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§ 67 SGG: Wiedereinsetzung in den vorigen Stand

Änderungsdienst
veröffentlicht am

03.07.2021

Änderung

Verweis berichtigt

Dokumentdaten
Stand29.07.2020
Erstellungsgrundlage in der Fassung des SGG vom 23.09.1975 in Kraft getreten am 01.01.1975
Rechtsgrundlage

§ 67 SGG

Version004.00

Inhalt der Regelung

Absatz 1 nennt die Voraussetzungen, bei deren Vorliegen Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren ist. Das maßgebliche Verfahren ist in Absatz 2 geregelt. Aus Absatz 3 ergibt sich, in welcher Frist die Wiedereinsetzung höchstens/längstens beantragt werden kann. Absatz 4 bestimmt die Zuständigkeit im Hinblick auf die Entscheidung über den Wiedereinsetzungsantrag sowie die Unanfechtbarkeit des Beschlusses über die Bewilligung der Wiedereinsetzung.

Ergänzende/korrespondierende Regelungen

§ 27 SGB X, § 32 VwVfG, § 60 VwGO, §§ 233 bis 238 ZPO

Wiedereinsetzung

Die Wiedereinsetzung ist eine gerichtliche (oder behördliche, siehe Abschnitt 4) Entscheidung, mit der die versäumte und verspätet nachgeholte Prozesshandlung als rechtzeitig angesehen bzw. noch zugelassen wird (Keller in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 13. Auflage 2020, § 67, Rn. 2).

Anwendungsbereich

§ 67 SGG gilt für alle gesetzlichen Fristen des Prozessrechts. Dazu gehören vor allem Fristen für die Einlegung von Rechtsbehelfen:

Über § 84 Abs. 2 S. 3 SGG ist § 67 SGG auch im Widerspruchsverfahren anwendbar (siehe Abschnitt 5).

Für Verfahrensfristen im Verwaltungsverfahren gilt § 27 SGB X, soweit nicht spezialgesetzliche Regelungen getroffen worden sind.

Sind Fristen ihrer Zweckbestimmung nach Ausschlussfristen, ist eine Wiedereinsetzung nicht möglich. Dies gilt zum Beispiel für die Jahresfrist gemäß § 66 Abs. 2 S. 1 SGG bei fehlender oder unrichtiger Rechtsbehelfsbelehrung, siehe GRA zu § 66 SGG, Abschnitt 3.

Auf richterliche Fristen ist § 67 SGG nur anwendbar, wenn dies im SGG ausdrücklich angeordnet ist (zum Beispiel in § 92 Abs. 2 S. 3 SGG).

Voraussetzungen der Wiedereinsetzung

Voraussetzungen für eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand sind

  • das Versäumen einer gesetzlichen Verfahrensfrist (siehe Abschnitt 4.1)
  • ohne Verschulden (siehe Abschnitt 4.2) und
  • ein entsprechender Antrag auf Wiedereinsetzung (siehe Abschnitt 4.3).

Versäumnis einer gesetzlichen Verfahrensfrist

Eine gesetzliche Verfahrensfrist ist dann versäumt, wenn die maßgebliche Prozesshandlung innerhalb des vorgeschriebenen Zeitraums nicht oder nicht wirksam vorgenommen wurde (Senger in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGG, 1. Aufl., § 67 SGG (Stand: 26.08.2019), Rn. 20). Deshalb sind ggfs. auch Ermittlungen zu dem Beginn, der Dauer und dem Ende der Frist anzustellen.

Ohne Verschulden des Beteiligten

Der Begriff „Verschulden“ umfasst nach § 276 Abs. 1 BGB Vorsatz und Fahrlässigkeit.

Vorsatz in Bezug auf eine Fristversäumnis hat praktisch keine Bedeutung. Fahrlässig handelt, wer im Verkehr die erforderliche Sorgfalt außer Acht lässt.

Für die Prüfung, ob eine Frist unverschuldet versäumt worden ist, sind die persönlichen Verhältnisse des Beteiligten wie Bildungsgrad und Rechtserfahrung zu berücksichtigen.

Kein Verschulden liegt vor, wenn trotz Beachtung der im Einzelfall zumutbaren Sorgfalt (subjektiver Sorgfaltsmaßstab) eine Frist versäumt worden ist.

Dabei sind an Privatpersonen, Behördenvertreter oder Rechtsanwälte unterschiedliche Anforderungen an die zumutbare Sorgfalt zu stellen.

Für Behörden gelten jedoch die gleichen (hohen) Sorgfaltspflichten wie für Rechtsanwälte. Ein Beispiel für eine Kanzleiorganisation ist hier zu finden, Ausführungen zur Fristüberwachung in einer Anwaltskanzlei sind hier zu finden. Das Verschulden des Behördenleiters oder einer anderen zur Rechtsvertretung bevollmächtigten Person wird stets der Behörde zugerechnet.

