Navigation und Service

Logo der Deutschen Rentenversicherung (Link zur Startseite rvRecht)

rvRecht® - Rechtsportal der Deutschen Rentenversicherung

§ 77 SGG: Bindender Verwaltungsakt

Änderungsdienst
veröffentlicht am

03.08.2020

Änderung

Neu aufgenommen

Dokumentdaten
Stand27.07.2020
Erstellungsgrundlage in der Fassung des SGG vom 23.09.1975 in Kraft getreten am 01.01.1975
Rechtsgrundlage

§ 77 SGG

Version002.00

Inhalt der Regelung

§ 77 SGG regelt die Bindung der Beteiligten an den Inhalt eines Verwaltungsakts (Bestandskraft) nach Eintritt der Unanfechtbarkeit des Verwaltungsakts.

Von der Bestandskraft abzugrenzen ist die Rechtskraft (§ 141 SGG). Diese hat keinen Verwaltungsakt, sondern eine gerichtliche Entscheidung zum Gegenstand.

Ergänzende/korrespondierende Regelungen

NormRegelungsgegenstand
§ 37 SGB XBekanntgabe des Verwaltungsaktes
§ 39 SGB XWirksamkeit des Verwaltungsaktes
§ 85 SGGAbhilfe und Widerspruchsbescheid
§ 84 SGG Frist und Form des Widerspruchs
§ 87 SGGKlagefrist

Eintritt der Bestandskraft

Bestandskraft tritt ein, wenn

  • innerhalb der Rechtsbehelfsfrist kein Rechtsbehelf eingelegt wird oder
  • der eingelegte Rechtsbehelf erfolglos geblieben ist.

Bei mehreren Beteiligten an einem Verwaltungsverfahren kann die Bestandskraft je nach Zeitpunkt der Bekanntgabe zu unterschiedlichen Zeitpunkten eintreten.

Die Bestandskraft betrifft nur Entscheidungen der Verwaltung in Form von Verwaltungsakten. Alle übrigen Handlungsformen der Verwaltung (zum Beispiel Auskünfte und Hinweise) können nicht in Bestandskraft erwachsen.

Bedeutung der Bestandskraft

Die Bindung der Beteiligten an den Inhalt des Verwaltungsakts (Bestandskraft) bedeutet, dass seine Feststellungen beachtet und seine Regelungen befolgt werden müssen. Sie dient der Rechtssicherheit und dem Rechtsfrieden. Mit Eintritt der Bestandskraft räumt der Gesetzgeber der Rechtssicherheit Vorrang vor der materiellen Gerechtigkeit ein. Dies ist mit höherrangigem Recht vereinbar (Lüdtke/Berchtold, Sozialgerichtsgesetz, SGG § 77 Rn. 2, beck-online).

Formelle und materielle Bestandskraft

Bei der Bestandskraft ist zu unterscheiden zwischen

  • formeller Bestandskraft (siehe Abschnitt 4.1) und
  • materieller Bestandskraft (siehe Abschnitt 4.2).

Formelle Bestandskraft (Unanfechtbarkeit)

Formelle Bestandskraft bedeutet, dass der Verwaltungsakt mit Rechtsbehelfen nicht mehr angegriffen werden kann, entweder weil die Rechtsbehelfsfristen verstrichen sind oder weil ein Rechtsbehelf erfolglos eingelegt worden ist. Sie wird auch als Unanfechtbarkeit bezeichnet.

Materielle Bestandskraft (Bindungswirkung in der Sache)

Materielle Bestandskraft bedeutet die „Bindungswirkung in der Sache“, also an das, was geregelt ist (zum Beispiel die Bewilligung einer Altersrente). Die Träger der Rentenversicherung sind als Behörde in der Regel schon mit Wirksamwerden des Verwaltungsaktes (siehe GRA zu § 39 SGB X) daran gebunden. Für sie tritt die materielle Bestandskraft deshalb vor der Unanfechtbarkeit (siehe Abschnitt 4.1) ein. Für die Beteiligten tritt sie dagegen (erst) mit der Unanfechtbarkeit ein (Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt - /B. Schmidt, 13. Aufl. 2020, SGG § 77, Rn. 5a).

