor, da die ausgleichsberechtigte Ehefrau - wie zwischen den Beteiligten nicht im Streit steht - auch ohne die Kürzung durch den Versorgungsausgleich keinen gesetzlichen Unterhaltsanspruch gegen den Ehemann hätte.
bb) Eine analoge Anwendung des § 33 VersAusglG auf Fälle, in denen der Ausgleichspflichtige anderen Personen als dem ausgleichsberechtigten Ehegatten zur Unterhaltsleistung verpflichtet ist, scheidet ebenfalls aus.
Die in § 33 VersAusglG getroffene Regelung beruht auf der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, wonach es zu einem verfassungswidrigen Zustand kommen könne, wenn beim Ausgleichspflichtigen vor dem Ausgleichsberechtigten ein Versicherungsfall eintritt und der Ausgleichsberechtigte, dem die übertragenen Werteinheiten mangels Vorliegens eines Versicherungsfalles noch nicht zugutekommen, auf Unterhaltsleistungen des Ausgleichspflichtigen angewiesen ist (BVerfGE 53, 257, 303 f. = FamRZ 1980, 326, 335). Damit knüpft die geforderte Härteregelung gezielt an eine doppelte Belastung des ausgleichspflichtigen Ehegatten durch Kürzung seiner laufenden Versorgung bei gleichzeitig bestehender Unterhaltspflicht gegenüber dem ausgleichsberechtigten Ehegatten an (vgl. BVerwG ZBR 1991, 88, 89).
Mit § 33 VersAusglG als Nachfolgevorschrift zu § 5 Abs. 1 VAHRG wollte der Gesetzgeber lediglich die vom Bundesverfassungsgericht eingeforderte Härtefallregelung treffen. Schon der Charakter der gesetzlichen Ausnahmen vom Grundsatz der Versorgungskürzung als Härtefallregelungen spricht dagegen, ihren Anwendungsbereich durch eine erweiternde oder entsprechende Anwendung über das vom Gesetzgeber ausdrücklich Angeordnete und erkennbar Gewollte hinaus auszudehnen. Der eingeschränkte Anwendungsbereich des § 33 VersAusglG entspricht daher dem gesetzgeberischen Plan; es fehlt an der für einen Analogieschluss erforderlichen planwidrigen Regelungslücke (vgl. OLG Koblenz FamRZ 2013, 1661, 1663 sowie zu den früheren Regelungen des VAHRG BVerwG ZBR 1991, 88, 89 mwN).
In der getroffenen Regelung liegt entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde auch keine gleichheitswidrige (Art. 3 GG) oder in den grundrechtlichen Schutzbereich der Familie (Art. 6 Abs. 1 GG) eingreifende Benachteiligung der unterhaltsberechtigten minderjährigen Töchter. Zwar hängt die Höhe ihres Barunterhalts auch vom Nettoeinkommen des Barunterhaltspflichtigen ab, so dass eine Kürzung der Versorgung des Unterhaltspflichtigen zugleich eine Reduzierung des Kindesunterhalts bewirken kann. Dies stellt aber, wie allgemein die Anknüpfung bestehender Unterhaltspflichten an die Leistungsfähigkeit des Unterhaltsschuldners, lediglich eine Reflexwirkung ohne Verletzung einer eigenständigen Rechtsposition dar.
Die grundsätzliche Vereinbarkeit des Versorgungsausgleichs mit dem Grundgesetz hat das Bundesverfassungsgericht im Urteil vom 28. Februar 1980 (BVerfGE 53, 257 = FamRZ 1980, 326) festgestellt. Zu den ausdrücklich aufgeführten Fällen, in denen es eine ergänzende Regelung für geboten erachtet hat, um einen verfassungswidrigen Zustand zu vermeiden, zählt der vorliegende Fall nicht (vgl. BVerwG ZBR 1991, 88, 89). Wesentliche Unterschiede zwischen dem früheren und dem heutigen Versorgungsausgleichsrecht, die zu einer verfassungsrechtlichen Neubewertung der Rechtslage führen müssten, ergeben sich für die hier vorliegende Fallkonstellation nicht.