Grundsätzlich dürfen Beteiligte (und damit auch die Träger der Rentenversicherung) eine Frist ausschöpfen, es besteht jedoch die erhöhte Sorgfaltspflicht des „letzten Tages“. Das bedeutet, je später innerhalb der Frist eine Prozesshandlung vorgenommen wird, desto sorgfältiger sind die Mittel und Wege zu wählen, durch die die Einhaltung der Frist sicher gewährleistet werden kann.

Das Verschulden eines Vertreters des Beteiligten (Privatperson) steht dem Verschulden des Beteiligten gleich (siehe GRA zu § 27 SGB X, Abschnitt 3.1), das Verschulden einer Hilfsperson jedoch nicht (siehe GRA zu § 27 SGB X, Abschnitt 3.2).

Krankheit

Krankheit schließt ein Verschulden nur dann aus, wenn der Beteiligte während der gesamten Rechtsbehelfsfrist so schwer erkrankt war, dass er selbst nicht mehr handeln oder einen anderen beauftragen konnte.

Fälle einer Abwesenheit von längstens sechs Wochen

In Fällen einer kurzfristigen/vorübergehenden (zum Beispiel urlaubsbedingten) Abwesenheit von seinem ständigen Wohnsitz oder von seinem gewöhnlichen Aufenthalt oder von einer sonst ständig benutzten Wohnung von längstens sechs Wochen muss ein Beteiligter selbst dann keine besonderen Vorkehrungen treffen, wenn in einem laufenden Verfahren mit der Zustellung einer Entscheidung zu rechnen ist. Erst bei längerer als nur vorübergehender Abwesenheit muss ein Beteiligter Vorkehrungen treffen, zum Beispiel einen Nachsendeauftrag erteilen oder einen Zustellungsbevollmächtigten bestellen (BeckOGK/Jung, 1.9.2019, SGG § 67 Rn. 26).

Postlaufzeit

Wenn ein Schriftstück ordnungsgemäß adressiert und richtig frankiert so rechtzeitig zur Post gegeben worden ist, dass es nach deren regelmäßigem Betriebsablauf den Empfänger fristgemäß erreicht hätte, liegt kein Verschulden vor.

Auf die üblichen Postlaufzeiten darf vertraut werden (Wolff-Dellen in Fichte/Jüttner, SGG, 3. Aufl. 2020, § 67 SGG, Rn. 16).

Nach § 2 Nr. 3 S. 1 Post-Universaldienstleistungsverordnung (PUDLV) müssen von den an einem Werktag eingelieferten inländischen Briefsendungen im Jahresdurchschnitt mindestens 80 von Hundert am nächsten und 95 von Hundert am übernächsten Werktag ausgeliefert werden. Bei Absendung im Ausland gelten die dortigen „normalen“ Postlaufzeiten als Maßstab.

In der Bundesrepublik Deutschland werden die Anforderungen an die Postlaufzeiten entsprechend der PUDLV nur von der Deutschen Post AG gewährleistet. Erfolgt die Übermittlung fristwahrender Schriftstücke durch andere private Postunternehmen, hat der Beteiligte zu prüfen, ob dies mit der gleichen Wahrscheinlichkeit wie bei der Inanspruchnahme der Deutschen Post AG zu erwarten ist.

Beachte:

Ab dem 01.01.2022 hat die Kommunikation mit den Gerichten ausschließlich elektronisch zu erfolgen (§ 65d Abs. 1 S. 1 SGG in der Fassung ab 01.01.2022). Von der Nutzungspflicht erfasst sind nicht nur vorbereitende, sondern alle an das Gericht adressierten Schriftsätze, Anträge u. Erklärungen (BT-Drs. 17/12634 S. 27 zu § 130d ZPO), auch bestimmende Schriftsätze (§ 202 S. 1 SGG in Verbindung mit § 253 Abs. 4 ZPO).

Übermittlung per Telefax

Für die fristwahrende Übermittlung eines Schriftstücks per Telefax ist neben der Nutzung eines funktionsfähigen Sendegerätes und der korrekten Eingabe der Empfängernummer so rechtzeitig mit der Übermittlung zu beginnen, dass mit ihrem Abschluss bis 24.00 Uhr zu rechnen ist. Für den Zugang eines Telefaxes ist der Zeitpunkt maßgeblich, in dem die gesendeten Signale vom Empfangsgerät des Gerichts vollständig empfangen werden (Beschluss BGH vom 8.5.2007, AZ: VI ZB 74/06. Die vollständige Übermittlung des Faxes ist vom Beteiligten anhand des Sendeberichts zu überprüfen.