Nur der Verfügungssatz erwächst in Bestandskraft

Die Bindung der Beteiligten an den Verwaltungsakt in der Sache ist auf die getroffenen Regelungen beschränkt, also auf den Verfügungssatz beziehungsweise die Verfügungssätze des Bescheides. Die Bindung erfasst nicht die Gründe, die für die getroffenen Entscheidungen angeführt werden. Zur Bestimmung, welche Regelungen getroffen wurden, kann es aber erforderlich sein, die Entscheidungsgründe heranzuziehen, weil in Bescheiden oft nicht streng zwischen beidem unterschieden wird.

Verfügungssatz beim Rentenbescheid

Bezogen auf Rentenbescheide geht die Rechtsprechung des BSG davon aus, dass sich der Verfügungssatz von Rentenbescheiden grundsätzlich nur auf die Entscheidung über Art, Dauer (Beginn und Ende) und Höhe der Rente bezieht. Die Begründung der Bescheide (also die Rentenberechnung oder die Anerkennung von Versicherungszeiten im Rentenbescheid) gehört hingegen nicht zum Verfügungssatz und wird deshalb nicht von der Bindungswirkung umfasst (Urteil des BSG vom 26.06.1990, AZ: 5 RJ 62/89).

Verfügungssatz beim Ablehnungsbescheid

Bei der Ablehnung einer Leistung umfasst der Verfügungssatz die Verneinung des geltend gemachten Anspruchs. Die Bindungswirkung einer solchen ablehnenden Entscheidung besteht insbesondere darin, dass sich die Behörde bei einem erneuten Antrag in derselben Sache darauf beschränken kann, auf die bestandskräftige Entscheidung zu verweisen, wenn die Sach- oder Rechtslage unverändert ist.

Verfügungssatz beim Aufhebungsbescheid

Beim Aufhebungsbescheid umfasst der Verfügungssatz nicht nur die bloße Aufhebung eines früheren Bewilligungs- oder Feststellungsbescheides, sondern auch (konkludent) die Aussage, dass die Bewilligung der Leistungen oder die Feststellung zu Unrecht erfolgt ist. Damit einher geht die Feststellung, dass die materiellen Voraussetzungen für die Gewährung der Leistung oder die getroffene Feststellung nicht vorgelegen haben (Aufhebung für die Vergangenheit) beziehungsweise nicht mehr vorliegen (Aufhebung für die Zukunft). Diese Feststellung wird ebenfalls Gegenstand der Bindungswirkung des Verwaltungsakts.

Überprüfungsantrag durchbricht nicht Bestandskraft

Ein Überprüfungsantrag gemäß § 44 SGB X ändert nichts an einer bereits eingetretenen Unanfechtbarkeit eines Bescheides. Er lässt weder die formelle noch die materielle Bestandskraft/Bindungswirkung nachträglich entfallen. Denn ein Antrag nach § 44 SGB X ist die Geltendmachung eines behaupteten Anspruchs auf Rücknahme eines Verwaltungsakts, aber schlechthin kein „Rechtsbehelf“ im Sinne des § 77 SGG (Urteil des BSG vom 10.04.2003, AZ: B 4 RA 56/02 R).

Folgen der Bindungswirkung des bestandskräftigen Verwaltungsakts

Folge der Bindungswirkung des bestandskräftigen Verwaltungsakts ist es, dass eine dem Inhalt des Verwaltungsakts widersprechende Verwaltungsentscheidung nicht ergehen darf, solange der Verwaltungsakt nicht aufgehoben ist oder sonst seine Wirksamkeit verloren hat. Die Rechtsposition des von dem Verwaltungsakt Begünstigten darf daher nicht verschlechtert werden und auf sie kann der Begünstigte vertrauen. Diese Rechtsposition steht aber unter dem Vorbehalt, dass gesetzliche Regelungen (beispielsweise §§ 45 ff SGB X) die Aufhebung des Verwaltungsakts ermöglichen.

Die Bindungswirkung des bestandskräftigen Verwaltungsakts bleibt auch bestehen, wenn der Verwaltungsakt rechtswidrig ist, weil die Beteiligten aus Gründen der Rechtssicherheit auch in diesem Fall an den Inhalt des Verwaltungsakts gebunden sind.

Gesetz zur Neufassung des Sozialgerichtsgesetzes vom 23.09.1975 (BGBl. I S. 2535)
Inkrafttreten: 01.01.1975

Zusatzinformationen

Rechtsgrundlage

§ 77 SGG