Beachte:

Ab dem 01.01.2022 hat die Kommunikation mit den Gerichten ausschließlich elektronisch zu erfolgen (§ 65d Abs. 1 S. 1 SGG in der Fassung ab 01.01.2022). Von der Nutzungspflicht erfasst sind nicht nur vorbereitende, sondern alle an das Gericht adressierten Schriftsätze, Anträge u. Erklärungen (BT-Drs. 17/12634 S. 27 zu § 130d ZPO), auch bestimmende Schriftsätze (§ 202 S. 1 SGG in Verbindung mit § 253 Abs. 4 ZPO).

Übermittlung von elektronischen Dokumenten mit der Anwendung eGericht

Bei der Übermittlung von elektronischen Dokumenten mit der Anwendung eGericht ist der RV-Träger verpflichtet, den Eingang der automatisierten Eingangsbestätigung zu überwachen und sie sorgfältig zu kontrollieren (siehe GRA zu § 65a SGG, Abschnitt 7, beachte auch GRA zu § 65a SGG, Abschnitt 8 bei Übersendung von Dokumenten, die für das Gericht zur Bearbeitung nicht geeignet sind).

Antrag auf Wiedereinsetzung binnen eines Monats nach Wegfall des Hindernisses

Die Wiedereinsetzung wird auf Antrag oder von Amts wegen gewährt. Der Antrag ist binnen eines Monats nach Wegfall des Hindernisses zu stellen. Innerhalb dieser Frist muss auch die versäumte Handlung nachgeholt werden.

Zur Begründung sind die Umstände zu schildern, die zu dem Fristversäumnis geführt haben und Gründe zu benennen, weshalb das Fristversäumnis unverschuldet ist. Rechtsanwälte (oder Behörden) haben darüber hinaus darzulegen, welche organisatorischen Maßnahmen getroffen worden sind, einem Fristversäumnis entgegenzuwirken.

Die den Antrag begründenden Tatsachen müssen, anders als in anderen Prozessordnungen, nicht zwingend glaubhaft gemacht werden, es gilt vielmehr das Amtsermittlungsprinzip (Keller in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 13. Auflage 2020, § 67, Rn. 10c, 10d).

Jahresfrist

Nach einem Jahr seit dem Ende der versäumten Frist ist ein Antrag auf Wiedereinsetzung unzulässig, es sei denn, der Antrag konnte infolge höherer Gewalt nicht vor Ablauf der Jahresfrist gestellt werden (siehe GRA zu § 66 SGG, Abschnitt 3).

Wiedereinsetzung im Widerspruchsverfahren

Die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand im Widerspruchsverfahren spielt in der Praxis eine eher untergeordnete Rolle. In der gesetzlichen Rentenversicherung werden Bescheide in der Regel als einfacher Brief bekanntgegeben (siehe GRA zu § 37 SGB X). Der Zugang des angefochtenen Bescheides, der für den Beginn der Widerspruchsfrist maßgeblich ist, kann deshalb „im Zweifel“ (§ 37 Abs. 2 S. 3 SGB X) regelmäßig nicht bewiesen werden. Entscheidet die Behörde, dass Wiedereinsetzung gewährt wird (ggf. auch konkludent, indem über den Widerspruch trotz Fristversäumnis in der Sache entschieden wird), ist das Gericht im weiteren Verfahren daran gebunden (Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 13. Auflage 2020, § 67Rn. 19b).

Entscheidung über Wiedereinsetzung im gerichtlichen Verfahren

Das Gericht, das über die versäumte Rechtshandlung zu entscheiden hat, entscheidet auch über den Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand. Rechtsmittelgerichte dürfen die Wiedereinsetzung dann gewähren, wenn die Vorinstanz darüber nicht entschieden hat. Das Gericht kann auch Wiedereinsetzung gewähren, wenn eine Widerspruchsbehörde einen Widerspruch als unzulässig zurückgewiesen hat, obwohl sie Wiedereinsetzung hätte gewähren müssen oder wenn sie über den Wiedereinsetzungsantrag nicht entschieden hat. Die Entscheidung des Gerichts ergeht ausdrücklich, die Beteiligten sind vorher anzuhören.

Ein Beschluss über die Bewilligung der Wiedereinsetzung ist unanfechtbar. Die Ablehnung der Wiedereinsetzung kann nach den allgemeinen Regeln angefochten werden.

Sozialgerichtsgesetz vom 03.09.1953 (BGBl. I S. 1239)
Inkrafttreten: 01.01.1954

§ 67 SGG wurde durch das SGG vom 03.09.1953 eingeführt und blieb seitdem im Wortlaut unverändert.

Zusatzinformationen

Rechtsgrundlage

§ 67 SGG